Teil 42

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Mit steifen Gliedern stehe ich auf, schnappe mir meinen Helm vom Boden und stürme aus Jan's Büro ohne mich noch einmal umzudrehen. Wie ferngesteuert verlasse ich das Polizeipräsidium und fahre zur Seniorenresidenz meines Vaters. Zoe erwartet mich bereits und begleitet mich zu seinem Zimmer.

"Du siehst echt Scheiße aus. Alles okay bei dir? Ich habe gehört Jack ist wieder da, hat er sich noch nicht bei dir gemeldet?!"

"Doch, doch, mir fliegt nur gerade alles um die Ohren", sage ich mit monotoner Stimme.

"Maggie, es geht ihm wirklich nicht gut. Ich bleibe bei dir, wenn du möchtest", sagt sie leise und greift nach meiner Hand als wir vor der Tür stehen. Zoe öffnet sie leise, die Sonne wird immer wieder von dichten Wolken verdeckt und mein Vater wirkt in dem Pflegebett, viel zu klein. Sein Gesicht ist grau und eingefallen, sein Körper wirkt abgemagert.

"Oh mein Gott", sage ich leise, "ich war doch nur ein paar Wochen nicht hier", ein dicker Kloss macht sich in meinem Hals breit und ich kann die Tränen nicht mehr zurück drängen.

"Komm, wir setzen uns zu ihm", Zoe stellt noch einen Stuhl neben den anderen, der schon am Bett steht und ich greife nach der Hand meines Vaters. Sie ist schön warm und ich streiche mit der anderen Hand über seine dünnen Finger.

"Warum ist er so dünn?", flüstere ich und lasse ihn dabei nicht aus den Augen.

"Das ist das Krankheitsbild, bei dem einen geht es langsamer und bei deinem Vater eben schneller. Sein Körper baut auf einmal sehr schnell ab, er erkennt uns auch seit einer Woche nicht mehr", spricht Zoe leise. "Die meiste Zeit schläft er und wenn wir ihn wecken, will er meist nichts essen oder ist völlig weggetreten", erklärt sie mir weiter.

"Wer sind Sie?", fragt er plötzlich mit leiser Stimme.

"Ich bin's Maggie", antworte ich ihm und halte weiter seine Hand.

"Maggie?", anhand seiner Gesichtszüge kann ich sehen, dass er krampfhaft überlegt wo er den Namen schon mal gehört hat.

"Ich hatte eine Tochter, die hieß Maggie", spricht er leise weiter, "sie ist gestorben."

"Nein, ich bin nicht tot, ich bin hier", flüstere ich, gucke an die Decke, um die Tränen zurück zu drängen, Zoe legt mir beruhigend einen Arm um die Schulter.

"Komm wir lassen ihn allein. Er schläft schon wieder", und als ich meinen Vater wieder ansehe, sind seine Augen geschlossen. Zoe hilft mir beim aufstehen und wir verlassen leise sein Zimmer. Draußen nimmt sie mich in den Arm und ich heule wie ein kleines Kind, bis keine Tränen mehr kommen.

"Wenn sich sein Zustand noch weiter verschlechtert, rufe ich dich sofort an. Fahr nach Hause und ruh dich aus", sagt sie und ich nicke matt.

Ich schwinge mich auf meine Harley und fahre ziellos durch die Gegend, meine Gedanken kreisen wild in meinem Kopf, an den Landungsbrücken bleibe ich stehen, ziehe meine Kopfhörer aus der Weste und suche auf meinem Handy nach dem passenden Song. Stelle meine Maschine ab, lege meine Arme auf das Metallgeländer und lausche Prince mit Purple rain, mein Blick schweift über das muntere Treiben. Menschen die ihren Tag genießen, eine Hafenrundfahrt machen, oder zum Musical fahren. Große Containerschiffe die in der Ferne abgeladen werden, Kräne dich sich langsam hin und her bewegen. Jugendliche die auf einer Mauer sitzen und über etwas auf ihren Smartphones lachen. Der Nachmittag wird vom Abend abgelöst und die ersten Lichter erhellen den Hamburger Hafen.

Eine Nachricht unterbricht kurz die Musik und ich werfe einen Blick darauf. Sie ist von Jan, der mir noch einmal sagt, dass ich drei Tage habe. Ich stecke mein Handy zurück und werde erste Erkundungen einziehen, von wo ich die beste Aussicht habe. Mein Kopf ist leer, ich steige auf die Harley und fahre Richtung Hafengelände, da fällt mir auch schon ein altes Gebäude ein. Es steht seit Jahren leer, mal schauen ob ich reinkomme und ein Blick auf das Dach werfen kann.

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