Eine Nacht voller Fragen

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Aufgebracht warf Ernie die Hände in die Luft. „Warum all das Misstrauen?"
"Das sagst gerade du", murmelte Susan. "Du warst doch der erste, der im zweiten Schuljahr verkündet hat, Harry wäre der Erbe von Slytherin."
Verlegen senkte Ernie den Blick. "Aber recht hatte ich ...", murmelte er leise.


Albus Dumbledore kam sich vor, wie ein alter müder Wanderer, als ihm die erleuchteten Fenster des Fuchsbaus durch die Nacht entgegen blinzelten. Bei jedem seiner gelegentlichen Besuche war er erneut fasziniert von dem windschiefen Gebäude, das einzig durch die Magie seiner Bewohner in stand gehalten wurde. Doch heute wurde die Bewunderung für dieses wunderlichen Bau von Sorge und Angst überschattet. Hühner gackerten schläfrig und eine Schar Gnome zog sich tiefer in den verwilderten Garten zurück, als er auf das Haus zusteuerte. Er zog an einer Sammlung rostiger Kessel und alter Gummistiefel vorbei zur Hintertür, wo Albus dreimal leise klopfte.
„Wer ist da?", ertönte von drinnen eine ängstliche Stimme. „Geben Sie sich zu erkennen."
„Ich bin's Dumbledore", sagte der Schulleiter. Sein Ton sorgte dafür, dass die Tür hastig aufgerissen wurde und er einer bleichen und besorgt dreinblickenden Mrs. Weasley gegenüber stand. Ihre Augen weiteten sich, als sie bemerkte, dass er allein gekommen war. „Albus!", rief sie mit zitternder Stimme. „Wo ist Harry?!"
„Ich hatte gehofft, das könnten wir drinnen besprechen", antwortete der silberhaarige Schulleiter müde.
„Natürlich", murmelte Molly. „Natürlich." Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie mehrere Versuche brauchte, die Tür hinter ihm zu verschließen.
Mrs Weasley war trotz der späten Stunde nicht allein. Nymphadora Tonks saß am Küchentisch und hielt eine dampfende Teetasse in beiden Händen. Ihr mausbraunes Haar und das bleiche, herzförmige Gesicht ließen sie so farblos erscheinen, dass es beinah krank wirkte. Zu gerne hätte Albus ihr geholfen. Bisher hatte er Tonks nicht davon überzeugen können, dass sie an Sirius Tod keine Schuld trug. Die junge Frau zerfleischte sich so sehr vor Selbstvorwürfen, dass es ihre Gabe als Metamorph-Magier beeinflusste. „Hallo Professor", grüßte sie ernst. Er sah in ihrem Gesicht, dass sie sich bereits für die furchtbaren Neuigkeiten wappnete, die er zu überbringen hatte.
„Guten Abend, Tonks", antwortete er dennoch ruhig. Fragend blickte er zu Mrs Weasley. „Ist Arthur schon zurück? Ron und Hermine sollten hiervon ebenfalls erfahren. Die restlichen Ordensmitglieder werden jeden Moment eintreffen. Ich war so frei, auf wem Weg hierher einen Patronus zu ihnen zu senden."
Mrs Weasleys Gesicht war ganz zerfurcht vor Sorge Ihr Blick flog auf eine Uhr, die in ihrer Nähe an der Wand lehnte. Jedes Mitglied der Familie hatten einen eigenen Zeiger. Und jeder einzelne davon stand auf 'tödliche Gefahr'. Sie zog ihren alten grünen Bademantel enger um sich und schüttelte den Kopf. „A-Arthur muss jeden Moment zurück sein. Er ist ohnehin spät dran."
Tonks zog sie auf einen Stuhl und goss ihr eine Tasse Tee ein. Es gingen nur wenige Tropfen daneben.
Molly nickte ihr dankbar zu, bevor sie sich erneut an Albus richtete. Ihre Stimme war so brüchig wie altes Pergament. „Harry ... Etwas ist mit ihm passiert, nicht wahr?"
Albus wünschte, er hätte ihr anders antworten können. „Ich fürchte, so ist es, Molly."
Mrs Weasley sank in ihrem Stuhl zusammen. Tonks warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Ich hole die jungen Leute", sagte die Aurorin und erhob sich schwerfällig. Auch sie nahmen die Neuigkeiten sichtlich mit.
Eine Weile war die Küche nur erfüllt von dem Ticken der magischen Uhr. Albus trat näher und legte der rothaarigen Frau eine Hand auf die Schulter. Mrs Weasley schenkte ihm ein winziges, dankbares Lächeln.
Remus war der erste, der hereinstürmte. Sein Gesicht war grau und mitgenommen. Insgesamt sah er nicht besser aus als Tonks. „Albus! Was ist passiert? Was ist mit Harry?"
„Gleich, Remus", sagte Albus müde. „Habe Geduld, bis alle da sind." Es würde ihm schon schwer genug fallen, die Geschichte einmal zu erzählen."
Widerstrebend fügte sich Remus in sein Schicksal und nahm unwissend auf dem Stuhl Platz, den Tonks gerade verlassen hatte. Die Kiefer des Werwolfs mahlten aufeinander, während er sich unruhig umblickte.
Im nächsten Moment waren von draußen Schreie zu hören. Im Nu war Albus an der Tür und starrte in die Dunkelheit. Severus, Minerva und Arthur Weasley kamen ihm entgegen. Verlegen fuhr sich Arthur durch das lichter werdende Haar. „Keine Beunruhigung. Ich habe die beiden nicht gleich erkannt und hätte ihn beinah einen Expelliarmus auf den Hals gehetzt."
„Ich glaube kaum, dass es Ihnen gelungen wäre", schnarrte Snape. „Ihre Reflexe sind bei weitem zu langsam, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen."
Arthurs Ohren färbten sich rot. „Glücklicherweise mussten wir nicht herausfinden, ob ihre Behauptung der Wahrheit entspricht", erwiderte er mühsam beherrscht.
„Es ist niemanden etwas passiert. Und das ist die Hauptsache", versicherte Minerva versöhnlich. Beide Lehrer ließen sich an dem großen Küchentisch nieder, während Arthur Dumbledores Stelle an Mollys Seite einnahm.
Ein Poltern auf der Treppe zeigte an, dass es Tonks gelungen war, die Jugendlichen zu wecken. Ein verschlafender Ron und eine sichtlich verwirrte Hermine betraten den Raum. Hinter ihnen schloss Tonks die Tür und warf einen schnellen Blick durch die Runde. „Sind das alle?"
„Aye", knurrte Alastor Moody von der Tür und ließ alle Anwesenden zusammenzucken. Er winkte Kingsley Shacklebolt herein und schloss nach einem letzten misstrauischen Blick nach draußen die Tür hinter sich.
Albus ließ seinen Blick über die verschreckten Gesichter gleiten. Hermine hatte sich, ohne es zu merken, an Ron geklammert. Der rothaarige Junge tätschelte ihren Arm, während sein Blick angespannt auf Albus haftete. Albus wollte ihnen allen wirklich nicht weh tun. Vor allem nicht diesen jungen Menschen, die all die Zeit so unerschütterlich an Harrys Seite gestanden hatten. Aber es musste sein.
„Den meisten von euch ist bewusst, dass ich Harry in dieser Nacht abzuholen gedachte, um ihn dann hierher zu begleiten. Doch schon auf dem Weg befiel mich das untrügliche Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Wie sich herausstellte, war der Schutzzauber gefallen, der Harry und seine Familie vor Voldemort schützte. Als ich im Ligusterweg eintraf, waren Tom und seine Todesser bereits dort."
Remus sprang von seinem Stuhl auf. "Albus?! Was willst du uns sagen?"
Dumbledore schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. "Er ist zur Zeit ohnmächtig. Doch ich versichere dir, dass er körperlich unversehrt ist."
Langsam ließ sich Remus auf seinen Stuhl zurücksinken.
Minerva blickte den Schulleiter erschreckt an. "Wie konnte Sie-wissen-schon-wer so schnell davon erfahren?"
Bekümmert erwiderte Albus den Blick der längjährigen Freundin. "In jener verhängnisvollen Nacht in Harrys viertem Schuljahr, verwendete Voldemort Harrys Blut, um sich erneut eine körperliche Gestalt zu verleihen. Seitdem fließt Lilys Schutz auch durch seine Adern. Und als dieser Schutz erlosch, war er auf diese Weise der erste, der davon erfuhr. " Albus holte tief Luft. "Ich kam gerade noch rechtzeitig", fuhr er fort. „Harrys Verwandte lagen leblos auf dem Boden und Harry stand allein den versammelten Todessern und Tom selbst gegenüber."
Hermine hatte eine Hand vor dem Mund geschlagen. Ron neben ihr war so bleich, dass seine Sommersprossen deutlich hervortraten.
Mit bemüht ruhiger Stimme fuhr Albus fort. „Voldemort zog sich zurück, doch nicht ohne uns zu sagen, dass Harry für uns verloren wäre. Was das genau bedeutete, erfuhr ich erst, als die Auroren die gefassten Todesser verhörten." Er warf Kingsley einen Blick zu. Der Auror verstand die Aufforderung und trat einen Schritt vor. „Einige von ihnen waren begierig, ihre Zusammenarbeit zu zeigen, um ihre Strafe abzumildern. Sie zeigten uns nur zu gerne die Ereignisse jener Nacht. Es scheint, dass Harry seine Verwandten selbst tötete. Die Erinnerungen waren ... sehr verstörend."
„Niemals!" Alle Blicke richteten sich auf Ron, doch der rothaarige Teeanger ließ sich davon nicht einschüchtern. Er war aufgesprungen, seine hellen Augen funkelten entschlossen. „Er würde das einfach nicht tun!"
Hermine nickte, als sie sich ebenfalls erhob. „Ron hat recht!", sagte sie fest. „Er hasst seine Verwandten, das stimmt. Aber Harry würde niemals so weit gehen und ihnen schaden."
Ein leises Lächeln schlich sich auf Albus Gesicht. Freundschaft war ein wundervolles Geschenk. Mit funkelnden Augen trat er vor. „Tatsächlich erwachten Harrys Verwandten nach einiger Zeit. Sie waren zwar verstört angesichts der Geschehnisse, aber körperlich unversehrt. Es scheint fast, als wären sie anstelle eines Todesfluchs nicht mehr als einem Stupor ausgesetzt gewesen."
Hermine und Ron tauschten einen triumphierenden Blick.
„Wie hat er das angestellt?", fragte Molly und es war unverkennbar Stolz in ihrer Stimme zu hören.
„Eine berechtigte Frage, nicht wahr?", sagte Dumbledore sinnend. „Und es ist nicht das einzige Geheimnis dieser Nacht."
Er deutete ein weiteres Mal in Kingsleys Richtung. Der Auror nickte ernst. „Als wir das Gebäude untersuchten, stellten wir fest, dass die Umgebung mit starker Magie aufgeladen war. Es scheint, als hätte jemand versucht, einen mächtigen Schutzzauber über das Haus zu legen und sei in seinem Tun unterbrochen worden. Mr. Dursley berichtete, dass Mr. Potter ihn nach Grundsteinen und tragenden Wänden befragte, bevor er begann, Runen über dem Herd zu zeichnen. Runen, die Mrs. Dursley in ihrer Unwissenheit während des laufenden Rituals zerstörte."
Minerva McGonagall sog scharf die Luft ein. „Aber Albus! Das hätte ihn töten können!"
Der Schulleiter nickte niedergeschlagen. „Wir können von Glück sprechen, dass Harry diese Nacht überlebte."
„Unsinn!", zischte Snape erbost. „Solche Schutzzauber zu wirken und noch dazu ohne irgendeine Vorbereitung ist ein Kunststück, das nur eine handvoll erwachsene Zauberer meistern würden. Wollen Sie ernsthaft behaupten, ein mittelmäßiger Junge wie Potter wäre in der Lage gewesen, eine solche Glanzleistung zu vollbringen?"
Albus warf Ron und Hermine über die Gläser seiner Halbmondbrille einen fragenden Blick zu. „ Ist euch bekannt, dass sich Harry in solchen Fertigkeiten übte? Wir wissen alle, dass der Junge dazu neigt, uns immer wieder aufs Neue zu überraschen."
Snape schnaubte bei diesen Worten abfällig und Albus warf ihm einen strengen Blick zu.
Als Dumbledore in die verwirrten Gesichter von Harrys Freunden sah, wusste er die Antwort, bevor beide den Kopf schüttelten. Er schloss die Augen. Das ließ nur eine handvoll von Schlüssen zu. Und einer war so schlimm wie der andere.
„Was ist mit der Spur?", fragte Remus Lupin. „Wurde das Ministerium alarmiert?"
Langsam schüttelte Albus den Kopf. „Eine weitere sehr gute Frage. Und ein weiteres Rätsel dieser Nacht. Die Auflösung eines solch mächtigen Schutzzaubers mag in der Lage gewesen sein, die Magie eines Minderjährigen zu überschatten. Zumal es kurze Zeit später im Ligusterweg von Zauberern nur so wimmelte. Aber dies ist nicht die einzig mögliche Erklärung."
Hermine war nicht umsonst die schlaueste Hexe ihres Jahrgangs. „Professor", fragte sie vorsichtig. „Wenn Harry Dinge getan hat, zu denen er nicht in der Lage sein sollte, heißt das dann nicht, dass es sich womöglich gar nicht um Harry gehandelt hat?"
„Das ist in der Tat eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen müssen", sagte der alte Schulleiter und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. „Doch gibt es auch Gründe, die dagegen sprechen." Kingsley nickte zustimmend. „Wir untersuchten den Jungen auf sämtliche bekannte Möglichkeiten der Gestaltsveränderung. Sollte es sich tatsächlich um einen Hochstapler handeln, so verwendet er eine uns unbekannte Methode."
Moodys Augen verengten sich. „Wurde der Junge auf magische Beeinflussung überprüft?"
Albus schloss für einen Moment die Augen. „Diese Frage führt zu einer zweiten Möglichkeit, die ich mit euch besprechen möchte. Wie ihr alle wisst, hat Harry eine besondere Verbindung zu Voldemort. Harry spürt es, wenn Tom besonders aufgebracht ist und Tom ist in der Lage, Harry Bilder und Eindrücke sehen zu lassen. Auf diese Weise kam es zu den furchtbaren Ereignissen vor einigen Wochen. Was viele nicht wissen, ist dass Tom versucht hat, während unseres Kampfes im Ministerium, von Harry Besitz zu ergreifen. Ich hatte bisher angenommen, er hätte seine Lektion gelernt. Es war offensichtlich, dass er nicht nur scheiterte, sondern ihm der Versuch stark zusetzte." Er blickte zu Boden. Als er fortfuhr, war seine Stimme leise und unsicher. „Vielleicht habe ich mich geirrt."
„Das heißt, Harry wird von Du-weißt-schon-wem beeinflusst?", rief Ron entsetzt.
„Sollte jemand eine weitere Erklärung für sein überlegenes Wissen haben, wäre ich mehr als dankbar", erwiderte Albus geschlagen. „Doch so, wie die Dinge liegen, gehe ich davon aus, dass Harry dieses Wissen von Tom hat. Und wenn dem so ist, wenn er diese Verbindung so tiefgreifend nutzt, dann ist die Frage, wie sehr er in seinem Handeln von Tom beeinflusst wird."
„Er hat seine Verwandten beschützt!", rief Hermine. Tränen standen in ihren Augen, doch das Kinn hatte sie kämpferisch vor gereckt. „Vielleicht nutzt er V-Voldemorts Wissen, aber solange er so handelt, ist er immer noch er selbst!"
„Dann bleibt nur zu hoffen, dass er diesen Kampf dauerhaft gewinnen kann", sagte Albus und spürte die Last seines hohen Alters. Er warf Hermine und Ron einen prüfenden Blick zu. „Würde ich mich in seiner Nähe aufhalten, könnte es sein, dass ich Voldemort damit herausfordere und er erst recht versucht, die Kontrolle um Harry an sich zu reißen. Werdet ihr bei ihm wachen und mit ihm sprechen, wenn er erwacht? Werdet ihr uns sagen, wenn ihr den Eindruck habt, mit einem Fremden zu reden? Oder wenn ihr den Eindruck habt, dass Harry nicht ganz er selbst ist?"
„Albus!", rief Molly verzweifelt. „Die beiden sind noch Kinder!"
„Und niemand kennt unseren Harry so gut wie seine besten Freunde", gab Albus zurück. Er warf Alastor einen fragenden Blick zu und als dieser nickte wandte er sich erneut an Molly. "Bis wir Sicherheit haben, werden wir Harry von Auroren des Orden bewachsen lassen. Ron und Hermine werden zu keiner Zeit mit ihm allein sein." Fragend blickte er die beiden Schüler an.
„Werdet ihr es tun?"
Ron schluckte. Albus sah, dass dem Jungen die Verantwortung, die auf ihm lag, nur allzu bewusst war. Doch er nickte entschlossen. Hermine wischte sich entschlossen die Tränen aus den Augen. „Wo ist er? Ich möchte gleich zu ihm."
Albus nickte. „Bevor ich diese beiden jungen Leute zu Harry bringe, hat noch jemand der Anwesenden Fragen, die er gerne stellen würde?."
„Was ist zu tun, sollte Mr. Potter tatsächlich beeinflusst werden?", ließ sich Severus vernehmen. „Der Junge hat bereits bewiesen, dass er unfähig ist, die Kunst der Okklumentik zu erlernen."
Albus warf ihm einen traurigen Blick zu. „Nein Severus. Es hat sich herausgestellt, dass ihr beide nicht in der Lage seid, etwas voneinander zu lernen."
Der Tränkemeister gab ein verärgertes Zischen von sich. Er beherrschte sich sichtlich, um Albus keine weitere Bemerkung entgegenzuschleudern. Der alte Schulleiter seufzte. Sein Blick glitt zu seiner verkohlten Hand. Er wusste, er hatte nicht mehr viel Zeit. Er hatte gehofft, dass wenn es Zeit war für ihn zu gehen, Severus seinen Hass auf Harry überwunden haben würde. Wie es schien, hatte er sich auch darin getäuscht. Er zwang sich, zu den direkt anstehenden Problemen zurückzukehren. „Sollte sich herausstellen, dass Harry beeinflusst wird, wird er in Okklumentik unterrichtet werden. Entweder von mir, oder durch einen anderen vertrauenswürdigen Lehrer."
Er erhob sich, um Ron und Hermine eine Hand auf die Schulter zu legen. „Gebt die Hoffnung nicht auf", sagte er sanft, bevor er die beiden Schüler aus dem Raum führte. Er wünschte, er könnte dasselbe auch von sich behaupten.

XXX

Draco Malfoy mochte den Druidenkreis, der sich, nicht weit vom Anwesen der Familie Malfoy entfernt, in sanft geschwungene Hügel und Heidekraut schmiegte. Schon als kleines Kind hatte er sich manchmal an einen der großen Findlinge gelehnt und für eine Weile die hohen Erwartungen seines Vaters vergessen können. Was seine Vorfahren hier getan hatten, war längst der Vergessenheit anheim gefallen, doch noch immer spürte er das Prickeln von Magie, wenn er diesen geheimnisvollen Ort aufsuchte. Es hatte etwas Tröstliches, dass etwas von der Macht seiner Ahnen auf diese Weise erhalten geblieben war. Dass nicht alles vergessen worden war. Heute war das Gefühl besonders intensiv. Die Magie strich über seine Haut, als wäre sie erst kürzlich zu einem mächtigen Zauber gewoben worden. Draco schauderte. Der Dunkle Lord war hier gewesen. Soweit Draco wusste, hatte Voldemort niemandem gesagt, was er an diesem Ort vorgehabt hatte, aber als er zum Anwesen zurückkehrt war, war er furchtbar wütend gewesen. Was immer er getan hatte, war fehlgeschlagen und seine Todesser hatten seine Wut zu spüren bekommen. Draco war hierher geflüchtet, bevor der Dunkle Lord auch an ihm seine Wut auslassen konnte.

Nun stand er hier, mitten in der Nacht, an dem letzten Zufluchtsort seiner Kindheit und musste sich eingestehen, dass der Einfluss seines Herrn auch hier zu spüren war. Zitternd kauerte er sich in den Schatten der Findlinge. In ihm war eine Hilflosigkeit, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Er war mit der Gewissheit aufgewachsen, alles erreichen zu können. Er war der Erbe eines der ältesten und reichsten Häuser der magischen Welt. Es gab nichts, was ihm nicht gelingen konnte. Zumindest hatte er das angenommen.

Aber der Dunkle Lord hatte ihm einen Auftrag gegeben, den er nicht erfüllen konnte. Niemals würde es ihm gelingen, Albus Dumbledore, den Bezwinger Grindelwalds, den mächtigsten Zauberer nach dem Dunklen Lord selbst, zu töten.

Und das Schlimmste war, niemand erwartete von ihm, dass es ihm gelang. Der Dunkle Lord, wollte ihn scheitern sehen und wartete nur darauf, dass es passierte. Das alles war eine Strafe, weil sein Vater ihn im Ministerium enttäuscht hatte. Nun würde der Dunkle Lord sie alle bestrafen, langsam und quälend und endgültig, wie es seine Art war.

Die einzige Möglichkeit dem zu entrinnen war, das Unmögliche gegen alle Erwartungen zu vollbringen. Draco gab einen Schluchzer von sich und lehnte sich schwer gegen einen der Findlinge. Das raue Gestein war kühl an seiner Wange und verbarg seine Tränen. Er wusste nicht, was er tun sollte und es gab doch nur einen Weg, den er gehen konnte.

Er war kein Mörder. Doch er musste einer sein, um seine Familie zu retten.

Eine Bewegung ließ ihn auffahren. Rasch wischte er die Tränen aus seinem Gesicht und nahm eine stolze Haltung an. Im Inneren des Kreises bewegte sich etwas. Die Luft kräuselte sich, als bestünde sie aus Wasser. Immer stärker brodelte es, bis aus der Mitte all dieser Bewegung ein Licht hervor stieg und im Innern des Kreises verharrte. Auf einmal war da eine Präsenz inmitten des Steinkreises und Draco hatte das Gefühl, nicht länger allein zu sein.

„Wer ist da?", fragte Draco so gebieterisch wie er konnte und zog seinen Zauberstab.

Die Stimme, die antwortete, war mehr mit seinem Geist als mit seinen Ohren zu vernehmen. Sie gehörte einem Mann, tief und voll ruhiger Entschlossenheit.

„Mein Name ist Godric Gryffindor."

Harry Potter und die Legende der GründerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt