Teil 5

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Mittwochabend, lauer Sommerabend, heißt soviel wie, St. Pauli im Ausnahmezustand. Ich schummle mich an parkenden Auto's vorbei und muss aufpassen, dass ich keinen Touristen über den Haufen fahre. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich endlich an der Kneipe meiner Mutter an. Die Tür zur Pflaume steht offen und "dicht im Flieger (Julian Sommer)" dröhnt mir entgegen. Stöhnend ziehe ich meinen Helm ab und muss kurz durch meine Haare fahren, durch die Hitze kleben sie richtig an meinem Kopf.

Ich hänge den Helm an den Lenker und betrete die Kneipe. Meine Mutter steht hinter dem Tresen und zapft gerade ein Bier nach dem anderen. Für einen Mittwochabend ist hier doch ganz ordentlich was zu tun.

"Hey Püppie, Phil ist gerade raus, ihr habt euch nur kurz verpasst", ihre rote Brille steckt in ihren blondierten Locken und ihr Thekendekolleté schreit förmlich nach Trinkgeld.

"Ich hoffe er geht auch nach Hause", ich verdrehe die Augen und gehe zu meiner Mutter an den Tresen.

"Na Peter was macht dein Bein?", will ich von einem Stammkunden wissen, der gefühlt immer hier ist, wenn ich auch da bin.

"Ach, Maggie, ich beschwer mich nicht. Aber das Arbeitsamt hängt mir dauernd am Arsch", jammert er.

"Hast du die Maßnahme nicht gemacht? Du solltest doch im Tierheim ein Praktikum machen."

"Ach", winkt er ab und meine Mutter stellt ihm ein frisches Bier und einen Doppelkorn hin. Er kippt den Schnaps runter und spült mit dem Bier nach.

"Ich muss was mit dir besprechen", sage ich zu meiner Mutter, die das nächste Glas mit der goldenen Flüssigkeit füllt.

"Lass mich schnell die Bestellungen fertig machen, dann habe ich Zeit." Ich nicke, umrunde den Tresen, schnappe mir ein Glas, öffne den Kühlschrank unter der Theke und gieße mir von der eiskalten Cola ein.

"Ich warte draußen, die Musik entspricht nicht meinem Genre", fluchtartig verlasse ich mit meiner Cola die Kneipe und "Layla (DJ Robin)" verfolgt mich bis zum kleinen runden Tisch mit vier Stühlen vor dem großen Fenster. Tief schnaubend stelle ich das Glas ab und ziehe meine zerdrückte rote Schachtel Gauloises raus. Dich gefolgt von meinem Zippo-Feuerzeug, das mir mein Vater zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hat. Vierzehn Jahre sind seitdem vergangen, Matts hatte das Gleiche und ich habe es ihm mit in den Sarg gelegt. Auf der einen Seite befindet sich unser Geburtsdatum und auf der anderen sind unsere Anfangsbuchstaben ineinander verschlungen. Die Flamme leuchtet hell und ich ziehe kräftig an der Zigarette, stecke das Feuerzeug zurück in meine Hosentasche und warte auf meine Mutter.

"Was brennt dir auf der Seele mein Herz", reißt meine Mutter mich aus den Erinnerungen an meinen Zwilling.

"Wann wolltest du mir erzählen, das die Pflaume mal wieder nicht läuft?", komme ich direkt zum Punkt.

"Maggie, du weißt das in den letzten zwei Jahren, durch Corona kein Geld in die Kasse kam. Das Pflegeheim von deinem Vater hat meine ganzen Reserven aufgefressen", sie trinkt einen großen Schluck von ihrem Kaffeebecher.

"Wann hast du deinen Mann das letzte Mal besucht?", frage ich zynisch.

"Lass gut sein Maggie", winkt sie ab und will wieder reingehen.

"Nicht so schnell Big Mama", ich stehe auf und stelle mich ihr in den Weg. "Du hast ihn ein Jahr nicht mehr gesehen, noch nicht mal mit ihm telefoniert. Was soll das? Papa ist immer noch dein Mann", Tränen brennen in meinen Augen.

"Ich kann nicht", sie schiebt mich zur Seite und ich lasse resigniert meine Schultern nach vorne fallen. Ein Gruppe angetrunkener junger Männer kommt auf dem Bürgersteig entlang geschwankt und sie stolpern zu meiner Mutter in die Kneipe. Ich gehe hinter ihnen her und stelle mein Glas, was noch halb voll ist bei ihr auf den Tresen.

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