Liebe Pamina,
Wo soll ich anfangen? Vielleicht mal damit, dass ich gerade weinend auf der Dachterrasse des Clubs sitze, wo wir unser erstes Zusammentreffen hatten. Ja, Du hast mich schon verstanden: Ich 'weine'. Und das eigentlich schon seit Du mit dem Auto um die Ecke in unserer Straße gebogen bist. Außerdem höre ich unsere gebrannte CD. Ich hab die Lieder alle zu einer Handyplaylist hinzugefügt, dann kann ich sie auch hören, wenn ich mal grad kein CD-Laufwerk in der Nähe habe. Das einmal vorne weg.
Wahrscheinlich wird dieser Brief in seiner Länge etwas eskalieren, aber es gibt so viel, was ich Dir schreiben möchte. Auch, wenn dieses Blatt Papier niemals bei Dir ankommen wird, denn ich hab eine Ahnung, wo Du Dich gerade aufhältst.
Also: Warum weine ich? Ich denke, diese Frage kannst Du Dir selbst beantworten. Aber nicht nur, weil Du jetzt weg bist, sondern auch wegen der Tatsache, dass Du nicht mehr wiederkommst. Du wirst mich heute nicht mehr mitten in der Nacht für eine neue Lektion anrufen. Das zu realisieren, ist am schlimmsten. Und ich weine auch, weil ich erst mal Zeit brauche, um zu akzeptieren, dass diese Zeit jetzt vorbei ist und ein neuer Lebensabschnitt anfängt. Letzteres, denke ich, wird aber bald passieren.Weißt Du, bei unserer ersten Lektion habe ich Dich für komplett verrückt gehalten.
Flashback
"Sag mal, spinnst Du?! Du kannst doch nicht einfach so abhauen! Ich hatte mir gerade echt Sorgen gemacht! Das kann doch nicht Dein Ernst sein! Warum tust Du das?!"
"Ganz einfach: Das ist der Inhalt der ersten Lektion. In Ausnahmesituationen einen kühlen Kopf bewahren. Und ich muss sagen, das hast Du echt gut hingekriegt. Diesen Teil vom Glück hast Du also schon sicher. Das ist sehr gut."
"Ich fasse es nicht. Du bist doch komplett verrückt!"
"Ja, das stimmt. Aber gut: Wie ich es vorhin gesagte habe, machen wir ein Polaroid-Bild pro Lektion. Das von heute habe ich schon gemacht. Da bist Du drauf. Und ich hab schon drunter geschrieben, was der Inhalt war: Ausnahmesituationen bestehen können." Sie grinste stolz.
---
Im Nachhinein denke ich: Du bist wirklich verrückt! Aber irgendwie auf Deine ganz eigene Art und Weise. Allein schon diese seltsamen Schatten unter Deinen Augen, die Dich immer aussehen lassen wie ein - sorry- Totenkopf. Und das ist insofern ein Problem für mich, weil ich Dir dann nie wirklich böse sein kann. Auch nicht für Deine Entscheidung, mich zu 'verlassen'. Auch, wenn ich mich immer noch ein wenig ausgenutzt fühle, aber das kann man jetzt nicht mehr ändern. Und ich denke, wenn Du die ganze Zeit über nicht so seltsam hartnäckig gewesen wärst, dann wären wir nicht da, wo wir heute sind. Deswegen:
Danke dafür.Weil mir gerade die Sache mit den Polaroid-Bildern einfällt: Ich finde, auch Lektion 12 hat einen Namen und einen Inhalt verdient. Deswegen habe ich das Bild beschriftet. Ich hab geschrieben: 'Es gibt auch traurige Seiten im Leben'. Vielleicht ein wenig depressiv, aber das gehört meiner Meinung nach nun mal auch zum Glück dazu. Übrigens habe ich mir vorhin alle Polaroid-Bilder noch einmal angesehen: Am lustigsten fand ich das, worauf ich in Deinem Bulli gekniet bin, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Das war Lektion 5, glaube ich.
Flashback
Wir übernachten im Wald.
Wir übernachten im Wald.
Wir übernachten im Wald.
Jetzt war es offiziell: Pamina war verrückt.
Gerade hatte wieder einmal mitten in der Nacht das Telefon geklingelt und ich war rangegangen. Es war klar gewesen, dass sie es war, welche unbekannte Nummer würde mich sonst um Mitternacht anrufen...
Ich war noch nicht einmal dazu gekommen, eine Begrüßung zu sprechen, da hatte sie schon gesagt: "Wir übernachten im Wald!"
---
Am Ende haben wir dann im Auto geschlafen, weil es draußen gewittert hat und Du hast mich als Kopfkissen benutzt. Ich weiß noch, dass mir dann erst klar geworden ist, dass ich dich mag, liebe. Und es tut mir leid, dass ich damals einfach weggerannt bin. Dich habe stehen lassen. Aber das hast Du jetzt ja auch.
Wie Du Dir wahrscheinlich denken kannst, bereue ich die Zeit mir Dir überhaupt nicht. Und irgendwie auch nicht das Ende, denn es ist jetzt Teil der Geschichte. Ich hätte mir nur gewünscht, dass unsere Zeit anders ausgeht.
Pamina, Du hast mein Leben verändert. Allein schon dieser Satz beweist es, denn vor circa 12 Wochen hätte ich so etwas nie formuliert. Aber damals hatte ich ja auch eine ganz andere Vorstellung vom 'Glücklich sein' und eine Beziehung oder Veränderung in dieser Art hat nicht dazugehört. Ich will nicht sagen, dass diese Ansicht falsch war, aber Du hast mir angesehen, dass ich eigentlich etwas anderes wollte und dann mit Deinem Deep-Talk angefangen. Glaube ich zumindest, denn Dich zu durchschauen ist schwierig.
Jedenfalls möchte ich jetzt einen anderen Lebensweg einschlagen, als ich es vorher wollte. Vielleicht mache ich es meinem Freund nach, der einfach abgehauen ist. Wahrscheinlich ziehe ich auch aus, ich weiß es noch nicht ganz genau, Hauptsache ich bin glücklich. Das habe ich von Dir gelernt.
Und ich habe gelernt, dass Wünsche nicht immer in Erfüllung gehen. Ich habe nämlich bei Lektion 12 auf meinen Teebeutel geschrieben, dass ich mur wünsche, dass ich die gebrannte CD bekomme. Das ist in Erfüllung gegangen, aber ich habe auch Dich aufgeschrieben und, dass diese Lektion niemals endet. Was aus diesem Wunsch geworden ist siehst Du ja. Im Leben passiert nicht immer alles so wie man es sich wünscht. Und das muss ich jetzt erst einmal akzeptieren.
Denn, Pamina, ich liebe Dich und es ist wahnsinnig schwer für mich, Dich gehen zu lassen.
Aber so ist das Leben.
Viele Grüße, wo auch immer Du gerade bist.
Yuru
DU LIEST GERADE
Midnight City
Teen Fiction"Das Leben ist vielleicht nicht immer perfekt, aber es gibt diese besonderen Momente, die es so lebenswert machen" -Pamina Pamina und Yuru. Zwei komplett verschiedene Menschen- die beide den Sinn des Lebens und das Glück suchen. Doch werden sie es z...