Adrian hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Zu sich nach Hause. Meine Instinkte zu so etwas direkt und konsequent „nein" zu sagen haben fast überhand genommen. In 5 Tagen hätte ich wieder zur Schule gemusst. Heute ist Adrians erster Schultag gewesen und direkt danach schreibt er mich an und lädt mich ein. So sehr ich dieses Klischee hasse, aber ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Okay, das war es, ich muss einen Exorzisten anrufen.
Der Weg von mir bis zu Adrian dauert vielleicht 30 Minuten zu Fuß und ich werde mir mit einem Hammer die Zähne einschlagen, bevor ich meine Eltern darum bitte mich zu fahren.
Um 16 Uhr schleiche ich mich aus dem Haus. Da es mit der Weile schon November ist, ist es schon einigermaßen dunkel und selbst ich bin nicht sorglos genug um die Strecke im dunkeln zu Fuß zu laufen. Also versuche ich so leise wie möglich mein Fahrrad aus der Garage zu zerren. Ein Plan, der an Genialität nur schwer zu übertreffen ist. Soll mir noch einmal jemand vorhalten ich wäre zu stolz.
Wann bin ich das letzte Mal Fahrrad gefahren? Amüsiert atme ich aus. Ich kann mich an jedes Detail des Tages erinnern, an dem ich zuletzt Fahrrad gefahren bin. Es ist etwa 2,5 Jahre her. Und die Strecke hat eine Stunde gedauert.
Auf den Straßen sind große Pfützen, es ist kühl und die Luft ist feucht, aber es regnet nicht. Wenigstens etwas.
In Adrians Nachbarschaft muss ich erst einmal anhalten und mich wieder orientieren. Die Straßenlaternen helfen etwas, aber nicht viel. 100 Meter weiter vorne auf der anderen Straßenseite steht eine kleine, überdachte Bushaltestelle, wo ein Mann steht und raucht.
Auf meiner Seite kommt mir eine weitere Person verdächtig schwankend entgegen. Dann fahre ich eben mittig auf der Straße und niemand kann mich aufhalten.
Herr Kein-Gleichgewichtssinn hat eine Flasche in der Hand. Dieses Kaff, wirklich. Er schaut sich immer wieder um, bis er stehen bleibt, als er Herrn Lungenkrebs sieht. Plötzlich holt das Arschloch aus und wirft seine Flasche quer über die schmale Straße und schreit irgendwas, was sich mit viel Kreativität als 'Verzieht dich, Schwuchtel' identifizieren lässt.
Der Mann duckt sich weg und macht, dass er weg kommt.
Diese Situation geht mich nichts an. Es sollte mich nicht interessieren. Ah, ich fahre schon los. Ich muss meine Impulskontrolle verbessern. Zuerst rolle ich auf die Straße und fahre auf die andere Straßenseite. Einige Sekunden warte ich, bis das Arschloch an der richtigen Stelle steht. Dann fahre ich auf ihn zu, so schnell wie ich auf den wenigen Metern konnte.
Auf seiner Höhe, im richtigen Winkel ziehe ich eine Handbremse an und verlagere mein Gewicht. Das Fahrrad dreht sich hinten weg. Das Hinterrad stößt fast gegen den Bordstein und direkt durch die Pfütze am Straßenrand. Es fällt mir schwer das Gleichgewicht zum Ende zu halten. Aber der gewünschte Effekt ist erzielt. Der Mann ich ziemlich nass geworden.
„Hasserfüllte Leute streben einsam, Arschloch. Zurecht, will ich anmerken." rufe ich ihm zu und mache, dass ich weg komme.
Natürlich schreit er auch mir einige unschöne Wörter hinterher. Damals habe ich diese Fahrradmanöver eleganter hinbekommen. Damals, als ich noch Hobbys hatte.
Ich biege in die erst beste Straße ein. Der Raucher hatte wohl die gleiche Idee und ich mache den Fehler ihm ins Gesicht zu sehen, als ich an ihm vorbei fahre.
„Ah, du. Das kommt unerwartet." sage ich überrascht und halte an.
Sofort dreht er den Kopf weg und reibt sich mit einer Hand durch das Gesicht.
„Was machst du hier?" frage er mit einer ziemlich dünnen Stimme.
„Das gleiche wie letztes Mal."
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Vermutlich
Fiksi RemajaJennifer interessiert sich nicht groß für andere Menschen. Adrian hat nichts interessantes an sich. Allerdings kann selbst sie sich nicht dazu bewegen die Narben an seinem Unterarm zu ignorieren. Und in einer kleinen, versifften, rechten Stadt umgeb...