Lektion 6 (Part 3)

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Dann tat ich es einfach. Manchmal musste man einfach über seinen Schatten springen. Pamina brauchte mich jetzt, das war klar.

Und so setzte ich mich einfach zu ihr in den Bulli ins Bett und legte meine Arme um sie. Ohne etwas zu sagen.

Ich umarmte Pamina.

Im ersten Moment schien sie überrascht und spannte sich an, dann aber ließ sie ihren Oberkörper gegen meinen fallen.
In mir kribbelte es wie verrückt, jedoch ignorierte ich es einfach und blieb weiter sitzen, einfach so.

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Eine Weile lang war es wie so oft still zwischen uns, dann aber atmete Pamina tief ein und begann zu sprechen:

"Ich hasse diesen Tag."

Danach nichts mehr.

Eine Zeit lang sagte ich kein Wort, dann aber wurde ich doch zu neugierig:

"Warum?"

Ich zuckte zusammen, als Paminas Schultern in meinen Armen zu beben begannen. Dann drangen leise Laute aus ihrem Mund: Sie schluchzte.

Oh nein. War ich zu neugierig gewesen? War ich ihr zu nahe getreten?

"Sorry...", begann ich unbeholfen zu stammeln, "ich wollte nicht..."

"Alles gut. Ist nicht Deine Schuld.", Paminas Stimme klang nun fester.

"Es ist einfach dieser verdammte Tag! Jedes Jahr zerbricht er mich innerlich!"

Da sie nun lauter geworden war, versuchte sie, durchzuatmen. Dies klappte jedoch nur halbwegs. Schließlich entwand sie sich meinen Armen und griff nach unten, hinter die Bettkante. Zu spät bemerkte ich, dass sie die Wodkaflasche hochhob! Gerade, als sie diese an den Mund setzen wollte, kamen die Reize meines Gehirns endlich in meinen Armmuskeln an und ich konnte ihr die Flasche aus der Hand schlagen.

Pamina erschrak, öffnete die Finger und so fiel sie duch die offene Hintertür des Bullis auf den Asphalt.
Das Klirren des zersplitternden Glases hallte fast schon in die Nacht hinaus.

Erschrocken blickten wir uns an.
Dann sprudelten zwei Fragen gleichzeitig aus unseren Mündern:

"Was war das denn?!"

"Warum der Alkohol?!"

Wir hielten inne und Pamina seufzte. Sie wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht.
"Also, wie gesagt: Ich hasse diesen Tag. Jedes Jahr am vierzehnten Februar könnte ich alles kurz und klein schlagen. Dieser Scheiß-Valentinstag."

Valentinstag. Oh nein. Ich konnte nun langsam erahnen, was passiert war.

"Wer?", fragte ich mit vorsichtiger Stimme.

"Ein Typ aus der Nachbarschaft. Vor drei Jahren haben wir uns kennengelernt, vor zwei Jahren hat er mich zum ersten Mal als seine Freundin bezeichnet, vor einem Jahr hat er sich von mir getrennt. Für eine andere. Ich war ihm wohl nicht gut genug."

Ich schluckte. Das war schlimm. Ich hatte nicht gedacht, dass sich ein solches Ereignis in Paminas Lebensgeschichte befand.

Ich sah in ihre Augen und musste plötzlich tief einatmen, denn in ihrem Blick befand sich neben Trauer auch Wut.

"Eigentlich sollte ich jetzt gar nicht so hier sitzen!"
Paminas Stimme klang plötzlich schneidend und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
"Eigentlich sollte ich mir nicht von diesem Idioten mein Leben kaputt machen lassen! Ich sollte stark sein! Ich sollte jetzt nicht hier sitzen und heulen und..."

"Halt!", unterbrach ich sie. "Denk bloß nicht so!"

Stille.

Ich wusste nicht genau, was ich jetzt sagen sollte, wie ich es ihr erklären konnte, aber es war für mich klar, dass ihre Denkweise so nicht richtig war.
Ich konnte vielleicht keine so philosophischen Worte finden wie Pamina, aber einen Versuch war es wert. Und so atmete ich einmal tief durch:

"Also: Es ist klar, dass Du wegen diesem Typen sauer und verletzt bist, aber es bringt nichts, zu versuchen, den Schmerz zu unterdrücken. Weil das tut Dir selbst nicht gut und es geht jetzt um Dich!
Es ist okay, wegen einer Person zu weinen! Das ist völlig in Ordnung! Es ist okay, sauer zu sein. Wenn man eine Person vergessen oder mit etwas abschließen möchte, dann muss man sich manchmal erst einmal richtig mit dem Thema abgefunden oder sich damit arrangiert haben.
Naja..."

Ich brach ab, da Pamina begann, langsam zu nicken.
Sie hatte mich wohl schnell verstanden.

"Stimmt. Wenn man vielleicht nicht alle Tränen aus sich herausweint, dann bildet sich in einem drinnen ein See- und das Wasser steigt gefährlich."

Ich grinste leicht. "So kann man es natürlich auch formulieren."

Dann wurde ich jedoch wieder ernst: "Aber Alkohol ist eine ganz schlechte Idee. Das wissen wir beide. Du kannst nicht vor Deinen Gefühlen wegrennen, sie holen Dich immer wieder ein."

Pamina starrte auf den Asphat vor dem Bulli, der nun von eimer großen Pfütze Wodka bedeckt war. Der Mond spiegelte sich in der Flüssigkeit und ließ sie glitzern.
Der Moment war irgendwie besonders. Wir saßen sehr nah beieinander und waren still, sodass ich Paminas gleichmäßigen Atem hören konnte. In der Kälte bildete er kleine Wölkchen vor ihrem Mund.

"Okay." Die gewohnt tiefe Stumme war nun wieder ruhiger, glatter.
"Gut, Du hast Recht. Ich muss loslassen, aber so, dass es mir selbst gut tut."

"Genau."

Sie seufzte schließlich. "Gib mir noch eine Woche. Ich muss mich erholen, dann machen wir mit den Lektionen weiter."

Erleichtert nickte ich. "Wobei... Im Prinzip war das hier schon die sechste Lektion. Mit dem Inhalt, dass man manchmal nicht stark sein muss, um zu heilen. Und... das Polaroid-Bild wird wohl auch kein Problem sein."

Pamina lächelte und sah mir in die Augen. Sofort begann mein Körper zu kribbeln, mir wurde heiß. Und irgendwie fand ich das gerade schön. 
In Gedanken fügte ich zu meinem letzten Satz hinzu:
Wir bräuchten zwei Polaroids. Denn ich habe noch eine zweite Lektion gelernt: Dass man manchmal über seinen Schatten springen muss, um anderen und sich selbst zu helfen.

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