...wie ein Chatfenster (Teil 1)

1.6K 37 7
                                    

Dieser Teil wird auch in meine Story "Dienstangelegenheiten" eingearbeitet. Da ich dies aber so in etwa geträumt habe, bekommt ihr das erst hier zu lesen. Ein paar Dinge füge ich aus ein paar ausgewählten Einsätzen hinzu.

Hiermit spreche ich eine Triggerwarnung aus. Es geht um die dunkleren Seiten im Leben und ja, auch ich hatte sie. Daher möchte ich auch die ungeschönte Version meines Traumes zeigen, woraus aber nicht alle Dinge der Wahrheit entsprechen.
*Wenn ihr akut in einer solchen Situation steckt, und merkt, dass es euch triggert, lest bitte nicht weiter. Wenn ihr über etwas reden möchtet, was in euch vorgeht, mein Postfach ist jederzeit offen für euch. Auch für Fragen zur Story oder meiner persönlichen Erfahrung.*
Jetzt aber viel "Spaß" mit "....wie ein Chatfenster"

Prolog
--------------------------------------------------
-unknown_user46: Hab sie gestern wieder angeschrieben. Zu dumm, dass jeder ihre Handynummer hat.

-Bellybutton87: Was hast du gesagt?

-unknown_user46: Na, die Wahrheit

-Jonny_X: Dass sie sich endlich aus dieser Welt entfernen soll?

-Bellybutton87: Dass sie nutzlos ist. Sie hat eh keine Freunde.... 

-unknown_user46: *lachsmiley* Lächerlich. Aber du triffst es ins Schwarze. Hätte ja nie gedacht, dass ich als Neuling in der Klasse so reinhauen kann. Aber wenn es schon jemanden gibt, bin ich wenigstens nicht die dumme.

-
Bellybutton87: Never change a running system. 

-
Jonny_X: Bin gespannt, wie lange sie das noch durchhält. Oder besser wie lange wir das noch ertragen müssen.

------------------------------------------------------------
*Bing* 2 neue Nachrichten zeigt mein Handy an. Sie hat es wieder getan.... Diese Nachrichtenflut geht schon seit einer Woche so.
'Du bist es nicht wert, niemand mag dich und alle wären froh, wenn du endlich verschwindest!'
'Glaubst du wirklich, du kannst dich gegen mich wehren?'
'Bring dich doch um, keiner würde dich vermissen.'
'Ich werde schon dafür sorgen, dass du aufgibst. Verlass dich drauf!!'

Wie ich es verabscheue. Bis heute frage ich mich, was ich falsch gemacht habe. Warum ich all die Jahre sowas ertragen muss. Aber es ist wohl einfach mein Schicksal...
Anfangs dachte ich, es sei nur kurzweilig. Bald seien andere dran. Aber falsch gedacht. Das geht nun schon fast 10 Jahre so. Und ich muss mir eingestehen, dass sie Recht hat... Ich habe keine Kraft mehr, mich zu wehren. Ich lasse es nur noch über mich ergehen und stecke es einfach ein um nicht noch mehr zu provozieren.
Und ich finde, ich habe genug eingesteckt. 


Eine Woche nach diesen Nachrichten:
Freitag, auch noch ein 13. Ich habe wieder die ganze Woche Nachrichten bekommen. Immer konkreter: 
'Bring dich um, oder ich sorge dafür.'
'Ich weiß, wo ich dich finde und dann wirst du dir wünschen, du hättest es selbst getan!'
Ich resigniere es nur noch. Noch dazu ein Gespräch mit meinem ehemaligen Lehrer. Er ist der einzige, dem ich vertrauen kann. Aber auch er kann es nicht stoppen und so bleibt in meinem Kopf nur diese eine Option. Es selbst beenden.

Auf der Suche nach Ablenkung streune ich ziellos durch die Einkaufszone. Die Musik dröhnt melancholisch aus meinen Kopfhörern und ich steuere auf ein Kleidungs-Geschäft zu. Direkt ploppen Gedanken auf, was die anderen jetzt sagen würden und anstatt hineinzugehen, laufe ich dann doch daran vorbei. Dann lieber eine Buchhandlung. Lesen lenkt mich immer ab... 
Ich blicke mich um bevor ich den Laden betrete. Keine Lust auf unliebsame Begegnungen. Zielsicher steuere ich auf die Krimi/Thriller-Abteilung zu. In diesen Büchern verliere ich mich oft und kann dann wenigstens für ein paar Stunden von meinem Gedanken Abstand nehmen. Mit Titeln wie "Totenstille im Watt" "Offline" und "Zarte Wahrheit - Bis zum bitteren Ende" gehe ich schlussendlich zur Kasse. Ein Mann mit Mütze schaut im vorbeigehen auf die Bücher in meinen Händen und mustert mich dann. Mir egal.... ist ja nichts neues, dass jede Bewegung beobachtet wird.

Ich setze meinen Weg fort. Auf dem buckeligen Pflaster der Innenstadt sind nicht allzu viele Leute unterwegs. Die meisten werden eher am morgigen Samstag einkaufen gehen. Besser für mich, so muss ich wenig Leuten unter die Auge treten. Eine Gruppe Mädchen kommt mir entgegen. Sie sind extrovertiert und nutzen die Gasse fast wie einen Catwalk. Für mich fühlt sich das eher an wie ein Walk of Shame. Da sieht man wieder, wie sehr die Meinung anderer die eigenen Gedanken beeinflusst. Ich kann mir nicht helfen, aber es ist einfach unangenehm, hier in der Öffentlichkeit zu sein. 
Als ich mich wiederholt umsehe sehe ich den Mann mit der Mütze wieder. Er scheint auch seinen Weg durch die Einkaufszone allein zu bestreiten.

Eine schön gestaltete Schaufensterfront fällt mir ins Auge und unweigerlich muss ich stehen bleiben. Die Dekoration aus Blumengestecken und Kränzen gefällt mir. Erst auf den zweiten Blick fällt mir der Name des Inhabers auf... Ich stehe vor einem Bestattungsinstitut. Den Inhaber kenne ich recht gut.
Erst kürzlich habe ich gelesen, dass manche Menschen sich für ihre Tiere oder für sich selbst im Vorfeld schon Gestecke, Grabstein und sogar Urnen aussuchen, um ihr Tier im Herzen dort zu begraben oder für sich selbst einen sicheren Ort nach ihrem Ableben zu wissen.
Unweigerlich und fast unbewusst schaue ich weiter und betrete wie ferngesteuert das Institut. Ich streife durch die Auslagen und bleibe bei einem Schaugesteck mit schwarzen Rosen und einem hellen Grünzeug hängen. Schwarz, die Farbe des Todes und grün, die Farbe der Hoffnung.... zusammen mit den beispielhaften dunkelgrünen Bändern gefällt es mir sehr sehr gut. 

Während sich ein Ohrwurm der Melodie von "Sound of silence" durch meinen Kopf wühlt streiche ich über die Verziehrung einer anthrazit-farbenen Urne. Die dezente Goldverziehrung ist fein gearbeitet und ich frage mich, ob das echtes Gold ist...
Das Öffnen einer Tür nehme ich durch die Kopfhöhrer nicht wahr, ich habe mich viel zu sehr der Musik und meinen Gedanken hingegeben.... 
Ich bewege mich weiter durch die Gestecke und Urnen und verliere mich immer weiter in dem Gedanken, was zusammen passen würde und in welcher Umgebung. Diese Abwärtsspirale nimmt mich so ein, dass sich ganz leise eine Träne in meinem Gesicht verliert, gefolgt von einer zweiten und dritten.

Erst als sich eine Hand auf meine Schulter legt fahre ich wie ertappt herum und blicke auf das Gesicht von Tobias. "Hey, Jessy. Was führt dich zu mir? Ist jemand gestorben? Wie geht es dir? Warum weinst du?", er mustert mich mit einem mitfühlenden Blick. Schnell wische ich die Tränen weg und ziehe die Kopfhörer herunter. "Ehm, nichts, nein, niemand gestorben. Hei Tobias." 
Na super. So viel zum Thema in Gedanken verloren. Tobi ist mitte 30 und ein total lieber Mensch. Ich habe immer gern mit ihm gequatscht wenn man sich mal getroffen hat. Er hat etwas vertrautes wo man sich schnell geborgen fühlt. 
"Das schwarz-grüne Gesteck hat dir gefallen, nicht? Die anthrazit-farbene Urne passt da sehr gut zu. Aber nun sage mir mal, wofür schaust du?"

StorytellingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt