[Prolog]

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Das unausstehliche Geräusch meines klingelnden Handyweckers reißt mich aus dem Schlaf. Müde, wie ich bin, taste ich blind nach meinem Handy, werfe es aber stattdessen mit einer ungeschickten Handbewegung vom Nachttisch. Ich seufze und starre in der Dunkelheit mein Kissen an, ehe ich doch genervt aufstehe. Ich ziehe mir eine schwarze Jeans und einen weinroten Pullover, den ich nach Zufallsprinzip ausgewählt habe, über und schleife mich ins Bad. Morgenmuffel halt. Aber gut, ich mag es nicht, morgens mit meiner Familie zu reden, also muss man einfach nur weg sein, ehe alle anderen wieder da sind.

Ich mache mich so selbstverständlich fertig, dass ich beinahe gar nicht mitbekommen hätte, dass ich überhaupt bereit bin zu gehen. Ich trotte samt Rucksack bis zur Tür, schnappe mir ein paar weiße Sneakers und schlüpfe hinein. Die Schleifen binde ich nicht, ich stecke die Schnüre nur irgendwie zwischen die anderen und hoffe, dass ich im Laufe des Tages nicht darüber stolpere.

Gerade ziehe ich mir meine Regenjacke an, als ich leise Schritte vernehme und unruhig die Lippen kräusle. Es wäre mies von mir, einfach zu gehen, aber ich halte es nicht aus. Trotzdem bleibe ich so lange auf der Stelle stehen, bis sich zwei kleine Arme von hinten um mich legen. "Wieso gehst du schon wieder?", fragt mich die schluchzende Stimme meiner kleinen Schwester. Ich löse mich vorsichtig aus ihrem Griff, drehe mich um und knie mich vor ihr hin. "Ich muss zur Schule, genau wie du auch." Ich tätschele ihr den Kopf und bin froh, hier mit ihr in der Dunkelheit zu sitzen. Ich weiß auch so, wie deprimiert ihr Blick ist, mit dem sie mich ansieht. "Und wieso gehst du dann immer so früh und nicht erst, wenn Schwester Mito und ich auch gehen?" Meine Faust ballt sich, während ich versuche, ihr mit der anderen Hand beruhigend über den Haaransatz zu streichen. "Ich habe noch etwas anderes vor." "Du hast aber den ganzen Tag etwas anderes vor, ich sehe dich doch nie. Du kommst immer erst nach Hause, wenn ich schon schlafe."

Ich schweige, während die Wut in mir aufsteigt. Ehe mir nur eine Idee kommt, was ich dazu sagen könnte, geht das Licht an und ich sehe in die feuchten Augen von Ryoko, weshalb ich meinen Blick sofort abwende und zu Mito schaue, die neben uns tritt. Mein Zorn erreicht ungeahnte Dimensionen, weshalb ich sofort aufstehe und nach meiner Tasche packe, doch Mito hält mein Handgelenk fest und wir sehen uns einen Moment fest in die Augen. Schließlich reiße ich mich los und drehe mich zur Tür, die ich mit Schwung aufreiße. "Schau doch mal, wie fertig du unsere Schwester machst! Hey, jetzt warte doch mal, du kannst nicht immer einfach gehen, wenn dir etwas nicht passt!"

Doch ich überhöre sie, drehe mich nicht einmal mehr um und knalle einfach die Tür hinter mir zu. "Sie ist nicht unsere, sondern meine Schwester", zische ich und stapfe zum Supermarkt.

Und das ist wohl der Zeitpunkt, an dem ich mich zuerst einmal vorstellen sollte, bevor irgendwer nicht mehr mitkommt. Die Geschichte ist lang, aber ich fasse mich kurz. Ich habe mit Ryoko und meinen Eltern in Tokio gelebt, doch dann sind meine Eltern vor zwei Monaten bei einem Raubüberfall umgekommen, so heißt es zumindest, und dann waren wir beide allein. Touka, unsere Tante und damit Mitos Mutter, dachte sich dann, dass ihre Schwester bestimmt gewollt hätte, dass sie uns aufnimmt. Jetzt bin ich hier in irgendeinem Dreckskaff im Nirgendwo, anders kann man es nicht bezeichnen, und prügele mich durchs Leben. Ich rede die ganze Zeit von mir, mein Name ist übrigens Saiya Uzumaki und ich bin 17 Jahre alt, gehe somit ins Abschlussjahr und sobald ich fertig mit der Schule bin, werde ich auch endlich 18 sein und gehe wieder zurück nach Tokio. Meine Schwester, Ryoko Uzumaki, ist aber erst 11 Jahre und wird daher weiterhin hier zur Schule gehen. Ihr fragt euch, wo wir überhaupt sind? Ich mich auch. Irgendeine Insel in der Präfektur Okinawa. Wieso Japan bloß so viele Inseln haben muss, was für eine nervige Angelegenheit. Wir waren ganz früher immer über die Ferien hier, doch die letzten Jahre nicht mehr, hätte nie gedacht, hier mal wohnen zu müssen. Dieses Dorf hat nicht einmal einen offiziellen Namen, kann man sich das vorstellen?! Deswegen ist dies hier eben doch irgendwie nur Okinawa. Alles andere erfahrt ihr eben noch. Oder auch nicht, mal sehen, wie meine Lebensgeschichte sich so entwickelt.

Thirst for blood? - IzunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt