KAPITEL 19

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"Victor, bitte", flehte ich den Praktikanten an. "Ich muss zu ihm." Hin- und hergerissen sah er zu der Karte in seiner Hand, die meine einzige Möglichkeit war in diesen Teil des Instituts einzutreten. Er holte tief Luft. "Na schön, aber ich habe dich nicht reingelassen." Ich nickte.

Nervös rangen meine Finger miteinander, während ich den Flur entlang lief. Er kam mir endlos vor. Schließlich erreichte ich mein Ziel. Das Labor. Nachdem Adlon nicht in seinem Büro war, musste er hier sein. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, öffnete die Tür. Ich bereute es. Und zwar schrecklich. Meine Kinnlade klappte runter. Dieses Bild würde ich niemals aus meinem Kopf kriegen, Adlon wie er seine "Kollegin" küsste. Meine Tasche rutschte aus der Hand und landete mit auf dem Boden. Gott sei Dank nahm mir der Tränenschleier die Sicht, sodass ich es nicht länger ertragen musste.
"Eliza." Seine Stimme war haltlos und trocken. Auf meinem Absatz machte ich kehrt. Wie von alleine trugen meine Beine mich aus dem Gebäude.
"Elizabeth." Entgeistert sah Victor mir nach. Ich war so schnell an ihm vorbeigerannt, dass er mein Gesicht nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen bekam, doch es reichte. Um die tränenüberströmten Wangen zu erkennen, reichte eine Millisekunde. Es war unübersehbar. "Mister Colby", hörte ich ihn kurzdarauf sagen. Er folgte mir also. Ich beschleunigte.

"Eliza, warte!" Ich hielt nicht an, lief weiter und weiter. Er hingegen auch. Irgendwann holte er mich ein.
"Lass es mich erklären", sagte er, aber ich schüttelte den Kopf. "Da gibt's nichts zu erklären. Wir sind kein Paar mehr, schon vergessen? Du bist ein freier Mann. Du darfst küssen wen du willst." Es war die Wahrheit und ich musste es akzeptieren, auch wenn es hart war. Wer weiß, wie lange da schon was lief.
Zwar wollte ich es mir nicht eingestehen, doch im Nachhinein war ich froh, dass er mich aufgeklärt hatte. "Ich habe ihr von unserer Trennung erzählt. Keine Ahnung, sie scheint das falsch aufgenommen zu haben und hat sich mir an den Hals geschmissen. Ich war geschockt. Erst als ich dich gesehen habe, wurde mir klar, was da gerade passierte." Also keine geheime Affäre während unserer Beziehung. Beinahe hätte ich aufatmen können, doch dann wurde mir wieder Bewusst, dass es ohnehin keine Rolle mehr spielte. Es war vorbei. Wieder kamen mir die Tränen. So sollte es nicht mit uns enden. So wollte ich es nicht. Wir hatten besseres verdient.
"Schön, dass wir das klären konnten", meinte ich monoton und drehte mich um, denn er sollte mich nicht wieder heulen sehen.

"Warte." Ich gefror. "Ich möchte auch nicht, dass es das jetzt war, Eliza", gestand er. Was hatte das zu bedeuten? Gab es einen anderen Weg, eine andere Möglichkeit? Ging es mit uns weiter? Sollte das nicht unser Ende sein? War es doch nicht die letzte Seite? Hatten wir doch noch unendlich viele zu befüllen?
"Momentan geht es nicht weiter, aber ich möchte dir etwas versprechen." Langsam wandte ich mich ihm wieder zu. Er war einige Schritte auf mich zu gekommen, stand nun direkt vor mir. In meiner Magengrube machte sich Aufregung breit. "Ich werde an mir arbeiten und wenn..." Er schnappte nach Luft. "...ich gut genug für dich bin und keine Gefahr mehr darstelle, werde ich dich suchen. Und wenn du mich dann noch willst..." Natürlich würde ich ihn dann noch wollen. Ich würde niemals aufhören ihn zu lieben. Er war meine erste große Liebe. Vorsichtig nahm er meine Hände in seine und sah mir tief in die Augen. "...dann verspreche ich dir, dass wir eine zweite Chance haben."

Through the darkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt