Keira schloss die Tür ihres Abteil hinter sich und atmete tief durch. In ihren Gedanken lieferten sich Nervosität und Vorfreude ein erbittertes Kopf-an-Kopf-Rennen. Sie sah aus dem Fenster, während der Zug die matten Farben Londons allmählich verließ und sich weite Felder bis zum Horizont erstreckten. Diese Landschaft erinnerte Keira an die Fahrt zum Bahnhof, und sie musste einen hartnäckigen Kloß im Hals herunterschlucken. Egal, wie tapfer und gelassen sie sich Josie gegenüber gegeben hatte, war sie doch längst nicht so zuversichtlich, wie sie ihrer Schwester und ihrer ganzen Familie versichert hatte. Alle möglichen Szenarien spielten sich in ihr ab, eines schlimmer als das andere und so rasant aufeinanderfolgend, dass sie vollkommen unkenntlich und damit noch beängstigender wurden. Keira hasste sich selbst dafür, neuen Situationen nie offen entgegentreten zu können, sondern sich wie ein Kaninchen immer nach der Geborgenheit eines geschützten Baus zu sehnen. Und den einzigen sicheren Bau, den sie kannte, hatte sie soeben verlassen. Und würde ihn so bald nicht wiedersehen.
Zum Glück war sie wenigstens allein in dem Abteil. Die Vorstellung, hier mit anderen zu sitzen, womöglich lärmenden, riesigen Fünftklässlern, die sie ununterbrochen aufzogen, ließ sie frösteln, obwohl sie eigentlich vorgehabt hatte, ein paar ihrer Mitschüler kennenzulernen. Dieser Vorsatz erschien ihr jetzt aber nicht mehr verlockend. Neben den gruseligen Vorstellungen, die sich ihr allzu gelangweiltes Gehirn permanent zusammenschusterte, flüsterte der rationale Teil ihres Selbst dazu: Bitte, bitte, bitte lass niemanden reinkommen, lass mich diese Fahrt noch ungestört verbringen, bevor der Zug ankommt und ich die nächsten Monate mehr als genug Zeit habe, die anderen kennenzulernen.
An wen sie dieses "Gebet" richtete, wusste Keira nicht, doch ihr war absolut klar, dass es der Wahrheit entsprach. Natürlich wollte sie Freunde finden (wie die nächsten Wochen aussehen würden, wenn nicht, mischte sich als eine der furchtbarsten unter ihre Zukunftsausmalungen), aber nicht auf der Fahrt. Nicht heute. Nicht an dem Tag, an dem sich alles andere änderte. Jeder Aspekt ihres Lebens drehte sich gerade auf den Kopf. Keira wollte nicht auch noch ihren Sozialkreis verändern, indem sie ihn erst einmal erschuf.Tatsächlich hatte sie bisher keine wirklichen Freunde gehabt. Natürlich hatte sie sich mit Klassenkameraden getroffen, war mit ihnen über die Klippen balanciert, schwimmen gegangen, sie hatten Ausflüge unternommen ... aber es waren keine richtigen Freunde gewesen. Die Tatsache, dass Keira eine Hexe war, hatte immer als leise, mahnende Stimme in ihrem Bewusstsein existiert und sie davon abgehalten, tiefe Bindungen mit Muggeln einzugehen. Aufgrund ihres daher oft abweisenden und stillen Verhaltens wollten dann sowieso nicht viele etwas mit ihr zu tun haben, nur zwei Mädchen aus der Schule, Janice und Lucy, wollten Keira kennenlernen und ließen sich nicht von ihrer Art beirren. Keira fühlte es nicht gern, aber sie wusste, sie würde diese einzigen freundesähnlichen Personen nie wieder sehen geschweige denn Zeit mit ihnen verbringen, und diese Erkenntnis bohrte sich wie ein Stachel in ihr Herz.
Du machst dich komplett verrückt, sagte sie sich. Vielleicht wäre es doch besser, wenn jemand kommen würde. Selbst nervige Fünftklässler sind besser als dieses absolut unnötige Bedauern von etwas, das ich ohnehin nicht ändern kann.
Doch ihr Wunsch, so verzweifelt und widerwillig sie ihn sich auch eingestand, verklang ungehört in der Stille ihrer Gedanken. Schweigend starrte Keira aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft, ohne sie wahrzunehmen.Nach einer Stunde - oder einer halben, oder nach zwei, Keira hatte ihr Zeitgefühl vollkommen verloren - klopfte es plötzlich sacht an der Tür. Keira schaute durch das Fenster auf den Gang, froh über die Ablenkung, und blickte in das liebevolle Lächeln einer Hexe. Sie war etwa Fünfzig, hatte tiefe Lachfältchen um die schokoladenbraunen Augen und winkte Keira leicht zu.
Dann zog sie die Abteiltür auf und fragte: "Möchtest du eine Kleinigkeit essen, meine Liebe?"
Als Keira sie irritiert ansah, verzog sie ihr Gesicht zu einem zerknirschten Ausdruck, anscheinend ihre Worte bereuend.
"Oh, bei Merlins Bart, entschuldige, dass muss seltsam gewesen sein!"
Keira setzte gerade an: "Nein, wirklich nicht, alles gut ...", doch die Frau unterbrach sie.
"Tut mir leid, ich bin neu in dem Job, ich vergesse jetzt zum vierten Mal, das ich nicht so mit der Tür ins Haus fallen kann. Jedenfalls, ich bin verantwortlich für die Nahrungsaufnahme der Schüler, soll heißen, ich habe einen Wagen", sie deutete mit einem Finger bedeutungsvoll hinter sich, "voll mit Süßigkeiten wie Bertie Bott's Bohnen, Schokofröschen undsoweiterundsoweiter, aber auch herzhafte Pasteten und, gerade reingekommen, Bonbons in den Farben der Hogwarts-Häuser, die deine Augen färben! Natürlich gibt es auch Getränke", fügte sie ihrer begeisterten Beschreibung der verschiedenen Leckereien hinzu.
Keira hatte zwar ein paar Brote von Zuhause mitgenommen und hatte bis vor ein paar Minuten noch keinen Hunger verspürt, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief und ihr Magen sehnsüchtig knurrte. Eine Mittagspause schien nicht die schlechteste Idee zu sein, aber der Nachtisch fehlte. Sie überlegte kurz und fand zu einer Entscheidung.
"Gut, äh, dann würde ich gern je ein Bonbontütchen jedes Hauses haben, bitte", bestellte sie und kramte in ihrem Rucksack nach Geld.
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Secrets of Hogwarts: Gesang des Wassers
FanfictionKeira Stuarts erstes Jahr an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei beginnt. Sie ist glücklich darüber, da sie so ihrer schwierigen Familie entkommen kann. Keira findet schnell neue Freunde und nimmt erwartungsvoll am Unterricht teil. Doch dun...