14. Kapitel

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Die Zeit nach dem Unfall war schlimm.
Nach einer Woche Intensivstation mit Überwachung, brachten sie mich auf ein normales Zimmer. Dort bekam ich viele Stunden Physio Therapie.

Mein Knie wurde operiert, so wie ich das verstanden hatte, war so ziemlich alles kaputt was da drin war. In wie weit ich wieder vollständig gesund wurde, konnte mir noch keiner sagen. Stundenlang lag ich mit offenen Augen da und starrte die Decke an. Immer wieder flammten die Bilder von den Unfall auf.
Alle Sprachen von Glück, dass ich den Sturz überhaupt überlebt hatte. Ich empfand nur Schmerz.
Meine Fortschritte blieben auf einen Stand. Ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Sie trösten mich, dass der Bluterguss im Rücken abklingen musste. Ich merkte aber an der Art wie die Ärzte mich ansahen, dass sie sich selbst sorgten. Ich schwebte in einen unrealistischen Zustand. Die Schmerzmittel setzten meinen Körper zu. Schlagartig nahm ich einige Kilos ab, mein Kopf fühlte sich Taub und leer an. Niemand konnte mich aufheitern.
Meine Eltern besuchten mich jeden Tag. Papa musste nach einer Woche wieder auf Geschäftsreise. Angeblich war etwas in der Firma. Insgeheim dachte ich, dass er es leid war seine Tochter so zusehen. Ich schaffte es noch nicht einmal ein Glas Wasser in der Hand zuhalten, ohne es kraftlos zu verschütten.
Opa versuchte regelmäßig in das Krankenhaus zukommen. Man merkte ihn an, dass es für ihn sehr schwer war. Gezwungen redeten wir, es fühlte sich falsch und aufgesetzt an. Ich konnte jedesmal aufatmen wenn er das Zimmer verließ.
Isis rauschte wie ein kleiner Wirbelwind in mein Zimmer. Jeden Tag kam sie vorbei. Insgeheim waren die Ärzte sicherlich schon genervt von meiner besten Freundin.
Sie erzählte, dass Jan immer noch so schlechte Laune hatte und das ein Gerücht auf den Hof war. Angeblich hatte er einen 2 jährigen Sohn und wusste bis jetzt nichts davon.
Michelle hatte Skipper, den kleinen Wallach, tatsächlich gekauft. Sie kam aber nicht so gut mit ihn zurecht.
So hatte Jan nun das Pferd im Beritt und Michelle bekam von meinem Opa Unterricht. Ihr Ziel war erreicht, das wünschte sie sich schon immer. Da ich verletzt war, ergriff sie sicherlich gerne die Chance bei Opa reiten zu dürfen. War er doch ein guter Trainer und hatte schon einige Talente weit fördern können.
Simons besuche waren die besten da er keine Ahnung von den Reitsport hat, vermieden wir das Thema einfach. Er schaffte es sogar die Ärzte zu überreden, dass er mich im Rollstuhl nach draußen fahren durfte.
Schuldgefühle verfolgten mich bis in den Schlaf. Es gab keine Nacht in der ich nicht von den Unfall träumte. Immer wieder gab ich mir die Schuld, immer wieder spielte sich der Unfall in meinen Kopf ab, hielt mich in der Nacht solange wach bis ich Schlafmittel bekam. Unzählige Tränen weinte ich stumm in meine Bettdecke.

Von der Schule bekam ich eine Karte zugesendet, mit Genesungswünschen. Jeder hatte unterschrieben. Seufzend ließ ich sie sinken. Wahrscheinlich merkten meine Mitschüler nicht einmal, dass ich nicht da war. Michelle hielt sie wahrscheinlich alle auf Trapp. Morgen fingen die Sommerferien an, die schönste Zeit des Jahres. Unzählige Turniere, schönes Wetter und kein Schulstress. Wehmütig dachte ich an meinen Sommer. Der bestand wahrscheinlich aus Reha und Physiotherapie. Laut meinen Eltern war es gar nicht schlimm. So verpasste ich wenigstens keinen Schulstoff.

Wie jeden Tag saß Simon neben mir. Er hatte unglaublich gute Laune und hörte gar nicht mehr zum reden auf. Mit einem Ohr hörte ich ihn zu. Ohne mich konzentrieren zu können.
Auf den kleinen Beistelltisch stand das Abendessen. Angeekelt stocherte ich darin umher. Ich hatte keinen Appetit und das Krankenhausessen machte es nicht besser.
Simon schaute mich mit hoch gezogenen Augenbrauen an. „Iss Sophie, du bist so dürr geworden. Irgendwann fällst du um.“ Sprach er mich an. Ich zuckte bei den Klang seiner Stimme zusammen. Er hörte sich Vorwurfsvoll an. Ich stritt schon genug mit den Ärzten und Papa, sie waren der Meinung meine Einstellung passte nicht.
Opa hatte mir vorgestern meine Lieblings Kekse vorbei gebracht. Diese lagen noch ungeöffnet auf den Abstellschrank.
Ein Arzt betrat das Zimmer. Ich verdrehte meine Augen und Simon grinste mich an.
Der Kotzbrocken, wie ich den Arzt genannt hatte, weil er immer zum kotzen war. Wegen ihn wurden mein Schmerz-und Beruhigungsmittel drastisch reduziert. Er stand vor den Krankenbett und schaute uns vorwurfsvoll an. Mit hochgezogener Augenbraue sagte er: „Simon Besuchszeit ist vorbei, schau das du nach Hause kommst. Jeden Tag das gleiche mit euch zwei. So Madame warum isst du nichts? Schau dich mal. Eigentlich wollten wir dich in die Reha entlassen, aber so wird das nichts. Wenn du so weiter machst ernähren wir dich künstlich.“ Schuldbewusst starrte ich den Teller an. Simon wusste, dass diskutieren keinen Sinn hat, er stand auf und verabschiedete sich von mir.
Sauer schaute ich den Kotzbrocken an. Einerseits wusste ich ja das er Recht hat, andererseits war da eine rebellische Ader in mir, die ihn gerne widersprach. „Sie bekommen das Essen sicherlich auch nicht hinunter. Das schmeckt echt eklig.“ Schwungvoll legte ich die Gabel ab. „Bitte. Es ist doch wirklich nur für deine Gesundheit.“ Versöhnlich sprach er auf mich ein. Seufzend schob ich mir eine Gabel nach den anderen in meinen Mund. Zufrieden nickte der Arzt und verließ wenig später das Zimmer.

Ein paar Tage später wurde ich wirklich entlassen. Der Kotzbrocken klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. „Mach’s gut. Diskutiere nicht soviel, dass wird auf dauer Anstrengend.“ Setzte er noch hinzu. Mit dem wissen, dass er Recht hatte nickte ich ihn zu. Er war ein guter Arzt, der auf seine Patienten schaute, ohne ihn ging es mir jetzt nicht so gut.
Am Nachmittag wurde ich in die Reha Klinik gefahren.
In der Reha musste ich weitere acht Wochen bleiben. Ich lernte langsam das Laufen wieder. Es war schon erstaunlich, wie schwer selbstverständliche Dinge auf einmal wieder sein konnten.
Früher hatte ich mir nie irgendwelche Gedanken darüber gemacht ich war halt einfach gelaufen. Oder hatte einen Ball mit beiden Händen gefangen. Jetzt funktionierte gar nichts mehr. 
Meine Arme gehorchten mir teilweise nicht und gehen war auch gar nicht so einfach.
In der Reha lernte ich meinen Körper soweit zu kontrollieren, dass ich keinen Rollstuhl mehr brauchte. Mein Knie schmerzte immer noch. Ich hatte auch einen Psychologen an meiner Seite. Der Typ hatte, meiner Meinung nach, selber nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Die 8 Wochen waren schnell vergangen. Zu schnell. Ich war auf das was mich Zuhause erwartete nicht vorbereitet.

Gedankenverloren stand ich in der Empfangshalle und wartete auf Papa, der mich abholen kam.
Die vorbeilaufenden Pfleger verabschiedeten sich noch von mir. Ein dicker Kloß bildete sich in meinen Hals. Ich wollte hier doch gar nicht weg. Aus meiner eigenen kleinen Seifenblase, soweit weg von aller Wirklichkeit da draußen. Es fühlte sich an wie meine eigene Welt, fern ab von allen Gefühlen. Als ob die Mauer dort vorne alles abschirmten.
Papa begrüßte mich mit einer dicken Umarmung. Ich durfte in der Reha keinen Besuch empfangen, so sah ich weder meine Eltern, noch meine zwei Freunde die Wochen gar nicht. 

Selbstverständlich nahm er meine Taschen und lud sie in sein Auto. Ich folgte ihn langsam, mit meinen Unterarmstützen war ich nicht ganz so schnell.
„Ich habe allen gesagt sie sollen kein großes Drama draus machen, dass du heute heim kommst. Ich hoffe das ist in Ordnung… So wie ich dich kenne willst du sicherlich erst deine Ruhe haben.“ Zwinkerte Papa mir zu.
Ich nickte und schaute weiter aus den Fenster. Felder zogen schnell an der Autobahn vorbei, manchmal sah man einen Traktor fahren. Mark versuchte mit Small talk die Stimmung zu heben, aber es funktionierte nicht. Ich war viel zu nervös, was mich erwartete.

Daheim angekommen hüpfte ich, so schnell es ging, die Treppen Stufen zu den Hauseingang hinauf.
Mein Finger erreichten noch nicht mal die Klingel, schon wurde die Türe schwungvoll aufgerissen.
Ein kleiner brauner locken Kopf kam zum Vorschein und strahlte mich an.
Lukas schrie meinen Namen, umarmte mich stürmisch, dabei verlor ich fast mein Gleichgewicht. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich nach hinten abstützen.
Ich musste, trotz der Anspannung, breit grinsen. Wie hatte ich meinen kleinen Bruder vermisst. „He Luck. Mach deine Schwester nicht gleich wieder kaputt.“ Kam Papa hinter mir die Treppe hinauf. In beiden Händen mein Gepäck.
Langsam betrat ich das Haus. Ein guter Duft kam mir entgegen. Den Duft folgend ging ich in die Küche. Mama stand mit den Rücken zu mir und schnitt gerade Gemüse.
Als sie sich umdreht ließ sie das Messer fallen, mit einem lauten gepolter viel es auf den Boden. Sie umarmte mich fest. Eine Träne löste sich aus den Augenwinkel.
„Sophie endlich bist du daheim. Ich habe Lasagne gekocht, die isst du ja so gerne. Andreas kommt dann auch zum Essen. Er ist schon ganz aufgeregt.“ Sprudelte es schnell aus meiner Mutter heraus, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Lächelnd machte sie sich wieder an die Arbeit.
Ich schaute mich im Haus um, viel hatte sich auf die lange Zeit nicht verändert.

Mit einen tiefen Atemzug stand ich vor meiner Zimmertür. Mit rosa Buchstaben stand mein Name quer über der Tür. Ich fand es in letzter Zeit ziemlich kitschig. Jetzt lächelte ich darüber. Mama liebte diesen Kitsch. Sie stand auch auf glitzrigen Deko Schrott. Papa fluchte öfters darüber, wenn wieder ein neues Teil herum stand. 
Langsam öffnete ich die Tür, nicht darauf gefasst, was auf mich zu kommen wird.

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