„Ich seh aus wie ne Mumie."
Beschwert er sich gerade? Ich mustere ihn kurz.
"Stimmt. In mehrerer Hinsicht." stimme ich zu und hebe sein Shirt vom Boden auf, um es ihm zuzuwerfen.
Das Ganze hier hat mich noch eine 3/4 Stunde gekostet. Sinnvoll einen Verband anzulegen ist schwerer als erwartet. Vermutlich hat das alles nichts gebracht, er hat größtenteils Prellungen oder so was in der Art. Abgesehen von seinem Unterarm und seiner Lippe keine offenen Wunden. Sollte er innere Verletzungen haben, kann ich da nichts gegen tun.
"Wie meinen?"
Er macht sich über meine Art zu reden lustig. Das machen Freunde anscheinend. Ohne es verletzend zu meinen. Schön.
"Toten werden bei der Mumifizierung alle inneren Organe entfernt und separat aufbewahrt. Das erklärt dein Mangel an funktionierenden Gehirnzellen... und gründlicher Zahnhygiene."
Er stutzt einen Moment.
"Dann kommst du vom selben Schlag? Bloß haben sie bei dir nur das Herz entfernt."
"Klar, willst du die Narbe sehen?"
"Wieso läuft bei dir alles darauf hinaus, dass sich einer von uns auszieht? So verzweifelt schätze ich dich gar nicht ein."
Ich sehe ihn so lange so an, als wäre er der größte Idiot unter der Sonne, bis er abwehrend die Hände hebt.
"Schon gut, alles cool."
"Komm jetzt, ich habe für heute genug von diesem Raum."
"Danke, gleichfalls."
Er erhebt sich, zieht sich seinen Pullover über den Kopf und bleibt vor mir stehen. Er ist, wenn er aufrecht steht, doch ein gutes Stück größer als ich. Einen halben Kopf bestimmt.
"Wohin gehen wir?" fragt er fast schon... zufrieden.
Er hat diese Freundschaft ja schnell akzeptiert oder eher meine Gesellschaft. Tat ihm vorhin nicht noch alles weh? Wieso sollte er jetzt Ausflüge machen wollen?
"In welchem Jahrgang bist du?" will ich stattdessen wissen.
"Klar, übergeh meine Frage, kein Ding. 10te. Wieso?"
"Das bedeutet, du bist in deinem letzten Jahr. Um ein effektives Resultat zu erzielen ist eine gute oder zumindest annehmbare Schulbildung unabdingbar, also wirst du einen akzeptablen Abschluss machen. Dazu müssen wir uns den genauen Lehrplan deiner Stufe besorgen. Von da an werden wir damit beginnen an den Nachmittagen entweder den Stoff aufzuarbeiten oder etwas zu unternehmen, was Freunde tun. Folglich wirst du auch regelmäßig am Unterricht teilnehmen." fange ich an, merke aber dass er mir nicht zuhört.
Ich sehe ihn mit leicht verengten Augen an.
"Was? Ich hab gesagt, dass ich dir nicht zuhöre, wenn du so behindert redest." sagt er unbeteiligt
Ich blinzle mehrmals, um meine Fassade aufrecht zu erhalten.
"Abschluss über 3,0. Q Vermerk."
Er lacht auf.
"Das ist nicht schwer. Es gibt keine richtigen, mündliche Note, da es kaum Unterricht gibt. Wenn die Lehrer sehen, dass man sich bemüht geben sie einen ein 2. Allen anderen eine 4. Also ist deine schriftliche Note deine Zeugnisnote. Du musste nur die Arbeiten 3 oder besser schreiben."
"Nur."
Wir verlassen den Raum. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er in einem dreckigen Spiegel schnell seine Zähne kontrolliert. Ich muss ein schmunzeln unterdrücken.

DU LIEST GERADE
Vermutlich
Ficção AdolescenteJennifer interessiert sich nicht groß für andere Menschen. Adrian hat nichts interessantes an sich. Allerdings kann selbst sie sich nicht dazu bewegen die Narben an seinem Unterarm zu ignorieren. Und in einer kleinen, versifften, rechten Stadt umgeb...