Der erste Unterricht

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Der nächste Morgen begann für Keira damit, dass ihr jemand unsanft auf die Schulter klopfte. Als sie die Augen öffnete, sah sie Jennifer mit verschränkten Armen vor ihrem Bett stehen.
"Gut, du bist wach. Dachte, ich sollte dich rechtzeitig wecken. Gleich ist Frühstück, wäre doch schade, das zu verpassen. Bis gleich im Unterricht."
Damit drehte sie sich um und stolzierte zusammen mit Ilayda hinaus. Keira streckte sich und stand auf. Während sie sich anzog, keimte in ihr die Befürchtung, es sich mit ihren Mitbewohnerinnen zumindest für die nächste Zeit gründlich verscherzt zu haben. Madeleine kramte in ihrem Koffer, entschlossen, Keira zu ignorieren; Allison war sonst wo. Vermutlich geflüchtet, bevor sie mit mir reden muss, dachte Keira deprimiert und hätte sich selbst eine pfeffern können für ihr Verhalten am gestrigen Abend.
Auf dem Weg die Treppe hinunter fiel ihr ein, dass sie sich nicht mit Chris verabredet hatte, um gemeinsam zur Großen Halle zu gehen. Im Nachhinein fatal, da sie sich nicht genau gemerkt hatte, welche Korridore sie auf dem Hinweg genommen hatten. Sie hastete zu einem Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, die den Ausgang des Gemeinschaftsraums anstrebte.

"Entschuldigung?"
Sie blieb stehen und sah Keira fragend an.
"Ja?"
"Ich bin neu hier."
Das Mädchen starrte sie weiter an, verständnislos und auch eine Spur genervt.
Keira kam sich vor wie ein blinder Drache in einem Haus aus Wörtern, sie schien vergessen zu haben, wie man einen Satz bildete. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf.
"Entschuldige, ich meine nur, könntest du mir vielleicht zeigen, wo es zur Großen Halle geht?"
"Ach so", sie nickte leicht, "da will ich auch hin. Komm einfach mit."
Kurze Zeit später waren sie auch schon da, Keiras Begleiterin hatte mehrere Gänge benutzt, die hinter Wänden oder Teppichen versteckt gewesen waren. Keira hatte sie sich aufmerksam eingeprägt; noch einmal wollte sie nicht so vollkommen ohne Orientierung irgendwo stranden.
"Danke", meinte sie unbeholfen zu ihrer Begleiterin, die schon unterwegs zu ihren Freunden war und bereits anderweitig beschäftigt "Gerne" brummte.

Keira ließ ihren Blick suchend über die zahlreichen lachenden, redenden Gesichter schweifen, auf das Erkennen ihres einzigen Freundes hoffend. Und tatsächlich, Chris saß an beinahe der gleichen Stelle wie gestern, auch diesmal mit einer Tonne Essen auf dem Teller. Kein Wunder, dass er Keira noch nicht bemerkt hatte, er betrachtete gerade sein Rührei mit Schinken so liebevoll und sehnsüchtig, als hätte er seit Wochen nichts Richtiges mehr zu sich genommen. In Keiras Hirn formte sich eine Idee, grinsend schlich sie auf Chris zu, bis sie unbemerkt hinter ihm stand. Sie füllte ihre Lungen mit Luft und streckte die Hände aus, da sah sie Chris' Gegenüber. Das "Buh!" blieb ihr im Hals stecken und sie flüsterte nur heiser: "Hi."
Chris winkte, keineswegs überrascht, wobei er den Inhalt seines Löffels in einem Umkreis von zwei Metern verteilte. Die angeekelten und wütenden Mienen ringsum schien er nicht zu bemerken, er blickte auch Keira nicht an, sondern konzentrierte sich auf die nächste Ladung Rührei, die seinen Mund diesmal nicht verfehlen sollte.
"Hi, Träumerchen. Setz dich und lang' zu, das hier ist der Himmel, sage ich dir. Ally findet das auch, habt ihr euch schon kennengelernt? Okay, blöde Frage, ihr seid im selben Schlafsaal."
Allison sah Keira nicht in die Augen, als sie jetzt stotterte: "Äh, ja. Chris, ich gehe mal zu Jennifer und so, ich muss mit ihnen reden über ..."
Sie war aufgesprungen und hastig zu den anderen gelaufen, bevor sie zuende gesprochen hatte.

Keira ließ sich geknickt neben Chris auf die Bank fallen und griff nach einem Brötchen, das sie aber nur auf ihren Teller legte und geknickt betrachtete. Irgendwann fühlte sie sich in der Lage, Chris über ihre komplizierte Beziehung zu Allison aufzuklären.
"Sie hasst mich. Ich habe sie gestern angeschrien, weil ich dachte, sie macht sich über mich lustig. Hat sie nur nicht, und jetzt denken alle meine Zimmergenossinnen, ich hätte ein Aggressionsproblem oder so."
Chris kicherte. Keira fuhr mit blitzenden Augen zu ihm herum.
"Was? Das ist nicht lustig."
Chris zwang sich, ernst zu schauen, als er antwortete, was nicht besonders gut funktionierte. Keira zählte innerlich bis zehn, um sich davon abzuhalten, Chris sein Essen ins Gesicht zu schleudern. Diese Option wurde umso verlockender, nachdem er Keiras Problem kommentiert hatte.
"Du musst zugeben, dass du beim Kennenlernen von Leuten ungefähr so offen und einladend bist wie eine Klapperschlange. Das sage ich aus eigener Erfahrung."
"Na, vielen Dank dafür."
Keira starrte finster auf ihren Teller und schmierte sich nach einer Schmollminute das Brötchen mit so viel Kraft, dass sie das fluffige Innere an die Ränder presste. Das war etwas, was sie nicht vor Chris hätte tun sollen, wie ihr im nächsten Moment klar wurde. Er blickte fassungslos und entsetzt auf diese Untat.
"Diese Brötchen schmecken besser als alles, was ich je gegessen habe. Und du dankst diesen Wunderbäckern damit. Siehst du was ich meine? Du bist keine Person, mit der man sich leicht anfreundet, wenn du schon dein Essen so behandelst."
"Du hast es getan. Oder bereust du das schon? Wenn du gehen willst, weil es dir zu anstrengend mit mir ist, nur zu. Ich zwinge dich nicht zum Bleiben."
Chris schüttelte amüsiert den Kopf.
"Da. Schon wieder. Wenn du jemanden willst, der neben dir den felsigen Pfad begeht, dann schubse ihn nicht von der Klippe. Im übrigen ist unsere Freundschaft durch meine Hartnäckigkeit entstanden, diese Mühe soll nicht umsonst gewesen sein. Ich bleibe an deiner Seite."
"Musst du immer so dramatisch sein?"
"Wenn es dir hilft, ein besserer Mensch zu werden, dann definitiv ja."

Secrets of Hogwarts: Gesang des WassersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt