Lektion 11

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Es war perfekt. Es war alles perfekt. Noch nie hatte ich mich so wundervoll gefühlt, während ich neben Pamina lief- und ihre Hand hielt. Es war mitten in der Nacht und wir befanden uns wieder in der Stadt. Allerdings nicht in der Fußgängerzone, sondern inmitten des Industriegebiets. Pamina hatte noch nicht verraten, was die heutige Lektion sein würde, aber ich konnte es mir ausnahmsweise schon denken: Denn über ihrer Schulter hing eine Umhängetasche, diese war gefüllt mit allen möglichen Sprühdosen verschiedener Farben. Wir gingen sprayen. Zu hundert Prozent.

"Jetzt rechts", riss mich eine mittlerweile gewohnt tiefe Stimme aus meinen Gedanken. Ich drehte mich abrupt um und zog Pamina an der Hand um die Ecke. Dann blieb ich staunend stehen: Einige Meter vor uns erstrecke sich im Flutlicht eine riesige Mauer, die rechts und links zwischen den großen Lagerhallen des Industriegebiets aus meinem Sichtfeld verschwand. Sie erinnerte mich ein wenig an die Berliner Mauer. Fast jeder Quadratmeter Beton war bunt besprüht worden: Ich konnte Namen entdecken, Portraits und auch Werke, die mit einer Schablone angefertigt worden waren, wie die Graffitis von Banksy.

Pamina grinste und tat einen Schritt auf die Mauer zu. "Ich denke, Du weißt, was wir heute tun werden. Suchen wir mal eine freie Stelle".

Nach einigem Hin- und Herlaufen an der Wand entdeckten wir ganz unten eine nicht besprayte Fläche. Davor stellte Pamina die Tasche ab und wühlte zwei Gasmasken heraus. "Zur Sicherheit". Sie hielt mir eine hin.

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"Versuch, die Sprühdose so weit von der Wand wegzuhalten, dass Dein Unterarm dazwischen passen würde... Und wenn Du genauer sprayen willst, dann musst Du näher an die Mauer ran und die Dose schief halten...". Pamina umfasste vorsichtig meinen Arm und zeigte mir die verschiedenen Techniken, wie ich meine Dose halten sollte. Bei jeder Berührung kribbelte mein kompletter Körper und meine Mundwinkel zogen sich nach oben.

"Gut, mach einfach mal". Sie lächelte mich auffordernd an. Ich hatte mir die Farbe Dunkelblau ausgesucht, wusste aber noch nicht, was ich sprühen sollte. Als mir auch nach mehreren Sekunden nichts passendes in den Sinn kam, tat ich einfach das, was mein Bauch sagte. Langsam setzte ich meine Hand in Bewegung und drückte auf den Sprühknopf. Mehr und mehr Linien entstanden und begannen, ein Wort zu ergeben. Ich war noch nie gut im Zeichnen gewesen und die Farbe lief an mehreren Stellen die Wand hinunter, aber das störte mich nicht.

Als ich fertig war, trat ich einen Schritt zurück und begutachtete mein Werk: "Midnight City". Pamina stand neben mir und sah sehr konzentriert aus, während sie ein Dreieck mit einigen Querstreben verschönerte. Das Zeichen für Klingande. Ich musste lächeln.

Dann kam mir ein Geistesblitz und ich griff nach einer neuen Farbe: rot. Wenig später prangten drei Lettern unter unseren Graffitis: P & Y. Gerade, als ich mich fragte, ob das jetzt nicht doch zu kitschig war, umfasste Pamina meinen Kopf mit ihren Händen, drehte ihn zu sich und legte ihr Lippen auf meine. Ich keuchte überrascht auf, erwiderte den Kuss aber sofort. Es schien alles so perfekt. Und ich wünschte mir, es würde für immer so bleiben.

"Ehrlich gesagt...", murmelte Pamina irgendwann, als wir uns voneinander gelöst hatten. "Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was für eine Lektion das dieses Mal sein soll. Ich hatte einfach Lust, heute sprayen zu gehen."

Ich legte meinen Kopf schief, aber schließlich musste ich grinsen. "Wie wäre es, wenn wir es einfach dabei belassen, dass es schöne Zeiten im Leben gibt?".
Es klang furchtbar kitschig und vor wenigen Wochen hötte ich über solch einen Satz noch die Augen verdreht, aber das war mir gerade egal. Es war jetzt nicht mehr so wie davor.

Pamina lächelte mich an, wie so oft zur Zeit: "Einverstanden!"

Midnight CityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt