Hausarrest ist so ziemlich die schlechteste Idee, die meine Eltern bisher hatten. Ich verlasse mein Zimmer sowieso kaum. Und wenn ich Nachmittags aus der Schule komme sind die beiden meistens selbst nicht da. Als könnten sie da kontrollieren, ob ich mich tatsächlich daran halte und nach der Schule direkt nach Hause komme.
Diese Woche ist Adrian drei Tage hintereinander nicht da gewesen. Als er Freitag wieder da war sah er schlimmer aus als sonst. Bleich und kaum ansprechbar. Seine Haltung eine einzige Katastrophe. Lisa hat sich ebenfalls von mir fern gehalten. Folglich habe ich jetzt endlich Die Liebe in der Zeit der Cholera gelesen und die Hälfte von Mobby Dick.
Das Lesen hat mir gefehlt. Zwischen Adrians Nachhilfe und Spaziergänge durch diese furchtbare Stadt bin ich zu nicht viel anderem gekommen. Wenn meine Eltern meine Fehlstunden auf dem Halbjahreszeugnis sehen werden sie einen Anfall kriegen.
„Es soll nächste Woche schneien." werfe ich in den Raum, da Adrian mich seit Anfang der Freistunde anschweigt.
Keine Ahnung, was für eine Reaktion ich erwarte. Zumindest mehr als dieses matte Brummen, dass er an solchen Tagen von sich gibt. Er hat immer noch mit keinem Wort angedeutet, warum er sich selbst verletzt. Es ist Mitte November, also reden wir seit maximal 2,5 Monaten aktiv miteinander. Das ist vielleicht wirklich etwas übereilt so viel so schnell von ihm zu erwarten.
Die Tür zum Selbstlernzentrum geht auf und Lisa steckt ihren Kopf herein.
„Sollen wir?" fragt sie an Adrian gerichtet.
Er nickt und zwingt sich zu einem Lächeln. Für mich macht er das nicht. Soll ich mich angegriffen fühlen? Vor allem, da sie irgendwas ohne mich geplant haben? Ist vermutlich besser, dass sich sein Freundeskreis ausweitet und er mit positiveren Menschen Zeit verbringt. Macht es für mich nicht wirklich besser.
Er steht auf und deutet mir mit einem Kopfnicken an mitzukommen.
„Wohin wollt ihr?" frage ich, während ich damit hadere, ob ich meine Sachen hier liegen lassen soll.
„Ist eine Überraschung." meint Lisa und zieht mich am Handgelenk hinter sich her.
Wie kann sie es wagen? Nur weil ich sie geschlagen habe heißt das nicht, dass ich Körperkontakt plötzlich in Ordnung finde.
Adrian hat mich im übrigen nicht in Ruhe gelassen, bis ich mich ausführlich bei Lisa entschuldigt habe. Mehrfach. Er erwähnt es immer noch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Für jemanden, der sich regelmäßig selbst zusammenschlagen lässt ist er sehr empfindlich, wenn andere gewalttätig werden.
Man sieht ihr nicht mal mehr etwas an. Ihr Gesicht war nur etwas rot und geschwollen für 2 Tage.
Jedenfalls folge ich den beiden, sie in den Eingangsbereich laufen. Vor dem glorreichen Riss in der Wand bleiben sie stehen. Gefühlt ist der wieder größer geworden. Wollen sie die Schule jetzt endgültig abreißen? Würde mich nicht beschweren.
„Wir dachten es wäre Schade, den Tag des Verlusts deiner Menschlichkeit nicht zu würdigen." meinte Adrian mit einem fast schon traurigem Lächeln.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen suche ich die Wand ab. Da. Knapp unter der Abgängeklasse von vor 2 Jahren steht Fynn Name. Mit dem Datum seines Todes. Wenn das mal nicht deprimierend ist.
Lisa hat wiederum Adrian in die Seite geboxt.
„Als Erinnerung, weißt du? Solange dieses brüchige Gemäuer steht wird man sich an Felix erinnern. Kitschig ich weiß. Ich Weib, wofür verschwende ich die wenigen guten Gehirnzellen, die ich habe." lacht sie unsicher.
Dieses Mädchen braucht mehr Selbstvertrauen.
„Nein, das ist... nicht schlecht. Danke." murmle ich.
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Vermutlich
Teen FictionJennifer interessiert sich nicht groß für andere Menschen. Adrian hat nichts interessantes an sich. Allerdings kann selbst sie sich nicht dazu bewegen die Narben an seinem Unterarm zu ignorieren. Und in einer kleinen, versifften, rechten Stadt umgeb...