Was ist schon perfekt?

#9- Ein bisschen Familiengeschichte und das Warten hat ein Ende

Neunzig Minuten später bin ich mit meinen Nerven schon wieder am Ende. Die ersten beiden Stunden am Tag Mathe zu haben ist wirklich fies, denn danach ist der Schultag für einen eigentlich schon gelaufen. Auch wenn ich fast nichts verstehe, was uns Herr Menkers heute erklärt hat, fühle ich mich gedanklich so am Ende, als hätte ich gerade eine Doktorarbeit fertig geschrieben.

Mit matten Schritten und leeren Blicken kommen die meisten Schüler aus seinem Unterricht. Ich bin da nicht besser, als die durchschnittliche Mehrheit, Lu und Jonas hingegen tragen ein breites, stolzes Grinsen im Gesicht. Warum keiner von den beiden den Mathe Leistungskurs gewählt haben, versteht niemand so wirklich, da beide in Mathe die totalen Vollstreber sind. Ja, manchmal fühle ich mich sehr dumm und minderwertig, wenn ich mich mit meinen besten Freunden treffe und sie einen Mathe, „wer ist intelligenter" Test beginnen. Sehr oft dann, frage ich mich, ob wir noch die gleiche Sprache sprechen, denn ich verstehe immer so was von null Prozent.

Ich bin das komplette Gegenteil. Ich bin die kreative von uns. Ich liebe die Musik, den ganzen vollen Bereich, ob Billy Talent oder Mozart, mich bekommt man mit allem. Daher passt es ziemlich gut, dass ich für mein Leben gerne tanze und auch ziemlich viele Sachen recht gut beherrsche, denn wenn ich wirklich Talent in irgendetwas habe, dann ist es den Rhythmus und die fließenden Bewegungen vom einzelnen in etwas Ganzes zu formen.
Am liebsten tanze ich einen Mix aus street Hip Hop und Ballett. Ich mag das Gefühl Dinge zu verbinden, die auf dem ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten und doch auf eine Gewisse Art und Weise total klasse miteinander harmonieren. Manche Leute sagen ich hätte Talent, doch das ist mir wirklich nicht wichtig. Ich tanze, weil es meine Leidenschaft ist und weil ich mich einfach total wohl fühle, wenn es nur die Musik und mich gibt. Es ist wie ein paralleles Universum in das ich dann falle.

Meine Eltern erzählen auf jeder großen Familien Veranstaltung, wie ich schon als kleinstes Kleinkind angefangen hätte zu tanzen. Ich glaube, dass haben sich die beiden nur ausgedacht, damit sie mit einer Gesichte kontern können. Denn auf Feiern in unsere Familie herrscht meistens ein Battle. Welche Familie lebt am besten? Welche Kinder sind besser erzogen und haben das meiste erreicht? Oder das typische: Wer fährt den größten Wagen und hat das meiste Geld?

Aus diesem Grund müssen wir uns auch immer total herausputzen, wenn irgendjemand Geburtstag hat, oder wenn wir am ersten Weihnachtstag alle für ein riesiges Essen zusammen kommen. Mich persönlich nervt das immer ganz schön. Deshalb hatte ich auch so überhaupt keine Lust auf die Hochzeit meiner Tante, die am Ende doch gar nicht so schlimm war, wie ich das zu Beginn gefürchtet hatte.

Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Jace...

Schon wenn ich an seinen Namen denke, ich muss ihn nicht einmal aussprechen, bekomme ich ein freudig mulmiges Gefühl in meinem Magen und ich würde am liebsten allen um mich herum erzählen wie toll er doch ist. Also zumindest das, was ich von ihm kennengelernt habe.

Man Stella wie weich du geworden bist..., sagt irgendetwas in mir, doch ich muss nur noch mehr grinsen. Ja ich bin wieder weich geworden und da dieser Typ, der das geschafft hat um die tausend Kilometer weit entfernt von mir lebt, kann mein Herz ja nicht ganz so doll gebrochen werden, denke ich und werde dann aus meinen Gedanken heraus gerissen, weil eine Hand hektisch vor mir hin und her schlägt.

„Stellalein, kannst du bitte aus deiner Traumwelt wieder auftauchen?", Jonas gehört die Hand, die sich jetzt wieder von meinem Gesicht entfernt.

Mittlerweile sind wir auf dem Schulhof, an unserem Stammplatz, angekommen. Eine einfache Holzbank, die unter einer großen, alten Eiche steht, an diesem Ort sind wir seit der fünften Klasse, jede Pause. Was alles an dieser Bank schon passiert ist....