einundzwanzig

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Es tat weh. Alles tat weh. Körperlich und seelisch. Yuko fehlte. Sie fehlte mir so sehr, wie einem nur ein Mensch fehlen kann, der einem extrem wichtig gewesen war. Ich hatte ihr eine lange Nachricht geschrieben, in der ich versucht hatte, alles zu erklären, und mich tausendmal entschuldigt. Gelesen hatte sie es schon vor einer Woche. Zurückgeschrieben noch nicht. Und das würde sie nicht mehr tun, das wusste ich. Meine Snaps ließ sie auf geöffnet, in der Schule sah sie mich nicht einmal noch an, doch wenn sie es tat, dann lag ein solcher Schmerz in ihren Augen, sodass ich meinte, zerspringen zu müssen.

Alles tat weh, doch wenn ich sah, dass auch sie traurig war, dann steigerte sich das alles um noch eine Stufe. Ich war selbst daran Schuld, dass es mir scheiße ging. Sie nicht. Sie hatte nichts getan, sie hatte nichts von alldem gewollt. Und dennoch litt sie jetzt - wegen mir. Dieser unbändige Schmerz erfüllte meinen ganzen Körper.

Ich sprach nur noch mit Tamara und Simon, und mit denen auch nur das Nötigste. Ich ließ beinahe jede Mahlzeit aus, nicht, weil ich keinen Hunger hatte, sondern weil ich das Gefühl hatte, alles, was ich zu mir nahm, sofort wieder erbrechen zu müssen.

Ich lag in meinem Bett, blickte auf das Selfie von uns beiden auf dem Baumhaus und musste wieder weinen. Es war ein so schöner Tag gewesen. Sie hatte sich solche Mühe gegeben. Und wie hatte ich es ihr gedankt? Mit fremdgehen.

War ich überhaupt fremdgegangen? Konnte man fremdgehen, wenn man es selbst gar nicht gewollt hatte? Zählte das als fremdgehen? 

Es klopfte an der Tür. "Nein, ich brauche nichts", rief ich nach draußen. "Nein, du darfst nicht reinkommen." 

Doch wider Erwarten war es nicht Mum, sondern Lisa. "Ich hab gesagt, nicht reinkommen", schniefte ich. "Das ist mir egal", sagte sie. "denn ich bin deine große Schwester und du brauchst mich." 

"Ich brauche niemanden.", murmelte ich und vergrub meinen Kopf im Kissen, während ich dachte außer Yuko. "Komm schon, Sandy, dass es dir scheiße geht, merke ja sogar ich." "Sogar du?", sagte ich, während ich bitter lachte. "Wenn Mum etwas bemerkt hätte, dann wäre es sogar gewesen."

"Sandy", sagte sie und setzte sich zu mir aufs Bett. "Sprich mit mir."

"Ich...", murmelte ich. "ich habe alles kaputt gemacht"

"Was hast du getan?", fragte sie sanft, während sie mir übers Haar streichelte. 

"Alles kaputt gemacht", wiederholte ich unter Schluchzern. "Wir waren... ach, keine Ahnung. Und ich hab es kaputtgemacht. Und wenn du das nicht verstehst, kannst du auch gleich wieder gehen" Es tat mir wirklich leid, dass ich sie so anschnauzte, denn sie war ja wirklich lieb und ich merkte, dass ich ihr wichtig war, aber... ich musste meinen Schmerz irgendwie hinauslassen.

"Wie soll ich es verstehen, wenn du dich vor mir verschließt?", fragte sie. "Sandy, versuch, es zu erklären. Danach wird es dir besser gehen, glaub mir"

Ich schloss die Augen. "Es wird mir niemals wieder besser gehen"

"Doch", sagte sie bestimmt. "Irgendwann. Und ich kann dir dabei helfen. Das ist eine meiner wichtigsten Aufgaben als große Schwester, direkt neben, dir immer auf die Nerven zu gehen"

"Du gehst mir nie auf die Nerven, Lisa", flüsterte ich. "Das hörte sich aber eben noch anders an", sagte sie. "Komm schon, was auch immer es ist, du kannst es mir sagen."

"Ich... Yuko... wir... Scheiße, Lisa, ich habe es total verschissen", presste ich hervor. "Habt ihr gestritten?", erkundigte sie sich. "Ich... Lisa, du verstehst gar nichts."

"Weil du es mir nicht sagst."

"Weil du es nicht verstehen würdest!", rief ich, auch,  wenn ich wusste, dass es ungerecht ihr gegenüber war. 

"Vermutlich nicht", sagte sie und stand auf. "Meld dich, wenn du jemanden zum Reden brauchst." Da war sie schon wieder bei der Tür. 

"Lisa!", rief ich noch einmal. Sie drehte sich um. "Ja?"

Und dann brach alles aus mir heraus, was ich so viele Wochen vor ihr zurückgehalten hatte. 

"Lisa, ich... Yuko und ich... wir... wir... waren glücklich zusammen und es war... bei ihr immer anders und ich habe wirklich versucht, es besser zu machen, aber es ging nicht, weil ich immer dieses komische Gefühl hatte, also bin ich auf diese Party gegangen und habe mit Toby... rumgemacht, weil ich... ich weiß nicht warum, und jetzt ist das alles total scheiße, weil sie jetzt nicht mehr mit mir spricht, verständlicherweise, ich würde auch nicht mehr mit mir sprechen, wenn ich sie wäre aber es tut so weh und sie ist mir immer noch so wichtig und ich will sie nicht verlieren. Beziehungsweise ich habe sie ja schon verloren. Durch meinen eigenen dummen Fehler, oh mein Gott, Lisa, ich will das alles rückgängig machen."

Trotz meiner wirren Erklärung schien Lisa nach und nach zumindest einen Teil zu begreifen. "Also... also hast du dich in Yuko verliebt?", fragte sie und ich fragte mich, warum sie so ruhig sein konnte. 

"Ich... ja, das habe ich. Und das tue ich immer noch, ich..." Und dann musste ich wieder zu weinen anfangen und sie drückte mich an sich. 

"Sandy, sieh mich an", sagte sie und ich blickte aus verweinten Augen zu ihr hoch. "Liebeskummer ist vor allem am Anfang immer besonders schlimm. Aber, Sandy, es wird vorübergehen."

"Ich... ich will aber nicht, dass es vorübergeht. Ich... ich will, dass sie mir verzeiht und wieder alles wird wie vorher."

"Ich glaube, ich brauche dir nicht zu sagen, dass nie wieder alles so wie vorher werden wird, oder? Das weißt du selbst.", fragte sie langsam, während sie meinen Rücken streichelte. "J-ja... aber ich möchte es so gerne wieder."

"Aber es wird besser werden, Sandy. Du wirst über sie hinwegkommen, du wirst wieder glücklich sein, ja." "Ich... ja", murmelte ich.

"Und ich weiß, die Frage liegt auf der Hand", sagte sie vorsichtig, so, als wäre sie sich nicht sicher, ob es angemessen wäre, das zu fragen. "Wenn du so viel für Yuko empfindest, wieso hattest du dann was mit diesem... wie hieß er?... Toby?" 

"Ich... ich war mir so unsicher, ob ich mir das mit Yuko nicht vielleicht nur eingebildet habe, ob ich wirklich auf Mädchen stehe, ob... ach, keine Ahnung, ich glaube, es war so eine Art Mutprobe für mich selbst... ob ich auch normal sein kann." 

"Verstehe ich", sagte sie leise und strich mir übers Haar. "Aber so gesehen hat es doch auch etwas Gutes: Jetzt weißt du ganz sicher, was du für Yuko empfunden hast oder immer noch empfindest und bist nicht mehr im Ungewissen darüber. Oder?" 

"Schon irgendwie", murmelte ich an ihre Schulter, "aber... es war so... so schön mit ihr. Ich will nicht, dass das alles Vergangenheit ist. Ich will... dass es zumindest alle wissen, bevor es endgültig vorbei ist."

"Das liegt in deiner Hand, Sandy", sagte Lisa. "Es liegt in deiner Hand, wann du wem etwas sagst. Ich fühle mich auf jeden Fall wirklich geehrt, dass du es mir anvertraut hast."

Jetzt musste ich lächeln. "Du musstest betteln und damit drohen, wieder zu gehen."

"Ich mag meine Methoden auch", sagte Lisa und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. "Es wird besser werden, okay? Und wenn etwas ist, du kannst immer, immer zu mir kommen."

Erst, als sie das Zimmer verlassen hatte, merkte ich, dass sie gar nicht wirklich darauf eingegangen war, dass Yuko ein Mädchen war. Sie hatte nur über Liebeskummer generell gesprochen und mir beigestanden.

Aber das hatte gut getan. Sie war nicht auf das eingegangen, über das ich mir am meisten Sorgen gemacht hatte, sondern nur auf das, was ich im Moment gefühlt hatte.

Und das half wirklich.

Ich hätte schon früher mit Lisa reden sollen.

a million feelings - and you inbetween (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt