Paminas Stimme durchschnitt wieder einmal die Stille. Lass ihn gehen. Noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, sprach sie schon weiter.
"Du hast nicht damit gerechnet und wenn Träume von jetzt auf gleich einfach platzen, dann kommt man erst nicht damit klar. Das verstehe ich.
Aber Du weißt nicht, wohin Dein Freund gegangen ist. Und außerdem hat er geschrieben, dass er sich selbst finden möchte. In so einer Phase tut man, was das Bauchgefühl einem sagt. Deshalb denke ich, dass es keinen Sinn machen würde, ihn jetzt zu suchen."Ich überlegte. Das klang irgendwie logisch. Trotzdem:
"Wütend bin ich aber dennoch."
"Ich weiß. Aber nimm das nicht zu persönlich. So wie es sich angehört hat, hat Dein Freund das gar nicht geplant, einfach abzuhauen. Es ist einfach über ihn gekommen. Er wollte Dich nicht verletzen, soweit ich das beurteilen kann."
Diesmal sagte ich nichts, jedoch fuhr Pamina schon fort:
"Du kannst gerade eh nichts tun, als Dich damit abzufinden. Lass ihn gehen."
Den letzten Satz ließ sie absichtlich in der Luft hängen.Ich nickte. Vielleicht stimmte es ja, was sie sagte. Es machte zumindest Sinn.
Ich blickte aus der Frontscheibe nach draußen. Der Parkplatz war umringt von grauen, eintönigen Hochhäusern aus Beton, über sich denen der blaue Nachthimmel gemächlich heller verfärbte. Es dämmerte.
Ich spürte, wie all die Ereignisse lansam klarer in meinem Kopf wurden. Das Problem mit dem Brief meines Freundes war zwar noch nicht gelöst, aber immerhin hatte ich einen Anhaltspunkt, was ich jetzt tun könnte.Blieb nur noch die Frage, warum ich vor drei Tagen einfach den Weg vom Bulli allein nach Hause gerannt war... Und darauf hatte ich ehrlich gesagt keine Antwort. Ich hatte Panik aufgrund des Gefühls bekommen, dass sich in mir breitmachte, wenn ich Pamina nahe war.
Und das würde auch jetzt der Fall sein, wäre es nicht so eine besondere Situation, hätte ich nicht so ein Chaos im Kopf gehabt.
Nachdem ich vor drei Tagen zu Hause angekommen war, hatte ich mich in Grund und Boden geschämt. Welcher Junge haute bei so einer Situation schon einfach ab?! Jedenfalls hatte ich mir vorgenommen, mich nicht mehr bei Pamina zu melden und das ganze einfach abzubrechen.Aber nachdem ich heute Nacht den Brief gelesen hatte, war mir nichts anderes übrig geblieben, als ihre Nummer zu wählen. Das Gefühlschaos hatte mich komplett überfordert. Es war das erste Mal, dass der Anruf mitten in der Nacht von mir aus ging und das, obwohl noch nicht mal eine Woche vorüber war.
Und im Nachhinein war ich doch froh, jetzt neben Pamina im Auto sitzen zu können, anstatt mir in meinem Bett den Kopf zu zerbrechen.
Seltsamerweise ging sie auch gar nicht mehr auf die Sache mit dem Auto ein. Stattdessen blickten wir beide einfach nur still aus der Windschutzscheibe.
Mittlerweile hatte der Himmel sich in verschiedenste Rottöne verfärbt und über dem Meer aus Betonhäusern ging langsam die Sonne auf. Ihre Strahlen beleuchteten einige Fenster, sodass sich das gleißende Licht dort widerspiegelte.Bei uns im Auto war es noch dunkel, aber wir saßen wie in einem Kino auf den Sitzen und beobachteten das Spektakel draußen. Die Sonne erschien mir in diesem Moment so riesig und mächtig wie schon lange nicht mehr.
Pamina hatte wieder einmal ihr Handy gezückt und nun drangen die ersten Töne eines Liedes an mein Ohr. Ich kannte es nicht, aber die Melodie gefiel mir. Sie passte irgendwie zur Situation, zu diesem Moment. Also fragte ich mit leiser Stimme: "Wie heißt das Lied?"
"Midnight City." Pamina lächelte, während sie den Namen aussprach. "Es ist mein Lieblingslied." Nun musste ich auch grinsen. Meine Laune besserte sich von Sekunde zu Sekunde, als hätte das Lied einen Schalter in mir umgelegt. Die Töne ließen mich innerlich abschalten und ich nahm nur noch den Anblick des Himmels vor meinen Augen war.
Dann spürte ich, wie etwas in meine Hand pikste. Ich blickte nach unten und stellte fest, dass Pamina mir ein Foto hinhielt. Ein Polaroid-Bild.
Ich nahm es entgegen und sah es mir an: Das Foto zeigte wieder einmal mich, wie ich fast schon in Paminas Bulli kniete, um nicht mit dem Kopf anzustoßen. Darunter stand in krakeliger Schrift: Lektion 3: Less is more."Eigentlich wollte ich genau deswegen im Wald übernachten, um Dir das zu zeigen. Dass man nicht viel zum Überleben braucht. Dass vieles, was wir für nötig halten, nur Luxus ist. Aber ich denke, dadurch, dass wir im Auto übernachtet haben, ist die Lektion auch bestanden." Sie lächelte wieder.
Ich legte das Bild vorsichtig unter die Windschutzscheibe und drehte mich zu ihr um: "Und was ist die Lektion für heute?"
"Ich denke, heute lernst Du, dass Du nach einer Art Schicksalsschlag, wie Du ihn hattest, wieder aufstehen musst. Nach jeder Nacht kommt ein Morgen" Um ihren Satz bildlich zu unterstreichen, nickte sie mit dem Kopf in Richtung aufgehende Sonne.
Und es stimmte. Mittlerweile schienen die ersten Sonnenstrahlen auch auf den Parkplatz, unser Auto erreichten sie jedoch noch nicht. Irgendwie hatte ich jetzt das Gefühl, Pamina zu verstehen. Es machte keinen Sinn, jetzt nach meinem Freund zu suchen. Das würde uns beide auch nicht glücklicher machen, es würde ohnehin nicht mehr so werden wie davor. Stattdessen beschloss ich, mir jetzt nicht den Kopf zu zerbrechen, sondern einfach den Moment zu genießen.
"Weißt Du-", hörte ich Paminas Stimme plötzlich direkt neben mir. "Das Leben ist vielleicht nicht immer perfekt, aber es gibt diese besonderen Momente, die es so lebenswert machen."
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Midnight City
Teen Fiction"Das Leben ist vielleicht nicht immer perfekt, aber es gibt diese besonderen Momente, die es so lebenswert machen" -Pamina Pamina und Yuru. Zwei komplett verschiedene Menschen- die beide den Sinn des Lebens und das Glück suchen. Doch werden sie es z...