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"Verstehen Sie, dass dies alles nicht wirklich passiert ist ?"

Der Psychologe überschlug sein Bein und sah mir direkt in die Augen. Es war ruhig, nur das Ticken der Uhr erfüllte meine Ohren. Die Bäume wogen sich im Wind während er laut gegen das Fenster peitschte. Der Regen kaum übertönt von der Lautstärke unserer Stimmen. 

Es war schwer zu glauben, dass all dies nie passiert war - dass ich meine Haftstrafe noch abzusitzen hatte, dass ich nie auf Jacks Hochzeit gewesen war und nie meinen Seelenverwandten getroffen hatte. Das Gehirn konnte sich keine neuen Gesichter ausdenken, was bedeutete, dass ich ihn schonmal irgendwo gesehen haben musste. Mein Blick schweifte zum Fenster, dann zurück zum Psychologen. 

"Ja..."

Ich wusste, dass er mir ansah, dass ich es nicht verstand. Aber wer konnte das schon? Wer hätte denn nicht das verlangen sein Leben zu beenden, wenn sich herausstellt, dass man mehrere Jahre in seinem Kopf verbracht hatte? Am liebsten würde ich zurück kehren - es war mir egal, dass mein Vater mich belogen hatte und meine Mutter gestorben war, das Einzige was ich wollte, war ihn wieder zu sehen um mit ihm zusammen zu sein. Und wenn sterben der einzige Weg war um in meinen Kopf zurück zu kehren müsste ich ihn wohl oder übel ergreifen. 

"Worüber denken Sie nach James?"

Schon wieder war ich in Gedanken abgeschweift. Das war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal. Ich sah wieder in die Augen des Mannes vor mir, musterte ihn von oben bis unten und überlegte mir eine Lüge. 

"Es...Nichts", antwortete ich und senkte meinen Blick wieder ab.  Tränen...Immer wenn ich an ihn dachte bekam ich Tränen in die Augen. Fast so als hätten wir Schluss gemacht obwohl wir nie richtig zusammen gewesen waren. Plötzlich liefen sie meine Wangen hinab, tropften auf meine Hände und hinterließen einen brennenden Schmerz, wo sie meine Haut berührten.

"Denken Sie wieder an ihn?"

Warum liebten es Therapeuten ihre Patienten direkt zu konfrontieren? Viele kamen freiwillig um emotionale Hilfe zu bekommen, um endlich eine Antwort auf ihre Gefühle zu haben, warum also musste sich der Patient erst schlecht fühlen um gesund zu werden?

"James, es liegt kein Scham in Gefühlen. Sie brauchen Ihre Zeit um richtig davon zu heilen, jedoch bringt es ihnen nichts, wenn Sie Ihre Gefühle verdrängen", warm drang seine Stimme in mich ein, doch seine Aussage war mir schon lange bewusst. Es lag kein Scham in Gefühlen. Das war mir schon lange bewusst, länger als ich in diesem Gefängnis war. Doch wenn man so lange mit niemandem über seine Gefühle sprechen kann, sich niemandem anvertrauen kann, da wird diese Aussage immer schwächer, denn einem wird bewusst, dass nie jemand richtig zuhören wird. Nicht mal ein Psychologe.

" Ich weiß" 

Die Wörter verließen meinen Mund, wie einstudiert. Alles was mir dieser Psychologe erzählte war mir bewusst. Jedes einzelne Wort, war mir klar bevor es überhaupt seinen Mund verließ. Nur deswegen verstand ich nicht warum ich auf einer Leder-Couch saß und einem unbekannten Mann mein Herz ausschütten sollte. Gefühle ausdrücken würde mich noch lange dauern, diese drei Treffen, die wir hatten, hatten mich kein Stück näher gebracht, zu meinem früheren selbst. Vielleicht war das auch gut so...

Die Stille verschlang den Raum wieder. Fast so, als würde ich von innen ertrinken. Mir war unklar ob der Psychologe mir Zeit gab, um von meinen Gedanken zu erzählen oder mich schon aufgegeben hatte. Wahrscheinlich sah meine mentale Gesundheit aus wie ein brutaler Mord, bei welchem das Opfer 30 mal in die Brust gestochen wurde. 

"Wissen Sie", begann ich, " Manchmal wünsche ich mir, Menschen könnten meine Gedanken hören..."

Der Ältere hob eine Augenbraue und lehnte sich interessiert nach vorne.  Dies war das erste Mal in drei Treffen, sah es so aus, als interessierte sich der Psychologe ernsthaft für mein Problem.... Probleme...

"Wie kommt das?", fragte er.  Draußen wurde das Wetter schlimmer, die Wolken dunkler und der Wind aggressiver. Mit der Zeit nahmen wir die Geräusche der Außenwelt nicht mehr war, obwohl der Sturm deutlich schlimmer wurde. Ein Licht in der Ecke flackerte kurz auf. 

Woher sollte ich wissen, dass das gerade jetzt nicht ein Traum war?

"Kann ich nicht erklären..."

"Versuchen Sie es doch."

Ich seufzte genervt auf. Warum ich genervt war, war leicht herauszulesen, ohne Frage. Meine Antwort stand schon lange fest, viel zu lange. Denn obwohl ich sie nicht richtig in Worte fassen konnte, wusste ich sie schon tief in mir drin. Schon immer...

"Naja..." Ich hielt inne. Das war das erste Mal, wo ich meine Gefühle in Worte fassen konnte. Das aller erste Mal.

Nervös richtete ich meinen Blick zum Boden, betrachtete den beigen Teppich, bemerkte wie weich er aussah, wie gerne ich in ihm versinken würde. Obwohl ich mich nicht traute hoch zu sehen, in die Augen jemandes, der diese Unterhaltung rein sachlich sah, musste ich in diesem Moment ernster ausgesehen haben, als je zuvor. 

" Sie könnten nicht sagen, dass ich nie an Suizid gedacht hatte..."

Die Atmosphäre änderte sich schlagartig. Ein Blitz erschütterte die Luft und brachte sie zum Stehen. 

"Denken Sie im Moment an Suizid oder an andere Methoden um sich selbst zu verletzen?" 

"Ja."

Einige Tage vergingen nach unserem Gespräch und es wurde gemeinsam mit meinem Anwalt beschlossen mich vorzeitig vom Gefängnis in eine regionale Psychiatrie zu verlegen, bis mein mentaler Zustand sich verbesserte. Wann auch immer das sein würde...

Die Sonne schien auf mich herab, als ich mit Handschellen aus dem Wagen stieg und von zwei Beamten zum Eingang der Anstalt gebracht wurde. Der Weg war steinig, etwas, was ich lange vermisst hatte; Die Luft war leicht und erfrischend. Meine Hände schmerzten von den Handschellen und als wir endlich rein kamen stockte mir der Atem.

Ich hielt in meiner Bewegung inne, bemerkte wie mein Herz einen Schlag aussetzte und darauf die Schmetterlinge, die ein Chaos in meinem Magen verbreiteten. Die Welt um mich rum verstummte, aber ich spürte das Zerren und Schubsen der Beamten, doch meine Augen waren auf seine fixiert.

Denn seine Augen würde ich von überall her erkennen. Wie grün sie waren, dass sie mich an die Natur erinnerten... Aber nur durch eine Sache wusste ich, dass er es war.

Er war die einzige Person, die mich immer noch anlächelte, als alle meine Handschellen sahen. 

Prisoner 013 (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt