Die Musik dröhnte aus den Lautsprechern fast genau neben mir und ließ mich alles um mich herum vergessen. Die Beats hallten in meinem Kopf wieder und mein Brustkorb vibrierte bei jedem Ton, der gesungen wurde. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr und auch keine Ahnung, wie viele Shots ich mir schon heruntergekippt hatte.
Aber mir war alles egal.
Denn heute fühlte ich mich frei.
Es zählte nur das Hier und Jetzt.
Heute war ich achtzehn Jahre alt geworden. Ich war jetzt erwachsen. Ich hatte mein Leben jetzt selbst in der Hand, konnte das tun, was ich wollte. Mein Leben leben. Und dieses Gefühl war berauschend.
Plötzlich tippe mir jemand von hinten auf die Schulter.
Ich drehte mich ruckartig um, und musste mich sofort an der Person vor mir festhalten, damit ich nicht umfiel. Bei solchen schnellen Bewegungen wurde mir gerade schwindelig.
"Hey Yuru. Willst... Du... noch... einen... Shot?!" Mein Freund, mit dem ich hier her gekommen war, lallte schon ziemlich und hatte offenbar auch schon Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu halten.
Ich überlegte kurz, aber mir wurde es hier drinnen langsam zu heiß. Ich brauchte dringend frische Luft. Also schüttelte ich nur den Kopf und trat grinsend und langsamen Schrittes von der Tanzfläche runter, um nicht zur Seite zu kippen. Ich torkelte schon ziemlich- naja egal!Da ich mir bei unserer Ankunft nicht den Weg zur Tanzfläche gemerkt hatte, lief ich einfach irgendwohin, in der Hoffnung, dass ich den Ausgang des Clubs hier fand. Doch ich merkte schnell, wie wenig Sinn das machte, wenn ich gerade die Treppe hoch ging. Das war definitiv die falsche Richtung. Aber welche war dann die richtige? Egal. Einfach weiterlaufen.
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Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb ich stehen. Wo zur Hölle war ich?! Ich hatte keinerlei Orientierungssinn mehr und langsam aber sicher wurde mir immer schwindeliger... Doch wenn ich mich nicht komplett irrte, war da am Ende des Ganges- eine Tür! Endlich. Ich stolperte los und stieß sie auf.
Ein Schwall kalter, frischer Nachtluft drang mir entgegen. Augenblicklich sog ich gierig den Sauerstoff in meine Lungen. Ich schloss die Tür hinter mir wieder und sah mich um:
Eine Dachterrasse oder so etwas in der Art. Jedenfalls war da am Ende der großen Plattform, auf der ich stand, ein Geländer und man konnte die Skyline unserer Stadt bei Nacht als Panorama sehen. Aber all die Lichter verschwammen vor meinen Augen und blendeten mich. Konnte mal jemand das ganze Zeug ausmachen?! Ich breitete die Arme leicht aus, um das Gleichgewicht zu halten.
Überall saßen Menschen, über die ich beim Loslaufen fast stolperte. Anscheinend brauchten die auch eine Abkühlung. Ich wollte mich entschuldigen, aber meine Zunge fühlte sich schwer an und machte das Sprechen anstrengend. Am Ende ließ ich mich einfach neben irgendwen fallen. Mein Atem ging stoßweise und war in kleinen Wölkchen vor mir zu sehen. Eine Weile lang blieb ich einfach sitzen und genoss die Nachtluft. Sie tat gut, denn drinnen im Club war es viel zu stickig.
Schließlich ließ ich meinen Kopf langsam zur Seite fallen- und sah direkt in ein Gesicht. Blonde lange Haare und grüne Augen mit schwarzen Schatten darunter. Ich schrecke leicht zurück. Irgendwie gruselig...
"Ist Dir nicht kalt ohne Jacke?" Eine unterwartet tiefe Stimme. Statt zu antworten, mustere ich die Frau etwas genauer. Sie hatte eine sehr spitze Nase und eine hohe Stirn- und sie war blass, hieß: Im Prinzip sah sie aus wie ein Totenkopf.
"Nöhö. Übrigens: Du... hast... da... was.. am... Auge". Ich zeigte auf die Stelle in meinem Gesicht, wo diese schwarzen Schatten waren. Die Frau grinste und schüttelte den Kopf. "Das ist mit Absicht da". Ich zuckte mit den Schultern und lehnte mich nach hinten, bis ich auf dem Boden lag. Denn mit dem Gleichgewicht wurde es langsam schwer. Irgendwie sickerte die Tatsache durch mein Gehirn, dass ich jetzt achtzehn war und die ganze Nacht lang nicht nach Hause musste, wie meine Eltern es bis gestern noch gewollt hatten. Bei diesem Gedanken musste ich schadenfroh grinsen.
"Was ist so lustig?"
"Nichts. Ich.. bin... einfach.. nur.. glücklich... Ich bin jetzt endlich erwachsen. Ich kann endlich... mein Leben genießen. Glücklich sein."
"Inwiefern? Was stellst du Dir unter 'glücklich sein' vor?"
Warum fragte sie das?! Vielleicht war sie auch dicht oder so. Naja egal."Partys... Mit Alkohol... Und mit Frauen. Und endlich... Geld verdienen."
Sie lacht? Sie lacht einfach! "Was ist so lustig daran?!"
"Ist klar. Also bist Du mit Partys, Alkohol, Frauen und Geld glücklich?!"
"Ja, warum?"
"Meiner Meinung nach ist Glück etwas anderes."
Langsam nervte sie mich. Konnte sie mal damit aufhören, mir meine Lebensträume aus dem Kopf zu schlagen?! Ich schloss kurz die Augen und atmete durch.
"Und... was stellst... Du.. Dir dann darunter vor?" Das Sprechen war immer noch anstrengend.
Kurze Stille.
"Ich bin glücklich, wenn ich auf mich allein gestellt bin. Wenn ich loslassen und vergessen kann. Ich bin glücklich, weil ich keine Angst vor dem Tod habe und aufstehen und weitergehen kann, weil nach jeder Nacht wieder ein Morgengrauen kommt. Wenn ich weiß, dass ich für schöne Augenblicke manchmal hart arbeiten oder sie mir erkämpfen muss. Ich habe Glück, weil ich weiß, dass ich nicht immer wegrennen kann, sondern mich erst an etwas gewöhnen und durchhalten muss bis es erträglich wird. Glück bedeutet auch Überwindung. Glück hat schöne Seiten und auch traurige."
Eine Weile lang sagte ich nichts- mir hatte es schlicht und einfach die Sprache verschlagen. Stattdessen versuchte ich, über ihre Worte nachzudenken. Aber irgendwie machten sie keinen Sinn. Das war gerade zu viel für meinen Kopf. Vor allem das mit dem Tod... Was sollte das überhaupt?!
"Verstehe ich nicht."
"Das ist mir klar. Soll ich Dir zeigen, was ich meine?"
"Von mir aus."
"Gut, dann gib mir Deine Handynummer. Ich melde mich dann bei Dir. Denn ich werde Dir zeigen, was für mich Glück bedeutet.
Übrigens: ich heiße Pamina. "Ich weiß nicht mehr, was genau mich dazu brachte, dass ihr daraufhin wirklich meine Nummer gab. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich betrunken war und nicht wirklich nachdachte. Ich tat es einfach. Das hier war ohnehin schon seltsam genug.
Danach ging sie- Pamina. Sie war einfach weg.
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Midnight City
Teen Fiction"Das Leben ist vielleicht nicht immer perfekt, aber es gibt diese besonderen Momente, die es so lebenswert machen" -Pamina Pamina und Yuru. Zwei komplett verschiedene Menschen- die beide den Sinn des Lebens und das Glück suchen. Doch werden sie es z...