Stehen oder Springen

8 1 0
                                        

Donnerstag ist es kühler als die letzten Tage. Fast wäre ich nicht aufgestanden. Heute ist der Kindergarten dran. Kein Ausdruck der deutschen Sprache kann ausdrücken, wie sehr ich Kinder hasse. In weiser Voraussicht ziehe ich Kleidung an, die ich sowieso bald weg geschmissen hätte.

Wie ich erwartet habe sind meine Eltern und ich in der Schweige-Phase. An diesem Punkt ist es verwendete Energie auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden. Die fangen sich wieder.

Ich bin die letzte, die ankommt. Dabei dauert mein Weg bloß 10 Minuten.

„Guten Morgen, Sonnenschein." schmunzelt Lisa breitet die Arme aus.

Mitten im Schritt bleibe ich stehen, drehe mich auf dem Absatz um und gehe weg. Weit, weit weg.

„Nein, nein, nein!" ruft Adrian mir hinterher, holt zu mir auf und zieht mich am Arm zurück.

Unzufrieden schaue ich durch die Glastür in das Gebäude.

„Hier. Der hilft dir heute vielleicht." schmunzelt er und hält mir einen roten Stressball hin.

Er hat also vorhergesehen, dass Kinder nicht mein Ding sind. Interessant. Ich nehme den Ball an und stecke in in die Tasche meiner Fließjacke.

„Er wird das schlimmste verhindern." gebe ich zurück.

Drinnen werden wir nur von Frauen empfangen. Nicht, dass etwas anderes zu erwarten war. Einige Kinder waren auch schon da. Lisa kommt kurz nach uns an. Sie hatte ich schon fast vergessen.

„Guten Morgen! Ich bin die Julia. Wir haben hier im Kindergarten drei Gruppen. Die Bärchen-, die Igel- und die Schmetterlingsgruppe. Jeder von euch hilft heute in einer Gruppe aus. Ihr könnt euch selbst aussuchen in welche Gruppe ihr möchtet." sagt sie und ist schon wieder weg, irgendein Kind davon abhalten auf ein Regal zu klettern.

Ich sehe zu Adrian. Er und Lisa versuchen zwar sich zurück zu halten, können ihr lachen aber nicht unterdrücken.

„Ich hab dich noch nie mit so einem schockierten, hilflosen Ausdruck gesehen." kichert Lisa und hält sich die Seite.

Sofort wird mein Blick grimmig. Das ist nicht witzig. 8 Stunden allein mit diesen kleinen Monstern? Ich will gehen. Meine Hand umschließt krampfhaft dem Wutball in meiner Tasche.

„Die armen Kinder. Ich nehm die Bärchengruppe." meint Adrian und geht einfach.

Mal wieder. Lisa läuft zur Schmetterlingsgruppe. Ich atme tief durch und kriege meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle. Neutral wie immer sehe ich die Tür mit dem Igel über dem Türrahmen an. So schlimm kann es nicht werden.

Nach meiner dritten Runde 'Mensch Ärger Dich Nicht', unzähligen von Tisch geworfenen Würfeln und Figuren und den anschließenden Diskussionen darüber, wo die Figuren standen verspüre ich mehr als bloß Ärger. Das Wort ist Hass.

„Lass die Kinder auch mal gewinnen ja? Es geht um den Spaß, nicht ums gewinnen." flüstert mir eine der Erzieherinnen zu.

Ich sehe sie an, als wäre sie eine Idiotin. Was sie vermutlich auch ist. Kann man bei 'Mensch Ärger Dich Nicht' absichtlich verlieren?

„Wenn es nicht ums gewinnen geht, warum ist es dann wichtig ob sie gewinnen oder ich?" frage ich irritiert.

Jetzt sieht sie mich an als wäre ich dämlich. Der Stressball wird den Tag nicht überstehen.

„Es macht den Kindern keinen Spaß, wenn sie andauernd verlieren. Versuch es bitte mal." meint sie dann und wendet sich ihren Monstern wieder zu.

Eines der Kinder an meinem Tisch ruft, dass es jetzt Memory spielen will und die anderen stimmen mit ein.

VermutlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt