elf

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Einige Stunden später hatten wir den Bauch voller Pasta, wir hatten Yannik und die kaputte Klospülung an Yukos Mum übergeben, sogar schon einen Teil der Hausübung erledigt und jetzt lagen wir im Bett und stöberten erfolglos durch Netflix.

"Jetzt sag doch endlich, was du gerne sehen möchtest", schimpfte Yuko halbernst. "Wie soll ich etwas aussuchen, wenn ich keine Ahnung habe, welchen Film- oder Seriengeschmack du hast." "Für mich ist alles okay", sagte ich, während ich meine Augen kaum von ihr lassen konnte.

Ihre Haare fielen ihr wirr ins Gesicht, sie war ungeschminkt, und trug  keinen BH mehr unter ihrem Pulli. Ich konnte nicht anders, ich musste die ganze Zeit hinsehen und kam mir daraufhin wie eine Spannerin vor. Was war nur los mit mir? Warum bekam ich meine Gefühle nur nicht unter Kontrolle? Warum sah ich die ganze Zeit auf ihre Lippen und ihre Finger und stellte mir vor, was sie damit machen könnte? Warum musste ich ständig daran denken, wie weich sich ihre Haut angefühlt hatte? Und warum brachte ich ihr stilles, wunderschönes Lächeln nicht mehr aus meinem Kopf? 

"Nein, im Ernst", sagte Yuko und boxte mich gegen den Oberarm, und alleine diese kleine Geste brachte mein Herz wieder dazu, schneller zu schlagen. "Was willst du sehen? Entscheide dich, die Wahl liegt bei dir, ich mag alles"

"Eigentlich... würde ich lieber gar nicht fernsehen", flüsterte ich. 

"Was dann?", fragte Yuko und schaltete den Fernseher aus, ohne auch nur im Geringsten beleidigt oder gekränkt zu sein. 

"Ich... ach, keine Ahnung", sagte ich. "Vielleicht... einfach nur daliegen... uns unterhalten... lästern... kuscheln... oder vielleicht auch ein bisschen mehr...?" Ich wusste nicht, warum ich das Letzte gesagt hatte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie mich tatsächlich mochte. Vielleicht spielte sie nur mit mir, wollte sehen, wie weit sie mich bringen konnte? Oder, mit einem Mädchen rumzumachen, war nur ein Punkt auf einer Liste gewesen, den sie danach bedenkenlos abhaken konnte? 

Ich rechnete beinahe damit, sie würde jeden Moment einen Rückzieher machen, sagen, es gäbe da einen Film, der gut wäre und der Rest des Abends würde so steif verlaufen wie nur möglich. Doch nichts von alldem geschah.

"Ich finde, lästern und rumknutschen klingt nach einer ziemlich guten Kombi - auch, wenn ich bezweifle, meine Lippen jemals wieder zum Reden von deinen lösen zu können, wenn wir erst einmal angefangen haben." Sie grinste mich an. "Also, sprich. Oder willst du gleich mit Punkt zwei anfangen?" 

Jetzt fühlte ich mich wieder überrumpelt. Tränen traten in meine Augen. Wieso nur schaffte ich es nicht, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten? Warum schaffte ich es nicht, mich für eines zu entscheiden?

Einerseits konnte ich an nichts anderes denken als an sie und die Vorstellung ihres Kopfes zwischen meinen Beinen, andererseits kam ich mir dann und wann wieder so verlogen und unsicher vor. 

Was, wenn ich in Wirklichkeit gar nichts für sie fühlte, sondern es für mich einfach nur um das Körperliche ging, es aber nicht schaffte, das auseinanderzuhalten? Was, wenn ich in echt gar nicht auf Mädchen stand, aber sie mir jetzt zu wichtig wurde? Was, wenn ich ihr gar nicht wichtig war? Plötzlich fiel mir der Spruch "Mache niemanden zu deiner Priorität, für den du nur eine Option bist" wieder ein, und er kam mir wahrer vor denn je. Ich fühlte, dass ich Yuko zu meiner Priorität gemacht hatte, Yuko mit den wunderbaren Haaren, dem schönen Lachen und den magischen Lippen. Und ich konnte nicht anders, als von tiefstem Herzen zu hoffen, dass ich für sie mehr als nur eine Option war.

"Vielleicht erst mal nur reden und dann gucken, wie es sich entwickelt...? Also, wenn das okay für dich ist?", schlug ich leise vor. "Klar", sagte sie. "Komm her."

Yuko war bei weitem größer als ich und so konnte ich perfekt meinen Kopf auf ihrer Brust ablegen. Während sie nach der Decke tastete, lauschte ich ihrem Herzschlag.

Tock-Tock-Tock-Tock-Tock. Tock-Tock-Tock-Tock-Tock. Ich hätte so gerne gewusst, ob mein Herz genauso schnell pochte. Die Vorstellung, dass unser Herzschlag vielleicht gerade im selben Takt verlief, linderte meine Aufregung nicht.

Yuko legte einen Arm um mich und kraulte mit der anderen Hand meine Haare. "Wie fühlst du dich?", fragte sie, während sie mit ihrer Hand meine Seiten entlangfuhr.

"Soll ich ehrlich sein? Seltsam.", gab ich aus einer Intuition heraus zu. "Weil... keine Ahnung, ich kann das nicht beschreiben."

"Versuchs", sagte sie und strich mir meine Haare hinters Ohr. "Ich werde probiere, es zu verstehen, Sandy."

"Ich... ich weiß es wirklich nicht." "Sag einfach, was du denkst, ohne Rücksicht auf Verluste."

Ich überlegte. Wenn wir wirklich einen schönen Abend haben wollten, dann musste ich jetzt ehrlich sein. Also räusperte ich mich. "Dafür sagst du mir im Gegenzug auch, was du fühlst, in Ordnung?" "In Ordnung", sagte Yuko.

"Also... ich bin mir meinen Gefühlen gegenüber nicht im Klaren, aber... was ich weiß, ist, dass mir nichts bisher so sehr gefallen hat wie das heute Nachmittag. Und... keine Ahnung, mit dir zusammen zu sein fühlt sich unglaublich gut an, so richtig. Und ich weiß, dass es scheiße ist, aber, ich habe auch viele negative Gedanken, und wenn du ein Junge wärst, dann hätte ich diese Gedanken nicht. Dieses, ob ich es mir vielleicht nur einbilde, auf dich zu stehen, wie meine Freunde und Familie reagieren würden, warum ich anders bin. Aber... du bist es wert" Die letzten Worte hatte ich beinahe geflüstert und eine Weile lang sagte Yuko gar nichts.

Dann leckte sie sich einmal kurz über die Lippen, etwas, das mich kurz anmachte, und begann mit kratziger Stimme. "Ich... Sandy, das heute Nachmittag war auch für mich einer der schönsten Moment." Spontan musste ich auflachen. "Für dich? Ich hab doch überhaupt nichts getan. Ich habe nur... na ja, dich machen lassen, weil ich überfordert war." 

"Sorry deswegen", sagte sie und lächelte. "Aber... es geht ja nicht nur um das Sexuelle, sondern vor allem um das... Emotionale. Und heute Nachmittag... als ich dich da geküsst und berührt habe... da habe ich gemerkt, dass es jemanden in meinem Leben gibt, den ich am liebsten immer an meiner Seite hätte und dass das du bist." 

Ich schluckte. "Yuko, das... das hast du wirklich, wirklich schön gesagt." Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, doch sie ignorierte mich und sprach schnell weiter.

"Und ja... diese Zweifelgedanken... Sandy, die gehen vorüber. Wenn dein Umfeld dich liebt, dann wird es dich auch so akzeptieren, wie du bist, ja? Rede dir nur nicht ein, dass du unnormal bist! Das liegt nur an diesen ganzen Deppen, die wir Menschen nennen, dass hetero sich als "normal" eingebürgert hast."

"Ich... Yuko... danke", flüsterte ich mit rauer Stimme. "Das bedeutet mir echt viel."

"Du bedeutest mir echt viel", gab sie zurück.

Und dann küssten wir uns wieder.

a million feelings - and you inbetween (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt