Provozieren oder Ändern

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„Du bist über mehrere Tage verschwunden, nachdem du emotional Aufgebracht warst und hast dich in keiner Weise gemeldet. Das hat mich beunruhigt und wenn ich Gefühle fühle werde ich wütend. Tu das nicht."

Es hat mich das ganze restliche Wochenende gekostet diese 3 Sätze auszuarbeiten und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ihn das wieder wütend machen wird. Zusätzlich habe ich ihm während meiner kleinen Rede die Hände auf die Schultern gelegt, um ihn zu zwingen mich anzusehen, was in Realität viel seltsamer und unangenehm ist als es in meinem Kopf war.

„Okay." sagt er sehr lang gezogen und vermutlich etwas verwirrt.

Sein Blick pendelt zwischen meinen Händen und mein Gesicht.

„Gut. Das hier war unangenehm für uns beide, also bitte lass uns das nicht wiederholen." bitte ich ihn und ziehe meine Arme zurück.

Darauf hin atmet er amüsiert aus.

„In Anerkennung wie schwer das für dich gewesen sein muss, werd ich versuchen dich in Zukunft nicht so zu ängstigen." schmunzelt er.

„Jemand hat sein Vokabular erweitert." bemerke ich leicht spöttisch.

Wir machen uns auf den Weg ins Gebäude. Ich habe ihn vor der Schule abgepasst.

„Ich habe jedes Buch in der traurigen Entschuldigung einer Bibliothek unserer Schule gelesen. Ich würde behaupten mein Wortschatz ist deinem überlegen. Ich prahle bloß nicht so sehr wie du."

Der Gedanke ist mir noch gar nicht gekommen. Belesen ist der Junge, das muss ich ihm wohl lassen. Aber ich werde im Leben nicht zugeben, dass sein Vokabular meinem Überlegen wäre.

„Was willst du eigentlich mit dem Regenschirm? Heute regnet es doch gar nicht." bemerkt er meinen modischen Gehstock.

„Den habe ich ausgeliehen, folglich muss ich ihn zurück geben." antworte ich so kurz wie möglich.

Ich kann nicht abschätzen wie er darauf reagieren wird, wenn er erfährt, von wem ich den Schirm habe oder wo ich ihn getroffen hatte.

„Wir brauchen wirklich ein 'Folglich-Schwein'."

„Bitte was?" verwirrt sehe ich ihn an.

„Jedes Mal, wenn du folglich sagt musst du einen Euro in das Sparschwein tun. Ich hasse das Wort." erklärt er grinsend.

„Wie kann man ein Wort hassen?"

Das ist ziemlich irrational. Ich denke, man kann den Klang eines Wortes nicht mögen, aber das Wort an sich? Während wir durch die Schule laufen, halte ich Aussicht nach Magnus. Bis ich plötzlich niesen muss.

„Gesundheit." meint Adrian und kramt in seinem Rucksack.

Dann hält er mir eine Packung Taschentücher hin. Gesten. Freundschaftliche Gesten. Wer hätte gedacht, dass sie jemals mir entgegen gebracht würden? Nicht, dass ich es verdient hätte.

„Danke."

„Erkältet?" fragt er.

„Ich bitte dich, forme einen ganzen Satz. Aber ja, vielleicht. Ich bin wohl zu oft durch den Regen gelaufen."

„Karma."

„Folglich."

„Fick dich."

„Das waren schon zwei Wörter, weiter so."

Mit einer Hand reibe ich mir übers Gesicht, um das Schmunzeln zu verbergen, das sich bedauerlicherweise nicht verhindern ließ. Wir kommen an seinem Klassenraum an. Für gewöhnlich hätte ich mich schon vorher verabschiedet, um zu meinem eigenen Raum zu kommen, aber ich habe schließlich noch was zu tun.

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