34. Kapitel - Die letzte Schlacht

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Der nächste Tag bedeutete das Ende ihrer Rast, und sie brachen früh auf. Auf beinahe allen lastete die Dunkelheit schwer, und sie sahen in der Ferne kein Licht; nur Beravor und Rovaldil waren hoffnungsvoller als die anderen, und auch manche Dúnedain hatten nach der gestrigen Unterredung neuen Mut geschöpft. Beravor meinte einmal zu hören, wie Magolthir leise ein altes Lied summte, das von schöneren Zeiten und grüneren Ländern erzählte. Sie und Rovaldil aber waren die einzigen, die während ihres Rittes hin und wieder Worte untereinander wechselten. Die Landschaft um sie herum indessen hätte den Herzen der Marschierenden durchaus Freude bereiten können: Sie verließen den Einflussbereich Minas Morguls und kamen jetzt immer tiefer hinein ins schöne Land Ithilien, das den Frühling begrüßte. Überall blühte es, und die Bienen summten auf den üppigen Wiesen unter dem Schatten blütenbeladener Bäume. Nur zu ihrer Linken war das Schattengebirge in dichten Nebel gehüllt und ragte düster auf, und dann und wann stiegen hinter ihm rote und schwarze Wolken empor wie der Rauch von schwelendem Feuer. Sie kamen nun langsamer voran als bisher, denn auch wenn die berittenen Krieger immer noch die Vorhut bildeten, so zogen sie doch jetzt gemeinsam mit den Fußsoldaten. Die Pferde dankten es ihnen, dass sie nicht schon wieder zu großer Eile angetrieben wurden. Vor Beravor ritten nur noch wenige andere, denn die Dúnedain bildeten die Spitze der Vorhut; nur Magolthir und einige andere Waldläufer waren dort, und an der Spitze Aragorn und Gandalf und ein weiterer Hauptmann, den Beravor nicht erkannte; aber auf seinem Helm sah sie das Wahrzeichen des Weißen Schwans von Dol Amroth. Vor diesen wiederum sah sie von Zeit zu Zeit berittene Späher, die heranritten und mit Aragorn oder Gandalf einige Worte wechselten, ehe sie davonritten und wieder in den Schatten der Bäume verschwanden; und dann und wann ritten Herolde voraus auf die Straße und ließen ihre Trompeten erschallen und riefen: „Die Herren von Gondor sind gekommen!" Aber auf diese Herausforderung gab es keine Antwort, und die Späher meldeten anscheinend auch keine drohende Gefahr, denn es gab kein Zeichen bis zum späten Mittag von einem der Heerführer, und sie ritten unbehelligt und offen auf der alten Straße. Sie machten nur eine kurze Rast, als die Sonne ihren höchsten Punkt gerade überschritten hatte, und schnell setzten sie ihren Weg fort, und nichts veränderte sich. Nur, als die Herolde wieder voranritten und ihre lauten Stimmen erschallen ließen, sagten sie nicht mehr Die Herren von Gondor, sondern Der König Elessar. Das fand Beravor merkwürdig, aber sie vermutete, dass dies dem Feind größere Angst machen sollte: Denn war es nicht der König gewesen, der ihn einst vor seinen eigenen Toren im Schwarzen Land besiegt hatte? Und Beravor befand, dass Elessar kein schlechter Name war für einen König aus ihrem Geschlecht.

So verging der erste Tag ihres Rittes nach ihrem Lager an der Wegscheide und der Zerstörung von Minas Morgul. Ruhig war der Ritt gewesen, aber die Anspannung aller war mit jedem Schritt gewachsen, und immer größer wurde der Schatten in ihren Herzen mit jedem Schritt, und in den Herzen der geringeren Menschen umso mehr, denn sie verstanden noch weniger von dem, was gerade in der Welt geschah, sodass ihre Furcht umso größer war. Sie ritten bis spät in den Abend hinein, aber schließlich schlugen sie im duftenden Ithilien ihr Lager auf und versuchten Ruhe zu finden, so gut es ging. Viele von ihnen waren besorgt, und auch Beravor beschlich bei dem Gedanken an den morgigen Tag eine ungewisse Vorahnung. Zunächst aber ging am nächsten Tag alles denselben Gang wie am vorigen, und sie ritten weiter in scheinbarem Frieden auf der Straße. Irgendwann glaubte aber Beravor, dass ein Teil ihrer Reiterei fehlte, auch wenn sie sich nicht erklären konnte, weshalb. Sie teilte ihre Beobachtung Rovaldil mit, aber dieser sah sich nur um und zuckte mit den Schultern. „Ich habe sie nie gezählt", sagte er, „und deshalb weiß ich nicht, ob irgendjemand fehlt." Doch Beravor war sich ganz sicher bei ihrem Verdacht; aber den Tag über bekam sie den fehlenden Teil der Reiterei nicht mehr zu sehen; aber die Besorgnis in ihrem Herzen wuchs.

Schließlich wurde es Abend, und auch der zweite Tag nach dem Scheideweg schien ereignislos vergangen zu sein, und Beravor merkte, dass sie bereits müde wurde. Sie waren jetzt an eine Stelle gekommen, wo die Straße in einem tiefen Durchstich durch einen Ausläufer der Schattenberge führte, und das Licht der Sonne war für kurze Zeit ganz ausgesperrt. Da ertönte plötzlich ein lauter Ruf Aragorns, und sofort war Beravor wieder hellwach. Im Zwielicht sah sie dunkle Gestalten an den Flanken des Berges, und bald konnte es keinen Zweifel mehr geben. Sie wurden von Orks angegriffen. Beravor zog ihr Schwert und ritt dicht neben Rovaldil, denn sie erinnerte sich ihres Versprechens. Auch Magolthir war bei ihnen. Sie sahen jetzt, dass es keine kleine Schar von Orks war, sondern eine starke, gut bewaffnete, die nicht zu unterschätzen war; und sie hatten ihnen an einem Ort aufgelauert, an dem es schwierig war, sich richtig zu verteidigen. Doch hatten sie viele gute Bogenschützen in ihren Reihen, unter denen auch Rovaldil war, denen viele Orks bereits zum Opfer gefallen waren, ehe sie die Vorhut erreicht hatten. Aber es waren immer noch viele, die zu ihnen herunterkamen und über sie herfielen. Beravor machte mit ihrem Schwert gleich zwei von ihnen nieder, die die linke Flanke des Zuges angriffen, und da bemerkte sie, dass es nicht nur Orks waren, sondern auch Ostlinge; aber es war ihr gleich. Sie waren gut bewaffnet, und das Fußheer war mittlerweile ein gutes Stück hinter ihnen, sodass sie von diesem abgeschnitten waren. Und immer noch kamen neue Feinde heran. Hieb um Hieb führte Beravor aus, Ork um Ork fiel ihren Hieben zum Opfer. Plötzlich hörte sie von hinten Kriegsrufe, und dann sah sie, was sie so lange vermisst hatte. Anscheinend hatten die Heerführer des Westens von diesem Hinterhalt gewusst, denn sie hatten einen Teil der Reiterei vorausgeschickt, der den Orks selbst einen Hinterhalt gestellt hatte. Nun war der Kampf bald vorbei, denn die Angreifer waren jetzt zwischen den beiden Teilen der Reiterei gefangen und wurden von ihnen zerquetscht. Fast alle wurden binnen kürzester Zeit vernichtet; nur wenigen gelang eine Flucht in die Ausläufer der Berge im Osten. Beravor freute sich über ihren Sieg, der beinahe ohne Verluste für sie geblieben war, aber sie wusste, dass dies nur ein winziger Teil von Saurons Streitmacht gewesen war, dessen Verlust er nicht einmal bemerkt haben mochte; und mitten in dieser kleinen Freude des Sieges überkam Beravor eine plötzliche Kälte und eine neue Angst. Unwillkürlich blickte sie in den Himmel und glaubte, Schatten vor den schnell dahinziehenden Wolken zu sehen, und sie fröstelte und fühlte sich mit einem Mal klein und ängstlich. Überall im Heer hörte sie leises Gemurmel, und ein Wort drang deutlich an ihr Ohr, sodass sie wusste, woher diese plötzliche Angst kam. „Nazgûl", raunte es durchs Heer.

Von dieser Stunde an ritten die Dúnedain, die Reiter aus Gondor und die Rohirrim unter dem ständigen kalten Schatten der Ringgeister, die hoch über ihnen in den dunklen Wolken ihre Kreise zogen, außer Sicht für sie alle, aber stetig anwesend in ihren Herzen. Sie gaben keinen Laut von sich und stießen nicht herab, aber das Grauen, das sie mit sich brachten, erfüllte alle. Jetzt redeten auch Beravor und Rovaldil nicht mehr miteinander, fürchteten sie doch, dass jeder Laut, den sie von sich gaben, diese Geister anlocken würde. In dieser furchtsamen Stille ging der Tag zu Ende, und sie schlugen ein Lager auf, noch trostloser als das vorherige; kein Essen vermochte mehr ihre Seelen zu erfreuen, und sie zündeten kein Feuer an, sondern harrten in der Dunkelheit der Nacht aus, während über ihnen schwarze Wesen ihre Kreise zogen und die Sterne und den Mond verdeckten. Beravor schien es, als würden sie alles Schlechte, alles Übel, das in ihrem Herzen verborgen lag, heraufbeschwören, und sie vergaß beinahe ihre neugewonnene Freundschaft mit Rovaldil und die Hoffnung, die irgendwo mit dem Einen Ring noch lebendig war. Sie konnte nur noch an Halbarads totes Gesicht denken, an Istavor, die jetzt allein und ohne Freunde in einer immer größer werdenden Düsternis lag, an jene verhängnisvolle Stunde vor vielen Jahren, als ihre Eltern von Orks getötet worden waren. Und zu all dem gesellte sich diese grausame Kälte des nahenden Todes. In dieser Nacht träumte sie von nichts, sie sah nur eine wachsende Schwärze, alles verschlingend und unendlich kalt. Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich ermatteter und kraftloser als nach vielen schlaflosen Nächten.

Sie ritten weiter, immer weiter auf der sich endlos hinziehenden Straße, und Beravor verfluchte sie, weil sie ihr Ziel nicht zu finden schien und fortglitt und sie nicht von diesem Marsch erlösen wollte, und gleichzeitig fürchtete sie sich vor ihrem Ende, weil sie wusste, dass dort das Schwarze Tor lag und das Ende aller Dinge. Aber sie gab nicht auf, und mit der Willensstärke des alten Geschlechts der Menschen von Westernis ertrug sie die Kälte der Ringgeister, die jetzt die Strahlen der Sonne zu verdunkeln schienen wie undurchdringliche, bösartige Wolken, und das immer feindseliger werdende Land und die Furcht vor dem Tod. Sie waren noch in Ithilien, und immer noch war es Frühling und die Wiesen links von ihnen blühten, aber nichts davon erreichte mehr ihr Herz. Sie hörte nur das Klappern der Hufe unter ihr wie das Rauschen des Flusses der Vergänglichkeit, der schließlich alle Menschen zu ihrem Schicksal führte; und sie sah nichts anderes als die gerade Straße vor sich und die dunklen Schatten darüber. Das Einzige, was sie spürte, war die Kälte der Ringgeister, die sich in ihrem Körper auszubreiten schien wie ein tödliches Gift, für das es kein Gegenmittel gab, und ihre Glieder schmerzten davon. So verging dieser Tag, und Beravor zählte nicht mehr die Stunden, die sie bereits geritten waren oder die noch vor ihnen liegen mochten, und an diesem Abend lagerten sie auf der offenen Straße, aber Beravor fand keinen Schlaf; sie zitterte am ganzen Leib, sie fror und fürchtete sich; die Schatten um sie herum waren länger und tiefer als in irgendeiner Nacht zuvor. Sie spürte jetzt jeden kleinen Schmerz in ihrem Körper, ihr Panzer drückte und beengte sie, und sie fühlte sich darin gefangen. Am liebsten hätte sie geweint, grundlos, aber bitterer als je zuvor; doch sie konnte es nicht. Wenn sie geweint hätte, so glaubte sie, wären ihre Tränen sofort zu Eis geworden. Sie lag die ganze Nacht über auf dem Gras, das ihr nun hart und stechend vorkam, und sah in die Schatten, aber nichts rührte sich; und dennoch konnte sie keine Ruhe finden. Die Sterne über ihr waren blass und verborgen. So wartete sie auf den Morgen, der grau und farblos war. Wieder musste sie auf ihr Pferd steigen, und noch schmerzhafter war dieser Ritt als der vorherige. Beravor glaubte nicht, dass sie am Ende ihres Marsches noch ein Schwert wurde führen können, geschweige denn einen Schritt tun. Krampfhaft klammerte sie sich an Gwaelims Mähne fest, und sie zitterte immer noch; sie sah nicht mehr nach Rovaldil noch irgendwo anders hin als nach vorne. Das Einzige, was sie noch antrieb, war Aragorn, wie auf den Pfaden der Toten, aber auch sein Wille schien jetzt beinahe zu schwach geworden zu sein, um Beravor daran zu hindern, umzudrehen und zu fliehen, und noch tat sie das nicht; und dann war da noch diese kleine Hoffnung auf den Träger des Ringes, wer auch immer es sein mochte, der Beravors Herz dazu brachte, ihr leise zuzurufen, dass sie durchhalten müsse, durchhalten, solange es irgendwie ginge.

An diesem Tag verloren sich schließlich die letzten Ausläufer der Wiesen und Wälder von Ithilien, und das schöne Land fand ein Ende, und das Heer verließ die Straße und ritt durch unwegsameres Gelände. Jetzt gelangten sie in die Ödnis, und Beravor wusste, dass der letzte Teil ihrer Reise gekommen war. Noch größer und noch näher war der Schrecken jetzt, denn das Land war grausam und seine Schatten größer als das Licht, das einzudringen versuchte. Feuer gab es noch keine, und doch war es so, wie Beravor sich das Land Mordor vorstellte, obwohl es nur seine östlichen Ausläufer waren, durch die sie jetzt ritten und die sie vor sich sah. Kein Grün war mehr zu sehen, nur noch die Gerippe von toten Bäumen, die sich mit ihren leblosen Wurzeln noch wie verkrampft in das schwarze Gestein krallten. Alles an diesem Ort war lebensfeindlich, und es wuchs kein Gras für die Pferde, und kein Wasser floss für sie oder die Menschen, deren Kehle durch die trockene, staubige Luft ausgetrocknet wurde. Sie kamen jetzt langsamer voran, und es lag nicht nur daran, dass sie den festen Weg verlassen hatten, sondern alles in dieser Gegend schien ihr Vorankommen noch dazu behindern zu wollen, und schließlich blieben sie ganz stehen. Beravor blickte sich um, um herauszufinden, was sie hatte Halt machen lassen, und da sah sie, dass Aragorn sein Pferd wendete. Er schien zum Hauptheer zurückzureiten, und Gandalf folgte ihm, aber Elronds Söhne blieben an der Spitze des Zuges und warteten. Von hinten hörte Beravor Aragorns Stimme, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte, denn zwischen ihm und ihr war jetzt fast ihre ganze berittene Streitmacht, und das Land schien verhindern zu wollen, dass Aragorns Stimme zu ihr drang. Und doch hatte seine Stimme ihre Macht noch nicht verloren, und sie zu hören nahm bereits ein wenig die Kälte aus Beravors Gliedern und den Schatten von ihrem Herzen. Nach kurzer Zeit kam er zurückgeritten, und seine Miene verriet nichts darüber, was gerade geschehen war. Das Heer setzte sich wieder in Bewegung, und Beravor ahnte nicht, dass es jetzt weniger waren als vorher, die hinter ihnen liefen.

Sie hielten sich jetzt weiter nach Norden, sodass sich die Straße, die sie anfangs noch nahe bei sich gesehen hatten, immer weiter von ihnen entfernte. Das Land wurde immer unwirtlicher und tödlicher, graue, giftige Dünste stiegen aus tiefen Spalten im Boden auf. Mit jedem Schritt schienen sie langsamer zu werden, aber Beravor hoffte, dass sie nicht anhalten würden, denn sonst, glaubte sie, würde der Tod sie in diesen Landen übermannen und vernichten. Sie war erschöpft, ihre Kehle war ausgedörrt, und trotz der Hitze um sie herum war ihr immer noch kalt vom Schatten der Nazgûl. Sie konnte sich schon jetzt kaum mehr an die Schönheit Ithiliens erinnern, geschweige denn an die weißen Dächer von Minas Tirith oder das dunkle Grün der Bäume im fernen Eriador. Sie ritten und ritten, und sie kamen dem Verderben immer näher, denn sie näherten sich dem Schwarzen Tor, und die Macht des Dunkeln Herrschers wuchs. Beravor sah keine Späher mehr, die vorausritten; und es hatte wahrscheinlich auch keinen Sinn mehr, denn was immer nun kam, sie waren ihm ausgeliefert, und jeder von ihnen rechnete zu jeder Zeit ohnehin mit einem Angriff. Doch noch rührte sich nichts, und bis in die Abendstunden hinein ritten sie und blieben noch immer unbehelligt; aber es war keine Ruhe mehr in dem Land: Es hielt den Atem an, und je länger die Schatten wurden, desto angespannter wurde es. Schließlich errichteten sie wieder ein Lager, und wieder konnte Beravor die Nacht über nicht schlafen, und am nächsten Tag ritten sie weiter. Die Qualen wurden größer und größer; das Land wurde böser und giftiger, und Stunde um Stunde verging, ohne, dass sich die Sonne zeigte, denn der schwarze Dunst, der überall um sie herum aus der Erde quoll, machte denn Himmel über ihnen unsichtbar. Doch auch dieser Tag nahm schließlich ein Ende, und sie mussten wieder ein Lager erreichten, aber Aragorn sagte ihnen, dass es ihr letztes sein würde. Beravor wusste nicht, ob sie beunruhigt oder erleichtert sein sollte, und was machte es auch aus? Schlussendlich würde sie sterben, entweder auf dem Marsch oder an der Pforte Mordors.

Holz wurde gesammelt, soviel sich finden ließ; es war trocken und brannte gut, und sie entfachten Feuer rings um ihr Lager. Beravor lagerte neben Rovaldil ziemlich in der Mitte des großen Kreises, der von den Feuern begrenzt wurde, und sah sie nur fern als kleine Lichtpunkte inmitten einer undurchdringlichen Düsternis. An diesem Abend kam Rovaldil zu ihr und setzte sich neben sie. Weder er noch sie hatten bisher schlafen können.
„Bald ist es so weit", sagte er. Sein Gesicht war von Müdigkeit gezeichnet wie Beravors.
„Ja", antwortete sie, „und es ist schlimmer, als ich es mir habe vorstellen können. Ich habe große Angst, Rovaldil, und ich weiß nicht einmal, wovor genau. Ich fürchte alles, diesen Ort, die Gegenwart, die Zukunft; ich fürchte um mich und dich und um alles andere."
„Mir geht es nicht anders", sagte Rovaldil. „Aber erinnere dich an deine Worte: Noch gibt es eine kleine Hoffnung. Und das soll nicht das Einzige sein; denn du bist für mich auch eine Hoffnung. Auch dabei kann ich nicht sagen, warum ich so empfinde, aber mit dir an meiner Seite fühle ich mich stärker als allein. Wir werden dem Ende gemeinsam ins Auge sehen."
„Das werden wir", sagte Beravor. „Denn wir müssen durchhalten." Dann nahm sie Rovaldils Hand. Sie war kalt wie ihre eigene; aber je länger sie sie hielt, desto wärmer schien sie zu werden, und die Kälte in Beravor schwand. Die Dunkelheit musste ein wenig weichen und dem Licht Platz machen. Nach einiger Zeit, in der sie still so dagesessen hatten, sagte Beravor: „Es ist wirklich merkwürdig. Fast mein ganzes Leben lang dachte ich, es sei nur ein Sprichwort, wenn man sagte, andere Menschen könnten einem Kraft geben. Aber dann traf ich Istavor und später Aragorn, und nun bist du es, der mir tatsächlich neue Kraft gibt. Ich wünschte, so könnte es auch sein, wenn wir vor den Toren Mordors stehen; aber wir können nicht den ganzen Kampf über die Hand des anderen halten."
„Das nicht", sagte Rovaldil, „aber wie viel wir an Kraft einander auch so geben können, werden wir bald erfahren. Jetzt aber sollten wir die Wärme, die wir einander geschenkt haben, und den Frieden, den zumindest ich jetzt empfinde, nutzen, um uns vor dem morgigen Tag ein wenig auszuruhen." Beravor stimmte ihm zu und legte sich nieder auf den harten Stein, und die Wärme Rovaldils blieb in ihr. Tatsächlich konnte sie in dieser Nacht schlafen, und in ihren Träumen sah sie keine Feuer und keinen Tod, aber sie spürte Rovaldils Hand in der ihren, als würde sie sie immer noch halten, und sie glaubte, seinen leisen Herzschlag zu hören.

Beravor erwachte, und sofort fror sie wieder. Aber dieses Mal war es echte Kälte, denn der Wind hatte aufgefrischt und wehte jetzt frisch aus dem Norden, und das war eine kleine Erleichterung für Beravor, da er so auch die üblen Dünste der Erde um sie herum davonwehte und sie klarer atmen ließ. Sie war tatsächlich ausgeruht und fühlte neue Kraft in sich, und neben ihr stand Rovaldil, sodass ihr Herz froher wurde. Heute war es soweit. Sie würden ihr Ziel erreichen. Sie aßen ein wenig, und das Brot und das wenige Fleisch hatte wieder eine Ahnung von Geschmack erhalten. Noch war nicht alles verloren. Sie mussten nur durchhalten, irgendwie. Das sagte sich Beravor immer wieder. Sie sagte es auch noch einmal laut zu Rovaldil, und Magolthir schien sie gehört zu haben und kam zu ihnen. „Ja", sagte er, „wir müssen durchhalten, solange wir können. Und wir müssen zusammenhalten, wir Dúnedain des Nordens. Fasst Euren Mut und geht der Gefahr entgegen." Doch als er das sagte, sah Beravor in seinen Augen ebenfalls Furcht. Dann wurde zum Aufbruch geblasen, und Beravor schwang sich auf Gwaelim und Rovaldil auf Mornachas, und das Heer des Westens setzte sich in Bewegung. Sie ritten zwischen gewaltigen Hügeln von Schlacke hindurch, vorbei an stinkenden Gräben, über kleine Hügelkuppen und vorbei an aufgesprengtem Gestein und tiefen Rissen in der Erde; aber ihr Weg war an diesem Tag nicht mehr weit, obwohl er Beravor länger vorkam als ihre längsten Reisen vor vielen Jahren, als sie noch eine einfache Waldläuferin gewesen war und der Name Mordor nichts weiter gewesen war als ein ferner Schreckensschein. Nun aber wandelte sie selbst in diesem Schrecken, und Gwaelim unter ihr zitterte, und die Furcht kehrte in ihr Herz zurück und wurde kräftiger, und das verfluchte Land um sie wurde machtvoller und böser und giftiger, schrecklicher als der schlimmste Alptraum, den sich ein Mensch vorstellen kann. Die Meilen schienen nicht zu vergehen. Doch schließlich war ihr Ritt vorbei. Sie kamen einen letzten Hang nach oben und sahen plötzlich eine weite Ebene vor sich von verbrannter Erde und ausgespiener Schlacke. Von Westen kam die Straße, der sie lange gefolgt waren, die jetzt nach Osten weiterlief, und sie lief an zwei gewaltigen Hügeln aus gebrochenem, aufgetürmtem Gestein vorbei; doch der Rest der Ebene war sumpfig und stank nach Tod und Verwesung. Das schrecklichste von allem aber waren zwei gewaltige schwarze Türme, die weit in den Himmel ragten und den Eingang zu einem schmalen Pass bewachten, der auf beiden Seiten von den Ephel Dúath begrenzt und eingeschlossen wurde; und etwas weiter hinten, wo er sich ein wenig verengte, stand eine riesige schwarze Mauer aus glattem Stein. Ihre Zinnen waren hoch und spitz und ragten auf wie die Zähne eines Untiers längst vergangener Zeiten, und die Mauer war unermesslich hoch, wenn sie auch nicht an die Gipfel der umgebenden Berge heranreichte, schwarz und unüberwindbar. In der Mitte der Mauer war ein großes Tor mit zwei Flügeln, überwölbt von einem gewaltigen Torbogen. Alles war aus demselben schwarzen Stein gehauen, wie die Außenmauern von Minas Tirith, aber nichts an dem, was Beravor vor sich sah, war schön; abgesehen vielleicht von einer grausamen, lebensfeindlichen Art Schönheit. Alles in Beravor wehrte sich jetzt dagegen, aber Aragorn ritt voran und den Abhang hinunter auf die Ebene. Für einen kurzen Moment zögerte Beravor, und sie war kurz davor, kehrtzumachen und zu fliehen. Aber dann erinnerte sie sich daran, wer sie war, eine Númenórerin, eine Waldläuferin des Nordens aus dem Gefolge des Königs Elessar. Und gegen ihre eigene Vernunft und ihr eigenes inneres Streben trieb sie Gwaelim an und folgte Aragorn, hinab in die Schrecken Mordors; und neben sich sah sie jetzt Rovaldil, und das erleichterte sie ein wenig; und da waren auch Magolthir und all die anderen Dúnedain, ihre Brüder. Gemeinsam ritten sie jetzt dem Ende entgegen.

Immer noch war alles still, als das gesamte Heer auf der Ebene angelangt war. Beravor saß auf Gwaelim und blickte nervös auf das Schwarze Tor; die Kälte war erneut und mit noch größerer Stärke zurückgekehrt; und dann sah sie die Ringgeister auf geflügelten Bestien, die um die Türme der Wehr kreisten wie Aasgeier, wartend auf den Tod der Menschen vor ihnen. Auch fühlte sich Beravor von allen Seiten beobachtet, als versteckten sich neben ihnen in den schroffen Bergen ebenfalls Feinde und warteten auf ein Zeichen, um sie von allen Seiten anzugreifen. Beravor konnte es fast nicht mehr aushalten, so angespannt und von Schrecken erfüllt war sie. Es war eine unendliche Qual, in diesem verfluchten Land auch noch auf den Tod warten zu müssen, auch wenn sie wusste, dass der Tod selbst keine geringere Qual sein würde. Endlich rührte sich Aragorn und schien sich kurz mit den anderen Hauptleuten zu beraten, dann wendete er sein Pferd und ritt mit Gandalf und Elronds Söhnen zum linken Hügel, und die Dúnedain folgten ihm. Der Fürst von Dol Amroth aber wandte sich zum rechten Hügel, und mit ihm ritt jetzt Éomer, der König von Rohan, und all ihre Gefolgsleute kamen mit ihnen. Zu den Dúnedain aber kamen noch viele Soldaten aus Gondor und einige aus den äußeren Lehen, sodass schließlich beide Hügel mit einer ähnlichen Zahl an Männern besetzt waren. Die Dúnedain stiegen von ihren Pferden, denn diese würden ihnen, wenn der Feind gegen ihre Reihen wie Wellen gegen ein steiles Ufer branden würden, keinen Vorteil mehr bieten und ihnen mehr schaden als nützen. Sie wurden auf die Spitze der großen Hügel geführt, nur Aragorn und Elladan und Elrohir und Gandalf blieben auf ihren Pferden sitzen. Immer noch rührte sich nichts am Schwarzen Tor, und nur die tödlichen schwarzen Schatten zogen darüber ihre Kreise. Als Beravor von Gwaelim absaß und ihn auf die Spitze des Hügels führte, fragte sie sich, ob sie ihren treuen Freund jemals wiedersehen würde. Die Kälte hatte jetzt wieder ganz von ihr Besitz ergriffen, und sie hatte ihren kleinen Hoffnungsschimmer schon fast wieder vergessen. Dunkelheit lag über ihren Gedanken, und sie sah nicht mehr in die Zukunft: alles dort war schwarz und leer. Nie wieder würde sie das Grün von Bäumen sehen oder das Plätschern von Wasser hören; nie wieder würde sie mit Istavor oder Rovaldil durch Mittelerde ziehen und sich des Lebens erfreuen. Nie wieder würde sie den Regen auf ihrer Haut oder die Sonnenstrahlen spüren. Hier war der Tod für sie, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie zu sich holte.

Sie ging wieder hinunter an den Fuß des Hügels. Rovaldil trat neben sie, und in seinem Gesicht konnte sie lesen, dass er den Tod jetzt ebenso fürchtete wie sie. Aber noch war es nicht soweit, denn das Tor war immer noch verschlossen. Jetzt sah Beravor, dass Aragorn und die anderen Hauptleute, darunter auch Elladan und Elrohir, durch die vor den Hügeln liegenden Sümpfe ritten, und dann weiter bis an die dunklen Pforten des Landes des Feindes. Ihre Herolde waren bei ihnen und ließen ihre Trompeten ein letztes Mal erklingen und riefen eine Herausforderung, die Beravor nicht verstehen konnte. Immer noch rührte sich nichts. Doch dann, nach einer Zeit, die Beravor wie eine Ewigkeit schien, öffneten sich die großen Flügel des Morannon; doch was herauskam, konnte man aus dieser Entfernung nicht erkennen. Es war kein Heer, denn sonst wären die Hauptleute sofort zurückgeritten und hätten sich für die Schlacht bereitgemacht. Es mussten Abgesandte sein, die mit den Heerführern verhandeln sollten. Doch was sollte schon verhandelt werden? Es war klar, dass Sauron wusste, wie wenige sie waren, und dass er nicht zu verhandeln brauchte. Er musste einfach seine ganze Streitmacht heraussenden und sie zerquetschen. Beravor trat unruhig von einem Bein auf das andere, in ihr hatten sich Anspannung und Schrecken und Kälte zu einem Gefühl der Unwirklichkeit verbunden, und sie konnte es kaum für wahr halten, dass sie jetzt hier stand, in einem verzweifelten Versuch, irgendjemandem, den sie nicht kannte, Zeit zu verschaffen bei einer Aufgabe, von der sie kaum etwas wusste, damit er sie vollenden könne, auch wenn sie nicht wusste, wo er war oder ob er noch lebte. Sie erinnerte sich zurück an den langen Marsch, der im fernen Eriador begonnen hatte. Jahre her schien das gewesen zu sein, und sie konnte kaum glauben, dass es derselbe Mensch war, der damals mit Halbarad durch den Schnee gewandert war und jetzt am Ende der Welt vor den Toren des Feindes stand. Niemals hatte sie geglaubt, dass es dazu kommen würde; aber es war so gekommen. Inmitten dieser kummer- und leidvollen Gedanken spürte sie plötzlich Rovaldils Hand in der ihren. „Ein letztes Mal", sagte er leise zu ihr, und sie blickte ihn an und sah, dass er lächelte. Wieder war er es, der die Kälte und die Angst aus Beravor vertreiben konnte, und sie hielt seine Hand fest in der ihren.
„Ein letztes Mal", sagte sie, aber sie vermochte es nicht, Rovaldils Hand wieder loszulassen. Nie wieder wollte sie sie loslassen, ihr ganzes Leben nicht, egal, wie kurz es auch sein mochte. Es war das Einzige, was sie noch an Liebe und Wärme und Geborgenheit erinnerte. Das Einzige, was noch zu leben und zu atmen schien und zu wissen, was der Sommer war und die Sonne und der warme Regen auf einem jungen Gesicht. So standen Beravor und Rovaldil Hand in Hand vor einem düsteren Himmel, und die Sonne war von schwarzen Wolken verdeckt und dem Rauch und Dampf Mordors. Irgendwo dort vorne war Aragorn, aber das kümmerte Beravor nicht. Sie nahm nur Rovaldils warme Hand wahr, und sie wollte auch nichts anderes spüren, denn alles andere war böse und tödlich. Und doch sah sie, wie die Heerführer plötzlich wendeten und in größter Eile zu ihnen zurückritten. Und hinter ihnen sprangen die Tore des Morannon geräuschvoll auf, ein Klirren und Donnern war zu hören. Noch ehe Aragorn wieder zu ihnen gelangt und in ihre Reihen zurückgekehrt war, sprangen plötzlich überall um das Schwarze Tor Brände auf von blutroten Flammen, und das Donnern von Trommeln ertönte und wurde lauter und lauter. Beravor spürte, dass Rovaldils Hand zitterte, und sie selbst zitterte auch, aber Zweifel war nicht mehr in ihrem Herzen, und die Angst war ihr von Rovaldil genommen worden. Sie sah, dass aus dem Tor ein riesiges schwarzes Meer von Feinden strömte, und sie ließ Rovaldils Hand los und zog ihr Schwert. Jetzt zählte die Zukunft nichts mehr, und Beravor richtete alle ihre Sinne auf die Gegenwart.

Aragorn stellte das Heer jetzt in einem Kreis um die Hügel auf, und alle Speere und Schwerter waren nach außen gerichtet. Die Dúnedain aber, die mächtigsten unter allen Kriegern, ausgenommen nur Gandalf und die Söhne Elronds, standen am linken Hügel in der vordersten Reihe und dem Schwarzen Tor zugewandt, denn dort würde der Ansturm am unerbittlichsten werden. Aber nicht nur von dort drohte jetzt Gefahr, denn Sauron hatte seinen Plan lange zuvor bereits zurechtgelegt, und jetzt strömten aus den Bergen zu ihrer Linken Heerscharen von Ostlingen. Aber die Orks aus Mordor erreichten ihr Ziel zuerst. Sie wurden zunächst von den Sümpfen vor den Schlackenhügeln aufgehalten und wagten sich nicht weiter, aber stattdessen nahmen viele jetzt schwarze Bögen in die Hand und legten schwarze Pfeile ein, und mit einem schrecklichen Sirren flirrten die Sehnen, und ein Hagel von Pfeilen sauste auf die Dúnedain und die Soldaten aus Gondor nieder. Sie waren schnell, denn die Bogen der Orks waren stark, und sie gingen zielgenau nieder auf die vorderen Reihen. „Ist das schon das Ende?", hörte sich Beravor in ihren eigenen Gedanken fragen. „Es wäre unrühmlich. Den ganzen Weg aus den grünen Wäldern in die Feuer Mordors, um dann gleich von den ersten Pfeilen in den Tod geschickt zu werden? Aber wenn es so sein soll, dann muss es geschehen. Wer bin ich, eine kleine Frau unter den unzähligen Wesen dieser Erde, dass ich mich gegen ein solches Schicksal auflehnen dürfte?" Und gerade, als sie das zu sich sagte, schlugen die Pfeile ein, und sie hörte die ersten Schreie von Sterbenden. Und dann sah sie selbst einen, der genau auf sie zuflog. Langsam schien er zu sein, doch sie war nicht schneller, und sie vermochte es nicht, sich zu rühren. Sie lächelte und schloss die Augen, denn sie konnte nichts mehr tun. Sie wartete auf den kurzen Schmerz und die lange Schwärze danach. Und plötzlich wurde es vor ihren Augen dunkel und sie hörte, dass der Pfeil eingeschlagen war. Aber sie spürte nichts, und sie öffnete die Augen. Über ihrem Kopf war ein großer, hölzerner Schild. Sie blickte sich überrascht nach den Seiten um und sah, dass es Magolthir war, der seinen Schild geistesgegenwärtig über sie gehalten und so vor dem tödlichen Pfeil bewahrt hatte. Wie dankbar Beravor ihm auch war, ihre erste Sorge galt Rovaldil. Doch der war noch neben ihr und unverletzt, und kein Pfeil hatte ihn getroffen. Es folgten sogleich weitere Salven der Orks, aber nun waren die Krieger Gondors hinter ihnen vorbereitet und hielten ihre breiten, rechteckigen Schilde schützend über sie alle; und jeder Waldläufer mit ähnlicher Ausrüstung tat es ihnen gleich. Nur noch wenige Pfeile fanden so ein Ziel, und bald waren die Köcher der Orks leer und ihre schwarzgefiederten Pfeile aufgebraucht; aber noch immer wagten sie es nicht, die Sümpfe zu überqueren. Diesen Augenblick des Zögerns ließen die Menschen des Westens nicht ungenutzt verstreichen, und jeder, der einen Bogen und Pfeile hatte, schoss sie alle in die Wogen der Feinde. Auch Rovaldil und Beravor ließen die Sehnen ihrer Bogen ein ums andere Mal singen, und unzählige Orks fielen ihren Pfeilen zum Opfer. Aber dieser Verlust war kaum zu bemerken, so groß war die Überlegenheit der feindlichen Heere, und bald war Beravors Köcher leer, denn sie hatte nicht mehr viele Pfeile bei sich getragen, während Rovaldil noch ein paar verschießen konnte. Nun fühlte Beravor sich machtlos, denn sie hatte weder einen Schild, um sich zu beschützen, noch konnte sie weiter im Kampfe helfen, solange der Feind nicht näherkam. Sie zog ihr Schwert, hielt es in der Hand und kam sich nutzlos vor. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an.

Aus den Reihen der Orks drangen nun plötzlich gewaltige Trolle hervor, größer als jeder Troll, den Beravor im Norden gesehen hatte. In ihren knotigen Händen mit langen, panzerbewehrten Fingern hielten sie riesige Hämmer und hölzerne Rundschilde, und sie schreckten nicht vor den Sümpfen zurück, sondern sprangen mit Gebrüll hinein und wateten mühelos hindurch. Über ihnen flogen jetzt die Ringgeister heran, tödliche Schatten, und sie stießen markerschütternde Schreie aus, Worte der Kälte und des Todes; und kaum einer konnte sie ertragen. Nur die Dúnedain in ihren standhaften Herzen wankten nicht, als die Nazgûl über sie kamen, und das war gut, denn nun mussten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Trolle richten, die durch die Sümpfe zu ihnen kamen. Wieder einmal musste Beravor über ihr Schicksal lachen. Mit einem Kampf gegen einen Troll hatte dieses Abenteuer für sie begonnen, und nun waren es Trolle, durch die sie ihr Ende finden würde. Aber sie wollte ihnen ihr Ende wenigstens so schwer wie möglich machen. Kurz musste sie noch warten, doch dann waren die Trolle bei ihnen, und ihre schweren Hämmer sausten in die Reihen der Verteidiger. Beravor aber wich ihren Schlägen geschickt aus, und ihr scharfes Schwert schlug einem Troll einen Finger ab, auch wenn es sie viel Kraft kostete, obwohl ihr Schwert scharf war, denn die knotige Haut dieser Ungeheuer war wie ein Kettenpanzer. Schwarzes Blut sprudelte hervor, das zu dampfen schien und zischte, als es auf den Boden fiel. Der Troll schrie laut auf und stürzte sich auf Beravor, und mit seinem Schild stieß er sie gegen die Brust, sodass ihr der Atem wegblieb. Aber jetzt zahlte sich der Brustpanzer aus, auf dem die Wahrzeichen Gondors waren, denn ohne ihn wären ihre Knochen von diesem Schlag zerschmettert worden, und sie hätte ihr Ende gefunden. Doch auch so war es jetzt nicht mehr fern, den Beravor lag vom Schlag niedergeworfen am Boden und konnte sich nicht mehr rechtzeitig aufrichten, und der Troll beugte sich über sie und hob seinen Hammer. Doch plötzlich zuckte er zusammen und brüllte, und er ließ seinen Hammer fallen, der nur wenige Fuß von Beravor entfernt krachend und donnernd auf den Boden fiel. Es dampfte und zischte, als ein Schwall seines Blutes zu Boden stürzte wie ein giftiger Wasserfall. Eine glänzende Klinge wurde von hinten aus den Weichteilen des Trolls gezogen, und er stürzte tot zu Boden. Beravor sah jetzt Rovaldil mit von Zorn verzerrtem Gesicht, doch als er Beravor sah, wurde es sogleich weich, und er eilte zu ihr und half ihr auf. „Ich dachte, du wärest tot", sagte er, „und es sei nur ein kleiner Akt der Rache, dass ich deinen Mörder tötete."
„Noch bin ich nicht tot", sagte Beravor. Länger konnten sie nicht reden, denn wenn auch bereits viele Trolle besiegt worden waren, so waren immer noch einige am Leben und wüteten unter ihnen, und hinter ihnen hatten sich jetzt auch die Orks durch die Tümpel gewagt und stürmten auf sie zu; und die Ringgeister schrien über ihnen. Von der linken Seite rückten die Ostlinge heran.

Nun gab es keine Gelegenheit für Beravor mehr, sich zu fürchten oder über irgendetwas anderes nachzudenken als den nächsten Gegner, der vor ihr stand. Sie hielt sich immer noch dicht bei Rovaldil, und sie standen beinahe Rücken an Rücken, um sich gegenseitig vor den heranstürmenden Gegnern so gut wie möglich zu schützen und nicht von hinten überrascht werden zu können. Auch auf Magolthir fiel Beravors Blick immer wieder, aber bald war er in der schwarzen Masse an Feinden verschwunden, die unablässig gegen den Hügel brandeten. Ork um Ork erschlug sie, ein schwarzes Gesicht nach dem anderen tauchte vor ihr auf und fiel unter ihren Hieben. Hinter sich hörte sie Rovaldil, sein Atem ging schnell und er wirkte bereits müde, aber auch er gab sich nicht geschlagen. Beravor trat jetzt ein großer Ork entgegen, mit fahler Haut und kräftigen Armen, nicht so untersetzt und ungestalt wie die meisten Vertreter dieser abscheulichen Brut. In seinen großen Händen hielt er ein breites Schwert und einen eisernen Schild, und auf seinem Helm war das rote Auge Saurons. Er war mindestens so groß wie Beravor. Sein erster Hieb war kräftig und hätte Beravor beinahe das Schwert aus der Hand geschlagen, aber mit großer Mühe konnte sie ihn abwehren. Der Schlag des Trolls wirkte immer noch nach, und sie atmete schwer, ihre Brust schmerzte. Aber sie war noch nicht geschlagen. Noch konnte Rovaldil ihr den Rücken freihalten und wehrte alle Angriffe von dort ab, sodass er ihr Zeit verschaffte, sich mit ihrem Gegner zu befassen. Hieb um Hieb wehrte sie ab, aber es gelang ihr nicht, selbst zum Angriff überzugehen. Sie sah weitere Orks vorrücken und wusste, dass sie sich beeilen musste, sich aus den Fängen des großen Orks zu befreien, sonst war sie dem Untergang geweiht. Die Nazgûl über ihr schrien und die Orks johlten. Der große Ork sah sie aus seinen gelblichen, schlitzförmigen Augen an und wusste, dass sein Sieg nah war. Seine Schläge wurden stärker. Beravor ging die Kraft aus, und die Orks kamen näher. Sie sah noch einmal Magolthir, der sich aus den Mengen der Feinde gelöst hatte und jetzt beinahe vor sie trat, viele Orks fielen seinem scharfen Schwert zum Opfer, aber immer mehr rückten nach, und keine Lücke tat sich in ihren Reihen auf, so viele auch getötet wurden. Und unter den schweren Hieben des Orks gab Beravors Arm nach, und ihre Kraft verließ sie. Nun musste sie sich auf ihre anderen Fähigkeiten verlassen, ihre Schnelligkeit und Wendigkeit. Obwohl es gefährlich war und Rovaldil für einen Augenblick ungeschützt ließ, wich sie zur Seite aus, als der Ork einen Schlag ausführte. Er traf ins Leere. Nun schlug Beravor zurück, aber der Ork hob seinen schweren Schild, und mit einem lauten Klirren traf Eisen auf Eisen. Rovaldil drehte sich kurz um, als er merkte, dass Beravor nicht mehr bei ihm war, aber er konnte ihr nicht helfen, so sehr war er von seinen eigenen Gegnern bedrängt. Beravor stand jetzt weiter oben auf den Hügel, und das verschaffte ihr einen Vorteil. Eigentlich hätte sie nun inmitten von Soldaten aus Gondor stehen sollen, aber ihre Reihen waren bereits aufgesprengt worden, und jeder von ihnen war in einen Einzelkampf verwickelt worden gegen eine beinahe zehnfache Übermacht. Beravor stieg über Leichen, denn der Ork hatte sich gefangen und kam wieder auf sie zu. Wieder wich Beravor aus, als er zuschlug, und wieder ließ sie ihr Schwert auf ihn niedersausen. Dieses Mal gelang es dem Bilwiss nicht mehr, sich rechtzeitig zu wehren, und das Schwert traf seinen Schildarm und riss eine tiefe Wunde. Vom Schmerz überwältigt ließ er seinen Schild fallen. Blind vor Wut hieb er nach Beravor, aber sie war zu schnell für ihn. Ein weiterer Stich ihres Schwertes traf den Ork im Bauch, und er wurde schwächer. Von einem letzten, kraftvollen Schlag getroffen sank er zu Boden.

Der Zweikampf hatte Beravor angestrengt, und ihr Schwertarm schmerzte von den vielen abgefangenen Hieben ihres Gegners, aber sie konnte sich nicht einen Moment der Rast gönnen. Die Orks schienen noch zahlreicher geworden zu sein, und sie stürmten gegen den Hügel und hatten schon viele Lücken in den vordersten Kreis gerissen, und links sah sie die Banner der Ostlinge, die nun ebenfalls die Verteidigung schwächten. Überall wurde tapfer gekämpft, aber die Streitmacht des Westens war viel zu klein, um etwas gegen diese Übermacht auszurichten. Aber sie durften nicht aufgeben. Auch Beravor durfte nicht aufgeben. Sie suchte, wieder zu Rovaldil zu gelangen, den sie wegen ihres Kampfes gegen den großen Bilwiss verlassen und nun aus den Augen verloren hatte. Sie bahnte sich ihren Weg durch die kämpfenden Soldaten und Orks und erschlug dabei einige Diener des Feindes, aber ihre Schläge waren nicht mehr so kräftig wie zu Beginn, und sie wurde mit jedem weiteren schwächer. Dies war etwas anderes als die Schlacht auf den Pelennor-Feldern, als sie mit frischem Wind und frischer Hoffnung hoch zu Pferde durch die Reihen der Feinde gesprengt war und stundenlang Feinde erschlagen hatte. Hier war sie allein und verzweifelt und ohne Hilfe ihres Rosses, erschöpft von einem langen und hoffnungslosen Marsch und den Schrecken dieses Landes. Alles um sie herum schien ihr Kraft zu rauben, die stinkende Luft, die Hitze der Flammen, der Schatten der Ringgeister und ihre Schreie, die auch an ihr zehrten, wenngleich ihr Herz standhafter war als das vieler anderer. Jetzt fielen viele Orks unter ihrer Klinge, aber sie wusste nicht mehr, wie lange sie noch durchhalten würde oder ob sie erneut einem mächtigeren Feind würde begegnen können. Sie sah Rovaldil am Fuß des Hügels in großer Bedrängnis, nicht weit von ihm war Magolthir, aber er war abgeschnitten durch einen Haufen kleiner Orks mit schwarzen Panzern und Krummsäbeln. Die Sorge um Rovaldil ließ Beravors Kräfte noch einmal wachsen; und mit allem, was sie noch aufbringen konnte, schlug sie eine Bresche durch die Feinde, die ihn eingekreist hatten. Als sie Rovaldil endlich erreicht hatte, sah sie, dass er verwundet war: Ein Streich eines Orkschwertes hatte ihn am Bein getroffen, er blutete und war geschwächt, aber schien nicht am Rande des Todes zu stehen. Sie nahmen wieder ihre Stellung Rücken an Rücken ein und hieben und stachen mit ihren Schwertern. Doch die Feinde merkten, dass ihre Kraft sie verließ, und das zornige Flackern der Augen der Dúnedain war schon lange verloschen. Und immer noch kamen mehr dieser finsteren Gestalten aus dem Schwarzen Tor und den umgebenden Bergen gekrochen wie widerliche Maden; der Sumpf war unter ihren schwarzen Füßen und Leibern jetzt gänzlich verschwunden, aber sein Gestank hatte sich über alles gelegt wie ein übler Nebel, und selbst der schwache Nordwind vermochte ihn nicht davonzuwehen. Beravor und Rovaldil wurden immer weiter von den Orks eingeschlossen, sie schlugen hierhin und dorthin, fuhren mit ihren Klingen durch die Körper unzähliger Feinde; aber sie waren ermattet und entkräftet, die Ringgeister über ihnen erfüllten ihre Herzen jetzt mit unverhohlener Todesangst. Beravors Hand zitterte und vermochte das Schwert kaum noch festzuhalten. Die Klinge eines Orks traf sie am linken Arm und schlug eine tiefe Wunde. Ein kalter Schmerz erfüllte Beravor. Rovaldil erschlug ihren Angreifer, und Beravor mühte sich ebenfalls weiter gegen zwei Ungetüme ab. Doch jetzt war ihr Kraftverlust noch größer und schneller. Sie spürte, wie das Blut ihre Waldläuferkleidung durchtränkte, die einstmals, vor vielen Jahren, weiß gewesen war. Einen weiteren Orkhieb konnte sie nur mit Mühe abwehren. Die Wunde machte ihr zu schaffen, sie sah vor ihren Augen tanzende Punkte. Leise glaubte sie, Rovaldils Stimme zu hören, entfernt und unwirklich. Noch einmal hob sie das Schwert und erschlug einen Ork, aber es waren zu viele. Sie kamen von vorne und von der Seite, und Beravor war am Ende ihrer Kraft. Sie ließ ihr Schwert sinken.

Da plötzlich frischte der Nordwind auf, wirbelte den Gestank und den Rauch der Feuer davon und klärte Beravors Gedanken. Sie sah wieder und hörte wieder wie normal, und ein wenig Kraft kehrte in ihren Arm zurück. Sie raffte sich auf und fühlte sich wieder bereit, einem neuen Gegner in die Augen zu sehen und die Klingen zu kreuzen. Aber keiner kam. Der Angriff war ins Stocken geraten, doch Beravor wusste nicht, warum. Vereinzelt hörte sie nun Rufe, zuerst einen lauten, dann viele leise, die weitergegeben zu werden schienen und an Kraft gewannen und lauter wurden, bis schließlich das ganze Heer von ihnen erfüllt war. „Die Adler kommen!", schrien sie, „Die Adler kommen!", und Beravor sah nach Norden und stimmte in die Freudenrufe mit ein; denn da kamen sie wie Gestalten aus lang vergessenen Legenden: Die Adler des Nordens, die größten der Vögel Mittelerdes und Könige der Lüfte. Beravor hatte viele Geschichten von ihnen gehört, den Vögeln Manwes, aber sie stets für eine Sage aus alter Zeit gehalten; aber jetzt waren sie da, leibhaftig und machtvoll. Sie stießen herab auf die Nazgûl und fuhren mit ihren langen, scharfen Krallen durch die Reihen der Orks, hoben Trolle in die Luft wie kleine Steine und ließen sie in die Scharen des Dunklen Herrschers fallen. „Die Adler kommen!", riefen die Menschen des Westens, und dann besannen sie sich wieder und rückten mit erneuerter Kraft gegen ihre Feinde vor. Beravor und Rovaldil blieben Seite an Seite und freuten sich gemeinsam über diese Wendung des Schicksals, und ihre langen Schwerter blitzen unter den ersten Strahlen der Sonne, die die dunklen Wolken Mordors nun freigeben mussten. Aber gerade, als sie die ersten Orks niedergestreckt hatten, schienen sich ihre Gegner wieder zu fangen und zu begreifen, dass sie noch immer in der Überzahl waren, und sie blickten nicht mehr voller Furcht nach oben, sondern machten sich wieder zum Kampf bereit. Die Nazgûl schrien und wüteten gegen die Adler. Ihre Rufe waren jetzt zornig und schrill, aber nicht weniger machtvoll, und für einen Augenblick zögerte Beravor, und der Schmerz ihrer Wunde und in ihrer Brust wurde wieder stärker.

Doch gerade, als die Hoffnung wieder zu schwinden schien, schrien die Nazgûl ein weiteres Mal auf, jetzt wie von einem gewaltigen Schrecken, und waren plötzlich still, und als Beravor nach oben sah, bemerkte sie, dass sie nicht mehr über ihnen waren. Ihre Reittiere flogen mit gewaltigen, donnernden Flügelschlägen über das Schwarze Tor und trugen die Geister zurück ins Land des Schattens, und die Adler folgten ihnen nicht. Aber als sie wieder nach vorne blickte, sah sie, dass die Heere Mordors wie angewurzelt dastanden und sich nicht rührten, als hätte die Macht, die sie bisher angetrieben hatte, sie einfach vergessen. Ziellos blickten sie sich um, und ihr Johlen war gänzlich verklungen. In ihren Augen waren jetzt Verwirrung und Angst. Beravor und Rovaldil und alle anderen Soldaten des Westens kümmerten sich nicht darum, sondern fassten frischen Mut, und die Heerführer bliesen zum Angriff. Mit lautem Kampfesgeschrei rückten die Dúnedain und Rohirrim und Männer aus Gondor auf gegen ihre verzagten Feinde, die sich kopflos hierhin und dorthin wandten, und machten sie nieder, Reihe um Reihe; und Beravor spürte keinen Schmerz mehr und keine Erschöpfung. Neben ihr war Rovaldil, auch er schien sich erholt zu haben und hieb mit seiner Klinge auf die Orks ein. Seit die Nazgûl verschwunden waren, war die Angst aus allen Herzen verschwunden, und Rovaldil achtete nicht mehr darauf, wie viele Gegner er erschlug. Alles, was er spürte und wahrnahm waren er selbst und Beravor neben ihm, und nichts machte ihm mehr Mut oder brachte ihm mehr Freude als die Erkenntnis, dass sie noch am Leben war. Neben ihr war Magolthir; auch er war bereits verwundet und das schwerer als die beiden jüngeren Dúnedain, und einige ihrer Stammesgenossen waren bereits gefallen. Aber auch Magolthirs Wunde schien ihn im Augenblick kaum zu behindern, seine Arme strotzten vor Kraft, und jeder seiner Hiebe war wie der Schlag einer großen Axt gegen einen dünnen Baum. Das Feuer von Westernis war in ihre Augen zurückgekehrt. Und immer noch rückten sie vor. Hinter sich hörte Beravor das Klirren der Panzer Gondors, und seine Soldaten drangen jetzt zu ihnen vor und schlossen sich der vordersten Reihe an; ihre langen Speere spießten Ork um Ork auf. Gerade, als Beravor einen besonders großen Ork erschlagen hatte, hörte sie plötzlich eine machtvolle, laute Stimme, die von der Spitze des Hügels zu ihr drang: „Bleibt stehen, Menschen des Westens! Bleibt stehen und wartet ab! Dies ist die Stunde des Schicksals." Sofort hielt Beravor an, und mit ihr alle um sie herum. Eine große Macht war in dieser Stimme gewesen und hatte sie nicht zögern lassen, aber es war eine andere Macht gewesen als die der Schreie der Ringgeister. Sobald Beravor sie gehört hatte, war alles in ihr willig gewesen, zu tun, was sie gesagt hatte, denn sie wusste, dass es das Beste war. Da plötzlich begann die Erde unter ihren Füßen zu zittern und zu beben, und Beravor sah auf und wusste, weshalb ihnen Einhalt geboten worden war.

Von dem Beben der Erde erschüttert begann das ganze Schwarze Tor zu krachen und zu klirren, und die Türme der Wehr davor wurden in ihren Grundfesten erschüttert. Ungläubig vor Erstaunen sah Beravor zu, wie ihre Mauern zerbarsten und ihre schwarzen Spitzen zerbrachen und zu Boden fielen. Die Steine donnerten auf die verbrannte Erde. Auch die Mauer und das Tor bekamen Risse, und mit einem lauten Krach wurden die beiden Flügel des Tores herausgebrochen und in die Erde geschleudert, und die Mauer fiel in sich zusammen; ein Wirbel von Staub und Erde stieg in die Luft und wurde vom Winde davongetragen. Aus dem Schwarzen Land drangen Donner und Grollen und Tosen wie von einer gewaltigen Zerstörungswut, und doch kam es Beravor kraftlos und ohnmächtig vor. Sie konnte nicht fassen, was sie sah: Eben noch hatte sie geglaubt, ihr Ende sei gekommen, und nun war es ihr vergönnt, zuzusehen, wie die Festungen des Feindes zerbrochen und geschleift wurden, und eine große Freude ergriff ihr Herz. Aber noch war sie zu überwältigt von dem, was sie sah und hörte, um in Jubel oder Gesang auszubrechen. Denn nun sah sie das Merkwürdigste von allen Dingen, die geschahen: Hinter dem Morannon stieg eine gewaltige Dunkelheit auf und zeichnete sich schwarz gegen die grauen Wolken ab, und noch während Beravor sie ansah, schien sie sich zu einer gewaltigen Hand zu formen, und noch einmal wurde das Licht der neuen Sonne verdeckt und ausgesperrt. Die Hand schien sich zu nähern und nach ihnen greifen zu wollen, und noch ein letztes Mal überkam Beravor Furcht, und sie fragte sich, ob Sauron selbst gekommen war, um sie doch noch in die Knie zu zwingen; aber als sie dies dachte, kam eine frische Brise vom Norden her und wehte die Dunkelheit davon, und noch einmal hörte Beravor die Stimme, die laut verkündete: „Das Reich Saurons hat geendet! Der Ringträger hat seine Aufgabe erfüllt!" Und da schließlich wusste Beravor, was geschehen war, und sie wusste, dass sie durchgehalten hatten, und sie wusste, dass die Welt gerettet war. Das Licht in ihrem Herzen wurde größer und größer, und die Freude umfing und erfüllte sie ganz und gar. Aber noch war es nicht zu Ende.

Die Orks und Trolle und all die anderen Untiere, die von Saurons bösem Geist erfüllt und angetrieben worden waren, wurden jetzt kopflos und rannten hierhin und dorthin oder erschlugen sich in ihrer rasenden Verzweiflung gegenseitig, und bald war die Ebene vor dem Heer des Westens voller Leichen, viel mehr, als sie selbst getötet hatten. Gejammer und Geschrei erhob sich, und alle Orks, die noch übrig waren, flohen in ihre dunklen Löcher oder stürzten sich in die stinkenden Wallgräben, die überall gezogen waren, und bald war kein Ork und kein Troll und kein anderes Ungetüm Saurons mehr zu sehen weit und breit. Aber die Ostlinge waren noch da, und bei ihnen Menschen aus Rhûn und Harad und Südländer. Schrecken war in den Gesichtern der meisten von ihnen, und viele ließen ihre Waffen fallen, fielen zu Boden und flehten um Gnade. Aber da war noch eine Gruppe von besonders grimmigen Streitern, kühne und tapfere Menschen, wenn ihr Herz auch schwarz und voller Bosheit war, und sie hatten sich zu einem letzten verzweifelten Widerstand zusammengefunden. Über sich sah Beravor gerade, dass die Adler davonflogen, hinein nach Mordor, dass seinen Schrecken nun verloren hatte. Beravor wusste nicht, wohin sie zogen, aber es kümmerte sie nicht, denn mit dieser letzten Truppe an Feinden wurden sie auch ohne die Hilfe der großen Vögel fertig. Da sah sie Aragorn, der von der Spitze des Hügels herabgekommen war, und neben ihm trug einer der Dúnedain das Banner Elendils. Jetzt rief er sie zur letzten Schlacht, und das Heer des Westens rückte gegen die Südländer und Ostlinge vor. Keiner von ihnen entkam den blitzenden Klingen der Freien Völker, und Beravor machte drei von ihnen nieder. Ihre Gegner kämpften verbissen, aber sie hatten keine Hoffnung mehr und keine Aussicht auf einen Sieg, und doch ergaben sie sich nicht. Nach kurzer Zeit waren alle von ihnen erschlagen. Die Ostlinge aber, die sich ergeben hatten, schickte Aragorn zurück in ihre Heimat, damit sie dort verkünden könnten, was geschehen war. „Denn das Reich Saurons ist zu Ende, und ihr müsst euch jetzt schnell entscheiden, ob ihr Frieden mit Gondor und allen Freien Völkern haben wollt", sagte er, und mit diesen Worten entließ er sie. Dann wurde das Banner mitten auf der großen Ebene vor dem Schwarzen Tor aufgepflanzt, und Aragorn trat daneben. Die Nachmittagssonne schien auf sein Haupt und hüllte alles Land in goldenes Licht. Er zog Andúril aus der Scheide, und die Klinge war jetzt wie güldenes Feuer und glänzendes Silber, und seine Stimme erscholl laut und königlich über die Ebene und hallte von den Hängen der Berge wider. „Der Sieg ist unser", rief er, und da wurde die Stille gebrochen, in der das Heer lange verharrt hatte, und Jubel brandete auf und Gesang, und alle waren in ihrem Herzen froh. Und Beravor konnte nicht anders, denn so glücklich war sie, und fiel Rovaldil um den Hals. Lange verharrten sie in dieser Umarmung und wollten sich nicht voneinander lösen. Beravor spürte Rovaldils raue Haut an ihrer Wange und seine starken Hände auf ihrem Rücken, und Rovaldil hörte Beravors Herzschlag und fühlte die Wärme ihres Gesichts, und beide waren froher und glücklicher, als sie es jemals sein zu können geglaubt hatten, und sie weinten warme Tränen der Freude.

***

So, nun ist die letzte Schlacht geschlagen und der Ring vernichtet. Die Geschichte nähert sich jetzt ihrem Ende, aber ein wenig Zeit werden wir noch mit Beravor verbringen. 

Annaeru & Taudir

Der Weg der Grauen ScharWo Geschichten leben. Entdecke jetzt