Lektion 3 (Part 2)

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Um uns herum war es stockdunkel. Jedoch funkelten am tiefblauen Nachthimmel Abermillionen Sterne. Größere und kleinere Lichtpunkte, je länger ich hinaufblickte, desto mehr wurden es. Und mittendrin der Vollmond mit silbrig glänzendem Licht.

Ich sog den Anblick in mich auf und wollte nicht blinzeln, wollte keinen kostbaren Augenblick hiervon verschwenden. Nie zuvor hatte ich einen so schönen Sternenhimmel gesehen.

Noch immer sagte niemand etwas. Einzig und allein Paminas und mein Atem waren zu hören, ruhig und gleichmäßig.

Dann brach Paminas Stimme schließlich die Stille. "Siehst Du die Milchstraße?"
Sie hob den Arm umd fuhr mit ausgestrecktem Finger eine Linie über unseren Köpfen entlang. Ich folgte ihr mit meinem Blick- und tatsächlich: Eine feines Band, bestehend aus mehr beieinander funkelnden Punkten als außen herum, zog sich quer über uns hinweg.
Ich lächelte. "Ja, ich sehe sie."
Pamina ließ den Arm wieder sinken und für eine kurze Zeit berührte ihr Handrücken meinen.

Sofort ging mein Atem flacher und ich schloss die Augen. Da war wieder dieses Gefühl- war es mir unangenehm oder fand ich es schön?
Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn schon im selben Moment setzte Pamina sich wieder auf, sodass ihre Hand nicht mehr meine berührte, und zog ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Sie entsperrte es, tippe darauf herum und legte es dann zwischen uns, ehe sie sich wieder nach hinten sinken ließ.

Erst war es wieder einmal still, doch dann..

Here's my key
Philosophy
A freak like me
Just needs infinity

Ich begann zu lächeln. Infinity war eines meiner Lieblingslieder. Pamina hatte Musik amgemacht. Die Melodie spielte leise neben mir und ich sah wieder nach oben.

Infinity. Unendlichkeit.

Genau das wünschte ich mir in diesem Moment. Irgendwie war das hier schön, dass die Zeit nicht vergehen sollte. Ich kannte Pamina kaum, es war mitten in der Nacht und morgen war wieder Schule, aber das war in diesem Moment gerade egal.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite, sodass ich den Parkplatz und das angrenzende Feld beobachten konnte. Viel sah man wegen der Dunkelheit nicht, aber das machte die Sterne nur noch schöner und heller, deswegen machte mir die Schwärze auch nichts aus.

And take your time
To trust in me
And you will find
Infinity

"Glaubst Du eigentlich an Horoskope?" Pamina.

"Ähm. Ne. Aber manchmal lese ich aus Spaß in der Zeitung welche." Ich.

"Ich hasse Horoskope. Sie manipulieren uns, sie machen uns kaputt."

"Wie meinst Du das?", fragte ich verwundert.

Pamina seufzte. "Du liest jeden Tag, von mir aus jede Woche, was in naher Zukunft passieren wird und lässt Dich davon beeinflussen. Wenn ein Horoskop zum Beispiel sagt: Heute hast Du durchgehend Pech, dann bist Du schon davor schlecht drauf und dann regnet es und Du hast vielleicht mal den Regenschirm vergessen: Pech, so wie es das Horoskop gesagt hat. Was Du sonst vielleicht nur ein bisschen ärgerlich findest, schiebst Du automatisch auf das Horoskop, nach dem Motto: Ich wusste ja, dass heute ein schlechter Tag wird. Das passiert alles unbewusst.

Natürlich gibt es auch Vorhersagen, die gut sind und dann bist Du schon vorher besser drauf als sonst. Aber auch das ist Manipulation. Die Tage sind ja nicht schon im Vorhinein schlecht, sondern es stellt sich währenddessen heraus. Deswegen sollte man jedem Tag neutral eine Chance geben, anstatt sich schon vorher Dinge gut oder schlecht zu reden."

Sie schnaubte wütend.

Ich sagte nichts.
Da stellte man mal kurz eine Gegenfrage aus Höflichkeit und dann so ein Redeschwall! Schon bei unserer ersten Konversation auf der Dachterrasse des Clubs hatte sie mich mit so einem Vortrag überfordert. Wie passten nur so viele Gedanken in ihren Kopf hinein?!

Ich lauschte dem Lied, welches nun gerade aus Paminas Handy drang. Es war eine Melodie, die ich noch nie gehört hatte, sie war außergewöhnlich, jedoch schön.

Aber irgendwie machte es Sinn, was Pamima sagte. Wenn ich länger darüber nachdachte, teilte ich ihre Meinung mit der Manipulation sogar.

"Stimmt.", murmelte ich also. "Es ist vielleicht die Ungewissheit, die das Leben so macht wie es ist... Also wenn man halt vorher noch nicht weiß, was passieren wird..."

"Genau! Horoskope machen die Ungewissheit kaputt!" Pamina wirkte auf einmal euphorisch. "Aber Ungewissheit ist so wichtig! Glückwunsch! Lektion 3 ist bestanden!" Sie klatschte freudig in die Hände, wie ein kleines Kind.

"Wie jetzt, das war Lektion 3?! Ungewissheit?"

"Genau! Ein kleiner Denkanstoß und schon hast Du etwas wichtiges dazugelernt!" Pamina wirkte wie in ihrem Element. Dann drückte sie mir etwas in die Hand.

Ich sah nichts, doch ich konnte bereits ertasten, das es ein weiteres Polaroid-Bild war. Ich nahm mein Handy aus meiner hinteren Hosentasche und schaltete die Taschenlampenfunktion ein. Im Licht konnte ich wieder einmal mich erkennen, wie ich auf dem Dach des Bullis lag, den Kopf zur Seite gedreht. Ich fragte mich, wieso ich es nie bemerkte wenn Pamina mich fotografierte, besser gesagt, warum sie es immer heimlich tat. Wo war überhaupt die Kamera?!

Als könnte Pamina Gedanken lesen, stellte sie diese direkt zwischen uns. "Sie lag die ganze Zeit an meinen Füßen. Ich hatte sie aufs Dach gelegt, als ich auf über die Frontscheibe hochklettern wollte.
Aber eins fehlt noch: Du musst noch Deine Lektion unters Foto schreiben.", sie ließ ihre Hand in ihrer Jackentasche verschwinden und holte einen Folienstift heraus. Diesen überreichte sie mir, während sie gleichzeitig mein Handy nahm und es hochhielt, damit Licht aufs Dach das Bullis schien.

Ich zuckte mit den Schultern und begann zu schreiben:

Lektion 3: Ungewissheit.

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