Drei Monate akribische Planung liegen hinter mir und ich kann meinen geheimen Platz auf dem Dach einer noblen Villa endlich in Beschlag nehmen. Die Sonne scheint in warmen Strahlen auf mein Gesicht. Vorsichtig schiebe ich ein paar kleine Steine und Dreck beiseite, knie mich auf den Boden und ziehe den Reißverschluss der Tasche auf, nehme voller Entschlossenheit das Scharfschützengewehr heraus. Baue alles, wie ich es schon gefühlte tausend Mal geübt habe, zusammen und lege es in die Halterung, des Stativs. Konzentriert werfe ich einen ersten Blick durch das kleine Fernrohr.
"Deine Zeit läuft ab, du elendes Stück Scheiße, tick, tack, tick, tack", flüstere ich vor mich hin. Mein Blick gleitet weit über die Häuserdächer von Hamburg-Blankenese. Wie kann ein Mitglied der "Bloody Ghosts" hier wohnen und gleichzeitig ein eiskalter Mörder sein?! Perfekte gekaufte Fassade würde ich mal sagen.
Dreieinhalb Monate sind nach dem Mord an meinem Zwillingsbruder vergangen und ich habe diesen Augenblick herbei gesehnt. Warum?! Weil die Scheißbullen nichts unternommen haben, obwohl sie genau wussten, wer meinen Bruder auf offener Straße erschossen hat. Matts hat diesem feigen Arschloch kurz vor seinem Tod den kleinen Patch der Ghosts abgerissen, bevor er ihn mit einem gezielten Bauchschuss, vor meinem Tattooladen umgebracht hat. Der Patch steckt in meiner Hosentasche, an dem das getrocknete Blut von meinen Zwilling immer noch sichtbar ist.
Drei Monate harte Arbeit, um heraus zu finden wo der Kerl wohnt, wann er nach Hause kommt und in welchem Stockwerk dieser protzigen Millionen-Villa sein Zimmer liegt. Ich hoffe, das mein Schießtraining, Dank meines Vaters vor ein paar Jahren, sich gleich auszahlt. Das vertraute knattern einer Harley ist in weiter Ferne zu hören und ich blicke erneut durch das kleine Fernrohr auf das Grundstück. Ich stütze meinen Ellbogen fest auf den Betonboden und bewege den Finger zum Abzug. Er nimmt an der Einfahrt das Gas weg und wartet bis sich das Tor nach innen öffnet.
"Komm schon, gib Gas und stell deinen heißen Ofen vor der Treppe ab, da hab ich dich besser im Visier", flüstere ich leise, richte den Lauf genau aus und kneife mein linkes Auge zu, damit ich voll und ganz auf mein Objekt fokussiert bin. Pünktlich wie jeden Tag, damit Mutti nicht meckert. Ein kleines Steinchen piekt mir in den Ellbogen, doch ich ignoriere den milden Schmerz und dann steigt er endlich von der Maschine. Nimmt seinen Helm ab, henkt ihm am Lenker auf und fährt sich mit der rechten Hand durch die zerzausten Haare.
Langsam bewege ich meinen Zeigefinger am Abzug, visiere seine linke Schläfe an und drücke ab, der Schuss löst sich mit einem leisen Zischen an meinem rechten Ohr und trifft ihn genau dort wo ich ihn haben will. Wie ein schlaffer Sack fällt er auf die Knie, sinkt in sich zusammen und kippt nach vorne auf den frisch gefegten Eingangsbereich. Sofort bildet sich eine kleine, dunkelrote Blutlache um seinen Kopf.
Eine unheimliche innere Ruhe umgibt mich, ein paar aufgeschreckte Vögel fliegen aus den Büschen davon. Mit flinken Fingern fange ich an das Scharfschützengewehr auseinander zu schrauben und in meinem Rucksack zu verstauen. Ein spitzer Schrei durchbricht die angenehme Stille, seine Mutter hat ihn gefunden. Sie wird den gleichen Schmerz spüren, wie ich. Ein Schmerz, als ob einem das eigene Herz rausgerissen wird. Ich setze meine Sonnenbrille auf, werfe meinen Rucksack über die rechte Schulter und verschwinde über die Feuerleiter von meinem Versteck auf dem Dach. In der Ferne sind schon die ersten Polizeisirenen zu hören, die schnell immer näher kommen. Das Personal scheint wohl schneller zu reagieren wie ich es eigentlich berechnet habe.
Meine Maschine steht vier Seitenstraßen entfernt, ich habe höchstens zehn Minuten, bevor es hier nur von Uniformierten wimmelt. Ich fange an zu rennen, meine Schritte sind kaum zu hören auf dem Rasen. Jetzt nur noch durch das dichte Gestrüpp, runter von dem riesigen Anwesen, ein Ast schlägt mir ins Gesicht und dann sehe ich endlich den Gehweg. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich gucke hektisch nach rechts und links, bevor ich im Laufschritt die Straße überquere.
Zwei Zivil-Bullen-Autos schießen an mir vorbei, ich gucke so unauffällig wie möglich auf den Boden und gehe schnell weiter. Das heulen der Sirenen wird leiser, doch ich verlangsame meine Schritte nicht, noch eine Querstraße, dann habe ich es geschafft. Ich biege um die letzte Ecke und kann meine mattschwarze Harley in der Sonne schimmern sehen. Erleichtert stoße ich die angehaltene Luft aus, gehe wieder etwas langsamer und ziehe meinen Motorradschlüssel aus meiner schwarzen Bomberjacke.
"Nicht so schnell!", ertönt plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter mir. Erschrocken bleibe ich wie vom Blitz getroffen stehen. Nicht umdrehen, einfach weiter gehen, als wenn ich nichts gehört habe! Scheiße, nein, das ist ja erst recht auffällig, einatmen, ausatmen und langsam, mit einem künstlichen Lächeln den Kopf wenden.
"Entschuldigung?! Meinen Sie mich?", sage ich leise und drehe mich vorsichtig mit meinem ganzen Körper um. Scheiße! Der Kerl stinkt schon nach Bulle, obwohl ich seinen Ausweis noch nicht mal gesehen habe.
"Darf ich mal in Ihren Rucksack gucken?", der Typ deutet mit dem Finger auf meinen Rücken und ich schlucke trocken.
"Warum? Ich war wandern, ist das verboten? Außerdem, was gibt Ihnen das Recht, so mit mir zu reden?!", langsam fange ich mich wieder.
"Nein natürlich nicht, aber hier wurde gerade jemand erschossen und sie verhalten sich etwas merkwürdig. Moment", er zieht seine Dienstmarke aus seiner rechten Jeanstasche und zeigt sie mir.
"Ach wissen Sie, ich bin Privatdetektivin und habe meine Fotoausrüstung in meinem Rucksack, soll ich Ihnen meinen Ausweis auch zeigen?", ich lasse den Polizisten nicht aus den Augen und schiebe meine Sonnenbrille in meine Haare, damit er mir in die Augen gucken kann.
"Interessant. Wen beobachten Sie denn? Vielleicht haben Sie brauchbare Beweise für uns fotografiert."
"Das Übliche, gelangweilte reiche Ehefrau, vermutet das ihr Mann sie betrügt. Leider war heute nichts brauchbares dabei. Der Fremdgeher ist nicht aufgetaucht. Er hat hier in der Nähe extra ein Appartement gemietet, damit seine heiße Sekretärin immer willig auf ihn warten kann. Wollen Sie immer noch meine Ausrüstung sehen? Langweiliges Zeug, Stativ, Weitwinkellinsen und natürlich meine, gefühlt, tonnenschwere Kamera. Die aber heute leider kein Foto für Sie hat", ich beobachte die Reaktion des Polizisten genau, doch der scheint mir die Geschichte ab zu kaufen.
"Nein, vielen Dank. Schönen Tag noch", verabschiedet er sich etwas amüsiert von mir, guckt mich aber abschätzend von oben bis unten an.
"Nichts zu danken", ich gehe weiter zu meiner Harley, steige auf und mache sie an. Mein Hand bewegt das Gas ein paar mal hoch und runter, ich löse den Standbügel, setze meinen Helm auf, der am rechten Bügel aufgehängt baumelt und gebe Gas. Der Polizist guckt mir finster hinter her und sprintet um die Ecke, wo sein Wagen geparkt steht.
Erleichtert stoße ich die Luft aus und öffne das Visier. Das war knapp, aber irgendwie war der Bulle komisch oder ich bilde es mir nur ein. Wahrscheinlich, mir steht ja nicht auf die Stirn geschrieben: "Ey, die hat gerade einen Kerl umgebracht. Aber es war nur Rache, weil ihr euren Job nicht richtig gemacht habt!"
Ich schüttele kurz mit dem Kopf und brause gemütlich in Richtung Innenstadt, wo der Verkehr mal wieder nur zäh voran geht. Immer wenn sich eine Lücke bietet, schummele ich mich an den Autos vorbei und bin froh, als ich zuhause ankomme. Ich habe einen Menschen ermordet und es macht mir nichts aus, im Gegenteil, es ist Genugtuung, Gerechtigkeit und das Gefühl, das Richtige getan zu haben was mich im Inneren befriedigt.
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1000 Meter in 5 Sekunden
Hành độngMaggie, mit Anfang dreißig in ihren besten Jahren, taff, selbstständige Tattoo-Künstlerin, gründet einfach ihren eigenen Motorradclub in einer unangefochtenen Männerdomäne. Beziehungen liegen ihr nicht, denn bevor es im peinlichen Schweigen am näch...