Dunkelheit

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Im Wald schienen alle Geräusche wie von Watte gedämpft zu werden. Keira hörte ihren angespannten Atem und ihr aufgeregt pochendes Herz, alles andere wurde von den Bäumen und Büschen verschluckt. Ab und zu ein Knistern, wenn einer von ihnen auf einen abgestorbenen Ast trat, mehr aber auch nicht.
Warum liegt hier nirgendwo Laub? Warum hört man kein Vogelgezwitscher? Alles hier ist so ... tot, schoss es ihr durch den Kopf, und sie hätte zehn Galleonen verwettet, dass die anderen auch so dachten.
Die Bäume ragten bedrohlich über ihren Köpfen auf und es kam Keira so vor, als würden sie nur auf einen bestimmten Augenblick warten, um die vier zu verschlingen. Bis jetzt hatten sie sich im Gänsemarsch bewegt: Keira vorneweg, gefolgt von Allison und Chris, Kat bildete das Schlusslicht. Jetzt blieb Keira stehen und wandte sich den anderen zu. Sie sah Allison leicht nach vorn stolpern, als Chris in sie hineinlief und dabei ein überraschtes "Uff" von sich gab. Kat erreichte sie und blickte angespannt in die Runde.
"Was ist los? Hat einer was gesehen?"
"Nein. Ich - ich dachte nur, wir sollten das vielleicht noch mal besprechen. Also, wie wir vorgehen", erwiderte Keira. Mittlerweile leuchteten kleine Lichtkugeln an den Spitzen ihrer Zauberstäbe, und die erleuchteten Gesichter hoben sich wie Totenschädel von der nachtschwarzen Umgebung ab. Keira ließ ihren Blick über die wachsamen bis gehetzten Augen der anderen schweifen - Allisons grüne, Chris' graue und Kats braune, die in der eigentümlichen Beleuchtung alle leblos und stumpf aussahen - und ahnte, dass sie ebenso aussehen musste. Sie räusperte sich und straffte die Schultern.
"Ich denke, wir sollten uns nicht aufteilen", begann sie.
Chris unterbrach sie. "Hast du jemals einen Horrorfilm gesehen? Wenn die Typen sich aufteilen, kann man direkt sagen, dass mindestens einer draufgeht. Mindestens", betonte er.
"Und wenn sie durch den dunklen und gefährlichen Wald brüllen, sodass jeder taube Werwolf mitbekommt, dass sie da sind, auch", flüsterte Allison energisch.
Bevor sich die beiden über die Lautstärke streiten konnten, griff Kat ein.
"Ihr habt recht. Beide", sagte sie und sah die zwei warnend an. "Trotzdem sollten wir einen Plan überlegen, wie Keira gesagt hat. Hätten wir machen sollen, bevor wir hier rein gerannt sind, aber egal. Keira, du bist stehengeblieben, hast du 'ne Idee?"
"Nicht wirklich. Ich dachte nur, wir sollten uns zumindest einig sein, was wir machen. Mein Vorschlag wäre: nicht aufteilen und nur so weit gehen, dass wir uns nicht verlaufen?", schlug Keira vor und dachte bei sich, dass sie wirklich schon bessere Pläne gehabt hatte. Sie versuchte, ermutigend zu lächeln, aber das klappte nicht. "Hat noch wer was?"
"Wir sollten leise sein", meinte Chris mit Blick auf Allison, "aber wir müssen Merlin auch ab und zu rufen. Warum sollte er kommen, wenn hier sonst wer langläuft?"
Einstimmiges, banges Nicken war die Folge. Natürlich machte das Sinn - was die Aufmerksamkeit eines Geschöpfe erregte, konnte allerdings auch andere anlocken, die womöglich nicht so friedlich waren wie Merlin. Dieser Gedanke spukte die nächsten Minuten in Keiras Kopf herum, während sie sich, diesmal hinter Kat, einen Weg durch die Finsternis bahnte und hin und wieder gleichzeitig so laut und so leise wie möglich nach dem Kater rief.

Die Bäume schienen dichter zu werden, je weiter sie in die Untiefen dieses Waldes vordrangen, und allmählich verschluckten sie jeden Lichtstrahl, sodass sie sich irgendwann nur noch dank der Zauberstäbe orientieren konnten. Dabei hatte Keira jedoch den Verdacht, dass der Wald auch deren Wirkung einschränkte. Oder war es nur Einbildung, dass die Lichtkreise deutlich schwächer wirkten als außerhalb des Waldes? Eine riesige Käseglocke, kam es Keira in den Sinn, dieser Wald ist wie eine riesige Käseglocke. Nichts kommt rein und nichts kommt raus. Eine Frage drängte sich ihr auf, stupste immer wieder ihr Gehirn an, erst leicht, dann immer hartnäckiger: Wie kann hier überhaupt irgendwas ohne Licht wachsen? Keira vermutete, dass es besser war, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Als Kat nach etwa einer halben Stunde abrupt stoppte war es Keira, die ein unterdrücktes "Uff" von sich gab, als sie mit dem Gesicht in Kats Umhang landete.  Alarmiert fragte sie: "Ist was passiert?"
Kat schüttelte nervös den Kopf. "Nein. Das heißt, irgendwie schon ... bis jetzt sind wir auf einer Art Weg gegangen und dem können wir auch zurück zum Waldrand folgen, aber er hört hier anscheinend auf. Wenn wir weiterlaufen, verirren wir uns."
Stille folgte, während es in Keiras Kopf arbeitete. Sie hatten Merlin noch nicht gefunden, und es war möglich, dass er hier irgendwo herumstreunte. Aber war es wahrscheinlich, dass er ins Zentrum des Verbotenen Waldes gelangt war? Eher nicht, dachte sie, und Chris war offenbar zum gleichen Ergebnis gelangt, denn er sagte an Kat und Allison gerichtet: "Ihr beide kennt ihn am besten und ich bin echt kein Katzenprofi. Aber wenn Merlin sich nicht gerade einer Zentaurenherde angeschlossen hat, wird er vermutlich nicht tiefer drin sein, oder?"
"Aber wir ..." setzte Allison hartnäckig an, doch Kat legte ihr einen Arm auf die Schulter und sah sie mit dem typischen Kleine-Schwester-muss-geschützt-werden-Blick an, den Keira von sich selbst kannte.
"Er hat recht", meinte sie flehend, mit einem verdächtigen Hicksen in der Stimme. "Wenn wir weitergehen, finden wir selbst nicht mehr raus, selbst wenn Merlin da sein sollte, was ich nicht glaube. Und wem würde das nützen? Es wäre am besten, wenn wir hier verschwinden, solange uns noch niemand entdeckt hat."
"Aufgeben? Niemals!", protestierte Allison entrüstet und den Tränen nahe. "Wenn er doch hier ist, dann stirbt er, und das weißt du genau!"
"Wenn wir nicht gehen, sterben wir!", konterte Kat verzweifelt. "Denkst du, ich will aufgeben? Wir haben keine Wahl!"
"Du vielleicht nicht, aber ich schon", erwiderte Allison merkwürdig ruhig. Dann drehte sie sich plötzlich auf dem Absatz um und verschwand jenseits des Pfades, nur das wippende Licht ihres Zauberstab zeigte, dass sie sich ins Herz des Waldes entfernte.
"Allison!", kreischte Kat mit weit aufgerissenen Augen. "Bist du wahnsinnig? Komm zurück!"
Ihre eigenen Worte ignorierend folgte sie ihrer Schwester ins Dickicht. Keira und Chris sahen sich geschockt an, dann nickte Chris, sein Gesicht eine verzweifelte Grimasse. Bevor sie hinter den anderen herjagte, dachte Keira noch: Kat hat recht, was haben wir für eine Wahl?, dann stürzte sie sich, mit den Armen ihren Kopf schützend, ins Unbekannte.

Secrets of Hogwarts: Gesang des WassersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt