Verhaftet

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„Ich kann dich sehen! Und jetzt komme ich dich holen."
Die Worte des Entführers halten von den Tunnelwänden wieder und ihr Echo erreichten Noras Ohren wieder und wieder.
„Ich kann dich sehen! Und jetzt komme ich dich holen."
Sie rannte noch schneller, hörte das tiefe Schnaufen, welches jedoch nicht von ihr stammte.
Das Licht am Ende des Tunnels wurde immer größer, heller, flackernder.
Beinahe hatte sie den Ausgang erreicht, konnte diesem Monster hinter sich wirklich entkommen.
Da hörte sie neue Stimmen.
„Hilfe, Nora. Er hat mich. Er kommt mich holen, nur wegen dir." Jessys Stimme klang als käme sie direkt aus dem Licht vor ihr.
Dem Licht, das sich bewegte, flackerte.
Nur noch ein paar Schritte und sie würde den dunklen Tunnel hinter sich lassen.
„Vergiss es Jessy", rief nun Phil seiner Schwester zu. „Sie heißt gar nicht Nora. Sie hat euch belogen, von Anfang an."
„Nora, hilf mir", rief Jessy dennoch erneut.
„Ich habs euch ja gesagt", mischte sich nun Lilly ein. „Ich habs euch ja gesagt."
„Aber nicht heulen jetzt", lachte Dan bitter auf.
Das Lachen begleitete sie auf den letzten Metern, dann verließ sie den Tunnel endlich und erkannte den Ursprung des flackernden Lichts.
Ihr Haus, brennend, von den Flammen verschlungen und immer wieder die leisen Hilferufe von Jessy.
„Du musst klopfen. Dreimal. Und dich dann umdrehen und zurück laufen. Laufen, nicht rennen, das ist ganz wichtig", erklärte Richy.
„Ich kann dich sehen."
„Sie hat euch belogen, von Anfang an."
„Laufen, nicht rennen."
„Er hat mich, nur wegen dir."
„Ich habs euch ja gesagt."
„Ich kann dich sehen! Und jetzt komme ich dich holen."


Ruckartig fuhr Nora aus dem Schlaf und setzte sich auf.
Ihr Herz raste, ihr Atem ging stoßweise, ihr Magen hatte sich vor Übelkeit zusammen gezogen, ihr Kopf schmerzte und sie zitterte am ganzen Körper.
Sie konnte sich nicht bewegen, nicht einmal die Decke enger um sich schlingen oder sich zurück lehnen.
Sie saß einfach da, zitterte, weinte stumme Tränen und hörte noch immer die verschiedenen Stimmen.


„Guten Morgen."
Das Lächeln, mit dem Phil ihr die Wohnungstüre geöffnet hatte wurde schwächer.
„Du siehst mitgenommen aus, alles okay?"
Sie nickte nur leicht und betrat seine Wohnung.

„Hi, ich hoffe du hast Hunger mitgebracht", rief Jessy gutgelaunt aus der offenen Küche zu ihr rüber.
Doch auch sie wirkte besorgt, als sie Nora genauer ansah.
Sie war blass, was die dunklen Ringe unter ihren geröteten Augen noch verstärkte.
Zwar lächelte sie leicht, aber es wirkte eher gezwungen, als herzlich und das Zittern ihrer Hände konnte sie kaum verbergen.

„Ist etwas passiert?"
Jessy umrundete die Küchentheke, die die Küche vom Wohnbereich abtrennte, ging auf Nora zu und zog sie in eine Umarmung.
Einen Moment versteifte sich Nora, dann schlang auch sie ihre Arme um Jessy.
„Mir geht's gut", versicherte sie. „Ich hatte nur zu wenig Schlaf."

Viel zu wenig, um genau zu sein.
Es war schon ungefähr halb drei gewesen, als Phil sie am Motel abgesetzt hatte, bis sie dann wirklich geschlafen hatte war nach drei. Auf die Uhr gesehen hatte sie, nach ihrem Traum und der Starre die danach einige Zeit angehalten hatte, dann um 5:47Uhr
Ab da hatte sie nur noch darauf gewartet, dass die Zeit um ging und sie zu Phil und Jessy konnte.
Selbst die Dusche hatte nicht dazu beigetragen, dass sie sich fitter fühlte oder aussah.

„Dann willst du sicher Kaffee?", wollte Phil wissen und ging an den beiden Frauen vorbei in die Küche.
„Und Jessy hat das ernst gemeint mit dem Hunger. Sie hat Waffeln und Pancakes gemacht. Außerdem Rührei, Speck und Würstchen."
Nora löste sich von ihrer Freundin. „Warum denn so viel?"
Jessy grinste. „Ich war schon so früh wach, also hab ich Phil schon um neun überfallen und angefangen."
„Hm", brummte Phil. „Viel zu früh, ich hab noch geschlafen."

Jessy winkte ab. „Morgenmuffel, das war er schon immer", flüsterte sie Nora zu. „Ich dachte einfach, wenn wir schon zusammen frühstücken, dann richtig."
„Das klingt toll", entgegnete Nora und lächelte.
Sie hatte keinen großen Hunger, dennoch würde sie Jessy wegen natürlich ordentlich zugreifen.
Schon reichte Phil ihr eine Tasse. „Schwarz, ohne alles, richtig?"

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