"Ich schwamm also hinter meinen Brüdern und Schwestern her zum Schwarzen See", begann die Sirene. "Es war dunkel um uns herum - die Tunnel ziehen sich eine ganze Weile, es gibt zahllose Legenden von Sirenen, die sich darin verirrt und nie wieder herausgefunden haben - und ich erinnere mich, nicht allzu motiviert gewesen zu sein. Alle meine Freunde feierten das Ende der Prüfung, die uns zu vollwertigen Schwarmmitgliedern gemacht hatte, nur ich musste mit zu den Wassermenschen, da ich mich als Tochter der damaligen Anführerin vorstellen sollte. Was ich auch getan habe, doch danach gab es nichts mehr zu tun für mich und ich hätte den Weg durch die Tunnel allein niemals gefunden. Also erkundete ich den Schwarzen See, spielte mit ein paar Grindelohs und mit dem Kraken - du musst ihn unbedingt kennenlernen, sehr feinfühlig und intelligent, der Gute - , bis mir langweilig wurde. Und dann habe ich an die Regel gedacht, die uns ab der Minute unseres Schlüpfens beigebracht wird, dass wir niemals in die Nähe der Schlossgründe schwimmen sollen. Ich muss hinzufügen, dass uns niemand jemals erklärt hat, weshalb wir das nicht durften, deshalb bitte ich dich mir zu verzeihen, dass ich es wider die Erlaubnis meines Schwarms getan habe."
"Also wusstet ihr nichts von den Schülern, die quasi neben euch leben?", fragte Keira verdutzt.
Die Sirene lachte leise, doch ihre Augen blieben ernst.
"Unglaublich, nicht wahr? Zwei Welten, die völlig ahnungslos nebeneinander existieren. Es gab die Regel für uns, von euch fernzubleiben und ihr dürft nicht in den Verbotenen Wald, wenn du darüber nachdenkst, ist es gar nicht so überraschend. Zumal wir einander nichts zu sagen oder zu geben haben. Natürlich wussten eure Lehrer und auch die meisten älteren Sirenen Bescheid, aber warum sollten sie es einem Schlüpfling verraten?"
"Und jetzt? Ich meine, ich bin ja hier, vor eurem Zuhause", murmelte Keira beschämt. Hatte sie gerade im Alleingang das Leben dutzender Sirenen auf den Kopf gestellt?
Die Sirene zuckte mit den Schultern.
"Seit einigen Jahren erzählen wir unseren Schlüpflingen von euch, um das zu verhindern, was ich getan habe."
Erschüttert und gleichzeitig neugierig fragte Keira: "Was ist denn passiert? Ich meine, wenn du es erzählen willst."
"Nur das ist der Grund für deine Anwesenheit, Keira. Wir haben Zeit, nicht wahr? Setz dich und höre mir zu."
Jetzt fiel Keira auf, was seit einigen Minuten an ihr genagt hatte. Woher kannte diese wildfremde Sirene aus dem Verbotenen Wald ihren Namen? Entgegen ihrer Instinkte, die entsetzt aufschrien, setzte sie sich im Schneidersitz ein paar Meter vom Ufer entfernt auf das weiche Moos. Die Sirene legte sich bequemer in das seichte Wasser und sah zu den Baumkronen empor, die über den See ragten, als würde sie überlegen.
"Ich schwamm also zum Rand des Schwarzen Sees, in Erwartung, das Schloss aus der Nähe beobachten zu können, ohne dass mich jemand entdeckt. Wieso auch? Alle Lebewesen, von denen ich wusste, scherten sich nicht um mich oder waren unten in der Stadt der Wassermenschen. Nach einer Weile zog ich mich sogar auf das Gras außerhalb des Wassers und - es war Sommer - genoss die Sonne auf meiner Haut. Dann muss ich eingeschlafen sein, denn das nächste, was ich weiß, ist, dass jemand mich angetippt hat. Ich öffnete die Augen und sah einen Jungen. Einen Menschen. Der erste Mensch, den ich jemals sah und der einzige, bis du heute hierher kamst. Natürlich erschreckte ich mich und floh zurück ins Wasser, aber er rief mir zu, ich solle warten, und ich stoppte tatsächlich und überlegte. Die reine Faszination, dieses Wesen zu sehen, überwog schließlich und ich blieb. In sicherer Entfernung zwar, aber ich blieb."
Die Sirene räusperte sich und atmete zittrig ein, als bereite sie sich auf einen Kampf vor, von dem sie wusste, dass sie ihn verlieren würde.
"Wir unterhielten uns lange und ich legte meine Scheu vor ihm ab. Ich erzählte ihm vom Schwarm und dem Waldsee, er erklärte mir, dass es sich bei dem Schloss um eine Zauberschule handelte, die zahlreiche Schüler besuchten. Er war ein Slytherin - es heißt so, oder? - und ging damals in die sechste Klasse, und setzte sich offenbar gerne stundenlang an den See, gerade in den warmen Monaten."
Sie lächelte abwesend, in Erinnerung versunken an jenen Tag.
"Er wollte zuerst gar nicht glauben, dass es uns gab und dachte, ich gehöre zu den Wassermenschen. Obwohl jedermann weiß, dass sie ganz anders aussehen. Wir haben menschliche Oberkörper und Flossen wie Meeressäuger", sagte sie und hob ihren Fischschwanz an. Keira erkannte, dass er silbergrau war und mit Haut statt Schuppen überzogen war.
"Ich weiß nicht, ob du schon Wassermenschen begegnet bist, aber sie haben pfeilartige Fischschwänze mit Schuppen, Haare wie Seetang und spitze Zähne. Ich kann nachvollziehen, dass er dachte, ich sei eine von ihnen, er wusste schließlich nichts von uns, dennoch war es lustig. Als hätte ich darauf bestanden, dass er ein Zentaur ist. Jedenfalls redeten wir, bis es zu dämmern begann, und ich sagte ihm, ich müsse gehen. Und der zweitgrößte Fehler meines Lebens war, dass ich ihm erklärte, ich könne ihn durch die gleiche Methode, wie dich heute, zu einem kleinen Teich unweit von hier leiten, sodass wir uns wieder treffen konnten."
Keira wartete, gespannt, was dann geschehen war.
"Wir fuhren fort, uns zu sehen, vor allem in seinem nächsten Schuljahr, da er sich an die Gefahren des Verbotenen Waldes gewöhnte. Nach unserem Kennenlernen dauerte es einige Wochen, bis er sich zu unserem Treffpunkt traute. Ich kann dir sagen, es war wirklich deprimierend, jeden Tag stundenlang in dem See zu warten, zu singen und darauf zu hoffen, dass er irgendwann auftauchte. Aber schließlich tat er es, und es war eine schöne Zeit. Allmählich vertrauten wir einander und erzählten uns Dinge, die keiner sonst über uns wusste. Wem hätten wir von den Beichten des jeweils anderen erzählen können? An manchen Tagen sind wir zusammen im See geschwommen, und mithilfe eines Luftzaubers konnte er unter Wasser atmen, sodass wir die Tunnel erforscht haben. Ein paar Mal hat er mich zum Schweben gebracht, sodass ich bequem einen Teil des Waldes entdecken konnte. Ich führte ihn in meine Welt ein und er mich in seine. Es war aufregend, etwas Verbotenes zu tun, für mich genauso wie für ihn. Mein Schwarm hielt mich für sehr seltsam, wie ich jeden Tag wohin auch immer verschwand, hat mir meine Freundin erzählt. Es gab Gerede und Tratsch, und alle waren froh, dass ich nur die Zweitgeborene war und nicht ihre nächste Anführerin werden würde. Glücklicherweise entdeckte niemand mein Geheimnis, zumindest fürs Erste. Dann wurde es Winter und damit gab es weniger Gelegenheiten, uns zu sehen. Dennoch wartete ich beinahe jeden Tag am Teich, in der Hoffnung, er würde kommen. Doch meine Geduld wurde erst belohnt, als der Schnee bereits geschmolzen war und die Vögel zu singen begonnen hatten. Apropos Singen: Natürlich habe ich ihm von der Fähigkeit der Manipulation und Unterwerfung erzählt, aber ich habe sie niemals an ihm benutzt. Der erste Grund lautete, dass mir der Missbrauch dieser Macht zuwider war und es immer noch ist. Der zweite Grund war, wie du womöglich schon ahnst, die simple Tatsache, dass ich mich in ihn verliebt hatte."
Mit diesen Worten richtete die Sirene sich auf, drehte sich um und tauchte rasch unter, als wollte sie Tränen abwaschen. Als sie wieder zum Vorschein kam, den Blick fest auf Keira gerichtet, sagte sie: "Du hältst mich vermutlich für naiv und in einer Wahnvorstellung lebend, und das war ich rückblickend auch. Aber in dem Moment fühlte es sich ... richtig an. Ich wusste, dass ein Leben miteinander unmöglich sein würde, deshalb behielt ich meine Gefühle für mich. Zumindest bis zu dem Tag, der sein letzter in Hogwarts sein sollte. Er kam mich besuchen, um sich zu verabschieden und mir war, als würde er mir einen Dolch ins Herz stechen und ihn in meinem Innersten herumdrehen. Aber ich lächelte und wünschte ihm alles Gute für seine Zukunft, die ohne mich stattfinden sollte. Letzteres sagte ich natürlich nicht. Auch wenn es schmerzte, ich war darauf vorbereitet, ihm Lebewohl zu sagen und zu meinem Leben im Schwarm zurückzukehren, das mir im vergangenen Jahr immer trostloser und grauer erschienen war. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass er mir zum Abschied gestehen würde, dass er mich liebte. Daraufhin sagte ich ihm, dass ich ebenso fühlte. Und das war der größte Fehler in meinem Leben."
Keira schluckte. Sie hatte die dunkle Ahnung, dass diese Geschichte nicht gut enden würde. Die Sirene schloss kurz die Augen, wie um einen tiefen, alten Schmerz zu verdrängen.
"Uns beiden war klar, dass wir uns weiterhin sehen mussten. Da er logischerweise nicht mehr zu unserem bisherigen Treffpunkt kommen konnte, versprach ich, ihn zu einem flachen Uferstück am anderen Ende des Schwarzen Sees zu führen. Mittlerweile war ich mit den Tunneln vertraut und kannte den Weg zu den Wassermenschen, da ich mehrmals zu ihnen hatte reisen müssen. Natürlich habe ich bei diesen Gelegenheiten möglichst viel erkundet. Der Fluss, in den der See mündet und der ihn irgenwann zum Meer führt, hat an einer Stelle ein fast strandähnliches Ufer, dass außerhalb der Schlossgründe und trotzdem vom Land aus gut erreichbar ist, und das mir für unsere Zwecke ideal erschien. Ich hinterließ meiner Schwester eine Botschaft, in der ich ihr alles erklärte, und habe mein Zuhause und meinen Schwarm verlassen in der Hoffnung, irgendwann mit meinem Geliebten zurückkehren zu können. Aber fürs Erste reichte es mir, nur mit ihm zusammen zu sein. Ich begab mich zu dem Ufer und sang ihn zu mir, und wir erlebten einen traumhaften Sommer. Er baute eine Art Hütte, in der er bei Regen Unterschlupf fand. Meistens saßen wir aber am Ufer oder schwammen im Wasser. Ich erinnere mich, an manchen Tagen aufgewacht zu sein und für einen Moment überwältigende Angst gehabt zu haben, dass es sich tatsächlich um einen Traum gehandelt hatte. Aber das war nicht der Fall. Und eines Tages verwandelte sich dieser reale Traum in einen ebenso realen Albtraum."
"Was ist denn passiert?", wollte Keira mit weit aufgerissenen Augen wissen. "Sorry, also wenn das für dich ok ist ..."
"Ist es", versicherte die Sirene. Dann fuhr sie fort, und ihre Stimme klang bitterer als zuvor.
"Das Problem war, ich wurde schwanger. Es war eine Katastrophe. Wir wussten nicht, wie das Kind aussehen, ob es überhaupt lebensfähig sein würde. Zu allem Überfluss spürte uns im Winter ein Mitglied meines Schwarms auf, das mich zurückbringen sollte, und konnte meinen Zustand unmöglich übersehen. Es dauerte etwa einen Mondzyklus, bis das Eis verschwand und die Winterstürme endeten, und einen Tag später kam meine Schwester. Sie warnte mich, dass meine Eltern über alles Bescheid wussten und mir bis zum nächsten Vollmond Zeit geben wollten, um das Kind zu gebären und mit ihm zum Schwarm zurückzukehren. Wenn ich das bis dahin nicht freiwillig täte, würden sie mich und mein Kind holen. Die Geburt stand zu diesem Zeitpunkt kurz bevor, dass unser Kind bis dahin nicht auf der Welt war, war im Grunde unmöglich. Und tatsächlich war es etwa zwei Wochen nach dem Besuch meiner Schwester soweit. Als alles vorbei war, konnten wir sehen, dass das Kind lebte und atmete. Und es hatte Beine. Wir haben es natürlich nicht getestet, aber wir waren uns sicher, dass es nicht wie meinesgleichen unter Wasser überleben würde. Ich konnte es nicht mit zu meinem Schwarm nehmen. Wir einigten uns, dass mein Geliebter unser Kind zu seiner Schwester bringen würde, bis wir das Problem mit meinen Eltern geregelt hätten. Dann warteten wir, und die Frist, die sie uns gesetzt hatten, verstrich. Beinahe gleichzeitig mit dem Untergang des Vollmondes tauchten sie mit meinem halben Schwarm bei uns auf. Ich sagte ihnen, dass das Kind nicht bei uns sei, da es zu viele menschliche Eigenschaften hätte, um beim Schwarm zu bleiben. Meine Eltern akzeptierten das nicht. Sie forderten von uns, es auf der Stelle zu holen, damit sie sich dessen sicher sein konnten. Wir, beziehungsweise hauptsächlich mein Geliebter, verweigerten ihnen diese Forderung. Schließlich, sie glaubten uns trotz unserer wiederholten Beteuerungen, die sogar meine Schwester unterstützte, nicht, sagte meine Mutter, die, wie ich dir erzählte, die Anführerin war, dass es ihr leidtäte, dass sie aber keine andere Wahl hätte. Und dann ... besang sie meinen Geliebten."
Keira schwieg, erschüttert von dieser Wendung der Ereignisse. Und noch immer war die Sirene nicht fertig.
"Sie brachte ihn dazu, seinen Zauberstab zu zerbrechen. Dann zwang sie ihn, ins Wasser zu gehen. Mein Vater und zwei Mitglieder des Schwarms hielten mich fest, sodass ich ihn nicht retten konnte. Ich schrie und weinte und versuchte es mit einem Gegengesang, aber der meiner Mutter war zu mächtig. Seine Hüften verschwanden in den Fluten, dann seine Schultern, und schließlich sein Kopf. Und er tauchte nicht wieder auf. Ich spürte, wie ein Teil von mir mit ihm um Luft rang, mit ihm gegen die Strömung kämpfte und irgendwann mit ihm aufgab. Ich wurde ohnmächtig. Als ich erwachte, war ich hier in diesem See, meinem Zuhause. Nur, dass es nicht mehr mein Zuhause war und es auch nie mehr sein wird."
Als die Sirene ihre Geschichte beendete, blieb es für längere Zeit still an dem See. Keira war wie erstarrt vom Schicksal von ihr und ihrem Partner. Er war gestorben, weil er die falsche Frau geliebt hatte und sie und sein Kind beschützen wollte, und sie hatte die ganze Zeit über mit diesem Wissen leben müssen. Aber ...
"Warum ... warum hast du mir das alles erzählt? Was hat das mit mir zu tun?", fragte sie zaghaft, da sie spürte, dass die Sirene in Gedanken versunken war. Jetzt schaute sie Keira in die Augen.
"Mein Kind blieb bei seiner Tante und deren Mann, die meinem Geliebten versprochen hatten, auf es aufzupassen, falls ... und als das Schlimmste dann eintrat und niemand kam, um das Kind zu holen, zogen sie es als ihr eigenes auf. Keiner fragte nach, keiner wunderte sich, also wuchs mein Kind bei den beiden auf in dem Glauben, sie seien seine Eltern. Bis vor ungefähr einem Jahr hatte ich keine Ahnung, was mit ihm geschehen war, da die Adoptiveltern und ich keine Möglichkeit hatten, Kontakt zueinander aufzunehmen. Aber vor kurzem habe ich gespürt, dass mein Kind in meiner Nähe war, und seither versuche ich, ihm den Weg zu mir zu weisen, sodass wir uns kennenlernen können."
In Keiras Kopf breitete sich eine plötzliche und erschreckende Gewissheit aus.
"Aber ..."
Die Sirene unterbrach sie.
"Keira ... du bist meine Tochter."
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Secrets of Hogwarts: Gesang des Wassers
FanfictionKeira Stuarts erstes Jahr an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei beginnt. Sie ist glücklich darüber, da sie so ihrer schwierigen Familie entkommen kann. Keira findet schnell neue Freunde und nimmt erwartungsvoll am Unterricht teil. Doch dun...