Willkommen in Duskwood

Aurora

Schweigend waren sie zu dem Grab gelaufen, schweigend hatte jeder von ihnen eine der Rosen vor dem Grabstein abgelegt und schweigend schloss Phil seine Arme um seine kleine Schwester.
Dieser Tag war schwer, auch für ihn, und Jessy weinen zu sehen, sie in seinen Armen schluchzen zu spüren, ließ auch in seinen Augen die Tränen brennen.
So standen sie mehrere Minuten, bis Jessy sich beruhigt hatte, die Tränen davon wischte und ihre Nase putzte.
„Happy Birthday Oma", flüsterte sie leise, küsste ihre Finger und strich damit liebevoll über den Grabstein.

Sie waren in Phils Wohnung gegangen.
Wie jedes Jahr am Geburtstag ihrer Großmutter hatte Jessy einen Kuchen gebacken und sie wollten zusammen Kaffee trinken.
Darauf hatte Oma immer Wert gelegt.
Und sie führten dieses Ritual fort, Jahr für Jahr.
„Oh scheiße", meinte Phil und sah in den fast leeren Küchenschrank.
Er hatte schon wieder vergessen einkaufen zu gehen.
„Ich muss mal schnell in die Aurora, Kaffeebohnen holen."
Jessy nickte, sie war gerade dabei den Apfelkuchen anzuschneiden.

Schnell lief er hinunter, ging durch den Hintereingang in die Bar und war nach ungefähr zwei Minuten mit einer Packung Kaffee zurück in seiner Wohnung.
Als er Jessy sah blieb er ruckartig stehen, hatte noch nicht mal die Türe hinter sich geschlossen.
Tränen rannten ihr übers Gesicht und in der Hand hatte sie das Handy, welches er von Hector bekommen hatte.
Da er nur kurz weggewesen war, hatte er es mit seinem richtigen Handy zusammen auf der Küchentheke liegen lassen.
Seine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen.

Jessy hatte den Blick auf das Handy in ihrer Hand gerichtet und sprach leise.
„Sie haben Nora gefunden."
„Wie geht es ihr?", fragte er, stürmte auf sie zu und packte sie an den Schultern, als sie nicht gleich antwortete.
Endlich hob sie den Blick, sah ihn an.
„Sie lebt."
Seine Hände ließen von ihren Schultern ab und schoben sich auf ihren Rücken.
Fest drückte er sie an sich, erleichtert, mit einem Lächeln im Gesicht und Tränen in den Augen, die auch er nun nicht mehr zurück halten konnte.

Diesmal wartete er nicht, bis Jessy sich beruhigt hatte, sondern bis er sich wieder gefangen hatte.
Unauffällig wischte er sich über die Wangen, bevor er sich von ihr löste.
Wahrscheinlich sah sie ihm dennoch an, dass auch er ein paar Tränen vergossen hatte, aber sie sagte nichts.

„Wo ist sie?", fragte Phil.
„Auf dem Weg ins Krankenhaus", antwortete sie.
„Wie geht es ihr? Ist sie verletzt?"
Sie nickte. „Hector wusste aber auch nicht so viel."
„Was genau hat er gesagt?"
Jessy fuhr sich durch die langen Haare.
„Kann ich jetzt vielleicht erst mal nen Kaffee haben?"
Lächelnd nickte Phil.

Schnell hatte er die Kaffeebohnen aufgefüllt und ließ gleich zwei Tassen aus der Maschine.
Jessy hatte sich bereits aufs Sofa gesetzt und ging noch einmal in Gedanken das kurze Gespräch durch.
Als Phil mit dem fertigen Kaffee kam, reichte er ihr eine der Tassen und setzte sich neben sie.
„Also", fing sie an. „Du warst kaum weg, da hat das Handy geklingelt. Erst wollte ich gar nicht ran, hab dann aber doch abgenommen und Hector gleich gesagt, dass du in zwei Minuten wieder da wärst. Aber er hat glaube ich gar nicht richtig zugehört. Er meinte nur sie hätten Nora gefunden. Sie wäre verletzt, aber am Leben. Er fährt jetzt zu ihr ins Krankenhaus und meldet sich dann wieder. Wer sie sind, hat er aber nicht gesagt."

Ungeduldig griff Phil nun selbst nach dem Handy und wählte Hectors Nummer.
Es tutete nur einmal, dann stand die Verbindung bereits.
„Ja?", fragte Hector.
„Ich bins Phil."
„Hey. Ich weiß noch nichts Neues, bin aber gleich im Krankenhaus."
„Soll ich... sollen wir auch kommen?", wollte Phil wissen.
„Im Moment nicht", antwortete Hector. „Du gehörst nichts zur Familie und würdest ohnehin nichts erfahren. Für mich hat Nora eine Verfügung. Aber ich melde mich sobald ich etwas weiß. Bis dahin alles wie normal. Kein Wort über Nora, weiterhin."