9. Kapitel - Rast am Bruinen

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Hallo, hier sind wir mal wieder mit einem kleinen Kapitel. Es tut uns – mal wieder – wahnsinnig leid, dass ihr so lange warten musstet.


Wir wünschen viel Spaß beim Lesen trotz oder wegen des langen Wartens!

***

9. Kapitel – Rast am Bruinen

Die Nacht war kühl und der Himmel war wolkenfrei, als Beravor aufwachte. Ein Geräusch hatte sie aus ihrem traumlosen Schlaf geweckt. In der Dunkelheit zeichnete sich das Nebelgebirge bedrohlich vor dem dunkelblauen Himmel ab. Die schneebedeckten Gipfel schienen über das Versagen der Waldläufer zu lachen. Ihr wollt Dúnedain sein? Die Nachfahren der großen Könige von Einst? Seht, wie einfach es ist, euch zu besiegen!

Die Verzweiflung war im ganzen Lager zu fühlen, die Luft roch danach, das Wasser schmeckte wie eine bittere Vorahnung übler Wendungen. Die Blätter der Bäume und das Rauschen des Bruinen schienen zu flüstern. Ihr werdet zu spät sein. Wenn ihr in Rohan seid, wird Aragorn bereits tot im Staub liegen!

Obwohl es mitten in der Nacht war, beschloss Beravor, aufzustehen. Bei all ihren düsteren Gedanken schien ein Weiterschlafen ohnehin nicht möglich. Sie nahm Bogen, Köcher und Schwert und begab sich an das Ufer des Bruinen, des Flusses, der zurück nach Bruchtal führte, zurück zu jenem Tal voller Frieden und Harmonie, aus dem Beravor sich nun wünschte, nie weggegangen zu sein. Wie verlockend waren ihr doch früher Abenteuer erschienen! Welche Aussichten hatte es nicht gegeben auf ein ruhmreiches Leben! Doch nun schien ihr weder das Abenteuer reizvoll, noch das ruhmreiche Leben wünschenswert. Zu sehr war es mit Leid verbunden, mit Niederlage und Schmerz.

Mit einem Mal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass es, sollten sie scheitern, niemals einen Menschen geben würde, der sie rettete, so wie es Halbarad getan hatte. Ihr wurde bewusst, dass diese Wanderung wahrscheinlich ihre letzte war, und dass der Tod sich nicht abwenden lassen würde. Denn in Wahrheit, anders als in jenen Geschichten, die man den Kindern und sich einander am Feuer erzählte, ging nicht jedes Abenteuer gut aus, auch wenn es Beravor bis zum jetzigen Zeitpunkt geglaubt hatte. Würde sie jetzt versagen, würden die Dúnedain jetzt versagen, dann wäre es vorbei.

Der Mond ließ das Wasser des Bruinen silbern glitzern, die kleinen Wellen des ansonsten beinahe blank dahinfließenden, trägen Flusses spiegelten den traurigen Glanz der Frucht des silbernen Baumes wieder, Telperions, der von der dunklen Macht Morgoth Bauglirs vor langer Zeit zerstört worden war. Es erschien Beravor wie eine Botschaft, dass das Dunkel letztendlich immer die Oberhand hatte und schließlich zerstörte, was das Gute geschaffen hatte.

Beravor betrachtete das leise plätschernde, flüsternde Wasser. Im Mondesschein konnte sie ihr eigenes Gesicht verschwommen auf der Oberfläche betrachten, wie ein letztes Überbleibsel einer glorreichen Zeit in einem unendlichen Nichts aus Trauer, Verzweiflung und Dunkelheit. Ein rotes Schimmern schien vom Grund des Flusses zur Wasseroberfläche heraufzusteigen, wie ein Auge. Wie das lidlose, von Flammen umrandete Auge des Feindes. Mit einem Mal glaubte Beravor tatsächlich, Ihn zu sehen, sie meinte zu spüren, wie er ihre Gedanken las und all ihre närrische Hoffnung verhöhnte. Beravor kniff die Augen zu. Als sie sie wieder öffnete, war das rötliche Schimmern im Fluss verschwunden.

Ein leiser Windhauch spielte mit ihren blonden Haaren, wehte sie ihr ins Gesicht und brachte den frühen Gesang einiger kleiner Vögel mit sich, der Beravor sagte, dass bald die Dämmerung hereinbrechen würde. Doch was brauchten sie eine Dämmerung, wenn das Dunkel bald die ganze Welt umhüllen würde? Könnte das Dunkel nicht jetzt schon heraufziehen und sie von dieser irrsinnigen Fahrt erlösen?

Doch es wurde wirklich heller, sofern man das ferne Schimmern des Himmels über den Nebelbergen als Helligkeit beschreiben konnte. Die Nebelberge aber legten weiterhin Schatten über das Lager der Waldläufer. Doch die Vögel schienen noch Hoffnung und Lebenslust zu verspüren, sie begannen fröhlich zu zwitschern, wenn auch leise ob ihrer winterlich geringen Anzahl.

Beravor wandte endlich den Blick vom silbernen Wasser des Bruinen ab. Der Anblick stimmte sie nur wehmütig, das beständige Fließen des Wassers führte ihr deutlich ihre Sterblichkeit vor Augen, führte ihr vor Augen, dass alles, was die Menschen schufen, vergänglich war. Das ertrug sie nicht länger.

Sie schulterte Bogen und Köcher und las das Schwert vom feuchten Ufer auf, dann begab sie sich zurück in das Lager.

Einige Dúnedain waren bereits erwacht, doch die Niederlage des vergangenen Tages sah man ihnen deutlich an. Sie schienen hoffnungslos, mutlos. Einige trugen Spuren des Kampfes in Gesicht, an Armen und Beinen. Alle schienen müde und kraftlos, der Sonnenaufgang schien sie zu verhöhnen, das Singen der Vögel zauberte kein Lächeln auf ihre Gesichter. Kaum einer sprach, alle hingen ihren trübsinnigen Gedanken nach.

Das Land erschien Beravor noch karger als am Tag zuvor, das karge Grün noch blasser, die Luft kälter und beißender, die Aufgabe vor ihr nicht zu bewältigen. Wollten sie auf Aragorn treffen, müssten sie den Isen durchqueren und kämen so nah an dem Verräter Saruman vorbei, ein kaum zu bewältigendes Unterfangen.

Elladan und Elrohir waren schon lange erwacht. Sie hatten sich leise auf Sindarin über den weiteren Verlauf ihrer Reise unterhalten, denn für sie bestand noch Hoffnung. Sie wollten sich nicht von den Bergen in die Knie zwingen lassen, es galt, ihrem Ziehbruder Estel zu helfen. Sie beide waren sich der Tatsache bewusst, dass Saruman an der Grenze zu Rohan eine große Gefahr darstellte.

Die Elbenbrüder verließen das kleine Zelt und gesellten sich zu den bereits aufgestandenen Dúnedain. Der Tag verhieß schöner zu werden als der vorangegangene, die Luft war klar und rein, doch die Dúnedain schienen niedergeschlagen zu sein. Elladan und Elrohir bemühten sich um tröstende Worte und erreichten mit ihren elbischen Worten die Gemüter einiger Waldläufer, auf dass diese sich wieder ihres Lebens erfreuten und die Hoffnung nicht verlören.

Beravor sah, wie die Zwillinge mit ihren schwebenden Schritten das Lager durchquerten. Ihnen schien die gestrige Niederlage kaum etwas auszumachen, sie sprühten nach wie vor vor Energie und Lebenslust. Beravor beneidete die Elben um ihren Frohsinn und ihre Zuversicht, doch sah sie ebenfalls, dass diejenigen, die mit den beiden Elben in Kontakt kamen, danach froher wirkten. Schließlich erreichten die Brüder Beravor. Einer von ihnen ergriff das Wort. „Seid nicht betrübt, junge Waldläuferin. Verliert nicht die Hoffnung! Hoffnung gibt es immer, solange es jemanden gibt, der für die Freien Völker Mittelerdes kämpft. Ihr solltet nicht verzweifeln, sondern stolzen Hauptes der Rettung oder dem Untergang der Welt entgegen gehen. Kämpft für das, was Euch wichtig scheint, und ihr kämpft für unsere Welt und unser Fortbestehen. Kämpft und vollbringt ein Ende, an das sich jeder erinnern wird!" Beravor senkte den Kopf. Die Worte des Elben hatten sie tief ins Herz getroffen. Leise sagte sie: „Onnodhir i-estel ammen." Die beiden Elben lächelten leicht und antworteten: „U-chebim estel men." Dann setzten sie leichtfüßig ihren Weg durch das Lager fort. Beravor sah ihnen nachdenklich, doch nicht mehr so niedergeschlagen, nach.

Nach und nach erwachte das Lager der Waldläufer zum Leben. Fahle Schimmer der Morgensonne drangen über die weißen Spitzen der Nebelberge, jenes unüberwindbaren Gebirgsmassivs, das dafür gesorgt hatte, dass nun die Hoffnung der Grauen Schar schwand.

Dank den wärmenden Strahlen der Sonne wich die Kälte der Nacht langsam aus Beravor, und mit dem Licht kehrte auch ein wenig ihrer Hoffnung zurück, die beinahe schon von den verzerrenden Gedanken der Dunkelheit zunichte gemacht worden war. Beravor fürchtete den Tod, aber die Dunkelheit fürchtete sie mehr. Sie wollte nicht aufgeben, und ihr Geist wehrte sich beinahe trotzig gegen die Vernunft, die ihr sagte, dass es bald zu Ende sein würde.

Istavor trat ihr entgegen, und Beravor begrüßte sie mit der Frage, wie sie geschlafen habe. „Ich schlief kaum, und wenn, dann sah ich im Traum Feuer und Eis, und den verzehrenden Blick des Dunklen Herrschers." Beravor konnte ihre Freundin verstehen. Noch mehr als sie musste sie von der Verzweiflung, die im Lager herrschte, betroffen sein. Ihr ganzes Leben hatte Istavor in Bruchtal verbracht, einem Ort fernab von Nöten und Niederlagen.
„Ich fürchte", sagte Istavor, „dass wir von dieser Reise nicht zurückkehren werden. Dennoch verlangt es mich, in diesen Krieg zu ziehen, denn wenn das Ende sich schon nicht vermeiden lässt, so will ich doch alles geben, was ich kann, um es zum Guten zu wenden, anstatt mich zu verstecken wie eine Ratte in einem der letzten Fluchtorte dieser Welt und zuzusehen, wie alles um mich herum zerstört wird und die Welt, die ich kenne, sich verwandelt in eine grausame Wüste voller Staub und mordenden Orks."
Beravor musste sich eingestehen, dass sie den Mut dieser jungen Frau bewunderte, trotz ihrer geringen Erfahrung so standhaft in Geist und Körper zu bleiben und die Verzweiflung nicht ihr Herz übermannen zu lassen.
Auf einmal hörte Beravor die Stimme Halbarads: „Wir brechen auf, sobald die Pferde beladen sind. Nutzt nun die Gelegenheit für eine kurze Mahlzeit, denn wir müssen rasch weiterziehen, wenn wir noch zur rechten Zeit Aragorn zur Hilfe eilen möchten. Deshalb: Eilt euch, denn wenn wir es nicht tun, so wird jede Hilfe für unseren König zu spät sein." Dann ging Halbarad zu den beiden Elbenbrüdern hinüber. Da Beravor hoffte, etwas Wichtiges zu erfahren, folgte sie Halbarad von Istavor begleitet.
In einem Abstand, der zwar groß genug war, um nicht aufdringlich zu wirken, aber klein genug, um das Gespräch noch verfolgen zu können, blieb Beravor stehen. Halbarad und die Söhne Elronds sprachen leise miteinander, doch sprachen sie Sindarin, sodass Beravor vereinzelte Wörter nicht verstand. Doch Istavor sprach fließend die wohltönende Sprache der Grauelben und übersetzte Beravor alles, was diese nicht verstand.

„Sie sagen", begann Istavor, „dass wir die Furten des Isen überqueren müssen. Wir müssen heute noch die Mündung des Bruinen in den Mitheithel erreichen, um rechtzeitig zu Aragorn zu gelangen. Dann müssen wir an der Nîn-in-Eliph möglichst schnell den Glanduin überqueren und uns dann wieder näher an das Nebelgebirge halten müssen, damit wir keinen zu großen Umweg machen. Dann treffen wir auf die Nord-Süd-Straße und hoffen, unbemerkt an Isengart vorbeizukommen. Am jenseitigen Ufer des Isen beginnt das Königreich Rohan."

Beravor versuchte, sich den Weg vorzustellen. Er schien ihr gefahrvoll und lang, doch war er zu bewältigen.

Wenig später rief Elladan (oder Elrohir) zum Aufbruch. Die Waldläufer waren bereit und bald tönte das Geräusch von Pferdehufen über die Ebene und vermischte sich mit dem ewigen Rauschen des Wassers des Bruinen.

***

„Onnodhir i-estel ammen." - „Ihr schenkt uns Hoffnung."

„U-chebim estel men." - „Wir behalten keine Hoffnung für uns."

***

So, ein zuerst hoffnungsloses und dann hoffnungsvolles Kapitel ist zu Ende. Wir hoffen, dass es euch gefallen hat. Wir hoffen natürlich, das nächste Kapitel schnell hochladen zu können. Eine gute Nachricht: Im Groben ist es fast fertig!

Bis dahin
Annaeru & Taudir

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Der Weg der Grauen ScharWo Geschichten leben. Entdecke jetzt