Lektion 5 (Part 1)

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"Yuru! Antworte mir, was ist los?!". Paminas Stimme drang gefämpft zu mir, aber ich nahm sie nicht richtig wahr. Ich stand völlig neben mir.
Und ich konnte es nicht fassen.

Er wollte gehen.

Was hatten wir schon zusammen alles erlebt?! Wir waren seit dem Kindergarten befreundet. Wurden zusammen eingeschult. Gingen immer in dieselbe Klasse, waren nachmittags zusammen Fußballspielen gewesen und seit Kurzem auch Basketball. Er hatte meinen achtzehnten Geburtstag mit mir gefeiert, wobei wir zusammen auf einer Parkbank "übernachtet" hatten und eingeschneit worden waren.
Wir wollten zusammen unsere Freiheit feiern, unser Leben leben. Er hatte von jedem Treffen zwischen Pamina und mir gewusst. Er war wie ein Teil von mir gewesen.

Bis zu dem Moment, als ich in dem Briefkasten sah und einen Brief mit seiner Adresse als Absender herausfischte.

...Es tut mir leid, aber ich kann das nicht mehr. Ich muss weg, egal wohin, Hauptsache allein. Ich muss mich selbst finden...

Die Worte hallten in meinem Kopf immer wieder.

Umd warum ich vor einer Woche einfach von Bulli weggerannt und den kompletten We gzu Fuß nach Hause gegangen war, wusste ich auch nicht mehr genau.

"YURU!"
Ich zuckte zusammen und mein Kopf schnellte zur Seite- sodass ich genau in Paminas Gesicht blicken konnte.
Sie wirkte irgendwie erleichtert, vielleicht, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass ich noch reagierte.

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, räusperte sie sich, dann sprach sie mit ruhiger Stimme los:

"Yuru, Du musst mir sagen, was los ist. Erst bist Du vor drei Tagen einfach aus dem Bulli abgehauen, dann rufst Du mich mitten in der Nacht an, obwohl noch nicht mal eine Woche vorrüber ist und jetzt sitzen wir hier mitten in der Stadt im Auto auf irgendeinem Parkpltz und Du sagst nichts.
Also: sprich bitte mit mir."

Irgendwie bewirkten Paminas ruhige Worte, dass ich durchatmete. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, versuchte, irgendetwas zu sagen, aber es kamen nur Sätze mit tausend verschiedenen Themen auf einmal aus meinem Mund:

"Er will gehen. Wir waren beste Freunde. Das war zu viel. Dieser Brief und außerdem musste ich vom Bulli weg, weil das auch zu viel war. Sorry. Und jetzt weiß ich nicht, was ich ohne ihn machen soll."

Pamina runzelte die Stirn. "Aber dass Du abgehauen bist, hat nichts mit der anderen Tat zu tun, dass Du weggerankänt bist, oder?"
Ich schüttelte nur den Kopf.

"Gut, dann erklär mir bitte zuerst, was es mit Deinem Freund auf sich hat."

Zuerst formten sich in meinem Kopf keine richtigen Worte, dann aber, sprudelten sie plötzlich nur so aus mir heraus:

"Mein bester Freund und ich kennen ums schon seit dem Kindergarten. Wir waren ein Herz und eine Seele und wollten später nach der Schule auch zusammen ins Ausland gehen. Also jetzt irgendwann. Ich habe mir meine Zukunft immer mit ihm vorgestellt, er war wie ein Bruder. Und jetzt-", ich unterbrach mich selbst, weil ich schlucken musste.
"Jetzt hat er mir einen Brief geschrieben, in dem steht, dass er abgehauen ist. Ins Ausland. Allein. Ohne mich.
Er hat mich einfach zurückgelassen! Er hat geschrieben, dass er "sich selbst finden muss" und dass er "nicht mehr kann". Mehr hat er nicht gesagt. Ich verstehe ihn einfach nicht!"

Stille Pamina sagte nichts. Ich wartete auf eine Antwort, aber es kam kein einziger Satz.
Langsam fragte ich mich, was ich eigentlich hier machte. Nachdem ich den Brief gelesen hatte, hatte ich sofort zum Telefon gegriffen und Pamina angerufen, um halb drei. Ich hatte nichts genaues gesagt, einfach nur, dass sie kommen sollte.
Und als wir dann im Auto gesessen hatten, waren wir auf meinen Wunsch hin einfach nur irgendwohin gefahren.

Ich war wie in einem Rausch gewesen. Aber langsam lichtete ich der Nebel um meinen Kopf herum und ich konnte wieder klar denken.

"Lass ihn gehen."

Midnight CityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt