KAPITEL 01

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Mit dem Stapel an Mappen, den ich auf meinen Händen balancierte, hetzte ich durch das riesen Gebäude. Das Rosemont Forschungsinstitut für Naturwissenschaften.

Ich sollte ein Interview mit irgendeinem total raffinierten Biologen führen.
Normalerweise fiel das nicht in meine Aufgabenbereiche, aber Miranda, die dieses Amt für gewöhnlich übernahm, hatte sich eine ekelhafte Grippe eingefangen.

Anfangs war ich nicht sonderlich begeistert, aber inzwischen sah ich es positiv. Vielleicht tat es mal gut von meinem Laptop wegzukommen. Seit fast zwei Monaten saß ich schon an meinem neuen Roman und ernährte mich ausschließlich von TK-Pizza, asiatischen Fertiggerichten und anderem Dosenfraß. Frische Luft, etwas unters Volk kommen, das würde mir sicher nicht schaden.

Auf dem Flur war es still. Nur das gleichmäßige Klackern meiner Absätze hallte in der Stille. "317...318...319", las ich die Raumnummern ab und kam zum Stehen. 319 musste es sein. Diese Tür, war die letzte. Die Dame am Empfang meinte es wäre der hinterste Raum. Ich warf einen Blick auf das kleine Schildchen.
A. Colby.
Ich hievte die Unterlagen auf den linken Arm, um zu klopfen. Kurzdarauf wurde ich reingebeten.

Meine Kinnlade klappte runter. Ich riss die Augen weit auf. Der Mappenberg in meinem Arm viel zu Boden. Verflucht.
Er blickte auf. Seine kristallblauen Augen trafen meine. Keine Sekunde brauchte es bis auch er mich erkannte, doch - genau wie ich - brauchte er, um es wirklich zu realisieren.

A. Colby. Adlon Colby, na klar.

"Elizabeth?" Ungläubig starrte er mich an. "Adlon?", fragte ich mindestens genauso verdutz.

Wir beide besuchten die Science University of Chicago. Er studierte Natur-, ich Literaturwissenschaft.

Adlon Colby zählte zu den Elitestudenten; verdammt gutaussehend, attraktiv, intelligent und stinkreich.

So gut wie jedes Mädchen stand auf ihn. Ein bisschen für ihn geschwärmt hatte ich um ehrlich zu sein auch.
Natürlich wurde nie mehr daraus. Ich war zwei Jahre jünger. Er kannte wohl nicht einmal meinen Namen. Wobei... offenbar doch.

Nachdem er sein Studium ein Jahr vor mir beendet hatte, hörte ich nichts mehr von ihm. Zudem war ich so mit der Veröffentlichung meines ersten Buches beschäftigt, dass ich dafür auch gar keine Zeit gehabt hätte. Diese Zeit war verdammt stressig. Einerseits musste ich mich auf mein letztes Jahr, den Abschluss konzentrieren. Gleichzeitig hatte ich einen zweiten Band zu schreiben. Und dann war da auch noch ein nervenauftreibender Liebhaber.

Es verging eine gefühlte Ewigkeit, in der wir uns mit offenstehendem Mund angafften. Ich kam als erstes wieder zu mir. Räuspernd wandte ich den Blick beschämt von ihm ab und beugte mich nach dem Durcheinander von Papieren.
Ich hockte vor der Zettelwirtschaft, versuchte alles wieder nach Reihenfolge zusammenzuordnen, da kam er mir zu Hilfe. Einige Dokumente sammelte er auf, reichte sie mir an.

"Ich wusste gar nicht, dass du seit Neustem auch für eure Magazine arbeitest." Ich war so konzentriert auf das Auflesen, dass ich seine genaue Wortwahl nicht registrierte. "Ja, nein", antwortete ich völlig durch den Wind. "Das heute ist eine Ausnahme."

Im nächsten Moment bemerkte ich es. "Seit Neustem." Das hieß, er wusste von meinen Tätigkeiten? Er verfolgte sie möglicherweise sogar?

"Verstehe." Er drückte mir den letzten Stapelblätter in die Hand, sah mir dabei ein bisschen zu tief in die Augen. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Hektisch rappelte ich mich auf. "D-danke."

Mit einer beeindruckenden Gelassenheit ging er um den Schreibtisch herum und ließ sich zurück in seinen Sessel fallen. Wieso sollte er auch nicht tiefenentspannt sein? Ich war schließlich diejenige, die zwei Jahre lang für ihn in hellen Flammen stand.

Auf den Stuhl vor sich wies er mit einer lässigen Kopfbewegung. Holprig setzte ich mich in Bewegung.

Meine schwitzigen, zitternden Finger fischten mit einer unmenschlichen, schon peinlichen Ungeschicktheit den Fragebogen aus dem Haufen. Mein Gott, was er nur von mir denken musste.

"Also", fing ich mit schwächlicher Stimme an.

Erfreulicherweise endete dieses Treffen in keinem kompletten Desaster. Nach den ersten zwei Fragen hatte ich mich einigermaßen im Griff und konnte das Ruder noch rumreißen.

"Danke, dass du dir die Zeit genommen hast", sagte ich zum Abschluss und erhob mich. "Ich glaube, mit deinen Antworten wird Miranda einiges anfangen können. Da kann man sicher viel rausholen... Und nochmal Entschuldigung wegen dem Chaos vorhin."

Er baute sich ebenfalls auf. "Kein Problem. Mich hat es gefreut dich mal wiederzusehen, Elizabeth Hyde." Meinen Namen sprach er mit extra Nachdruck aus, sodass es noch Tage später in meinem Kopf nachschwang. Unsicher trat ich von dem einen Fuß auf den anderen, wartete darauf, dass irgendwas geschah.

"Hey, vielleicht können wir uns ja nochmal auf einen Kaffee treffen. Mich würde es brennend interessieren, wie es nach dem Studium bei dir weiterging. Es war bestimmt jede Menge los." Für einen Moment glaubte ich zu halluzinieren. Er wollte mich wieder sehen? Um die Nase herum wurde ich weiß wie ein Leintuch.

"Hier steht meine Nummer drauf." Sachte drückte er mir seine Visitenkarte in die Hand. "Melde dich einfach, wenn du Zeit hast." Vollkommen neben der Spur nickte ich perplex.

Er kannte meinen Namen. Er wusste von meinen Werken. Er wollte mich treffen.
Das alles war viel zu viel. Es war so überwältigend, dass mir drohte das Bewusstsein zu verlieren.

Through the darkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt