Lektion 9 (Part 1)

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Bald war es zu Ende.

Die Erkenntnis traf mich wie der Schlag, als mein Handy wie gewohnt nachts klingelte. Ohne auf das Display zu schauen, wusste ich, dass es Pamina war, denn es war halb zwei Uhr nachts. Ich vergrub meinen Kopf weiter in meinem Kissen. Wer sonst würde um diese Uhrzeit anrufen?

Ich hatte sogar mal überlegt, einfach an dem Wochentag, an dem Pamina für gewöhnlich anrief, wachzubleiben und auf ihren Anruf zu warten. Jedoch hatte ich Angst, dass ich dann die Treffen nicht durchstand- und einfach einzuschlafen, während Pamina mir vielleicht gerade den Inhalt der heutigen Lektion erklärte, das wäre mehr als nur peinlich.

Und so schlug ich seufzend die Decke zur Seite und quälte mich aus dem Bett. Ich hatte meine heutigen einfach Klamotten angelassen und musste mir unten in der Diele nur noch Jacke und Schuhe anziehen. 

Als ich dann schließlich leise die Haustür zuzog und dafür die Beifahrertür von Paminas Bulli öffnete, kam mir wieder in den Sinn, dass ich dies bald zum letzten Mal tun würde. Ich hatte mir bisher noch keine Gedanken darüber gemacht, was nach Lektion 12 kommen würde, aber da jetzt gerade Lektion 9 anbrach, realisierte ich, dass ich es bald erfahren würde. 

"Was ist los?", unterbrach Pamina die lauten Gedanken in meinem Kopf. Ich schüttelte diesen nur, ließ mich auf den von grünem Cord-Stoff überzogenen Sitz neben ihr fallen und schloss die Wagentür. Der Motor sprang an und wir fuhren in die Nacht hinaus. 

"Ach übrigens: Ich hab letzte Woche vergessen, Dir das Polaroid-Bild zu geben. Es liegt hinter der Windschutzscheibe.", meinte sie noch, dann war es komplett still.

Ich nahm das Foto in die Hand und betrachtete es, soweit das bei der Dunkelheit ging: Es war hauptsächlich Schwärze zu sehen, aber wenn man genau hinsah, dann konnte man den Bulli erkennen. Und mittendrin den Schatten einer Gestalt. Das war wahrscheinlich ich.
Vermutlich hatte Pamina mich fotografiert, als sie letzte Woche schon vor mir ausgestiegen war und ich noch im Auto gesessen und gerade realisiert hatte, dass wir schwimmen gehen würden.

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Wir fuhren wieder nicht zum Parkplatz. Stattdessen parkte Pamina das Auto einfach mitten in der Stadt vor einem Hochhaus. Ich blickte-soweit es durch das Autofenster möglich war- an der Fassade hoch: Grauer Beton, symmetrisch eingelassene Fenster, nichts besonderes.

Aber Pamina stieg aus, nahm die Polaroid-Kamera in die Hand und deutete mir, ihr zu folgen. Und so verließ ich ebenfalls den Bulli und sie sperrte ihn ab. Danach wechselte sie den Schlüssel an ihrem Bund uns schloss die Eingangstür des Hochhauses auf. 

Schnurstracks ging sie auf das Treppenhaus zu, während ich nur im Türrahmen stehen blieb und ihr hinterherrief: "Warte mal! Wohin willst Du? Und warum hast Du einen Schlüssel für das Haus hier?!" In diesem Moment krachte die schwere, alte Holztür gegen meine Schulter und ich stolperte einige Meter nach vorne.

"Ich hab doch gesagt, dass ich mal in Deiner Nähe gewohnt hab", begann Pamina. "Naja...willkommen in meinem ehemaligen Zuhause!" Sie breitete die Arme aus.

"Und was wird das dann hier? Eine Wohnungstour?", fragte ich dagegen weiter. Sie schüttelte jedoch nur den Kopf und stieg die Treppen nach oben. Ich folgte ihr einfach.

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Hätte ich die Stufen gezählt, die ich bisher hinter Pamina nach oben gestiegen war, wäre ich jetzt bestimmt schon bei über tausend. Mittlerweile schnaufte ich bei jedem Schritt. Im Treppenhaus roch es modrig, nach hundert Parfums gleichzeitig und nach Farbe, obwohl die Wände nicht so aussahen, als wären sie in letzter Zeit gestrichen worden. Es war der typische Treppenhausgeruch. 

Gerade, als ich fragen wollte, wie weit es noch war, blieb Pamina stehen und ich wäre fast in sie hineingerannt. "Wir sind da", flüsterte sie und ich konnte Anmut in ihrer Stimme mitschwingen hören. Vorsichtig blickte ich über ihre Schulter- und konnte eine Tür erkennen.

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