37. Kapitel - Abschied von Minas Tirith

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So setzten sich die vier jungen Dúnedain im Licht des frühen Nachmittags auf die breite Mauer, die den Hof vor den Toren zum Palast und dem Weißen Turm rahmte. Sie war so breit, dass sie bequem darauf sitzen konnten, ohne Gefahr zu laufen, das Gleichgewicht zu verlieren und die vielen Fuß in die Tiefe zu stürzen, die sie jetzt über den Ringen der Stadt waren. Dennoch war Beravor am Anfang etwas mulmig zumute, als sie herabblickte und die kleinen, roten Dächer der Häuser tief unter ihnen sah und die winzigen Menschen auf den Straßen. Leiser Gesang und Jubel drang noch zu ihnen herauf, hinter ihnen hatte sich die Menge mittlerweile jedoch aufgelöst, und nur noch die Wachen des Weißen Turms und der Veste waren dort, wie auch einige andere Männer aus Gondor oder Rohan. Nachdem sie sich an den Anblick unter sich gewöhnt hatte und nicht mehr wie gebannt hinabstarren musste, brach Beravor das einträchtig staunende Schweigen ihrer Gefährten. „Wer von uns soll beginnen?", fragte sie. „Denn gewiss hat jeder von uns viel von seinen Abenteuern zu erzählen."
„Dann möchte ich zuerst von deinen hören, Merendú", sagte Rovaldil, „denn ich glaubte fest, dass du im Moor gestorben warst und ich dich nie wiedersehen würde."
„Beinahe wäre das auch geschehen", antwortete Merendú, doch musste er lachen, als er sich seiner Strapazen in den Sümpfen des Nîn-in-Eilph erinnerte, an die Verzweiflung und die düsteren Gedanken, die ihn damals umweht hatten wie ein kalter Wintersturm, und die nun genauso weit entfernt schienen wie Schnee und Eis im warmen Sommer. Und dann erzählte er ihnen alles, was er erlebt hatte, und Beravor und Rovaldil hörten staunend zu, und Beravor wunderte sich, mit welcher Willensstärke er all die Mühen bewältigt hatte, die ihm das Schicksal bereitet hatte; Istavor aber saß lächelnd bei ihnen und sagte nichts, auch wenn sie die Geschichte bereits gehört hatte, doch entging Beravor nicht, dass sie während der Erzählungen oft Merendús Hand nahm und festhielt; aber sie lauschte Merendú zu gespannt, als dass sie dazu etwas hätte sagen wollen. Noch immer erzählte er von seinen Wanderungen im Sumpf, und auch sein treues Pferd Azar ließ Merendú nicht aus, und er versäumte nicht, zu betonen, wie unmöglich seine Reise ohne seinen standhaften Gefährten gewesen wäre.
„Und wo ist dein Pferd jetzt?", fragte Rovaldil, besorgt, dass Azar die Reise vielleicht nicht überlebt hatte.
„Er ist nicht weit entfernt von hier in den Ställen von Minas Tirith untergebracht", antwortete Merendú, „wohin auch eure Pferde vielleicht gebracht wurden, wenn sie nicht unten vor den Toren grasen und auf euch warten." Und dann fuhr er mit seiner Geschichte fort, erzählte, wie er dem Moor entkommen und den Pass des Caradhras überquert hatte. Er führte seine Zuhörer vor das Tor von Moria, wo er die Stimmen des Orkheeres gehört hatte, und weiter zu den Grenzen des Elbenreiches Lothlórien. Als er davon sprach, wuchsen Beravors Erstaunen und Verwunderung, und beinahe wünschte sie sich, sie hätte ihre Kämpfe gegen die Dunkelheit auch in so einem schönen Lande führen können, anstatt sie vor den Toren des Dunklen Herrschers selbst auszufechten. Merendú indessen berichtete von der ersten Schlacht, die er geschlagen hatte, und wie die Elben die widerlichen Orks mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatten. „Doch das war noch nicht das Ende", sagte er, „denn wir wurden ein zweites und ein drittes Mal angegriffen, wenn auch nur noch von Dol Guldur aus, sodass zu mir an die Westgrenzen nurmehr kleinere Verbände kamen, die sich von der Hauptstreitmacht abgespaltet und um den Wald herum zu uns gekommen waren. Aber kein Heer der Orks konnte die Elben von Lórien besiegen, und keine dieser eklen Kreaturen hat auch nur einen Fuß hinter die Grenzen des Landes der Herrin gesetzt. Und als er von der Herrin von Lórien sprach, wurde sein Blick träumerisch, als denke er an schönere Zeiten zurück als die, in denen er jetzt weilte. „Ich wünschte, ich hätte die Herrin von Lórien gesehen", sagte er, „aber ich habe sie nur gehört, manchmal, in meinen Gedanken und Träumen, wenn sie mir Hoffnung gab und neuen Mut, das Elbenland zu beschützen. Sie hat große Macht, und durch sie glaube ich schafften wir es, jeden Ork zurückzuschlagen, der in ihr Land eindringen wollte. Aber mein Herz sagt mir, dass ich Lothlórien nicht mehr wiedersehen werde, und damit werde ich auch nie die Möglichkeit haben, sie zu sehen." Doch da löste sich die Trauer aus seinen Augen, und er musste lächeln. „Ein Jammer, wirklich, aber was rede ich solche Worte an einem so schönen Tag, mit solch edler Gesellschaft um mich" – und dabei sah er vor allem Istavor an – „und einer so glücklichen Zukunft vor mir?" Und dann fuhr er mit seiner Geschichte fort. „Schließlich hatten wir auch den dritten Angriff zurückgeschlagen, und wir hatten wieder für ein paar Tage unsere Ruhe, und wir sammelten bereits Kraft für den nächsten Angriff. Zwei Tage verharrten wie so in Anspannung und Ungewissheit, doch am dritten Tag, irgendwann am Ende des März nach meiner Rechnung – auch wenn ich es sehr schwierig fand, in Lothlórien die Zeit im Kopf zu behalten –, wurden unsere Herzen plötzlich von einer unerklärlichen Freude erfüllt, und meines im Besonderen."
„Das könnte auch der Tag unserer Freude gewesen sein", warf Beravor ein, „denn an einem Tag am Ende des März wurde der Eine Ring zerstört, und Sauron ging auf immer dahin."
„Solches hatten die Elben und auch ich bereits vermutet", sagte Merendú, „und bald darauf wurde es uns von Boten verkündet, und die Elben sangen in den Bäumen die schönsten und fröhlichsten Lieder, die ich jemals in meinem Leben gehört habe oder hören werde. Doch als ich hörte, dass Aragorn der Heerführer gewesen war, der das Heer des Westens angeführt hatte, und dass die Dúnedain, wie es hieß, mit ihm ritten, da sehnte sich mein Herz plötzlich nach meinem König und euch, und nicht länger wollte ich in Lothlórien verweilen, so schön dieses Land auch war. Ich eilte mit den anderen Elben zurück nach Caras Galadhon, sobald wir die schlimmsten Schäden an den Grenzen beseitigt hatten, und dort traf ich wieder auf Orodhrin, den Hauptmann der Elben, von dem ich euch eben bereits erzählte. Er erkannte mich sogleich wieder und grüßte mich, und ich sagte ihm, dass ich schnell aufbrechen wolle. ‚Gewiss', antwortete er. ‚Ihr müsst zu Eurem König, an dessen Seite Euer Platz ist. Doch versprach ich Euch, zum Dank für Eure Hilfe, Euch einen Wunsch zu erfüllen, wenn es in meiner Macht stünde, darum nennt ihn nun, damit ich mein Versprechen erfülle.'
‚Keine größere Belohnung für meine Mühen könnte es geben', antwortete ich, ‚als zu sehen, dass dieses schönste aller Länder von Mittelerde unversehrt geblieben und in Sicherheit ist. Doch einen Wunsch habe ich, wenn Ihr ihn denn erfüllen könnt: Meinen Mantel, den ich in Bruchtal erhalten hatte, habe ich im tückischen Schwanenfleet verloren, oder besser, ich musste ihn aufgeben, um zu entkommen, obwohl er mich stets besser gewärmt hatte als alle Umhänge, die Menschen herstellen können. Gibt es vielleicht hier ein Kleidungsstück, das mich auf meinen Reisen, die noch kommen, wärmen kann und eine Erinnerung sein an meinen kurzen Aufenthalt im Reich der Elben?'
‚Ihr verlangt etwas Größeres, als Ihr ahnt', antwortete Orodhrin nachdenklich, ‚denn niemals zuvor haben wir Fremden die Kleidung unseres eigenen Volkes gegeben, bis eine Gemeinschaft hier ankam, die von Aragorn geführt wurde, zu dem Ihr nun reiten wollt, von großer Wichtigkeit, ausgesandt aus Bruchtal. Und selbst diese erhielten sie nur, weil sie in großem Ansehen bei der Herrin standen, und sie hatte sie selbst mit ihren Zofen gewebt. Ich fürchte, noch einmal werden wir keinem Sterblichen diese Gunst erweisen wollen. Doch meine Gunst habt ihr, Merendú Dúnadan, und mein Ansehen, und darum werde ich Euch Euren Wunsch erfüllen.' Und mit diesen Worten löste er sich seinen eigenen Umhang von den Schultern und gab ihn mir. Meine Brosche, mit der mein alter Umhang verschlossen war, hatte ich noch, darum behielt er die seine. ‚Ein Stern passt besser zu Euch, Dúnadan, als ein Blatt von Lórien', sagte er, und ich verbeugte mich tief.
‚Ihr habt mir ein wertvolleres Geschenk gegeben, als ich jemals zu hoffen oder zu erfragen gewagt hätte', sagte ich.
‚Tragt ihn mit Stolz, und gedenkt der Elben Lóriens, wenn Ihr ihn tragt', sagte Orodhrin, ‚denn dieses Geschenk mag die Zeiten in Mittelerde länger überdauern als die Elben dieses Landes.' Und dann stieg ich auf Azar, der mir aus den Ställen wiedergebracht worden war, und verabschiedete mich, und Orodhrin antwortete: ‚Lebt wohl, Merendú Taenelion, der Ihr den Elben aus der Höhe zur Hilfe gekommen seid. Möge Euch das Schicksal in glückliche Zeiten tragen.' Dann ritt ich aus den Toren von Caras Galadhon hinaus und machte mich auf den Weg nach Minas Tirith.

Einige Tage dauerte meine Reise noch, und einige Flüsse musste ich noch überqueren, aber kein Sumpf und kein Ork hielten mich auf; und endlich sah ich in der ferne die Weiße Stadt. Als ich ankam, war die Nachricht des Sieges schon lange eingetroffen, und überall hörte ich den Gesang und die Freude; aber was ich nicht sah, waren Aragorn oder andere Dúnedain meines Volkes. Ich muss sagen, dass ich ein wenig enttäuscht war, weil ich so voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit euch gewesen war. Darum fragte ich in der Stadt nach, ob irgendjemand einen von euch gesehen habe, doch erhielt ich nur eine Antwort: Dass ihr mit Aragorn zum Schwarzen Tor gezogen wart, und wie viele von euch noch am Leben waren, um den Sieg zu feiern, konnte mir keiner sagen. Doch einer, ein älterer Mann, sagte mir, dass eine Frau aus unserem Volk zurückgeblieben sei, weil sie in der Schlacht vor Minas Tirith verwundet worden war, und sie liege in einem der Zelte vor den Toren der Stadt. Noch ehe er sich in seinen Ausführung darüber ergehen konnte, wie merkwürdig es sei, dass beim Volk aus dem Norden auch die Frauen in die Schlacht zögen, war ich schon fortgeeilt. Ohne größere Mühen fand ich dann Istavor, und seitdem war ich an ihrer Seite. Auch sie machte sich nämlich Sorgen um euch andere, die mit nach Mordor gezogen waren, doch hatten wir Nachricht, dass ihr noch auf den Feldern von Cormallen verweiltet und in diesem Monat nicht mehr zurückkehren würdet. Das machte uns beiden sehr zu schaffen, aber immerhin hatten wir einander."
„Merendú hat sich rührend um mich gekümmert", sagte Istavor. „Er war mir auch bei meinen ersten Versuchen, wieder zu stehen und zu laufen, behilflich, auch wenn ich immer noch auf eine Krücke angewiesen bin. Aber mittlerweile bin ich ganz gut darin geworden, mit steifem Knie zu laufen." Sie lachte und gab zu Beravors Verwunderung Merendú einen Kuss. Als sie Beravors Gesicht sah, lachte sie noch einmal. „Ja, wir sind einander in dieser Zeit sehr nahe gekommen", sagte sie, „und Merendú hat mir stets erzählt, wie er auch in der Zeit, da er von der Schar getrennt hat, besonders an mich denken musste, obwohl er mich bis dahin nur flüchtig gekannt hatte."
„Du warst in solchen Dingen schon immer viel schneller und beherzter als ich", sagte Beravor, doch auch sie musste lächeln. „Denn auch ich habe auf meiner Reise Liebe gefunden, doch hat es bei mir sehr viel mehr Zeit gebraucht, das zu erkennen." Und bei diesen Worten nahm sie Rovaldils Hand. Istavor klatschte in die Hände.
„Sehr schön!", rief sie freudig, „dann habt ihr es also doch noch gemerkt. Nicht nur bei meinen eigenen Angelegenheiten scheine ich schneller zu sein als du, Beravor, sondern auch bei fremden: Ich hatte schon lange die Ahnung, dass Rovaldil dich ansehnlicher fand, als er zugeben wollte." Beravor wollte entrüstet sein ob dieser Bemerkung, aber sie wusste, dass Istavor sie nur necken wollte, und darum lachte sie und war froh, und auch Rovaldil errötete nur ein klein wenig.
„Nun musst du aber fortfahren, Merendú", sagte Beravor, damit wir die ganze Geschichte bis zum Zeitpunkt unseres Treffens kennen.
„Viel gibt es nicht mehr zu erzählen", sagte Merendú. „Ich war bei Istavor, und wir verliebten uns ineinander, ich half ihr und auch manchmal in der Stadt bei den Vorbereitungen des Festes, und endlich wurde verkündet, dass der König kommen und in die Stadt einziehen würde. Und heute war der Tag. Wir standen sogar in der Menschenmenge, die euch empfangen hat, aber wir kamen nicht nach vorne und konnten wenig sehen, deswegen haben wir euch erst hier oben entdeckt, als der Festzug sich gerade auflöste."

Damit war Merendús Geschichte beendet, und nun wollten er und Istavor alles über den Ritt der Dúnedain im Heereszug des Westens wissen, von ihrer Schlacht am Morannon und der Ehrung der Ringträger auf dem Feld von Cormallen. Geduldig erzählten Beravor und Rovaldil alles, was geschehen war, und dabei kam es Beravor sehr merkwürdig vor, dass all dies erst vor kurzer Zeit geschehen war; all der Schrecken und das Leid, das sie durchlitten hatten, schienen weit zurückzuliegen, verborgen nun hinter einem Schleier der Freude. Istavor und Merendú stellten immer wieder Fragen, denn diese Geschichte schien sogar noch spannender und reicher an Abenteuern und Gefahren als die, die Merendú eben erzählt hatte, und Beravor antwortete geduldig auf alle Fragen, sodass sie bis in den Abend hinein damit beschäftigt war, zu erzählen. Irgendwo im Westen versank die Sonne und tauchte die Welt in ihr feuriges Licht, als endlich alles berichtet war, was berichtet werden konnte, und mit einem Mal merkte Beravor, dass sie müde und hungrig war, denn sie hatte den ganzen Tag über nichts gegessen, so sehr waren sie in Erzählen und Zuhören vertieft gewesen. Istavor jedoch schien sofort zu bemerken, was ihrer Freundin fehlte. „Was wir euch noch nicht erzählt haben: Ich hatte es irgendwann satt, in diesem öden Zelt zu liegen, auch mit Merendú an meiner Seite. Glücklicherweise fand er einen freundlichen Wirt, der sein Haus in einem der unteren Ringe der Stadt hat, das von der Zerstörung verschont blieb. Dort sind wir untergekommen, und es ist auch noch genug Platz in unserem Zimmer für zwei weitere Dúnedain, und das Essen dort ist wirklich in Ordnung."
„Fast so gut wie im Pony", ergänzte Merendú, der von diesem Gasthaus eine hohe Meinung hatte.
„Worauf warten wir dann noch?", sagte Rovaldil, der mittlerweile ebenfalls für ein Abendessen zu haben war, und sprang von der Mauer. „Nicht so schnell!", lachte Istavor und ließ sich von Merendú hinunterhelfen. Dann gingen sie gemeinsam über den Hof und hinunter, Ring um Ring, langsam, damit Istavor mit ihnen Schritt halten konnte, bis sie am zweiten Ring anlangten, wo sie von Merendú in ein kleines Haus geführt wurden. „Im oberen Stockwerk ist unser Zimmer", sagte er, „aber ich glaube, wir können uns gleich hier hinsetzen und ein hübsches Mahl einnehmen." Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis der freundliche Wirt sie mit allem versorgt hatte, was sie sich wünschen konnten, und dann setzte er sich zu ihnen, als alle anderen Gäste gegangen waren, und unterhielt sich mit ihnen. Er wusste, dass sie Dúnedain aus dem Gefolge des Königs waren, und er behandelte sie mit großer Ehrerbietung, etwas, was Beravor von Wirten nun wirklich nicht kannte. Doch konnte er nicht verbergen, wie sehr er sich für die Reisen seiner Gäste interessierte, und so musste Beravor (mit der Hilfe von Rovaldil) noch einmal ihre ganze Geschichte erzählen, und die Augen des Wirtes wurden mit jedem Wort größer. Er war nicht ganz so einfach und stumpfsinnig wie ein Gerstenmann Butterblume im Norden, und in seinen Augen erkannte Beravor Verstehen ebenso wie Staunen und Bewunderung. Schließlich jedoch war auch sein Wissensdurst befriedigt, und er wünschte ihnen eine gute Nacht und verschwand; und die Dúnedain gingen die Treppe hinauf in ihr Zimmer und fielen bald in friedlichen Schlaf.

Einige Tage verstrichen, in denen Beravor endlich einmal in Ruhe durch die ganze Stadt streifen konnte und sich ihrer Wunder erfreuen, denn auch wenn an vielen Orten noch die Versehrungen des Krieges zu sehen waren, die noch nicht hatten beseitigt werden können, so war es doch eine wunderschöne Stadt, und jeden Tag gab es etwas Neues zu entdecken und zu bewundern. Oft wurde Beravor dabei von ihren Freunden begleitet, und manchmal war sie nur mit Rovaldil unterwegs, wenn Istavor zu erschöpft war und mit Merendú im Gasthaus blieb. Doch bald wurde ein Bote zu ihnen geschickt, der ihnen verkündete, dass der König seine Stammesbrüder in seiner Nähe wünschte, sodass sie den freundlichen Wirt und seine gute Stube verlassen mussten (auch wenn sie es nicht gerne taten) und gemeinsam mit den anderen Dúnedain in Häuser im obersten Ring der Stadt einzogen, ganz in der Nähe der Hallen des Königs, und dort blieben sie und warteten, denn irgendetwas, so schien es allen, sollte noch geschehen. Auch in diesen Häusern waren ihre Abende nicht weniger fröhlich als im Gasthaus, denn oft unterhielten sie sich bis spät in die Nacht mit ihren Stammesgenossen, lachten und sangen fröhliche Lieder (von denen sie in der Zwischenzeit ausreichend gelernt hatten). So verging der Mai, und langsam wurde Beravor unruhig, denn so schön die Stadt, in der sie weilten, auch war, so sehnte sie sich mit der Zeit doch nach den Wäldern ihrer Heimat, danach, mit Rovaldil durch Eriador zu wandern, und vielleicht, ganz vielleicht, einmal das Meer zu sehen, das große Meer am Rande Mittelerdes. Sie fragte sich, ob sie mit Aragorn – dem König – sprechen sollte, ihn fragen, ob er sie noch brauchte oder es ihr gestattet war, zu gehen, doch dazu kam es nicht, denn der König schickte nach ihr.

Es war ein Sommertag im Juni, wenn auch einer der ganz wenigen in dieser Zeit, an dem die Sonne öfter von Wolken verhangen war, als sie unverhüllt schien, als ein Bote des Königs in die Häuser der Dúnedain kam. Jeder der Dúnedain sollte einzeln zum König geladen werden, um sich mit ihm zu unterreden und über die Zukunft des Volkes von Arnor zu sprechen. Viele waren vor Beravor an der Reihe, Magolthir und Aegrod und genau vor ihr wurden Istavor und Merendú und schließlich Rovaldil gerufen, doch hatte sie keine Zeit, sich mit ihnen zu unterhalten, als der König auch nach ihr schicken ließ. Sie trat aus dem Haus und ging den kurzen Weg bis zu den Toren, hinter denen die Hallen des Königs lagen, und wie von Zauberhand wurden sie geöffnet, und sie trat ein. Wenn schon die ganze Stadt beeindruckend gewesen war, so raubte der Königspalast Beravor nun vollends den Atem. Von innen schien er noch höher zu sein, als von außen ersichtlich war, und er war ganz aus weißem Stein gehauen, und auf beiden Seiten standen die Bildnisse früherer Könige, und Beravor musste sich immer wieder klar machen, dass sie aus demselben Geschlecht stammte wie diese hohen Gestalten, die ihr dennoch weit erhabener und weiser und vollkommener schienen als irgendeiner, den sie kannte, außer ihrem König selbst. Dieser empfing sie auf seinem hohen Thron am Ende der Halle sitzend, und Beravor fiel vor ihm auf die Knie und senkte den Blick. Erst nach einiger Zeit wagte sie es, ihn wieder zu heben, und sie sah, dass Aragorn lächelte, und er bedeutete ihr, sich wieder zu erheben. „Ihr fragt Euch vielleicht, warum ich Euch habe kommen lassen", sagte er. Beravor war von seiner königlichen Erscheinung so beeindruckt, dass sie nicht mehr als ein Nicken zustande brachte. „Die Dúnedain des Nordens sind meine engsten und vertrautesten Gefolgsleute", sagte Aragorn, „und ich möchte sie für die Gefahren, die sie um meiner willen auf sich genommen haben, nicht unbelohnt lassen. Ihr sollt ein wichtiger Bestandteil meines Reiches werden, wenn man so sagen will. Doch liegt nun eine Entscheidung vor Euch, die Ihr allein treffen müsst, Beravor. Ob Ihr hier bei mir in Gondor bleiben wollt, oder ob Ihr zurück in Eure Heimat ziehen wollt, um mir im Norden zu dienen." Für einen Moment zögerte Beravor, denn sie wusste nicht, wie Rovaldil sich entschieden hatte, und sie fürchtete, sich jetzt auf etwas festzulegen, was sie später noch bereuen würde. Dann sagte sie etwas, wovon sie selbst überrascht war, denn eigentlich war es keine Angelegenheit, die sie einem König anvertrauen wollte. Doch bei Aragorn schien es ihr anders zu sein, und sie wusste in ihrem Herzen, dass es das Richtige war, es nun auszusprechen.
„Mein König", begann sie, „ich kann mich nicht mehr allein entscheiden. Auf dem langen Ritt, der hinter uns liegt, habe ich eine unerwartete Liebe gefunden, Rovaldil, der eben bei Euch war. Ich werde bei ihm bleiben, denn ich liebe ihn, und seine Entscheidung ist die meine, auch wenn das bedeutet, dass ich nicht in den Norden, die Länder meiner Jugend, zurückkehren werde." Aragorn lächelte, und sein Gesicht verriet, dass er vieles von dem, was Beravor eben gesagt hatte, bereits vermutet hatte.
„Dann habt Ihr entweder Glück, oder die richtige Liebe gefunden", sagte er, „denn auch Rovaldil wünscht sich, wieder nach Norden zu ziehen, und ich freue mich, dass Ihr ihn begleiten werdet. Denn von den Dúnedain, die bereits bei mir waren, will beinahe keiner diese Lande mehr verlassen, um zurück in die alte Heimat zu ziehen, wahrscheinlich um ihrer Liebe zu mir willen, keiner außer Euch, Rovaldil und Euren Freunden, Istavor und Merendú. Einige wenige unseres Volkes sind noch dort, aber auch von ihnen werden viele in den Süden kommen, wenn sie meine Nachrichten erhalten. Aber auch der Norden soll wiederhergestellt werden, und er soll wieder in altem Glanz und alter Pracht erstrahlen, und Fornost soll wieder eine Stadt der Könige werden. Und sicher wird es noch den ein oder anderen Feind geben, der von dort vertrieben werden muss. Darum ist es gut, dass ihr dorthin zurückkehren wollt. Rovaldil hatte den Wunsch, nach Fornost zu ziehen, und dort soll er, wenn die Stadt wieder aufgebaut wurde und die Dúnedain dorthin zurückgekehrt sind und wieder zahlreicher werden und dort ihre Wohnsitze nehmen, einen Sitz im Rat des Königs im Norden erhalten und ein wichtiges Amt in der Stadt, und Ihr sollt, wenn Ihr es wünscht, ihn heiraten und seine Frau sein und an seiner Seite leben."
„Wird Rovaldil all dies gleich tun müssen, sobald wir wieder im Norden angekommen sind?", fragte Beravor ein wenig ängstlich. „Denn ich hatte gehofft, noch einige Zeit mit ihm frei durch die Wälder Eriadors wandern zu können, um unsere junge Liebe zu genießen."
„Dafür werdet Ihr gewiss noch ausreichend Zeit finden", sagte Aragorn. „Einige Zeit wird der Wiederaufbau der Stadt sicher in Anspruch nehmen, und Rovaldil wird dabei nicht ständig gebraucht werden. Doch sehe ich, dass hinter dieser Frage noch mehr steckt, als Ihr gesagt habt. Bereitet Euch der Gedanke, dass Rovaldil sesshaft wird und Teil des Königsrates, Sorgen?"
„Nein, Herr", antwortete Beravor, „aber dieser Gedanke ist noch so weit entfernt, und in diese Zukunft kann ich noch nicht blicken."
„Könnt Ihr es nicht, oder wollt Ihr es nicht?"
„Wie meint Ihr das?", fragte Beravor ein wenig überrumpelt, obwohl sie genau wusste, wie Aragorn es gemeint hatte.
„Ihr fürchtet die Zukunft noch immer, nicht wahr?", sagte Aragorn. „Der Gedanke an Sesshaftigkeit und Familie bereitet Euch Angst."
„Ja, Herr", sagte Beravor, und sie fühlte sich mit einem Mal noch kleiner vor ihm, als sie es ohnehin schon tat. „Denn dann wird es kommen, wie ich befürchtet habe, und Ihr habt es mir bestätigt: Wenn die Tage meiner Freiheit, meiner Kämpfe und Wanderungen zu Ende sind, wenn ich ein Haus habe und Rovaldil mein Mann ist, was werde ich dann noch sein als ein Anhängsel meines Mannes, ans Haus gebunden und an die Pflicht, ihm Kinder zu gebären? Was wird dann aus all den Wünschen werden, die ich noch habe, nach Freiheit und Abenteuer? Denn selbst wenn Rovaldil noch auszieht und die letzten Orks und Wölfe vertreibt, werde ich daheim bleiben müssen, um meine Pflichten zu erfüllen, die ich mir nie gewünscht habe. Haltet mich nicht für selbstsüchtig, Herr, doch all das macht mir Sorgen, wenn ich sie auch in letzter Zeit in diesen Tagen der Glückseligkeit verdrängen konnte."
„Es ist die Natur der Pflicht, dass wir sie uns selten wünschen", sagte Aragorn. „Doch glaube ich, dass Ihr Euch zu viele Gedanken macht. Auch mit Halbarad habt Ihr darüber schon gesprochen, und ich ermutige Euch, seinen Rat zu beherzigen. Auch der Krieger wird irgendwann des Kampfes müde, und dann gibt es auch für ihn nichts Schöneres, als einzukehren in ein warmes Haus und Ruhe zu finden von den Schlachten, und er mag dort eine lange Weile bleiben und viele Dinge tun, die auf ihre Weise schön sind, ehe der Durst nach Schlachten wieder erwacht. Und vieles, was ihm beim Gedanken an sein Haus als Pflicht erschien, als er noch ins Feld ritt, kommt ihm nun vor wie ein Segen, und er blickt zurück auf seine vielen Kämpfe und ist doch glücklich über alles, wie es ist, und über das, was vergangen ist."
„Ich glaube kaum, dass mir diese Pflichten wie ein Segen erschienen werden", sagte Beravor.
„Waren es denn nicht die bisherigen Jahre Eurer Wanderschaft und der geheimen Wache der Dúnedain, die Euch glücklich machten?"
„Doch, Herr, das waren sie."
„Dies aber waren auch Eure Pflichten, auferlegt durch Eure Abstammung von den Dúnedain des Nordens. Glücklich erscheinen Euch diese Jahre jetzt, auch wenn sie einem, der in einem warmen Haus wohnt, wie Jahre voll Leid und Schmerz und Unglück erscheinen mögen. Habt Ihr nicht in diesen Zeiten und besonders in den letzten Monaten viel Leid und Schmerz erfahren müssen?"
„Gewiss, Herr", sagte Beravor, „aber ...", doch ihr viel keine Erwiderung ein. „Glaubt Ihr denn, dass ich glücklich werden kann mit diesen neuen Pflichten?", fragte sie schließlich, nachdem sie lange geschwiegen hatte.
„Das glaube ich", sagte Aragorn, „und Halbarad glaubte es ebenfalls. Ihr seid noch jung, Beravor, und vor Euch liegen noch viele Jahre, in denen Ihr herausfinden werdet, was Euch glücklich macht." Da musste Beravor lächeln. „Dann will ich Euren Worten Glauben schenken, mein König, und denen meines Vaters, und mit Rovaldil nach Norden ziehen und an seiner Seite bleiben, wenn Ihr es gestattet."
„Das tue ich", sagte Aragorn. „Doch noch werde ich Euch nicht gen Norden schicken, zumindest für eine kleine Weile."
„Wieso nicht?", fraget Beravor, denn nun wollte sie nicht noch viel Zeit in dieser Stadt verbringen, sondern sich mit Rovaldil aufmachen in ihre Heimat.
„Ein Ereignis wartet noch auf mich, bei dem ich meine Stammesbrüder – und auch meine Stammesschwestern – an meiner Seite wissen will." Doch was er erwartete, sagte er nicht, sondern entließ Beravor, und sie ging zurück zu ihren Freunden, die auch nicht mehr wussten als sie. So verging der Juli, wie es der Mai vor ihm getan hatte, und keiner der Dúnedain wusste, was kommen sollte. Istavor und Merendú schien das weniger zu stören, sie genossen die Zeit miteinander und lachten und scherzten, doch Beravor und Rovaldil sehnten sich nach ihrer Heimat, nach Zweisamkeit außerhalb der Mauern von Städten, unter Bäumen und Sternen und Mond. In dieser Zeit fiel ihnen auf, dass Elladan und Elrohir nicht mehr bei ihnen waren, und sie konnten nicht mehr sagen, wann sie sie verlassen hatten, und Beravor fragte sich, ob sie zurückkehren würden zu dem Ereignis, auf das Aragorn noch wartete.

Doch schließlich, am Tag vor der Sommersonnenwende, machte sich die Kunde in der Stadt breit, dass Elben gesehen worden waren, die auf die Stadt zuritten, so viel schönes Volk, wie es noch nie in den Lebzeiten der Stadtbewohner in diesen Landen gesehen worden war. Nun war Beravor sich sicher, dass sie waren – oder zumindest brachten –, worauf Aragorn so lange gewartet hatte, und ihre Neugier war geweckt, denn sie fragte sich, was die Ankunft der Elben bedeuten mochte. Lange brauchte sie nicht zu warten, denn schon am Abend des nächsten Tages, des Mittjahrstages, trafen sie in der Stadt ein, und die Dúnedain wurden zum Tor gerufen, und dort sah Beravor Elladan und Elrohir, die ein silbernes Banner trugen, und viele andere Elben, doch ob sie aus Bruchtal gekommen waren, konnte sie nicht sagen. Auf zwei weißen Rössern kamen sodann ein Elbenherr und seine Frau, und ihr Anblick war beinahe unerträglich, so schön und mächtig war sie, und so viel Kraft schien in ihr zu wohnen. So sah Beravor Galadriel, die Herrin von Lórien, auch wenn sie es zu dieser Zeit noch nicht wusste, und ihren Gemahl Celeborn; und hinter ihnen kamen viele des Elbenvolkes von Lothlórien, und Merendú erkannte Orodhrin, und so wurde ihm klar, wer sie anführte; er erzählte es den anderen, und ihr Staunen wuchs und wuchs, und auch Merendú war überglücklich, denn endlich hatte er die Herrin mit eigenen Augen gesehen. Nachdem das Volk von Lórien gekommen und von Aragorn an den Toren von Minas Tirith begrüßt worden war, kamen nur noch zwei des Elbenvolkes, und aus ihrem kurzen Aufenthalt vor, wie es sich anfühlte, ungezählten Tagen, erkannte Beravor sie: Da kamen Elrond, der Herr von Bruchtal, und seine Tochter, Arwen, der Abendstern des Elbenvolkes, und in ihrer Schönheit glich sie Galadriel, doch wenn die Herrin von Lórien die Schönheit des Morgens und des Aufgangs der Sonne war, so war sie die Schönheit ihres Untergangs und der Abendröte, und in ihren Augen lagen Wärme und Weisheit und eine Traurigkeit über das Ende aller Zeiten hinaus. „Soviel Schönheit habe ich noch nie gesehen", flüsterte Beravor Rovaldil zu, als sie nach all dem Staunen ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Es wäre ein Wunder, wenn du noch etwas an mir fändest, nachdem du solche Schönheit gesehen hast."
„Sie sind schöner als du", sagte Rovaldil, doch lächelte er. „Aber was nützt mir alle Schönheit der Elben, wenn ich dich nicht habe?" Und mit diesen Worten küsste er sie. Da stieg Elrond von seinem Ross, und Arwen folgte ihm. Der Herr von Bruchtal trug ein großes Szepter in seiner Hand, und er übergab es Aragorn, als er ihn erreicht hatte. Dann nahm er seine Tochter bei der Hand und führte sie zum König, und er legte seine Hand in die ihre. Beravor erinnerte sich an ihre kurze, flüchtige Begegnung mit der Tochter Elronds, als sie ihnen für ihre Reise und die Mühen, die sie auf sich genommen hatten und noch auf sich nehmen würden, gedankt hatte, und nun wusste sie, warum, denn Aragorn würde Arwen Abendstern heiraten. Und als ihre Hände ineinandergelegt worden waren, gingen sie hinauf wie an dem Tag, als Aragorn gekrönt worden war, doch war es nun Nacht geworden und die Sterne glänzten silbern am schwarzen Himmel, als sie im Hofe des Palastes ankamen, doch wieder jubelte das Volk in den Straßen, als der König und seine Gemahlin vorbeizogen. Und Elessar führte Arwen in seine Häuser, und die Türen schlossen sich; und auch wenn noch bis tief in die Nacht hinein gefeiert wurde und Merendú sich noch einmal mit Orodhrin unterhielt, so sah Beravor sie nicht wieder. Denn nun war erfüllt, worauf ihr König so lange gewartet hatte, und nichts konnte sie mehr in dieser Stadt halten. Sie fasste den Entschluss, am nächsten Morgen aufzubrechen.

Ganz so einfach, wie sie gedacht hatte, war dieser Entschluss jedoch nicht umzusetzen. Zunächst wollte sie natürlich nicht ohne Rovaldil oder Istavor oder Merendú aufbrechen, und diese teilten ihre Freude an einem frühen Aufstehen und einem Ritt im Morgengrauen nicht. Als sie sich jedoch schließlich ebenfalls fertiggemacht hatten – denn auch sie hatten in Wirklichkeit nichts dagegen, die schöne Stadt der Könige allmählich in Richtung der vertrauten Wälder zu verlassen –, waren auch die anderen Dúnedain aufgewacht, und sie ließen es sich nicht nehmen, sich von jedem ihrer Gefährten zu verabschieden. „Wir haben so viel miteinander durchgemacht", sagte Magolthir, „dass ihr jetzt sicherlich noch die Zeit haben werdet, euren Gefährten einen letzten Gruß auszusprechen." Und dann sprachen sie noch über das eine oder das andere, während sie sich verabschiedeten, und als sie schließlich ihre Pferde gesattelt und sich mit allem versorgt hatten, was für eine so lange Reise nötig war, war der Mittag schon vorbeigegangen. Beravor war etwas ärgerlich, doch Istavor ritt neben sie und sagte: „Wir haben keine Eile, nicht mehr. Wir können langsam reiten und uns der Schönheit dieser Lande erfreuen. Ich nehme es als eine kleine Entschädigung dafür, dass ich dich und Rovaldil nicht auf euren Wanderungen begleiten kann." Und so geschah es, und sie ritten langsam und lagerten oft. Sie ließen die Weißen Mauern von Minas Tirith hinter sich, die im Licht der Sonne strahlten und funkelten wie eine junge Sonne, ritten entlang am Weißen Gebirge durch das schöne Land von Rohan, wo das Gras im Sommer hoch wogte, und kamen so schließlich wieder auf die Nord-Süd-Straße just an der Stelle, wo sie an Isengart vorbeigeritten waren, damals in großer Furcht und Eile auf der Suche nach ihrem König und in Angst vor den Teufeleien Sarumans, nun in Ruhe und Freude, mit einem Lied auf den Lippen und dem leisen Wind in ihren Haaren. Auch durch Dunland ritten sie unbehelligt, doch wann immer sie auf Menschen trafen, saßen sie ab und zeigten die Zeichen des Königs auf ihren Gewändern und verkündeten, dass er seinen Thron zurückgewonnen hatte und wieder in Minas Tirith herrschte. Sie entschieden sich dafür, dem Weg weiter zu folgen, auf dem sie gekommen waren, denn Istavor wollte den Winkel besuchen, wo Merendús Eltern lebten und wohin auch ihre Eltern, die in Bruchtal lebten, leicht kommen konnten. Beravor meinte, eine Ahnung zu haben, wieso sie das wünschte.

So gelangten sie wohl oder übel wieder an den Nîn-in-Eilph, und schlechte Erinnerungen erwachten in jedem von ihnen. Doch ihre Befürchtungen, weitere Unglücke in diesem Moor zu erleiden, erwiesen sich als unbegründet: Die Schneeschmelze war vorüber, und das Moor war zurückgegangen, und sie fanden sicher und ohne Schwierigkeiten ihren Weg hindurch. „Es wäre wohl besser gewesen, wir hätten im Sommer mit unserer Suche nach Aragorn begonnen", scherzte Istavor, als sie hindurchgeritten waren.
„Das mag sein", antwortete Merendú und befühlte seinen Umhang, „aber viele Dinge wären dann nicht geschehen, an die ich mich jetzt gerne zurückerinnere." So ritten sie weiter, entlang des Nebelgebirges, das nun seine Feindseligkeit abgelegt zu haben schien und mit der jungen Sonne um die Wette strahlte, und so erreichten sie schließlich den Winkel, die Heimstatt vieler Waldläufer, das Delta des Bruinen, wo er sich mit dem Mitheithel vereint. Dort war die Freudennachricht schon eingetroffen, überbracht von Elladan und Elrohir und Elrond und den vielen anderen Elben von Bruchtal, und ein Fest schien vor nicht allzu langer Zeit gefeiert worden zu sein, denn zu ihrer eigenen Überraschung fand Istavor dort ihre Eltern. Viele Geschichten mussten natürlich erzählt werden, und jeden ihrer neu gewonnenen Freunde stellte Istavor einzeln vor, doch wenn sie von Merendú besonders ausführlich erzählte, so machte ihr keiner einen Vorwurf. Und so kam auch schneller als gedacht der Tag, dessentwegen Istavor sich für diesen Weg entschieden hatte. Merendús und Istavors Familie versammelten sich, und auch Beravor und Rovaldil standen bei ihnen, und Istavors Vater legte die Hand seiner Tochter in die Hand Merendús. Da wusste Beravor mit einem Mal, dass die Zeit des Abschieds gekommen war, denn nun waren Istavor und Merendú Mann und Frau, und sie bezogen ein Haus im Winkel, dass lange Zeit leer gestanden war. Doch Beravor zog es in die Wildnis, nur mit Rovaldil.

So kam es, dass sie sich am Abend der Hochzeit mit dem jungen Brautpaar unterhielt, und als sie schließlich ankündigte, am nächsten Morgen aufbrechen zu wollen, sagte Rovaldil: „So ist es auch mein Wunsch, aber ich fürchte, wir werden zunächst ein anderes Ziel haben müssen: Den Winter will ich in Fornost verbringen, denn ich werde den Wiederaufbau dieser Stadt mit anleiten, und auch will ich für dich, Beravor, und mich, schon ein kleines Haus erneuern, damit wir darin wohnen können, wenn unsere Wanderungen vorbei sind und ich mein Amt in Fornost antrete." Und so geschah es, wie es beschlossen war. Am nächsten Morgen verabschiedeten sich Beravor und Rovaldil, doch versprachen sie, bald zu einem Besuch zu kommen. Dann ritten sie weiter, die Große Oststraße entlang, bis sie nach rechts abbogen und Fornost erreichten, die alte Stadt der Könige. Auch einige andere Dúnedain waren schon hierher gelangt, und Handwerker wurden gerufen aus dem Breeland und auch von weiter entfernt, und unter der Anleitung der Dúnedain wurde die Stadt erneuert und wiederaufgebaut und verschönert. Doch für sich und Beravor ließ Rovaldil ein kleines Haus am Rande der Stadt herrichten, und es dauerte nicht lange, bis es so weit war, dass es bewohnt werden konnte. Doch Beravor war rastlos, und sie konnte es nicht erwarten, endlich allein mit Rovaldil durch die Wälder zu ziehen. Und endlich ging der Winter vorbei, und der Frühling kam, und Rovaldil sagte: „Nun ist das wichtigste getan, und ich habe Anweisungen hinterlassen und viele andere Dúnedain sind noch da, um die Arbeiten zu beaufsichtigen."
„Lass uns noch einmal Istavor und Merendú besuchen, ehe wir aus den Blicken der Menschen verschwinden", sagte Beravor. Und so wanderten sie los, und sie ließen ihre Pferde in den Ställen von Fornost, und die Bäume blühten; die Luft war klar und rein und warm, und sie machten sich auf zu Istavor und Merendú, ihren treuen Freunden und Gefährten, und danach sah Beravor nichts mehr, nur noch das Versprechen von Freiheit und Glück und Liebe.

Der Weg der Grauen ScharWo Geschichten leben. Entdecke jetzt