"Ich weiß, wie das rüberkommen mag. Ich habe mich 24 Jahre lang nicht um dich geschert, aber das wird sich ab jetzt ändern. Wirklich. Ich werde jeden Tag beten und auch in die Kirche gehen, wenn es nötig ist. So ernst ist es mir mit Adlon. Und weil seine Eltern ja auch so religiös sind, dachte ich, du könntest sowas wie ein gutes Wort für mich einlegen. Ich weiß nicht, ob du zu etwas Derartigem fähig bist, aber vielleicht kannst du ihnen ein Zeichen oder so geben. Ich verspreche auch, die beste Freundin zu sein, die er haben könnte. Ich-"
"Eliza." Seine belegte Stimme holte mich aus dem Gebet zurück. "Ich sagte doch, du sollst dir nicht so viele Gedanken machen." Mein Blick wanderte rüber zur Tür, durch die er gerade eingetreten war und sich mir näherte. "Ich weiß, aber es geht einfach nicht." Ich selbst konnte mir nicht ganz erklären, wieso es mir so wichtig war.Er schlang die Arme um mich. Eine Weile kuschelten wir schweigend. "Hör zu", setze er irgendwann an. "Dass meine Mutter sich so verhält, hat rein gar nichts mit dir zutun, okay? Es ist nur-" Er zögerte. Etwas sagte mir, dass ich nach dieser Erklärung den Sinn sehen würde.
"Es ist wegen Bill." Anders als beim letzten Mal, als ich diesen Namen erwähnt hatte, war ich nun diejenige, dessen Körper sich versteifte. Wie es aussah hatte Adlons Adoptivbruder nicht nur in seinem Leben, sondern auch dem seiner Eltern tiefe Narben hinterlassen."Meine Eltern wollten unbedingt ein Kind haben, aber meine Mum wurde einfach nicht schwanger. Also entschieden sie sich für ein Kind aus dem Waisenhaus, Bill. Er war damals gerade mal drei Jahre alt. Gut sechs Monate später wurde meine Mutter schwanger und brachte mich schließlich zur Welt. Ich weiß nicht, ob es meine Schuld war, weil er eifersüchtig auf mich war oder ob es an den Leuten lag, mit denen er sich rumtrieb." Unwohlsein breitete sich in mir aus.
"Jedenfalls wurde er mit der Zeit immer reizbarer. Schon als meine Eltern ihn aufgenommen hatten, zeigte er ab und an mal seine dunklen Seiten, aber sie dachten sich nie etwas dabei. Bis er dreizehn Jahre alt wurde, gab es dazu auch keinen Grund." Wieder legte er eine Pause ein, die mich schlimmes erahnen ließ."Ich erinnere mich noch immer an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen."
Erschwert schnappte er nach Luft. Ich richtete mich auf, um ihn anzusehen und erkannte die Flüssigkeit in seinen Augenwinkeln. Ich nahm seine Hand. Er sollte wissen, dass ich für ihn da war. Mit Druck umfasste er sie."Eliza, er hat sie geschlagen. Bill hat Mum geschlagen. Regungslos lag sie auf dem Boden, während er immer wieder auf sie eintrat. Er brüllte sie an, sie solle sich wehren, doch sie stand zu sehr unter Schock, um irgendwas zu unternehmen." Er schluchzte. "Ich habe einfach zugesehen und nichts gemacht. Sie hat mir in die Augen gesehen und-" Eine Träne kullerte seine Wange hinunter, doch er wischte sie beiseite.
"Ich habe die Angst in ihnen gesehen, aber ich konnte mich einfach nicht bewegen. Eine halbe Stunde verging. Endlich hörte ich die Schlüssel. Mein Vater kam von der Arbeit zurück und konnte Bill von ihr reißen, aber er hat von diesem Tag an niemals damit aufgehört. Meistens wurde er nur Mum gegenüber gewalttätig. Nur selten griff er mich oder sogar meinen Vater an."Auf einmal ergab alles einen Sinn. Sein aggressives Verhalten, das Verhalten seiner Mutter. Nach dem, was sie durchgemacht hatten, konnte man nicht erwarten, dass sie keinen Schaden davongetragen hatten. Ich fühlte mich fürchterlich. Diese Geschichte war der blanke Horror.
"Mit 21 starb er an einer Überdosis", beendete Adlon seine Erzählung und hinterließ eine eindringliche Stille. Was hätte ich sagen sollen? Nichts hätte ändern können, was geschehen war. Nichts hätte es für ihn ertragbarer machen können. Ganz fest klammerte ich mich an ihn. Wenn ich nichts sagen konnte, wollte ich ihm wenigstens zeigen, dass ich bei ihm war, er in Sicherheit war und sich an mir festhalten konnte.
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Through the dark
RomanceIch war mir nicht sicher, ob es körperlich oder seelisch, meiner Wange oder meinem Herzen, mehr wehtat. "Oh mein Gott, Eliza." Er trat auf mich zu, doch ich wich zurück. "D-du hast mich geschlagen", stammelte ich fassungslos vor mich hin und brach...