35. Kapitel - Rückkehr nach Ithilien

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Endlich lösten Beravor und Rovaldil sich aus ihrer Umarmung, aber sie blieben weiter dicht beieinander und wichen dem anderen nicht von der Seite. Das Heer des Westens war nun ganz allein auf der Ebene, an deren Ende einst das Schwarze Tor gestanden hatte, das jetzt zerbrochen war, und die Türme der Zähne, die nun geschleift waren. Die Freude in Beravors Herzen war groß, und endlich war der Schatten aus ihr verschwunden und hatte nur eine Erinnerung hinterlassen. Nun würde vielleicht doch das alles in Erfüllung gehen, was sie sich gewünscht hatte, und an dessen Verwirklichung sie bei ihrem langen Marsch nicht mehr hatte glauben können: mit Rovaldil und Istavor durch die Wälder ihrer Heimat zu ziehen, zu wandern und frei zu sein; und danach zu tun, was immer kommen mochte, aber so weit in die Zukunft blickte sie im Augenblick nicht. Sie war einfach nur glücklich, denn der Ring des Feindes war zerstört und er selbst auf immer dahingegangen; nie wieder würde er die Herzen der Menschen heimsuchen. Jetzt, da sie frei von eigenen Sorgen war, musste sie wieder an Istavor denken, die wahrscheinlich immer noch verletzt im Zelt vor den Toren der Weißen Stadt bangend auf ihre Rückkehr wartete und nicht wusste, ob ihre Freundin je wieder zurückkehren würde. Wie gerne hätte Beravor ihr eine Nachricht zukommen lassen, eine Botschaft von dem großen Glück, dass der Feind besiegt war, und dem kleineren, dass sie und Rovaldil noch am Leben waren. Aber sie wusste, dass sie sich gedulden musste: Von dem großen Glück würden bald Boten in allen Teilen der Welt künden, aber Nachricht über das kleine Glück würden Istavor erst dann erreichen, wenn Beravor oder Rovaldil oder vielleicht einer der anderen Dúnedain nach Minas Tirith zurückgekehrt sein würden.

Das Heer kehrte jetzt zu den Schlackenhügeln zurück, wobei sie sich einen Weg durch die vielen Gefallenen bahnen mussten. Dort lagen sie, Orks, Bilwisse und Trolle, mit schwarzer Haut und gelben Augen, die jetzt leblos in die Ferne blickten, aber auch viele ihrer eigenen Streitmacht, erschlagen und unter den Bergen von Leichen begraben. Viele waren von den schweren Hämmern der Trolle getroffen worden und lagen mit zermalmten Körpern unter ihren getöteten Mördern, ihre helle Haut war versengt von dem giftigen Blut der Brut Mordors. Beravor sah viele Soldaten aus Rohan und Gondor, in Grün und Silber gekleidet, edle Antlitze, die doch von den Schmerzen des Todes verzerrt waren. Trotz all ihrer Freude erschauderte Beravor, als sie an den Troll dachte, der sie mit seinem Schild niedergeworfen hatte. Wie leicht hätte sie nun bei denen liegen können, die tot waren, wenn Rovaldil nicht gewesen wäre. Als sie darüber nachdachte und ihre Freude ein wenig getrübt wurde, spürte sie plötzlich auch wieder ihre Schmerzen, die sie im Jubel über den Sieg für eine kurze Zeit verdrängt zu haben schien. Ein dumpfer, pochender Schmerz in der Brust, der vom Schlag des Trolls herrühren musste und sicherlich einige Blutergüsse nach sich ziehen würde, und besonders die blutende Wunde an ihrem linken Arm, die das Orkschwert gerissen hatte. Sie besah die Stelle und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass das Blut bereits zu gerinnen begonnen hatte und die Wundränder sich nicht verfärbt hatten. Einige Orks trugen nämlich vergiftete Klingen mit sich, und solche Wunden zu versorgen war schwierig und langwierig, und nicht selten kam jede Behandlung zu spät und sie führten zum Tod. Ihr weißes Hemd war nun natürlich an dieser Stelle aufgerissen und vom Blut dunkelrot, aber das störte Beravor nicht wirklich: Das Loch würde sie flicken können und die roten Flecken und die Narbe, die sie ebenfalls davontragen würde, als ehrenvolles Abzeichen ihrer Teilnahme an der Schlacht vor dem Schwarzen Tor tragen. Keine bleibenden Schäden würde sie erlitten haben von dieser Schlacht außer die blasse Erinnerung an ihren Schrecken, aber auch an ihre unverhoffte Wendung zum Guten, eine Wendung, die Beravor immer noch unwirklich und unglaublich erschien. Sie hatte immer nur ein Leben unter dem Schatten und dem Gedanken an die ferne Macht Mordors gekannt; und dieser Schatten sollte nun auf einmal einfach fort sein, weggeweht wie der dunkle Rauch eines verloschenen Feuers.

Nun waren sie bereits ganz nah am Hügel und hatten die Sümpfe bereits durchquert, auch wenn sie das kaum bemerkt hatten, da sie die meiste Zeit auf den eklen Körpern erschlagener Gegner gelaufen waren, die aus dem flachen Wasser heraussahen. Hier nun sah Beravor auch einige tote Dúnedain, und der Schmerz in ihr wurde größer, und sie trauert in ihrem Herzen um jeden Einzelnen von ihnen, als hätte sie einen Verwandten verloren. Denn das waren die Dúnedain seit vielen Generationen gewesen, eine große Familie, in der sich jeder für den anderen verantwortlich gefühlt hatte, auch wenn er ihn kaum oder gar nicht kannte oder gar nie zu Gesicht bekam. Am Fuße des Hügels, nicht weit von dort, wo sie im Kampfe die meiste Zeit gestanden zu haben glaubte, sah sie das hagere Gesicht des Waldläufers, mit dem sie sich noch vor wenigen Tagen am Lagerplatz der Dúnedain vor Minas Tirith unterhalten hatte. Auch er war gefallen, seine Brust war durchbohrt von einem langen Pfeil mit schwarzem Schaft und schwarzen Federn. Nun bemerkte sie, dass Magolthir neben sie getreten war. Er blickte nachdenklich auf den gefallenen Dúnadan, und Beravor glaubte, in seinen Augen Tränen sehen zu können. „Mit Fuinang bin ich oft geritten und stand neben ihm in dieser Schlacht. Aber mein Schild kann nicht zu jeder Zeit überall sein, und als die widerlichen Geschöpfe Mordors zum zweiten Mal ihre schwarzen Geschosse auf uns niederschickten, war mein Arm zu langsam oder mein Geist zu träge. Nun ist er tot. Verflucht seien die Diener Mordors und all ihre schwarzen Waffen! Nun muss er hier liegen wie Aas unter den abscheulichen Körpern unserer Feinde. Ich wünschte, er würde begraben."
„Dieser Wunsch mag sich bald erfüllen", sagte Beravor. „Seht: Die Leichen der Gefallenen werden eben geborgen, und ein Grab scheint ihnen geschaufelt zu werden."

Diesen Befehl hatte Aragorn gegeben, damit den siegreichen Toten die letzte Ehre erwiesen werden könne, und es war eine lange Arbeit, denn von den sechstausend, die bis zum Schwarzen Tor mitmarschiert waren, war fast die Hälfte im Kampfe gefallen, und ihre Körper lagen oftmals tief verschüttet unter den vielen getöteten Orks und Ungetümen; viele andere aber waren schwer verwundet und mussten schnellstens versorgt werden, sodass nur noch etwas mehr als zweitausend kampffähig waren oder dazu in der Lage, die Gefallenen zu bestatten. Auch Beravor fühlte sich verpflichtet, bei dieser Aufgabe zu helfen, auch wenn es sie traurig machte und ihr die Freude über ihren Sieg für eine kurze Zeit nahm. Sie blieb immer bei Rovaldil, denn seine Nähe schenkte ihr Trost; aber immer, wenn sie gemeinsam einen weiteren Gefallenen freigelegt hatten, musste Beravor darüber nachdenken, wer er war, welches Schicksal ihn ereilt hatte und wer nun bei ihm zuhause auf ihn warten und doch nie wiedersehen würde. Denn die meisten von ihnen waren keine Waldläufer, sondern Männer aus Gondor oder Rohan, die zwar in den Krieg gezogen waren, deren Herz aber sicherlich nicht beim Kampfe und der Verfolgung der Diener des Feindes geweilt hatte, sondern bei ihren Familien, ihren Frauen und Kindern, Brüdern und Schwestern; bei ihren Freunden und ihrer Heimat. Sie waren nun im Kampf für das, was sie liebten, einen grausamen Tod gestorben, um damit für andere die Zukunft heller zu machen. All das machte Beravor traurig und betrübt; und gleich, wie viele Tote sie sah und mit Rovaldil in das neu errichtete Hügelgrab trug, sie konnte sich nicht daran gewöhnen und all ihre Gedanken abschütteln. Schließlich sprach sie zu Rovaldil: „Das Schicksal ist grausam. Wir, heimatlose Waldläufer, ohne Familie oder Zuhause, haben überlebt, während all diese armen Männer sterben mussten und alles, was sie liebten, zugleich gerettet und für sich verloren haben."
„Diese Ungerechtigkeit ist das Werk des Dunklen Herrschers", antwortete Rovaldil, „denn er ist schuld an diesem Krieg und all den Übeln, die aus ihm entstanden sind. Und ich verstehe gut, dass dir ihr Lebenslos zu Herzen geht, Beravor; ich fühle nicht anders. Aber ich bin sicher, wenn sie zur letzten Ruhe gebettet sind und wir diesen immer noch üblen Ort verlassen haben, wird dein Herz wieder leichter werden und die Freude zurückkehren. Denn sie sind nicht umsonst gestorben; und sicher wollten sie nicht, dass die, für die sie gestorben sind, sich wegen der Trauer um sie nicht darüber freuen, was durch die Gefallenen errungen wurde: Ein neues Zeitalter des Friedens. Auch wir werden uns dessen noch erfreuen, hoffe ich."
„Das werden wir gewiss", sagte Beravor, und durch die Worte Rovaldils war ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen zurückgekehrt.

Die Arbeit dauerte noch lange, und auf der ganzen Ebene hörte man das Weinen von Menschen, die um gefallene Gefährten trauerten, und ihre Schreie zerrissen die Luft und erfüllten die Herzen aller; und für wenige Stunden war die Freude über den Sieg noch getrübt und überschattet von den großen Verlusten, die sie erlitten hatten. Beravor selbst war froh darüber, dass sie niemand weiteren verloren hatte, der ihr nahestand, aber auch sie war betrübt über die vielen Leichen, die in den großen Grabhügel getragen werden mussten. Aber schließlich war alles getan, und man glaubte, nun alle gefunden zu haben, die vor dem Schwarzen Tor gestorben waren, und die Erde wurde über ihnen aufgeschüttet und der Hügel verschlossen. Die ungezählten Leichen der Geschöpfe Mordors aber mussten dort liegen gelassen werden, wo sie den Tod gefunden hatten, denn es waren bei Weitem zu viele, um sie auch nur zu verbrennen. Sie wurden zurückgelassen, um in der neuen Sonne zu verrotten, auch wenn es ein scheußlicher Anblick war. Nirgendwo auf dieser Ebene wuchs in späteren Tagen auch nur ein blasser Schimmer von Grün, außer an dem Ort, da die Krieger des Westens zur Ruhe gebettet worden waren, und dies war der einzige Ort in einem Umkreis von vielen Meilen, wo man im Frühling späterer Jahre die Blüten einiger kleiner Blumen entdecken konnte.

Für die Überlebenden begann nun der Rückweg, und da sie den Toten die letzte Ehre erwiesen und sich so gut es ging von ihnen verabschiedet hatten, hellte sich die Stimmung unter ihnen wieder auf, und auch Beravor konnte ihre Gedanken an die vielen tapferen Krieger, die gefallen waren, mit der Zeit abschütteln und wurde wieder froher; und die Freude über ihren Sieg kehrte in ihr Herz zurück. Aber es gab immer noch einiges zu tun: Besonders die Verwundeten mussten noch versorgt werden, und es waren deren viele. Auch hatte keiner Arznei dabei, nur Elronds Söhne hatten in den Satteltaschen ihrer Pferde ein wenig elbische Heilmittel mitgebracht; aber niemand hatte erwartet, dass es nach dieser Schlacht noch jemanden geben würde, der andere würde versorgen können. Indessen mühten sich Elladan und Elrohir und mit ihnen Aragorn redlich, die am schlimmsten Verwundeten zumindest in einen Zustand zu bringen, in welchem sie von ihren Gefährten vom Schlachtfeld getragen und in Gegenden gebracht werden konnten, in denen man ihnen mit mehr Sachkenntnis und den richtigen Mitteln helfen konnte. Auch diese Vorgänge brauchten ihre Zeit, und Beravor wurde der Beobachtung Aragorns und der Söhne Elronds bald überdrüssig. So ging sie hinauf auf die Spitze des Schlackenhügels, wo sie vor wenigen Stunden noch gestanden und einen hoffnungslosen Kampf ausgefochten hatte, und kam so zurück zu Gwaelim, der treu auf sie gewartet hatte. Er begrüßte sie freudig, und sie strich ihm durchs Fell. Gwaelim schien mindestens ebenso glücklich, Beravor wiederzusehen, wie sie glücklich war, ihren treuen Hengst wieder bei sich zu haben. Auch Gwaelim schien zu spüren, dass sich vor wenigen Stunden etwas ereignet hatte, das den Lauf der Zeiten für immer verändert hatte, denn er schien ausgelassener und fröhlicher zu sein, als Beravor ihn je erlebt hatte. Als sie ihn den Berg hinunterführte, schien er ihr beinahe vorauseilen zu wollen, als könne er es nicht erwarten, sie endlich von diesem Ort weg und zurück zu Istavor zu tragen, damit sie in gemeinsamem Glück diesen Sieg feiern könnten. Doch noch musste Beravor sich gedulden, denn immer noch waren die Elbenzwillinge und Aragorn mit der Versorgung der Verwundeten beschäftigt. Als Elladan einmal an Beravor vorbeilief, fand sie, dass er sowohl abgekämpft und erschöpft als auch sehr glücklich aussah. Aber sofort war er an ihr vorbeigegangen, und sie wechselten kein Wort miteinander. Dafür trat Rovaldil neben sie und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Er führte sie auf die gegenüberliegende Seite des Berges und dann wieder ein Stück in die Ebene, sodass der Blick auf das Schwarze Tor von dem großen Hügel versperrt war. Dort saßen in einem Kreis alle Dúnedain, die die Schlacht überlebt hatten. Dreißig waren mit Halbarad gekommen, und einer war in den Sümpfen des Nîn-in-Eilph verloren gegangen; einer war mit ihrem Führer auf dem Pelennor gefallen, und Istavor war in Minas Tirith geblieben, sodass noch siebenundzwanzig mit zum Schwarzen Tor geritten waren. Als Beravor jetzt alle zählte, die dort versammelt waren, waren es ihrer noch zwanzig. Sie setzte sich zu ihnen.

„Ich kann kaum glauben, was geschehen ist", begann einer von ihnen. „Noch vor wenigen Stunden dachte ich, ich ritte in den sicheren Tod, und nun bin ich hier und am Leben, und die Dunkelheit ist für immer aus den Kreisen dieser Welt verbannt."
„Nicht für immer", antwortete Magolthir, doch noch ehe er sich den Vorwurf der anderen anhören musste, zu mürrisch zu sein, selbst für einen Waldläufer, fügte er hinzu: „Aber du hast recht, wenn du meinst, dass die Welt nie mehr so dunkel sein wird wie zur Zeit Saurons, der nun nur noch ein dunkler Schatten in unserer Erinnerung ist. Und ich bin darüber von Herzen glücklich. Wenn ich ein passendes Lied für einen solchen Augenblick kennte, dann sänge ich es jetzt. Aber alle Lieder, die man mich gelehrt hat, sind Lieder über Dunkelheit und wenig Hoffnung und nicht geeignet für große Siege."
„Wohl wahr", antwortete der erste. „Aber ich glaube, früher oder später werden wir diesen Sieg noch gebührend feiern und alle Lieder lernen, die es über ihn zu singen gibt. Vielleicht werden sie sogar ein neues machen. Einstweilen aber müssen wir das Singen hintenanstellen und uns über etwas anderes unterhalten, um uns die Zeit zu vertreiben. Sagt, was glaubt ihr, werdet ihr tun, nun, da der Feind und alle seine Diener besiegt sind?" Für einen kurzen Moment schwiegen die Waldläufer und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Beravor war die erste, die wieder sprach:
„Ich weiß es noch nicht, auch wenn ich mir in letzter Zeit öfter Gedanken darüber gemacht habe, wenn ich gerade die Hoffnung hatte, dass wir diesen Krieg tatsächlich gewinnen würden und wir uns dieser Entscheidung wirklich würden stellen müssen. Ich sah dabei aber nur in die nahe Zukunft, denn der Weg in der Ferne ist noch immer vor mir verborgen. Ich hoffe, ich werde eine Zeit lang in Frieden und Freiheit durch die Wälder meiner Heimat wandern und mich ihrer Schönheit erfreuen können, mit wenigen, aber treuen Freunden an meiner Seite. Was danach kommen mag, wird sich zeigen, wenn die Zeit reif ist. Aber ehrlicherweise erscheint mir das alles jetzt unwichtig angesichts dessen, was uns unmittelbar bevorsteht; und ich will eigentlich nichts anderes tun als glücklich zu sein und diesen großen Sieg angemessen zu feiern. Ich nehme an, es wird beizeiten ein großes Fest geben, bei dem alle, die diese hoffnungslose Schlacht überlebt haben, Ehrengäste sein werden."
„Du sprichst gut", antwortete Magolthir, „und was du über Ehrungen und Feiern gesagt hast, mag wohl in Erfüllung gehen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass nun Aragorn auch seinen Anspruch auf den Thron Gondors offen erklären wird. Und wenn er dann gekrönt ist, wird auch sein Volk nicht länger im Verborgenen leben müssen, sondern große Ehren in seinem neuen Königreich erfahren und seinem König auf angemessene Weise dienen können. Und dies ist es, wozu mich meine Treue zu unserem König bewegt: bei ihm zu bleiben und ihm bei allem zu helfen und zu dienen, was er in Angriff nehmen mag, auch wenn das bedeutet, dass ich in Gondor bleiben muss und nicht in die Lande meiner Kindheit zurückkehren werde."
„Gewiss ist es für einen Mann wie Euch, der in seinem Leben weit gereist ist und vieler Menschen Städte gesehen und ihre Gesinnungen kennengelernt hat, einfacher, sich an einem neuen Orte niederzulassen", erwiderte Beravor. „Aber mein Herz hängt immer noch an den Wäldern und Hügeln meiner Jugend; und ich weiß nicht, wozu Aragorn mich brauchen sollte, wenn er sein Königreich wiedererlangt und unzählige andere Untertanen hat, die jeden Dienst besser versehen können als eine Waldläuferin."
„Vielleicht braucht er nicht alle von uns hier", sagte nun Rovaldil. „Aber nun, da der Feind besiegt ist, wird er wahrscheinlich auch das alte Königreich des Nordens zurückfordern und es wieder in seinen alten Glanz zurückzuführen in Angriff nehmen, und wer wäre besser dazu geeignet, damit anzufangen, als seine Verwandten und engsten Vertrauten, die seit vielen Jahren dort gelebt haben? Gewiss wird es auch im Norden Aufgaben geben, die zuverlässig erfüllt werden müssen."
„Die wird es ohne Zweifel geben", antwortete Beravor. „Aber ebenso sicher ist es, dass diese Aufgaben den Männern unter den Dúnedain übertragen sein werden. Was die Aufgabe der Frauen in diesem neuen Königreich sein wird, wissen wir alle; und ich kann mir vorstellen, bereit dazu zu sein, wenn die Zeit mir reif zu sein scheint. Aber für die nahe Zukunft will ich lieber frei und ungebunden sein."
„Das ist das Anrecht der Jugend", sagte Magolthir lachend, „und ich erinnere mich noch gut daran, dass ich lange Zeit dasselbe gedacht habe. Es sei Euch gegönnt, Beravor, denn ich hätte dasselbe gesagt, wenn ich in Eurem Alter wäre. Aber ich muss gestehen, dass ich mich gerne neuen, weniger gefährlichen Aufgaben widmen würde, nun, da der Herr der Ringe besiegt und der Ring der Macht vernichtet ist."
„Und das", sagte ein weiterer Dúnadan, „ist eine weitere Frage, auf die ich hoffentlich bald eine Antwort hören werde. Wie kommt es, dass der Eine Ring zerstört wurde, ohne, dass irgendeiner von uns davon wusste? Es ist deutlich, dass es so geschehen sein muss, anders kann ich mir die Geschehnisse, derer wir soeben Zeuge wurden, nicht erklären. Aber wie ist es zustande gekommen?"
„Vielleicht kann ich damit beginnen, dieses Rätsel zu einem kleinen Teil zu lösen", sagte Beravor, und sofort waren alle Blicke auf sie gerichtet. „Denn wenn ich Euch auf unserem Marsch zum Schwarzen Tor gesagt habe, dass ich nichts Genaues über unsere Hoffnung sagen könne, so habe ich das gesagt, weil ich es Halbarad geschworen hatte. Denn er hatte mir, als wir auf der Nord-Süd-Straße ritten, im Vertrauen davon erzählt, nachdem ich ihm versprochen hatte, das Geheimnis für mich zu behalten. Ich wusste nicht, wer ihn trug und nach Mordor brachte, aber mittlerweile habe ich begonnen, mir einen Reim auf die Dinge zu machen, so viel ich von ihnen weiß. Istavor nämlich hat mir erzählt, dass einige Zeit vor uns bereits eine Gruppe von Wanderern aus Bruchtal aufgebrochen war, der auch Aragorn angehörte. Sie ging im Geheimen und mit wenigen: Neun sollen es gewesen sein; und ich glaube, dass unter diesen auch der war, den Gandalf den Ringträger genannt hat. Irgendwie muss er es bis nach Mordor geschafft haben und den Ring in die Sammath Naur geworfen haben, wo allein er zerstört werden konnte."

Beravor blickte in die Gesichter der Dúnedain und las darin stilles Erstaunen. Einige wenige fühlten sich von Halbarad zumindest ein klein wenig hintergangen und fragten sich, warum Beravor hatte hören dürfen, was auch allen anderen neue Hoffnung und damit größere Kraft für die letzten Anstrengungen hätte verleihen können. „Es ist ein übles Los für alle gewesen, die sich nicht zu den Vertrauten Halbarads zählen durften", sagte einer vorwurfsvoll, „und nicht von der Hoffnung hören durften, die zu hören einer Frau vergönnt war, die nicht einmal sein eigen Fleisch und Blut war. Mit welcher Kraft wären die in den Kampf gezogen, die nun gefallen sind, wenn sie davon gewusst hätten? Ich zweifle nicht daran, dass seine Absichten ehrenvoll gewesen sein mögen, doch wären für viele von uns der Tod und die Feuer Mordors leichter zu ertragen gewesen, wenn mehr als nur ein junges Mädchen davon gewusst hätte oder dieses zumindest den Anstand gehabt hätte, sein Wissen mit uns zu teilen." Also sprach er, und seine Stimme war sanft und beherrscht, aber ein Funkeln war in seinen Augen. Als er geendet hatte, sprach Beravor, und ihre Stimme zitterte von einem unterdrückten Zorn.
„Ihr wisst nicht, was Ihr redet. Halbarad sprach mit mir nur kurz, und nur, weil ich in tiefer Verzweiflung gefangen war und kein Licht am Horizont mehr sah. Er hieß mich schwören, sein Geheimnis zu bewahren. Wisst Ihr nicht mehr, was ein Schwur für die Dúnedain von Arnor bedeutet? Ich aber habe es nicht vergessen." Da sprach wieder der andere Dúnadan, und er verbarg seine Worte nicht länger unter einem Deckmantel von Sanftmut und Beherrschung; seine Stimme war laut und schrill, und er sprach in unverhüllter Wut.
„Nicht einmal, wenn Halbarad befugt gewesen wäre, dieses Geheimnis zu verraten, hätte es einem leichtsinnigen Weib anvertraut werden dürfen anstatt den tapferen Kämpen, die seit ungezählten Jahren mit ihm streiten. Aber nun scheint es mir deutlich, dass sein Herz weniger denen zugewandt war, die die starken und mächtigen unter den Dúnedain sind, sondern einer Frau, wenn sie auch an Jahren schon zu jung für ihn gewesen sein mag."

Beravor blieb bei dieser Beleidigung ruhig, auch wenn sie fieberhaft über eine passende Erwiderung nachdachte. Doch derer bedurfte sie nicht, denn Rovaldil hatte sich nun erhoben und vor sie gestellt. Seine Stimme war nicht weniger von Zorn erfüllt als die seines Gegenübers. „Wenn Ihr nicht mehr zu sagen habt als Schmähungen, dann behaltet Eure Zunge hinter Euren Zähnen. Ich will es nicht leiden, dass eine so ehrenvolle Frau wie Beravor von den Worten eines Mannes gedemütigt wird und mit ihr der Mann, der sie wie ein Vater leibte; nicht einmal, wenn es mein eigener Stammesbruder ist." Nun erhob sich auch Rovaldils Gegenüber. „Die Jugend spottet schon wieder über die Alten, wie es seit Anbeginn der Zeiten war", rief er. „Es gibt viele, um die ich zu trauern verdammt bin, die hier ohne Hoffnung und mit Finsternis in ihren Herzen gefallen sind; aber um Euch werde ich keine Träne vergießen!" Seine Hand verirrte sich zum Griff seines Schwertes. Schnell erhoben sich auch die anderen Dúnedain, aber sie zogen ihre Schwerter nicht und warteten ab. Doch Magolthir ergriff das Wort und trat zwischen die beiden Waldläufer, die einander feindselig anstarrten.
„Ihr solltet Euch setzen, Rovaldil und Aegrod!", sagte er mit lauter Stimme. „Soll dies eine letzte Teufelei des Feindes sein, dass die Dúnedain mit gezogenen Klingen aufeinander losgehen? Ich weiß um Eure bitteren Verluste in diesem schrecklichen Kampfe, Aegrod; aber es steht Euch nicht zu, Eure Trauer zu benutzen, um Beravor zuschanden zu machen, die ebenso tapfer gekämpft hat wie Ihr. Auch steht es uns nicht zu, die Taten eines Toten zu beurteilen und zu sagen, was er hätte aussprechen dürfen und was nicht. Habt Ihr beide etwa vergessen, was geschehen ist? Wir haben einen großen Sieg errungen, den größten seit zwei Zeitaltern dieser Erde; wir sollten feiern und tanzen, singen und jubeln und ausgelassen sein, und nicht einander zürnen. Setzt Euch und lasst ab von Eurem sinnlosen Zorn."
Als Magolthir so gesprochen hatte, verschwand mit einem Mal das Funkeln aus Aegrods Augen, und Tränen nahmen seinen Platz ein. Er setzte sich wieder hin, aber er hielt sich die Hände vors Gesicht und schien zu weinen. Schließlich brachte er einige Worte hervor. „Es tut mir leid", sagte er. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Verzeiht mir, Beravor; aber ich habe in dieser verfluchten Schlacht zwei Freunde verloren, die wie Brüder für mich waren: Ich sah sie fallen unter den gnadenlosen Hieben der Trolle, die ihre Leiber zerquetschten, und ihre Augen waren hoffnungsleer und von Schrecken erfüllt, als sie starben. Es wäre mir leichter gefallen, von ihnen Abschied zu nehmen, wenn ich gewusst hätte, dass sie in dem Wissen starben, für etwas gekämpft zu haben, für das sich das Sterben lohnte; denn sie selbst fielen in dem Bewusstsein, einen sinnlosen Tod gestorben zu sein."
„Ich will Euch gerne vergeben", sagte Beravor, denn sie hatte Mitleid mit Aegrod, wusste sie doch um den unendlichen Schmerz, den der zu frühe Verlust geliebter Menschen hervorrufen konnte. „Als ich vom Ring sprach, ist der Schatten des Feindes ein letztes Mal über uns gekommen; aber nun soll er fort sein und nicht mehr wiederkehren. Auch weiß ich nicht, ob ich nichts selbst so gesprochen hätte, wenn jemand anderes als Aragorn mit mir geredet hätte, als ich vor der Leiche meines Vaters kniete." Aegrod stand auf und verbeugte sich tief, und die Tränen seiner Augen waren versiegt.

Gerade, als dies geschah, hörten die Waldläufer die silbernen Trompeten, die zum Aufbruch riefen. Es war bereits früher Abend, und Aragorn und Elronds Söhne hatten sich stundenlang um die Verwundeten bemüht; doch nun waren diejenigen, die es am nötigsten gehabt hatten, versorgt, sodass sie zumindest von ihren Mitstreitern getragen oder auf jetzt überschüssigen Pferden reiten konnten. Sobald Beravor den Schall der Trompeten gehört hatte, ging sie zu Gwaelim und stieg in den Sattel. Rovaldil ritt neben sie. „Ich bin dir dankbar, dass du mich im Notfall verteidigt hättest", sagte sie zu ihm gewandt.
„Meiner Hilfe hättest du gegen diesen armen Mann kaum bedurft, denn auch alle anderen Waldläufer waren auf deiner Seite", antwortete Rovaldil. „Aber er dauert mir jetzt mehr, als dass ich ihm zürne, auch wenn seine Worte abscheulich waren. Trauer verzerrt eines Mannes Empfindungen; darum will ich ihm nun ebenso vergeben, wie du es getan hast."
„Daran tust du recht", sagte Beravor; und als sie ihn ansah, verflog der letzte Zorn in ihrem Gemüt, und sie erinnerte sich wieder des großen Sieges und der vielen freudigen Tage, die jetzt auf sie warteten. „Ich kann kaum darauf warten, endlich diesen Ort zu verlassen und durchs schöne Ithilien nach Minas Tirith zu reiten, um Istavor sobald wie möglich die freudige Nachricht zu bringen. Ich hoffe, sie verzehrt sich nicht in Sorge um uns."
„Das hoffe ich auch", sagte Rovaldil. „Es ist sicher schlimm für sie, dass sie dazu verdammt ist, allein und einsam auf uns zu warten, nicht wissend, ob wir wieder zurückkehren. Aber ich fürchte, sie wird warten müssen, denn ich glaube nicht, dass wir eine Möglichkeit haben werden in den nächsten Tagen, ihr Nachrichten zukommen zu lassen."
„Ich hoffe wenigstens, dass sich der Zustand ihres Knies in der Zwischenzeit wieder gebessert hat, auch wenn Elladan gesagt hat, dass es vielleicht nie richtig verheilen wird", sagte Beravor. „Es wäre ein Jammer, wenn sie bis ans Ende ihrer Tage verkrüppelt bleiben müsste. Ich wäre gerne mit ihr und dir durch die Weiten von Eriador gewandert, und mein Herz würde sich darauf jetzt mehr als auf alles andere dieser Welt freuen, wenn diese Ungewissheit nicht bestünde."
„Noch ist auch diese Hoffnung nicht verloren", sagte Rovaldil, „aber mein Herz sagt mir, dass, was immer noch kommen mag, Istavor ihr Glück finden wird."
„Ähnliches hat mir auch Elladan schon gesagt. Und ich gebe zu, dass ich mir um sie keine allzu großen Sorgen mehr machen will, da auch sie jetzt vor dem Schatten gerettet ist, der uns alle zu verschlingen drohte. Und ich gebe zu, dass du es bist, nach dem mein Herz sich jetzt am meisten sehnt, Rovaldil, und mein Herz ist noch leichter und fröhlicher angesichts dieses Sieges, da du an meiner Seite bist." Als sie das sagte, lächelte Rovaldil, und ein Leuchten erfüllte sein Gesicht, als er sie ansah. Alle Falten seines Gesichtes schienen zu verschwinden, und er sah jung und edel aus wie ein Prinz aus einem längst vergangenen Zeitalter. Sie wussten nicht, wie lange sie einander angesehen hatten, als schließlich das Heer zum Abmarsch bereit war, doch während des Rittes begann in Beravors Herzen eine Erkenntnis zu keimen, deren Saat vor Langem gesät und immer stärker geworden war; aber noch verstand sie es nicht richtig und redete nicht darüber.

Sie ritten im warmen Licht der untergehenden Sonne, das nicht länger blutrot war und unheilverkündend, sondern ihre Haut und ihre Herzen beschien. Viele Männer um Beravor und Rovaldil sangen Lieder, und man hörte Lachen und Gespräche. Nicht einmal die öden Lande, durch die sie ritten, konnten ihre Stimmung eintrüben. Alles um sie herum schien Beravor jetzt freundlich und farbenfroh zu sein. Die Dämpfe, die aus dem Boden gedrungen waren, als sie zum Schwarzen Tor geritten waren, schienen nun nicht mehr zu sein als sanfter Nebel, der sich über eine freundliche Welt legte. Noch vor weniger als einem Tag hatte Beravor geglaubt, dass sie in ihren sicheren Tod reiten würde und das Ende aller Dinge, die gut und schön waren auf dieser Welt; und nun ritt sie durch dasselbe Land, und alles schien besser und schöner zu sein, als es jemals zuvor gewesen war. Die langen Schatten, die die Abenddämmerung warf, waren nichts anderes als die Verheißung auf süßen Schlaf und stärkende Ruhe, und der warme Boden unter ihren Füßen hüllte sie in ein Gewand aus Geborgenheit. „Niemals hätte ich geglaubt, dass ich es einmal genießen würde, durch diese Lande zu ziehen", sagte Beravor nach einiger Zeit des stillen Genusses. „Aber nun scheint alles Böse vergangen zu sein; und ich kann nicht an die Zukunft denken, weil die Gegenwart so schön ist."
„Die Zukunft wird vielleicht noch schöner werden", sagte Rovaldil; aber auch er genoss jeden einzelnen Augenblick des Rittes.
„Ich fühle mich, als wäre ich neu geboren worden", sagte Beravor. „Jede Pflanze, jedes noch so verkrüppelte Gewächs, jeder Felsen scheint erst vor wenigen Momenten entstanden zu sein. Es scheint, als wäre die ganze Welt neu erschaffen worden nach unserem Sieg."
„Warte erst, bis wir in die schönen Wälder Ithiliens zurückkehren", sagte Rovaldil.

Der Zug des Westens bewegte sich rasch, aber sie waren erst spät aufgebrochen, und obwohl mehr Dinge passiert waren, als ein menschlicher Geist sich auszumalen imstande war, war es doch derselbe Tag, seit die verzweifelte Schlacht an den Grenzen Mordors geschlagen worden war. Deshalb musste das Heer nach wenigen Stunden des Marsches bereits wieder ein Lager aufschlagen, noch viele Meilen von der Grenze von Nord-Ithilien entfernt, inmitten der leeren Lande westlich der Ephel Dúath. Indessen glaubte Beravor, bereits den süßen Duft von Ithiliens blühenden Wiesen riechen zu können, als sie sich neben Rovaldil auf den warmen Boden der Ödlande an den Grenzen Mordors lagerte, und sie wusste nicht, ob es nur eine Täuschung war oder er tatsächlich von einer schwachen Brise herbeigetragen wurde. Die Sonne war bereits seit zwei Stunden im Westen versunken, und es war schon sehr spät; daher redeten sie nicht mehr lange miteinander, sondern legten sich gleich zur Ruhe. Beravor lag noch einige Zeit auf dem Rücken, die Hände über der Brust gefaltet, und blickte in die Ferne: nach Osten, wo die Schattenberge waren, die ebenfalls all ihren Schrecken verloren hatten. Sie waren nun nicht mehr und nicht weniger als dunkle Schatten, die den Blick auf die Sterne verdeckten; ein weiteres unter den vielen Gebirgen Mittelerdes, aber kein Wahrzeichen der Finsternis und des Todes mehr. Und sie blickte in den Himmel, der jetzt wolkenlos war, und sah in die vielen silbernen Sterne, die dort leuchteten. Es schienen immer mehr zu werden, je länger sie sie betrachtete, und jeder neue Stern schien ein weiteres Bild am Himmel zu formen. Insgeheim hoffte Beravor, den Weißen Baum und sieben helle Sterne in der Nacht zu finden, aber während sie noch danach suchte, glitt sie in einen langen und traumlosen Schlaf; tiefer, als je einer vorher gewesen war, frei von Sorge und Trauer; jenseits von Hoffnung und Verzweilfung.

Auch der folgende Tag ihres Rittes waren von Fröhlichkeit und Ausgelassenheit erfüllt. Immer noch ritten sie durch die Ausläufer des Herrschaftsbereichs von Mordor, das nun keinen Herrscher mehr hatte, und nichts vermochte die Stimmung der Marschierenden zu trüben. Sie kamen freilich nicht schnell voran, wenn auch schneller als auf dem Hinweg, da sie nun die Straße benutzen konnten, aber das machte nichts: Im Augenblick erschien es allen, als hätten sie alle Zeit der Welt und müssten sich um nichts mehr sorgen. Die Sonne über ihnen schien hell und klar, und die Luft schien erneuert worden zu sein; sie war kühl und erfrischend, und nur noch eine Ahnung der widerlichen Dämpfe dieses Landes lag in ihr, wenn man sie überhaupt noch wahrnehmen konnte. Während dieser Tage des Rittes unterhielt sich Beravor oft mit Rovaldil, sie scherzten und lachten, und hin und wieder sangen sie gemeinsam ein Lied, die fröhlichsten Lieder, die sie kannten. Aber eines über ihren großen Sieg hatten sie noch nicht gedichtet, und die meisten Lieder der Dúnedain erzählten nur von Trauer und langen Niederlagen. Wenn sie dann genug gesungen und geredet hatten, gelacht und gescherzt, ritten sie in einträchtigem Schweigen nebeneinander; aber sooft Beravor sich auch im Lande umsah und die wenigen weißen Wolken oder das spärliche Grün beobachtete, so wanderte ihr Blick doch immer wieder zu Rovaldil zurück. Stolz und schön ritt er auf seinem dunklen Pferd, und sein Gesicht wurde von der Sonne beschienen und strahlte von einem unauslöschlichen Licht. Das war für Beravor die größte von allen Freuden. „Wenn dies ein Vorgeschmack auf das Glück ist, das uns erwartet, wenn wir gemeinsam durch die Länder unserer Heimat wandern, dann kann ich es kaum erwarten, dorthin zurückzukehren"; sagte sie einmal an Rovaldil gewandt. „Und doch verspüre ich nicht einmal den Wunsch, dass dieser Ritt aufhören möge."
„Auch mir ist es gleich, wohin wir noch reiten und wie lange", erwiderte Rovaldil. „Ich habe alles, was ich brauche, um glücklich zu sein." Danach gaben sie sich wieder für eine Weile dem stillen Genuss des Glückes hin, aber Beravor begann zu verstehen, dass zu ihrem vollendeten Glück noch etwas fehlte. Doch der rechte Zeitpunkt dafür war noch nicht gekommen.

Am frühen Abend des zweiten Tages nach der Schlacht am Schwarzen Tor erreichte der Heereszug wieder die Grenzen zum blühenden Land Ithiliens; aber sein Kommen hatte sich schon seit vielen Meilen angekündigt, denn nun drang sein herrlicher Duft nach süßen Blüten und frischem Grün tatsächlich bis zu Beravor. Als sie im Lichte der Abendsonne in die ersten Ausläufer der Wiesen und Wälder dieses Landes ritten, schien es Beravor, als sei das Land noch einmal schöner geworden und prächtiger und blühender, als es noch vor wenigen Tagen gewesen war. Alles, was damals schön und erfreuend gewesen war, war immer noch da, aber die langen und drohenden Schatten, das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden, all das war fort und durch Schönheit und Behaglichkeit ersetzt worden. Sie lagerten in der Nacht und auch den folgenden Nächten auf weichem Gras unter einem Dach von hellgrünen Blättern, und sie schliefen immer mit dem Duft der blühenden Blumen in der Nase ein. In diesen Tagen fiel alle Müdigkeit und Erschöpfung von Beravor ab, und die Erinnerung an die vielen Toten vor den Toren Mordors und die schreckliche Schlacht begannen zu verblassen. Wenn es möglich gewesen wäre, wäre die Stimmung des ganzen Heeres noch einmal besser geworden an diesem Abend und dem darauffolgenden Tag des Rittes, und die Gesänge wurden noch lauter und man hörte viele Gespräche und Gelächter. Einmal glaubte Beravor, einen Schatten über sich zu sehen, der die Wolken verdunkelte, und sie fragte sich schon besorgt, ob noch einer der Ringgeister überlebt hatte und ihnen nachstellte; aber der Schatten verging so schnell, wie er gekommen war, und hinterließ keine Spuren von Angst oder Kälte, und kein Schrei ertönte.

Nachdem ein weiterer Tag des Rittes in Freude und Fröhlichkeit vergangen war, bogen die Heerführer am darauffolgenden schließlich von der Straße nach Westen ab und folgten einem schmaleren und unbefestigten Pfad in die Wälder hinein, der nirgendwohin zu führen schien; zumindest nicht dorthin, wo Beravor geglaubt hatte, dass sie ziehen würden.
„Also reiten wir nicht auf dem geraden Weg zur Weißen Stadt zurück", stellte sie verwundert fest und wandte sich zu Rovaldil.
„Was mögen unsere Heerführer wohl vorhaben?", fragte Rovaldil. „Ich hatte geglaubt, wir gingen auf dem schnellstmöglichen Wege in die Hauptstadt von Gondor zurück, damit unser König endlich zu seinem Geburtsrecht kommt."
„Ich hoffe, wir werden es bald erfahren, warum wir diesen Umweg nehmen. Ich hatte gehofft, Istavor bald wiedersehen zu können." Sie ritten nachdenklich weiter, tiefer in die grünen Wälder Ithiliens hinein, jetzt entlang eines Baches, der genau dem Verlauf ihres Pfades folgte und, wie Beravor vermutete, bald in den Anduin münden würde. Doch mussten sie nicht lange auf die Lösung dieses Rätsels warten, denn noch am selben Abend, da sie von der Straße abgebogen waren, erreichte der schmale Pfad einen Hain von Buchen, durch den sie ritten und auf eine von hohem Gras bewachsene Lichtung kamen, die von roten Blumen in voller Blüte eingerahmt war, und der kleine Bach floss plätschernd mitten hindurch; sie folgten ihm und kamen an das Ende der kleinen Wiese, und dort standen gewaltige Bäume wie ein großes Tor, das sie nun ebenfalls durchquerten. Wieder folgten sie einem schmalen Pfad durch die jetzt immer höher und stattlicher werdenden Bäume, um dann auf eine noch herrlichere, weitere und grünere Wiese zu treten als die vorige; und diese war nicht mehr von Blumen gesäumt, sondern von riesigen Bäumen, die über und über bedeckt waren mit Scharen von goldenen Blüten, die warm im Lichte der untergehenden Sonne leuchteten. Die Lichtung war gewaltig, und an ihrem Ende sah Beravor einen glänzenden Fluss, den Anduin; und inmitten des Flusses war eine große Insel, von Bäumen bestanden, aus deren Mitte eine große Festung herausragte. Hier hielt das Heer, und Aragorn wandte sich zu ihnen und sprach mit lauter Stimme. „Wir sind nun zum Feld von Cormallen gekommen, wo wir eine Zeitlang lagern werden. Wir haben viel zu tun, denn hier soll ein großes Fest gefeiert werden, und hier werden wir diejenigen ehren, die uns alle aus dieser Düsternis befreit haben. Denn die Ringträger sind hierhergekommen, die den Einen Ring in die Feuer des Schicksalsberges geworfen und Sauron gestürzt haben, auch wenn ihr sie noch nicht gesehen habt, denn sie sind von den Flügeln des Windes getragen worden. Aber sie selbst sind noch nicht gerettet, und ich werde sogleich zu dem Ort gehen, da sie gelagert worden sind, um sie zu heilen. Ihr aber, folgt den Anweisungen der anderen Führer des Heeres. Es liegt noch Arbeit vor uns, auch wenn der größte Teil geschafft ist." Und mit diesen Worten wendete er sein Pferd und ritt davon. Zurück auf den Pfad, von dem sie gekommen waren.

Sogleich erhob sich leises Gemurmel im gesamten Heer, und alle fragten sich, wer die Ringträger sein mochten und wo sie jetzt waren, und sie wünschten zu sehen, wie verehrungswürdig und erhaben sie sein mochten; sie wollten ihnen danken und ihnen ihre Ehrerbietung und Dankbarkeit entgegenbringen. Aber dazu war die Zeit noch nicht gekommen. Beravor beteiligte sich nicht an den Gesprächen der anderen, sondern hing ihren eigenen Gedanken nach: Wenn ihre Vermutung stimmte, dass der Ring unter denen war, von denen Istavor erzählt hatte, dass sie von Bruchtal aufgebrochen waren, dann konnten es weder Aragorn noch der Zwerg oder der Elb gewesen sein, die ihn bei sich getragen hatten, denn diese waren, seit sie auf Aragorn getroffen waren, mit ihnen geritten. Auch Gandalf war bei ihnen gewesen, auch wenn sie ihn auf ihrem Rückweg nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Es blieben nur ein weiterer Mensch und vier Hobbits übrig; doch bei allem, was sie über die Halblinge, deren Länder zu schützen ihr Leben lang ihre Aufgabe gewesen war, wusste, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie das Vermögen gehabt hätten, bis nach Mordor zu gehen und den Ring zu vernichten. Es blieb noch der andere Mensch, der bei ihnen gewesen war, aber natürlich konnte er auch in der Zwischenzeit jemand anderem übergeben worden sein, der die Aufgabe dann vollendet hatte. Nun war auch Beravor gespannt, diese Helden zu sehen, die ihrer aller Leben gerettet hatten. Einstweilen jedoch musste sie noch warten, und nun ritt einer der Heerführer an die Spitze des wartenden Zuges. Sein Antlitz war schön, und er war es, der die Abzeichen von Dol Amroth trug, den Weißen Schwan. Neben ihm waren die Söhne Elronds, doch war er es, der sprach: „Morgen wird unsere Arbeit beginnen, aber heute werden wir nicht damit anfangen. Wir sind weit geritten, und die Zeit drängt nun nicht mehr. Viel wird es die nächsten Tage zu tun geben, doch sollten die Werke mit so vielen tüchtigen Männern schnell vorangehen und bald vollendet sein. Ruht Euch nun aus." Mit diesen Worten ritt er ans Ende der Lichtung, und die Reiterei folgte ihm ein Stück, ehe sich alle niederließen und sich im weichen Gras des großen Feldes lagerten. Beravor unterhielt sich nur noch kurz mit Rovaldil über den Fürsten, der zu ihnen gesprochen hatte und dessen Namen Rovaldil kannte: Es war tatsächlich der Fürst von Dol Amroth, der Imrahil hieß. Bald legte sich Rovaldil jedoch hin, und Beravor blieb noch einige Zeit wach und hing ihren eigenen Gedanken nach.

Die nächsten Tage waren zwar arbeitsreich, aber weniger anstrengend, als Beravor erwartet hatte. Von ihrem Lagerplatz war es nicht weit bis zur Festung von Cair Andros, die Beravor bereits gesehen hatte, als sie auf dem großen Feld eingetroffen waren: Sie war es, die auf der baumbewachsenen Insel im Anduin stand. Von dort kamen nun einige Mannen zu ihnen und brachten Verpflegung, und in den nächsten Tagen legten viele Schiffe an den Ufern des Anduin an, auf beiden Seiten der Insel und am Feld von Cormallen, beladen mit weiterer Nahrung und vielen anderen Dingen, die gebraucht wurden, Werkzeug und Tuch und Holz, denn niemand hätte es gewagt, die Bäume Ithiliens zu fällen, die Cormallen umstanden und deren Blütenduft sie Tag und Nacht begleitete. Mit den ersten Schiffen, die angelegt hatten, begann die große Arbeit, und viele konnten dafür nicht entbehrt werden, denn beinahe die Hälfte derer aus dem Heer des Westens, die die letzte Schlacht an den Grenzen des Schwarzen Landes überlebt hatten, war verwundet, und es brauchte viele Männer, die sich um sie kümmerten; und wieder andere wurden ausgeschickt, um Botschaften durch die Lande zu tragen; von wieder anderen erfuhr Beravor, dass sie im Schwarzen Land geblieben waren auf Aragorns Geheiß, um die letzten Festungen im Norden dieses abscheulichen Landes zu schleifen, sodass ihnen für die Arbeiten kaum mehr als fünfhundert Männer übrigblieben; aber auch diese Zahl war noch groß genug, denn es bedurfte keiner allzu großen Zahl an Händen, um das Feld von Cormallen noch schöner und lieblicher zu machen, als es ohnehin schon war. Doch halfen Beravor, Rovaldil und die anderen Dúnedain bereitwillig bei den Vorbereitungen für etwas, das ein großes Fest zu werden schien: Es wurden Zelte gebaut und aufgestellt, und überall wurden die Banner und Standarten von Gondor und Rohan und dem König, der zurückgekehrt war, aufgestellt, und die Rüstungen der Soldaten wurden gereinigt und ausgebessert, sodass bald überall ein Strahlen und Funkeln zu sehen war, wenn die neue Sonne auf sie fiel. Beravor legte Hand mit an, wo immer es nötig war, solange Rovaldil bei ihr war, dem sie nicht mehr von der Seite weichen wollte, und sie halfen beim Aufstellen vieler Zelte mit: Die meisten von ihnen schienen Unterkünfte für Hauptleute zu sein, mit bequemen Feldbetten und spärlicher Einrichtung; aber es waren auch Festzelte dabei, in die lange Tische und unzählige hölzerne Stühle gebracht wurden. Das erstaunlichste Werk in diesen Tagen aber war ein Hügel aus ausgestochenen Rasensoden, auf den drei Sitze gestellt wurden; und hinter den beiden äußeren wurden das Wahrzeichen von Dol Amroth und das der Mark gestellt, der mittlere aber war erhöht und wurde gekrönt vom Banner des Königs; dem Feldzeichen, das Halbarad den weiten Weg aus dem Norden mit sich getragen hatte.

Die Arbeit dauerte zwar viele Tage, aber niemand war in besonderer Eile oder drängt sie, schneller zu arbeiten. So hatten Beravor und Rovaldil in dieser Zeit auch viele Stunden der Ruhe, in denen sie keine Aufträge zu erfüllen hatten, und diese Stunden verbrachten sie zumeist gemeinsam, denn keiner von ihnen verspürte den Wunsch, sich vom anderen zu trennen nach all dem, was sie miteinander durchgemacht und überlebt hatten. Da sie keine Hauptleute oder Krieger von hohem Rang waren, hatten sie weder Zelt noch Bett, sondern hatten ihre Lagerstatt bei ihren Pferden unter freiem Himmel auf dem weichen Gras von Cormallen, aber das störte sie nicht im Geringsten, so schön war das Wetter. Sie hatten sich wie die meisten anderen Dúnedain am Rande des Feldes gelagert, schon unter dem Schatten der großen Bäume. Der Duft ihrer goldenen Blüten drang Tag und Nacht zu ihnen und erfüllte sie mit Freude. Die Waldläufer lachten gewöhnlich selten, aber jetzt war die Luft von ihren kräftigen und klaren Stimmen erfüllt, von Lachen und Liedern und glücklichen Unterhaltungen; auch Beravors höhere Stimme war immer wieder zu hören, denn sie unterhielt sich oft mit Rovaldil und gelegentlich auch mit den anderen Dúnedain, und auch ihr helles Lachen drang hin und wieder an die Ohren der anderen Menschen, die sich nicht selten über diese fremdartige Gesellschaft wunderten, wenn auch ihre Tatkraft bei ihnen jederzeit willkommen war. Doch wenn einmal einer der Dúnedain mit ihnen sprach, erkannten sie schnell, dass es edle Menschen waren, weise und tapfer, aus dem alten Geschlecht der Menschen von Númenor, das im Süden nur noch in wenigen Familien ungetrübt war, während es im Norden nach wie vor rein und kräftig durch die Adern aller floss.

Beravor unterhielt sich allerdings nur selten mit den Menschen des Südens, ob sie nun aus Gondor waren, groß und grauäugig und mit dunklen Haaren, oder aus Rohan, wo die Menschen kleiner waren, wenn auch nicht weniger schön anzusehen: Blond waren sie und hatten blaue, durchdringende Augen. Sie nutzte die Stunden der Muße, die ihnen oft zugestanden wurden, lieber dazu, mit Rovaldil zu reden oder durch die Wälder Ithiliens zu wandern, denn wenn sie bei ihm war, spürte sie, wie das Saatkorn in ihrem Herzen stärker wurde und die Pflanze, die daraus wuchs, kräftiger. Jeden Tag wanderten sie ein wenig weiter weg von dem Lager des Heeres, tiefer hinein in die geheimnisvollen und dunklen Wälder Ithiliens. Beravor wusste nicht, wann sie das letzte Mal so viel gelacht und gesungen hatte, aber nun konnte sie kaum mehr damit aufhören, wenn sie bei Rovaldil war; und gemeinsam gingen sie unter den Schatten der gewaltigen Bäume und blickten hinauf in das grüne Dach ihrer Blätter; die Lichtstrahlen, die durch sie hindurch bis auf die Erde fielen, erwärmten ihnen das Herz und füllten ihren Geist mit Licht. Beravor musste zwar immer wieder an Halbarad denken, als sie so glücklich durch die Wälder wanderte, denn er konnte nicht mehr bei ihr sein und war auf immer aus den Kreisen der Welt entschwunden, aber ihre Freude wurde dadurch selten getrübt. Einmal redete sie mit Rovaldil darüber, als sie gerade unter einem großen Baum saßen und eine kleine Mahlzeit zu sich nahmen, und Rovaldil sprach tröstende Worte zu ihr und nahm ihre Hand, und so verschwand auch dieser Schatten von ihrem Herzen. Doch noch hatte sie das Gefühl, dass ihr Glück noch nicht vollkommen war, auch wenn sie den Grund dafür nicht erraten konnte. „Gewiss vermisse ich Istavor, die immer noch auf unsere Rückkehr warten muss und sich vielleicht in Sorge verzehrt. Bald werde ich bei ihr sein, und dann ist alles gut." Doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass dies nicht der Grund war.

Bald war bereits eine glückliche, wenn auch arbeitsreiche Woche seit ihrer Ankunft bei Cormallen vergangen. Auch an diesem Tag war wieder bis zum späten Nachmittag gearbeitet worden, aber sobald das meiste für den heutigen Tag vollbracht zu sein schien, verließen Beravor und Rovaldil das Feld und schlugen sich erneut in die Wälder zu einer ausgedehnteren Wanderung durch den Frühling Ithiliens. Kaum waren ihre Schritte zu hören auf dem weichen, grünen Gras, das wie ein sanft wogender Teppich unter den hohen Bäumen und kleinen Büschen ausgebreitet war, deren frische Triebe von einem Frühling zu künden schienen, der niemals enden wollte. Sie hörten das leise Plätschern kleiner Bäche, die außerhalb ihres Blickfeldes im Zwielicht des frühen Aprilabends durch ihr weiches Bett flossen, denn sonst war kaum etwas zu hören außer hin und wieder dem Ruf eines Vogels oder der leisen Ahnung eines Liedes, das auf dem Feld von Cormallen von den fröhlichen Männern nach getaner Arbeit gesungen wurde. Beravor und Rovaldil hingegen redeten nicht miteinander, denn sie hatten einander nichts zu sagen, das der andere nicht schon wusste; sie hatten sich in den letzten Tagen oft miteinander unterhalten und genossen es jetzt einfach, in dem Frieden und der Schönheit Ithiliens zu wandeln und sich an diesem Ort und aneinander zu erfreuen. Sie gingen zunächst in südliche Richtung außer Sichtweite des Anduin, ehe sie in östliche Richtung zum Großen Strom hin abbogen. Auch der Fluss beschrieb hier einen kleinen Bogen in dieselbe Richtung, und als sie am Ufer ankamen, konnten sie deutlich in einiger Entfernung die Burg von Cair Andros erkennen, die sich als ein erhabener Schatten gegen den bereits dunklen und von Sternen erfüllten Himmel abhob. Viele kleine Lichter waren dort zu erkennen von Fackeln und Lagerfeuern, aber nichts war aus dieser Entfernung mehr zu hören von dem fröhlichen Treiben auf der Veste und dem Feld, das sie ebenfalls ein wenig einsehen konnten. Sie waren allein am stillen Ufer des gewaltigen Flusses, in dessen kleinen, sich kräuselnden Wällen das silberne Licht der zahllosen Sterne, die am wolkenfreien Himmel schienen, widergespiegelt wurde, sodass sie fast meinten, vor ihnen flösse ein weiterer, kleinerer Himmel dahin. Eine große Eiche stand dort am Ufer, alt und mit zerfurchter Rinde, doch überall sprossen aus den knotigen Ästen neue Blätter von blassem Grün hervor, die im Abendlicht sanft zu leuchten schienen. Ihre Wurzeln reichten bis in das flache Ufer des Flusses hinein, wo sie sich zwischen kleinen Steinen in den weichen Boden gruben, der noch mit den Blättern des vergangenen Herbstes bedeckt war, die jetzt langsam im Wasser des Anduin zu brauner Erde wurden.

Unter diesen Baum setzten sich Beravor und Rovaldil und aßen von dem Proviant, den sie in einer kleinen Tasche von Cormallen mitgebracht hatten. Es war ein Abend, wie man ihn sich schöner nicht hätte vorstellen können, denn die Luft war noch warm wie an einem lauen Sommertag, und es wehte kein Wind; und kein Geräusch drang zu ihren Ohren. Doch sie redeten nicht miteinander, und es schien Rovaldil, dass Beravor von irgendetwas betrübt wurde. Sie blickte die ganze Zeit, während sie aßen, ins dunkle Wasser vor ihnen, als denke sie über irgendetwas nach. Schließlich fasste Rovaldil Mut und sprach sie an. Er vermutete, dass sie wieder an Halbarad denken musste, dass er in diesen Tagen des Friedens, der Schönheit und des Glücks nicht bei ihnen sein konnte, sondern sein Leben viel zu früh in den Schrecken der Schlachten gegen den Dunklen Herrscher, der nicht mehr war, verloren hatte, und nie hatte sehen können, was er zu gewinnen geholfen hatte. Doch als er das sagte, schüttelte Beravor den Kopf. „Das ist es nicht", sagte sie seufzend, „auch wenn ich gestehe, dass ich immer noch von Zeit zu Zeit an ihn denken muss, so groß unsere Freude hier auch sein mag. Aber etwas anderes liegt mir auf dem Herzen, das ich schon lange mit mir trage und doch noch nicht zu erkennen vermag."
„Vielleicht wirst du es noch erkennen, und ich hoffe es sehr: Nichts betrübt mich mehr, als zu sehen, wie alle anderen glücklich sind, du aber von irgendeiner Sorge bedrückt wirst. Ich wünschte, du könntest auch glücklich sein."„Das wünschte ich auch", sagte Beravor, und dann sah sie Rovaldil an, eine lange Zeit, wie es ihr schien, auch wenn sie nicht sagen konnte, ob es das wirklich gewesen war; und Rovaldil wandte seinen Blick nicht ab, sondern erwiderte ihn. Sie sah in sein Gesicht, das von Sorge und Mitleid erfüllt war, jung und edel und schön; sie sah in seine grauen Augen, die sie unverwandt anzublicken und in ihre Seele zu sehen schienen, das dunkle Haar, das das Gesicht einzurahmen schien wie ein dunkler Himmel eine strahlende Sonne. Und plötzlich erkannte sie, was sie schon seit vielen Tagen in ihrem Herzen getragen hatte, und es war ihr nicht länger verborgen, und sie wusste endlich, was ihr zu ihrem Glück noch fehlte, und nun, da sie es erkannt hatte, war es über jeglichen Zweifel erhaben und so sicher wie keine andere Wahrheit der Erde. Sie überlegte noch kurz, ob sie wirklich aussprechen sollte, was sie soeben erkannt hatte, doch in Wahrheit hatte sie ihren Entschluss bereits gefasst.„Jetzt weiß ich, was mich glücklich machen würde", sagte Beravor schließlich leise, fast schüchtern, und sie zögerte, weiterzureden und zu sagen, was sie dachte. „Aber dafür brauche ich dich."
„Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht", sagte Rovaldil, ohne seinen sorgenvollen Blick von Beravor abzuwenden.
„Sag das nicht, ehe du nicht weißt, was ich von dir verlange", sagte Beravor. „Denn ich liebe dich."

Zuerst sagte Rovaldil nichts, und Beravor befürchtete fast, sich in seinen Augen lächerlich gemacht zu haben, aber dann fing er an zu lachen und sagte: „Du weißt gar nicht, was für eine geringe Sache du von mir forderst, denn ich fühle genauso wie du. Und nun, da du es gesagt hast, weiß ich auch, dass es wahr ist. Auch ich liebe dich, Beravor." Nun lächelte auch Beravor und war glücklich und froh. Sie setzte sich dichter neben Rovaldil und nahm seine Hand.
„Wie lange es doch gebraucht hat, bis mein Verstand zu der Erkenntnis gekommen ist, um die mein Herz schon so lange wusste. Denn wenn ich jetzt zurückblicke, glaube ich, dass ich dich schon geliebt habe, als ich dich das erste Mal auf unserer Wanderung sah, und dass du schon immer mehr für mich warst als ein Freund."
„So mag es im Nachhinein oft erscheinen", sagte Rovaldil, „und auch ich habe jetzt das Gefühl, dich schon immer geliebt zu haben. Kaum kann ich mir eine Zeit vorstellen, da du nicht in meinem Herzen warst und in meinen Gedanken. Und umso mehr freut es mich, dich jetzt zu sehen, dass du glücklich bist und wir nicht länger unter dem Schatten leiden müssen."
„Ja", sagte Beravor, „es ist ein großes Glück, dass unsere Liebe gerade zu einer Zeit entstehen durfte, da die große Dunkelheit dahingegangen ist, und wir nicht länger in Sorge und Angst leben müssen, wie die Waldläufer es seit vielen Jahrhunderten getan haben. Die Welt ist so schön wie lange nicht mehr, und um uns ist der blühendste Frühling, den Mittelerde seit vielen Menschenaltern gesehen hat, genauso blühend wie der Frühling in meinem Herzen." Noch bis tief in die Nacht hinein blieben sie unter den Blättern des Baumes am Ufer des Flusses sitzen und sprachen miteinander, und in dieser Zeit glaubten sie, die glücklichsten Wesen der ganzen Erde zu sein. In diesen Stunden vergaß Beravor ihre Gedanken an Istavor und auch ihre Trauer um Halbarad vollständig, und später erinnerte sie sich oft dieses Tages und besonders dieser Nacht als eines der größten Wendepunkte in ihrem Leben: Weit größer noch als der Tod ihrer Eltern oder der Halbarads, sogar noch größer als ihr unerwarteter Sieg am Schwarzen Tor und dem Dahingehen des Schattens, der auf einem ganzen Zeitalter gelegen hatte; denn in dieser Stunde ging der Schatten ihres Herzens endgültig dahin, und nie wieder kehrte er zurück. Sie blieben die ganze Nacht an diesem Ort, von keinem Wesen gesehen außer einigen wenigen Tieren der Dunkelheit und des Zwielichts, die sie sahen, wie sie nebeneinander in ihrem Glück saßen. Irgendwann mussten sie eingeschlafen sein, Seite an Seite auf dem warmen und weichen Gras zwischen den harten Wurzeln des alten Baumes, denn als Beravor die Augen aufschlug, schien die Sonne auf den Anduin, und die Zweige über ihr waren von Licht und Gesang erfüllt. Dunst stieg auf aus dem Tal des Großen Stromes, und auch Beravors Umhang war ein wenig feucht vom Frühlingstau. Sie weckte Rovaldil, und gemeinsam saßen sie noch einmal für kurze Zeit und freuten sich über den Sonnenaufgang, ehe sie sich zurück zum Lager aufmachten.

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Fuinang: „Nachteisen" aus fuin (Nacht, Dunkelheit) und ang (Eisen)

Aegrod: „Scharfer Stahl" aus aeg (spitz, scharf) und raud (Stahl)

Der Weg der Grauen ScharWo Geschichten leben. Entdecke jetzt