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Es war mittlerweile 7 Uhr morgens. Die Sonne war schon aufgegangen und wir frühstückten in einer angenehmen Stille. Jason hatte mich gezwungen den Tag frei zu nehmen um etwas für meine mentale Gesundheit zu tun während er sich überlegen würde, was wir am Abend tun würden. Trotz des Kaffees wurde ich nicht wacher als davor. Das einzige was er tat war meinen Magen langsam zu füllen, sodass mein Hungergefühl gestillt wurde. 

Jason hatte ich noch nichts von meiner Idee erzählt, was vermutlich auch besser so war. Er würde mich bestimmt aufhalten. Doch ich musste wissen, wer mein Bruder war und warum ich ihn nie kennengelernt hatte. Wut existierte in mir und auch wenn ich im Nachhinein herausfinden würde, dass er tot war, wäre es Wert zu wissen, wer er war.

"Alles gut?"  Mein Freund holte mich wieder zurück in die Realität. Dieser stand im Flur und zog gerade seine Jacke an. Nickend erwiderte ich: " War in Gedanken, sorry..."

Schnell erhob ich mich und ging zu ihm rüber. " Du bist gegen Mittag zurück?" Der Blonde nickte nur und drückte mir einen Kuss auf die Lippen ehe er zur Tür rausging. "Ruh dich heute aus, bitte..." Dann war er weg. 

Natürlich würde ich das nicht machen: Schon einige Minuten später hatte ich meine Schuhe an und machte mich auf den Weg zu meinem alten zu Hause. Wenn man es überhaupt einen Ort des Wohlfühlens nennen konnte...

Draußen war es kühl, aber Windstill obwohl der Himmel in Wolken getaucht war. Es war keine Menschenseele auf den Straßen, was daran lag, dass entweder die Hälfte der Menschen noch schliefen, schon bei der Arbeit oder in der Schule waren oder gerade etwas zu Frühstück hatten. Dies war wahrscheinlich zu meinem Vorteil, genauso wie die Tatsache, dass meine alten Nachbarn auch schon lange weg waren, sodass ich ungestört Hausfriedensbruch begehen konnte. Wer hätte gedacht ich würde nach meiner Haftstrafe noch eine Straftat begehen?

Ich bog in die Straße ab, in der das Haus meines 'Vaters' stand. Seinen Wagen konnte ich nirgends erkennen, deswegen konnte ich mir noch einige Stunden Zeit lassen, bis er zurück sein würde. Zu meinem Vorteil war auch, dass ich noch meine alten Schlüssel hatte und somit nicht einbrechen musste, es sei denn er hatte die Tür austauschen lassen. 

Zügig trat ich zur Tür und schloss sie auf, dann trat ich achtsam über die Schwelle. Seit meinem letzten Besuch hatte sich nicht viel verändert. Die Vorhänge, die Teppiche... Sogar mein Zimmer war unberührt. Was mich aber bedrückte waren die Pflanzen meiner Mutter, wie die Köpfe der Blumen herunter hingen, sich die Blätter schon gelb verfärbten und langsam herunter fielen. Als sie noch am Leben war, hatte ich sowas nie gesehen, außer bei meinen Pflanzen. Tatsächlich hatte ich ihren grünen Daumen nicht geerbt...Geschweige denn etwas anderes als ihrer Augen.

Die Treppe knarzte etwas als ich sie hinauf stieg und bis zum Ende des Ganges lief. Dort angekommen nahm ich einen tiefen Atemzug und streckte mich dann nach der kleinen, dunkelbraunen Klappe zum Dachboden. Als ich nach ihr zog kam mir etwas Staub entgegen und die alte Leiter, die ich als Kind nie hochklettern durfte. Nur mit dem Unterschied, dass ich jetzt wusste wieso.

Das Klopfen meines Herzens verstärkte sich mit jeder Sekunde, der ich der Wahrheit näher kam. Als ich oben ankam war mir sofort bewusst, wo ich nachschauen musste: In den Boxen mit den Fotoalben. Der Dachboden war dunkel und verstaubt, selbst mit meiner Handytaschenlampe fühlte es sich so an, als würde mich konstant jemand aus der Dunkelheit anstarren, was ich leider nicht ausschließen konnte. 

Langsam blätterte ich durch die Alben, sah mir meine Kindheitsbilder an und durchsuchte jedes Album nach Hinweisen der Existenz einer Person, von der ich bis vor kurzem nicht gewusst hatte. Als ich jedoch bei dem Letzten ankam, zündete jemand die Kerze meiner Hoffnung an. Eine große Menge an Briefen fiel heraus, sie waren alle von Edward, sahen aber nicht so aus, als hätte er sie an eine Person schicken wollen. 

Das Papier war verstaubt und leicht gelblich, die Schrift kaum lesbar aber,da meine selbst nicht am Schönsten war, konnte ich sie halbwegs lesen.

XX.XX.19XX

Habe Elgona die Abtreibung ausgeredet. 

XX.XX.19XX

Es wurden Zwillinge. Konnte meine Idee durchsetzten. Haben sie Markus und James genannt, doch ich habe Elgona gesagt Markus sei gestorben und ihn zur Adoption freigegeben.

Mir stockte der Atem. Markus? Das musste doch ein Scherz sein! Es konnte nur ein Scherz sein! Die Person, die ich am meisten verabscheute, die Person, wegen der ich ins Gefängnis kam, sollte mein Bruder sein?!  In mir ging ein Licht auf. Schon in der Schule hatten wir am selben Tag Geburtstag und, wenn ich meiner Erinnerung trauen kann, wurde er auch mal von anderen Kindern runter gemacht, genau weil er keine leiblichen Eltern 'hatte'.

Wütend hob ich einen weiteren Zettel auf.

XX.XX.20XX

Sie sind beide in der Schule. Ich habe Markus erklärt, dass James sein Bruder ist, ihm aber gesagt, er solle ihm nichts sagen. Die Wut in seinen Augen war kaum bezahlbar. Markus ist ein schlauer Junge... Ich habe etwas Mitleid mit ihm, aber ich muss wissen was bei diesem Experiment passiert!

XX.XX.20XX

Das Datum meiner Verurteilung? Mein Blick glitt die Schrift entlang, als würde ich die Sätze lesen ohne den Sinn zu erkennen. Doch eins war klar, wie die Sonne im Hochsommer - ein Satz, der mein Herz zum Brechen brachte und meinen Kopf in einen Zustand der puren Aggression versetzte.

Er hat ihm alles in die Schuhe geschoben und James kommt wie geplant ins Gefängnis.

Die ganze Zeit über hatte er meinen Untergang geplant. Plötzlich hörte ich wie die Tür unten aufgeschlossen wurde. Diesmal wusste ich genau was ich sagen würde, wie ich ihn konfrontieren würde. Dieses Mal würde er mich nicht einschüchtern. Heute würde er bereuen all das unschuldigen Kindern angetan zu haben! 

Immer noch mit dem Blatt in der Hand stürmte ich nach unten und erwischte Edward dabei, wie er sich einen Rotwein einschenkte. Ahnungslos und Unschuldig, wie ein Lamm auf einem freien Feld, stand er da, nahm einen Schluck und genoss nichtsahnend die Stille, was mich wunderte. Hatte er mich etwa nicht gehört? 

"Warum?", fragte ich laut, " Warum hast du das getan?" 

Der alte Mann stockte in seiner Bewegung und lachte leise auf. Sein Hemd war ungebügelt, seine Hände trocken und zittrig. Der Körper eines alten Mannes. Trotzdem war seine Stimme stark und tief... seine Aura einschüchternd - wie die eines Psychopathen.

"Ha, hast es also herausgefunden? Es war eigentlich einige Stunden später geplant." 

Ruhig absorbierte ich seine Worte, ließ sie in mir analysieren, doch bevor mein Kopf reagieren konnte, hatte sich mein Körper gegen ihn gestemmt und aggressiv zu Boden gestoßen. 

"Geplant! Wirklich?! Du Psycho!", rief ich und schlug auf ihn ein. Ein, zwei, drei Schläge trafen ihn ins Gesicht, bis er sich wehrte und einen Schlag zurück feuerte. Es brannte, ein zischender Schmerz zog durch mein Gesicht doch ich griff nur schnell nach dem Weinglas und zerbrach es auf dem Boden. 

"Du warst mein Vater...", erklärte ich fassungslos. 

"War?", fragte er provokant. 

"Weil du jetzt stirbst-" 

Blut tropfte auf den Boden noch bevor mein Gehirn den Schmerz registrieren konnte. Als dies dann geschah, hatte mein Herz schon längst aufgehört zu schlagen.

Prisoner 013 (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt