In den letzten Tagen, die Keira bei ihrer Familie verbrachte, spürte sie, wie sich die Stimmung im Haus irgendwie verschlechterte, auch wenn sie nicht dahinter kam, was der Auslöser war. Sie nahm jedoch an, dass es nicht an ihrer Abreise liegen konnte, da sich alle (außer ihr Vater vielleicht) mit ihr freuten und sie immer wieder beglückwünschten. Nach einiger Zeit hatte sie dennoch das Gefühl, dass Josie nicht wirklich mit ihr mitfieberte. Sie schaffte es jedes Mal, wenn das Thema Hogwarts angeschnitten wurde, höchst überzeugend zu lachen und zu scherzen, doch wirkte dieses Verhalten irgendwann auf Keira, als hätte ihre Schwester eine Überdosis Muggellachgas eingeatmet. Am Abend vor der Fahrt nach King's Cross zog sie Josie nach dem Abendessen in ihr Zimmer, um herauszufinden, was diese bedrückte. Ihre Schwester verschränkte die Arme und zog einen Schmollmund.
"Was ist los?"
"Nix."
"Komm schon, du bist die ganze Woche über drauf gewesen, als hättest du einen Kitzelfluch abbekommen. Kauf' ich dir nicht ab. Was ist?"
"Geht dich nichts an. Kümmere dich lieber um deinen Koffer."
Josie machte Anstalten, den Raum zu verlassen, doch Keira griff nach ihrem Arm.
"Lass mich los, du hast mir gar nichts zu sagen", zeterte sie, doch Keira hielt sie fest.
"Ist es wegen meiner Abreise? In zwei Jahren kommst du auch nach Hogwarts, so lange ist das nicht mehr, du wirst sehen. Außerdem bin ich in den Ferien hier ..."
"Keira, lass mich!"
Josie entwand sich Keira und kehrte ihr den Rücken zu.
Wenn du weg bist, bin ich allein, nur Dad ist da", flüsterte sie dann.
"Aber Mom ..."
"Muss den ganzen Tag arbeiten! Die Muggelschule ist nur vormittags. Mal davon abgesehen, dass dann manchmal nur er hier ist, was soll ich denn die ganze Zeit tun? Wir haben immer zusammen irgendwas gespielt, und jetzt bist du weg!"Keira wusste nicht, was sie sagen sollte. Josie hatte Recht, doch Keira konnte und wollte Hogwarts auf keinen Fall sausen lassen. Nach kurzem Zögern ging sie zu ihrer Schwester und legte vorsichtig ihre Hand auf Josies Schulter. Josie drehte sich um und schlang ihre Arme um Keira. Lange standen sie fest umklammert da, und Keira konnte in der Stille nur Josies leises Schluchzen hören, als diese versuchte, ihr Weinen zu verbergen.
"Ich komme wieder. An Weihnachten bin ich wieder da, und in den Sommerferien sowieso."
Auch Keira stiegen die Tränen in die Augen.
"Du schaffst das. Du kannst dich mit Schulfreunden treffen, habe ich auch gemacht. Ich glaube nicht, dass du Angst haben musst, dass deine Magie vor ihnen ausbricht, es ist ja nicht mit dir in Verbindung zu bringen. Und sonst hast du Nieva, Mum und vor allem dein Malen. Das kannst du auch ohne jemand anders, und du tust es gern. Sieh die nächste Zeit einfach als Gelegenheit, ungestört zu üben. Und was ihn angeht ... mach, was wir sonst immer tun, geh ihm aus dem Weg und", sie wischte sich kurz mit dem Ärmel über das Gesicht, "tu einfach so, als wäre er nicht da."
Keira stockte kurz. Ich bin so eine Idiotin. Dass ich ihre Einsamkeit noch betone, wie bescheuert kann man sein? Jetzt habe ich alles nur schlimmer gemacht.Sie suchte in ihrem Kopf nach Möglichkeiten, ihren Fehltritt auszugleichen, doch wie immer in solchen Situationen waren ihre Gedanken wie von einem Tarnumhang umwölkt, sodass sie keinen klar fassen konnte. Zu Keiras Erleichterung schien Josie aber nichts gemerkt zu haben.
"Du bist stark. Und tapfer. Du schaffst das, Jojo."
Josie drückte sie noch einmal kurz und löste sich dann aus der Umarmung.
"Ich hasse diesen Namen und du weißt das, Killy." Josie stupste mit ihren Fäusten kurz in Keiras Bauch.
"Schreib mir viele Briefe, ja?", wisperte sie mit einem schiefen Grinsen.
"Tausende. Jede Woche, nee, jeden Tag, okay?", versprach Keira erleichtert.
"Übertreib' nicht."Am ersten September wachte Keira frühmorgens auf. Sie knipste ihre Nachttischlampe an und sah nach der Uhr, die erst sechs anzeigte. Keira ließ sich frustriert wieder auf die Matratze fallen. Draußen wurde es gerade erst hell, und niemand aus ihrer Familie würde wach sein. Sie löschte die kleine Glühbirne wieder und drehte sich um, doch sie konnte keine Ruhe finden. Immer der gleiche Gedanke wirbelte durch ihren Kopf, blieb wie Nieva, wenn sie hungrig war, hartnäckig sitzen und ließ sich nicht vertreiben. Schließlich gab sie auf und machte das Hauptlicht an, welches einen hellen Schein verbreitete und sie für einen Augenblick zwang, ihre Augen zuzukneifen. Keira verließ das Bett, um sich zu strecken, und setzte sich dann an ihren Schreibtisch. Sie strich nachdenklich über die Arbeitsfläche. Die Tatsache, dass sie ihr Zuhause nun für eine lange Zeit verlassen würde, war ihr noch nie so bewusst gewesen. Sie würde in ein paar Stunden alles Vertraute hinter sich lassen und in eine unbekannte Zukunft blicken, in der alles möglich war und in der sie niemanden kannte. Die Erkenntnis war plötzlich übermächtig und angsteinflößend, sodass Keiras Herz wie Trommeln pochte und sie sich selbst beruhigen musste.
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Secrets of Hogwarts: Gesang des Wassers
FanfictionKeira Stuarts erstes Jahr an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei beginnt. Sie ist glücklich darüber, da sie so ihrer schwierigen Familie entkommen kann. Keira findet schnell neue Freunde und nimmt erwartungsvoll am Unterricht teil. Doch dun...