#29-Aufregend neu....

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„Schatz möchtest du nicht für einen Augenblick deine Augen schließen, zu mindestens bis wir ankommen? Schließlich willst du heute noch meine Mutter kennenlernen."

Ich lasse für einen Augenblick meine schweren Lieder fallen und merke, dass ich auf der Stelle einschlafen könnte. Dass das nicht geht erschließt sich von selbst. Die Zugfahrt von London nach Heathfield habe ich mir komplett eingeprägt und kenne jetzt wahrscheinlich jeden Baum und jede Kuh auf dieser Strecke, doch es hat sich gelohnt. Ich fühle mich richtig gut.

Kennt ihr diesen Zustand, wenn man so müde ist, dass man sich völlig aufgepusht fühlt? In diesem befinde ich mich gerade. Eigentlich bin ich von der Reise echt kaputt, doch da alles so neu und aufregend ist, lässt mich mein Körper die Müdigkeit nicht fühlen. Nur in kurzen Schwächemomenten, wie der eben, als ich meine Augen für eine Millisekunde geschlossen habe.

Es ist wie ein Rausch, auch wenn ich gar nicht weiß wie sich ein Rausch anfühlt, so stelle ich es mir zu mindestens vor.

Mein Vater schaut mich noch immer bittend an.

„Jetzt hat es doch eh keinen Sinn mehr, Paps! Schließlich sind wir nun in circa zehn Minuten da."

Ich prüfe meine Aussagen kurz, indem ich auf den coolen Bildschirm über mir schaue, der einem ähnlich wie im Flugzeug, die Strecke und die Rest Zeit anzeigt, die noch zu fahren ist.

Papa seufzt einmal ergeben, schüttelt noch ein paar Mal unzufrieden seinen Kopf, um sich schließlich wieder seinem Buch zu widmen. Ich dagegen lasse mich in meine Ursprungshaltung fallen. Meinen Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt, beobachte ich wie mein neues Zuhause an mir vorbei zieht.

Schließlich ist die Strecke nach London quasi Überlebenswichtig. Besonders wenn Lu mich besuchen kommen wird.

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Nachdem wir endlich einen Autoverleihladen gefunden und mein Vater mal wieder sein Handelstalent unter Beweis stellen konnte, kamen wir endlich bei unserem neuen Zuhause an.

Als ich die Autotür überschwänglich hinter mir zu gezogen hatte, machte mein Magen einen gewaltigen Hopser. Schließlich würde ich jetzt gleich meinen Zufluchtsort für das nächste Jahr kennenlernen. Für mich ganz klar eine große Sache.

Für meinen Vater eher nicht so. Auch wenn er die neue Wohnung eben so wenig kannte wie ich, da sein Arbeitgeber uns diese gesucht und auch bezahlt hat, ist er es gewohnt sein Zuhause seinem Job anzupassen. Sein Laptop gibt ihm wahrscheinlich das heimischste Gefühl, dass er kennt. Vielleicht noch sein Koffer.

„Komm, komm, komm! Ich will da jetzt rein! Die Koffer können wir später reintragen.", hetze ich Paps, nun auf einer höheren Stufe meiner Aufgeregtheit befindet.

Trotzdem lächelt er mich müde an, legt einen Arm über meine Schulter und zieht mich an sich, während wir auf das große, helle und moderne Haus zugehen. Es passt so überhaupt nicht in diese Gegend. Es sticht ungefähr so heraus wie ein kleines Kind im Altersheim. Ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, aber genau das erste, was mir hierzu einfällt.

Um „Unserem" Haus herum, reihen sich kleine und süße, individuell wirkende Häuser, die aussähen, als hätte jedes davon einen anderen Architekten gehabt.

Es ist wirklich beeindruckend und wirkt unglaublich sympathisch auf mich.

„Hier bist du aufgewachsen?", frage ich Paps staunend, während ich mich immer intensiver umschaue.

„Nicht genau hier, aber ein paar Straßen weiter, genau", er stößt mich grinsend mit seiner Schulter an, sodass ich ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht werde.

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