Was wir alleine nicht schaffen....

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Prolog
Jeder von uns hat Wünsche. Jeder von uns hat Träume. Jeder von uns hat Ziele. Alle unterschiedlich groß, unterschiedlich weit fern und unterschiedlich zu erreichen. Und jeder von uns wird davon angetrieben. Dem Streben nach Fortschritt, dem Ziel näher kommen, den Wunsch erfüllen, das Gefühl des Stolzes und des Glücks, wenn wir erreicht haben, was uns vor Augen liegt. 
Wir alle haben ein Ziel vor Augen, wo wir hin möchten. Doch uns alle unterscheidet ein wichtiges Detail... nicht die gesteckten Ziele unterscheiden uns, denn das haben wir für uns selbst entschieden. Aber niemand von uns hat selbst entschieden, auf welcher Position er startet. Unsere Vergangenheit und unser Denken beeinflusst unsere Startposition auf der Laufbahn zu unseren Wünschen und Zielen. Und immer wieder laufen wir gegen einen sehr wichtigen Gegner.... uns selbst. 
Das, was wir erreichen wollen, lebt in unserem Herzen. Wie gut wir laufen, über welche Hürden wir springen müssen und wie oft wir dabei hinfallen.. das bestimmt einzig und allein unser Kopf.
Nicht umsonst gibt es das Sprichwort: "Der Sieg beginnt im Kopf." Wenn wir wirklich an uns glauben und unserem Herzen vertrauen, werden die Hürden kleiner, die Schritte schneller und unser Ziel erreichbar.
Nicht immer ist dieses Denken von Gott gegeben. Nicht jeder ist von Anfang an mit Selbstvertrauen geschmückt. Sich das einzugestehen ist bei Weitem keine Schande. Genauso, wie die Bitte um Hilfe manchmal der absolut beste Weg ist, an sich selbst zu arbeiten zu lernen.
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Oft habe ich versucht, meinem Herzen zu folgen und endlich meinen Kopf besiegen zu wollen. Ohne zu wissen, warum ich nicht voran komme. Wie oft stand ich an der untersten Stufe, habe die anderen hinaufgehen sehen und bin dann doch allein unten zurück geblieben. Irgendwann sah ich es einfach als Tatsache gegeben, dass ich einfach ein Mensch bin, der mit Höhe nicht umgehen kann. Allgemein würde ich mein früheres Ich eher als introvertiert und zurückgezogen bezeichnen.
Ja, meine Seele ist gezeichnet von schlechten Erfahrungen, dem Drang mich weg zu ducken, wenn jemand etwas Negatives sagt. Mich in mein sicheres Haus zurück zu ziehen. Der Kopf hat gelernt, dass es weniger weh tut, Situationen zu vermeiden, statt sich ihnen zu stellen. 
Aber mein Herz beherbergt sie bis heute: eine Art Faszination. Ich fand schon damals cool, wenn jemand einfach so einen Turm herauf gestiegen ist. Habe mir damals schon vorgestellt, dass es ein unbändiges Gefühl der Freiheit sein muss, über der Erde den Wind um die Nase zu haben, oder in einem Seil zu schaukeln, und die Beine frei baumeln zu lassen. Vielleicht ist das die Freiheit, die meine Seele nie hatte, weil die Gedanken sie eingesperrt haben. 

In den letzten Monaten habe ich mich verändert. Habe neue Erfahrungen gemacht, neue Menschen kennengelernt und vieles über mich selbst gelernt. Mich jemandem anvertraut, der mir ein zweiter Bruder und ein bester Freund geworden ist. Jemand, der diese Freiheit, wie ich sie mir vorstelle, bereits genießt. Diese Faszination hat den Mut wachsen lassen und das Herz hat sich geöffnet. 
Nachdem ich so oft von der untersten Stufe allein nach oben gesehen habe, habe ich ihn um Hilfe gebeten. Und kürzlich den ersten großen Schritt in Richtung Freiheit gemacht. 
Nach einem Dienst morgens hatten wir zusammen gefrühstückt und waren dann aufgebrochen. Ein Spaziergang durch ein abgeholztes Waldgebiet mit einem in der Gegend bekannten Ziel. Ein Aussichtsturm. Oft hatte ich ihn von der Straße aus gesehen, war aber noch nie dort gewesen. Wir haben im Vorfeld darüber gesprochen, dass ich versuchen würde, etwas hinauf zu gehen. Von den drei Ebenen, verteilt auf gut 35 Meter, hatte ich mir die erste als sicheres Ziel gesetzt. Es war ein Wunsch, die zweite Ebene zu erreichen, um mir selbst dieses Glücksgefühl geben zu können. 
Von weitem entfuhr es mir scherzhaft, dass der Turm gar nicht so hoch aussähe. Am Fuße angekommen sah das ganze dann wieder anders aus. Allein oder in der Anwesenheit von Fremden hätte ich vielleicht den Rückzug angetreten. Mit dem Wissen, dass mein Kopf das aufsteigen nicht zulassen wird. Mit der Sorge, in eine Reaktion auf diese Gedanken zu verfallen, die ich selbst nicht mehr händeln kann. Die Angst, die Kontrolle zu verlieren. 
Aber nicht mit ihm. Eine sehr wichtige Stütze bei diesem Projekt, wie ich es nennen möchte, ist Vertrauen. Dort wo ich mich nicht sicher fühle, ist es trotzdem nicht unmöglich zu laufen. Wenn man jemandem vertraut, der weiß was er tut. 
Mit ihm zusammen habe ich die Stufen betreten und die erste Ebene erreicht. Die Atmung ging schneller, aber die Kontrolle hatte ich fest im Griff. Ja, es war schön, den ersten Step erreicht zu haben. In dieser Situation ein positives Feedback von ihm zu bekommen, hat der Motivation einen großen Schub gegeben, sodass wir die Stufen zur zweiten Ebene angetreten sind. Während die Gedanken lauter geworden sind und mein Kopf mir leise zu gesäuselt hat, was hier nun alles passieren kann, war seine Hand in meiner mehr Halt, als das nasse Metallgeländer der Treppe. 'Ich bin nicht alleine. Was sollte mir in seiner Anwesenheit passieren? Es ist scheißegal, was mein Kopf tun wird, es ist alles gut. Egal, was hier passiert, er ist bei mir.' 
Angekommen auf der zweiten Ebene habe ich zu spüren bekommen, wie stark mein Kopf meinen Körper unter Kontrolle haben kann. Während er mir sagt, dass er stolz auf mich ist habe ich Mühe, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Die Gedanken schreien mich an. Was tust du hier eigentlich? Bist du wahnsinnig? 
Nein, ich folge meinem Herzen, was ich schon längst hätte tun sollen. Ich habe ein Ziel erreicht, an das ich selbst nicht ganz geglaubt habe. Und niemand hat mich gezwungen das zu tun, sondern es war meine eigene Entscheidung. An diesem Punkt habe ich dann eine Entscheidung getroffen, welche einen sehr sehr hohen Stellenwert hat. Er hat mich gefragt, ob ich weitergehen oder umkehren möchte. Ich hatte längst erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Sogar meinen Körper hatte ich halbwegs wieder unter Kontrolle bekommen. Und somit hörte ich mich sagen: "Ich würde mich jetzt ärgern, wenn ich es nicht weiter versuche." Wenn man ein Ziel erreicht, warum sollte man nicht trotzdem versuchen noch ein paar Schritte weiter zu gehen?

Im Nachhinein war das eine Entscheidung, die riskant war. Und zeitgleich beweist, welches hohe Maß an Vertrauen ich ihm entgegen bringen kann. Ich wusste, wenn mein Kopf wieder die Oberhand gewinnt, verliere ich die Kontrolle über meinen Körper und begebe mich in eine Lage, aus der ich selbst nicht mehr herauskomme. In der ich absolut auf jemand anderen angewiesen bin. Das wäre nicht das erste Mal, dass das passiert, weshalb ich immer in die Vermeidung gegangen war. 
Und trotzdem habe ich wieder seine Hand genommen und mich ganz und gar auf das Vertrauen konzentriert, dass nichts passieren kann. Wir sind tatsächlich bis nach ganz oben gegangen. Dort ist das passiert, womit ich gerechnet hatte. Im Nachhinein kann ich mich nicht mehr ganz erinnern, was genau passiert ist. Von der Aussicht über die Täler hab ich jedenfalls nichts mitbekommen.
Ich hatte mich an einem Stahlträger festgeklammert und irgendwann mit einer Hand nach ihm gegriffen. Seine Worte klingen zu mir durch: "Das wirst du jetzt nicht tun. Du wirst deinem Körper jetzt nicht nachgeben und in die Knie gehen." Er hat mir geholfen aufrecht stehen zu bleiben.
Ich erinnere mich, dass ich genau diesen Kampf mit mir geführt habe. Mit Tränen auf den Wangen, weichen Knien und einem Gefühl nicht mehr atmen zu können stand ich ganz oben auf der obersten Ebene und wusste nicht wohin mit alldem. Und in diesem verletzlichen Moment war ich zum ersten Mal nicht alleine.
Das ist etwas, was mir völlig neu ist.... Dass jemand mir so nah ist, dass ich Grenzen bewusst überschreite, obwohl ich weiss, dass ich im schlimmsten Fall die Kontrolle verliere. Ich weiss ganz genau, dass diese Situation eine Tortur für mich ist, und doch fühle ich mich gewissermaßen sicher.

Ab dem Weg nach unten ist meine Erinnerung wieder lückenlos. Und erst später habe ich verstanden, das ich gerade zum allerersten Mal in meinem Leben ganz oben auf einem Turm angekommen bin. Mit meinen eigenen Füßen, ohne dass ich es hätte tun müssen. Ich habe erstmals daran geglaubt, dass es wirklich möglich ist weiter zu gehen. 

An diesem Tag habe ich etwas wichtiges gelernt....
Das, was ich wirklich will, kommt aus meinem Herzen. Das was mich daran hindert, ist mein Kopf. Ich bin noch lange nicht so weit, dass ich das alleine kann und das ist auch absolut nicht schlimm. Jetzt habe ich die Chance zu lernen, was ich in der Vergangenheit alleine nicht lernen konnte.
Umso mehr bin ich dankbar. Dafür, dass mir jemand zeigt, welche innere Stärke ich eigentlich besitze und mich auf diesem Weg begleitet. Mich noch zum Lachen bringt, wenn meine Gedanken mich anschreien und mir sagt, dass ich stolz auf mich sein kann, wenn ich es selbst noch nicht begriffen habe. 

Eine so große Stütze zu haben ist ein hohes Gut, auf das man Acht geben muss. Denn so ein Mensch ist genau dort, wo all unsere Wünsche, Träume und Ziele verankert sind. In unserem Herzen.

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