Die Strahlen der Sonne hatten sich mittlerweile etwas besser durch die dichten Wolken durchkämpfen können. Jedoch färbten sie den Himmel in ein merkwürdiges Violet und du schließt, dass sie bald untergehen würde. Du hattest tatsächlich länger geschlafen, als du es eigentlich hast wollen. Das Ergebnis waren zur Krönung schmerzende Erinnerungen, Kopfschmerzen und ein noch schlimmeres Gefühl der Müdigkeit als davor.
Es gab keinen besseren Moment, sich nach einem verrückten Schurken, der einen umbringen will, auf die Suche zu begeben als jetzt.
Du hattest das Apartment hinter dir gelassen und warst schweren Herzens aus der Wärme in die bittere Kälte geschritten. Der Schneesturm tobte noch immer und zerrte unangenehm an deinen Wangen. Du hattest einen dickeren Mantel von der Frau, von der du vermutest, ihr Name sei Terra, mitgehen lassen. Es wäre der reinste Wahnsinn gewesen, ohne etwas Dickeres in so einen Sturm nach einem Mörder zu suchen, der dich beim ersten Blickkontakt abmurksen wird. Wundervoll.
Du ziehst die Kapuze deines Hoodies, die aus der Jacke herausragte, über deinen Kopf und kuschelst dein Gesicht tiefer in den Schal. Ein weiteres Mitbringsel aus dem Haus. Du hattest schlecht eine andere Wahl. Im Nachhinein tat es dir etwas leid, Terra so schamlos ausgeraubt zu haben, nachdem du sie gerettet hattest und sie dir genug vertraut, hatte in ihrem Apartment allein zu bleiben, aber nochmal:
Dir bleib keine andere Wahl.
Du ziehst tief den Geruch des Stoffes ein. Er roch angenehm nach frisch gewaschener Wäsche und Blüten. Die Franzen der Baumwolle kitzelten dich in der Nase.
Mit dem Aufzug sahst du nicht mehr so aus, wie auf den Fahndungsbildern. Man müsste dir, wenn dann direkt in dein Gesicht sehen müssen, was mit deiner Verhüllung geradezu unmöglich war. Vermutlich würde selbst Dabi dich nicht erkennen.
Aber auch nur vermutlich.'Der Kauz ist komisch und unberechenbar...'
Deine Augen waren nach vorne geheftet und du versuchst durch die dichten Schneeflocken zu sehen und nicht zu stürzen. Kein Scheiß. Es war tatsächlich glatt, wer hätte das gedacht...
Dich hier mit deiner Spezialität wäre ein Heiden Spaß gewesen. So einfach, aber dennoch auch dein sicherer Tod. Du warst auch nicht überrascht auf wenige Menschen zu treffen. Selbst, wenn es nicht so spät war, blieben alle normalen Menschen bei so einem Wetter zuhause und hielten sich warm.'Wie kann dieser verfluchte Sturm nur so heftig sein? Die Wolken haben sich verglichen mit vor ein paar Stunden verzogen...'
Dein Blick wanderte nach oben zum Himmel. Zu den teilweise noch ziemlich dunklen Wolken. Bedrohlich und gigantisch. Stellenweise brach etwas Sonnenlicht hindurch. Es sah aus, als wäre es das Ende der Welt.
Du zitterst am ganzen Körper. Dir war unglaublich kalt. Trotz des dicken Mantels. Hättest du ihn nicht mitgenommen, wärst du vermutlich nach den ersten fünf Minuten schon bewusstlos geworden und auf offener Straße erfroren.
'Diese verdammte Spezialität...'
Du spürt nichts als bloße Verachtung für diese 'Gabe', die man dir bei deiner Geburt in die Wiege gelegen hat. Genauso für die beiden Menschen, die dich an erste Stelle auf diese Welt gesetzt hatten. Sie wollten dir nicht helfen dieses Chaos zu kontrollieren. Sie hatten ihre einzige Tochter mit ihrem Todesurteil allein gelassen und sie auf mehrere Arten mehr als unangenehm zurückgewiesen.
Du beißt dir auf deine Lippe, als du spürst, dass sich deine Augen mit heißen Tränen füllten. Du wolltest nicht um sie weinen. Um die verlorene Zeit, die gewesen hätte sein können, wenn sie dich tatsächlich geliebt hätten.
Du konntest einen metallischen Geschmack schmecken, als du den Schmerzen an deiner Lippe immer mehr zunehmen spürst.'Reiß dich zusammen, Y/N!'
Mit der Entschlossenheit Dabi zu finden, stampfst du weiter durch den Schnee und die kleine Vorstadt, in der es dich letzte Nacht verschlagen hatte. Um dich herum konntest du die vielen kleinen Lichter der Häuser wahrnehmen.
'Ob ich bei einem dieser Häuser nach einem Unterschlupf suchen kann? Nur für ein paar Minuten...'
Die Versuchung an dem nächsten Haus zu klingeln war groß. So groß, aber du schüttelst den Gedanken so schnell wie er gekommen war wieder ab. Sie würden dein Gesicht sehen können und bei deinem Glück würden sie direkt erkennen, dass du eine gesuchte Verbrecherin warst.
Dein Körper fühlte sich mittlerweile absolut taub an, aber dann war da doch immer wieder ein schmerzhaftes Stechen. Ein vertrautes Gefühl, dass die Unterkühlung immer weiter fortschreitet und du nicht mehr lange durchhalten konntest. Es war ein absolutes Selbstmordkommando gewesen für dich bei so einem Wetter herauszugehen, aber weshalb hattest du es dennoch getan? Was brachte dich dazu so ehrgeizig nach ihm zu suchen? All das unter Einsatz deines eigenen Lebens? Für Dabi? Wirklich?
Du erinnerst dich an sein Gesicht und an den Moment, als du neben ihm in einem Bett aufgewacht warst. Er hatte seine Hand auf deinem Bauch gelegt. Es fühlte sich so angenehm warm an und als würdest du dort hingehören. Warum fühlte sich das so an? Er war so vertraut.
Du erinnerst dich, dass Dabi dich bereits schon kurz vor deinem Tod aufgelesen hatte und gerettet hatte. Vielleicht würde er dich auch ein weiteres Mal finden.'Würde er mich dann wirklich retten, oder wie er es versprochen hatte, einfach töten?'
Es überraschte dich ein wenig, wie gleichgültig die Tatsache war, dass er dich höchstwahrscheinlich eher töten würde. Warum war es dir plötzlich egal, wenn du durch seine Hand sterben würdest, aber alles andere wäre inakzeptabel?
Du warst die ganze Zeit so in Gedanken versunken gewesen, dass du nicht realisiert hattest, wo du entlanggelaufen warst. Du standst an einer kleinen Seitengasse, die zugestellt mit Müllcontainern war, aus denen die Säcke und andere Müll herausquollen.
Du beschließt diese Gasse als einen kleinen Haltepunkt zu nehmen. Es war nur für einen Moment. Du musst dich beruhigen. Es fühlte sich an, als würde dein Herz gegen eine eiserne Mauer hämmern.Langsam rutschst du die Backsteinmauer hinunter und rollst dich zusammen. Auf diese Weise könntest du vielleicht das bisschen Körperwärme, dass du noch in dir hattest, bewahren.
Du hoffst darauf, dass Dabi dich findet, denn er war ebenfalls auf der Suche nach dir. Das konntest du aus seinem Gesichtsausdruck alleine herauslesen.
'Er wird mich finden...ganz bestimmt...'
Du klammerst dich hilflos an diesen einen Gedanken. Zum ersten Mal seit unglaublich langer Zeit, vermisst du es jemanden an deiner Seite nicht bei dir zu haben. Ja, es machte dich traurig.
'Ich werde dafür sorgen, dass dir nichts passiert. Koste es, was es wolle.'
Die Stimme des Jungen von damals hallte in deinem Kopf. Warum ausgerechnet jetzt? War das der Moment, den jeder beschreibt, dass kurz vor seinem Tod alle Erinnerungen wie ein Film an einem vorbeispielen? Würdest du jetzt hier wirklich sterben? Ohne ihn noch einmal gesehen zu haben?
"Der Junge...was war sein Name noch mal...", murmelst du leise vor dich hin und schließt langsam die Augen.
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Twin Flames
FanfictionDu lebst seit einiger Zeit von deinen Eltern getrennt. Wenn auch nicht wirklich gewollt. Sie haben dich im frühen Alter aufgegeben und in ein Heim verwiesen, aus dem du später ausgebrochen bist. Zuflucht hast du in einer verlassenen Fabrik gefunden...