Ein Anfang und ein Ende

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Im Gemeinschaftsraum von Hufflepuff war es totenstill. Die Schüler waren näher zusammengerückt und einige der jüngeren hatten die Köpfe unter ihre Decken gesteckt, als wenn ihnen das gegen die Bilder helfen würde, die die Erzählerin mit unerbittlicher Stimme heraufbeschwor. Nur wer genauer hinsah, konnte sehen, dass ungeweinte Tränen in Megans Augen schimmerten.

Auch Stunden später war es Ron, Hermine und Megan nicht möglich, ein zusammenhängendes Gespräch zustande zu bringen. Irgendwann hatten sie ihre Hausaufgaben hervorgeholt, doch keiner von ihnen konnte sich darauf konzentrieren. Schließlich ließ Megan ihr Buch so laut zuschnappen, dass Ron und Hermine zusammenzuckten. „Mir reicht's! So geht das nicht weiter!"
„Was sollen wir tun?", fragte Ron und starrte auf die Tischplatte. „Das, was er gesagt hat ..."
„Das ist vor tausend Jahren passiert, Ron! Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte, aber mit dem Harry von heute hat diese Geschichte so wenig zu tun, dass es zum Himmel schreit!"
„Na schön!", rief er aufgebracht. „Dann bin ich halt der einzige, der Schwierigkeiten hat, das wegzustecken! Mein bester Freund ist Salazar Slytherin? Gebongt! Ich habe versucht, nichts zu ändern, habe mir gesagt, dass ist immer noch Harry, egal, wer er früher einmal war! Aber das ..." Er schluckte. „Das ist schlimmer als in den Legenden. Das ist echt hart." Verschämt senkte er den Blick. „Ich kann Sirius verstehen ..."
„Ich kann Sirius auch verstehen", sagte Megan frustriert. „Er hat jahrelang unter den Dementoren gelitten. Es ist kein Wunder, dass er Harry das nicht leicht verzeiht. Und diesmal ist sein Grund deutlich weniger kindisch als bisher." Sie schnaubte. „Aber ich bin aus einem anderen Grund wütend auf Harry."
Hermine warf ihr einen fragenden Blick zu und Megan stemmte die Arme in die Hüften. „Ich war gerade auf dem Weg, mich mit ihm anzufreunden. Auch in diesem Leben! Und dann lässt er uns einfach stehen! Es ist meine Entscheidung, mit wem ich Freundschaften schließe! Er ist einfach davon ausgegangen, dass ich ihm die Freundschaft kündige. Aber das ist meine Entscheidung! Und die überlasse ich niemand anderem!"
„Ich glaube, dass das nicht so gemeint war", sagte Hermine langsam. „Zumindest nicht nur. Ich weiß, nachdem er sich an früher erinnert, merkt man es ihm nicht mehr so an, aber Harry hatte schon immer das feurigste Temperament von uns Dreien."
„Und das will etwas heißen", sagte Ron vielsagend und fing sich von Hermine einen düsteren Blick ein. Hastig fuhr er fort. „Was Hermine sagen möchte ist, dass Harry nach der ganzen Sache wahrscheinlich selbst erst runterkommen muss. Es war ständig so, dass er Sachen mit sich selbst ausgemacht hat. Erst recht, wenn es Streit gab. Er zeigt es jetzt weniger, aber ich glaube nicht, dass sich das geändert hat."
Megan strahlte ihn an. „Dafür, dass du unter Harrys Geschichte leidest, nimmst du ihn aber ordentlich in Schutz."
Rons Ohren färbten sich rot. „Naja", murmelte er. „Ich schätze, er ist immer noch mein bester Kumpel. Oh, Mann. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit meinem besten Kumpel umgehen soll, wenn ich ihn das nächste Mal sehe ..."
Megan tätschelte ihm die Schulter.
„Irgendetwas fehlt", sagte Hermine. „Irgendetwas ist da, was wir nicht wissen. Wenn wir davon ausgehen, dass Harry und Salazar ein und dieselbe Person sind, müssen sie doch zumindest grob dieselben Charaktereigenschaften teilen, oder nicht?"
„Das wäre logisch", sagte Ron nach kurzem Zögern.
„Aber Harry würde so etwas nicht tun. Niemals", sagte Hermine. „Da muss ich Sirius ausnahmsweise Recht geben. Wisst ihr noch, als Harry im Trimagischen Turnier alle Geiseln gerettet hat? Auch die seiner Konkurrenten? Obwohl ihm das womöglich den Sieg gekostet hätte?"
Megans Augen bekamen einen feuchten Glanz. „Ich werde nie vergessen, als er mit Cedrics Leichnam zurückkehrte. Trotz Du-weißt-schon-wer, trotz all der Todesser, hat er ihn zurückgebracht ..."
Hermine nickte. „So ist Harry. Er versucht stets, alle zu retten. Selbst dann, wenn es zu seinem eigenen Nachtteil ist. Er würde nicht eine Gruppe von Schülern zu Gunsten einer anderen aufgeben. Das kann ich mir nicht vorstellen ..."
„Du meinst, er hat gelogen?", fragte Megan ungläubig.
Hermine schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich glaube, dass Harry davon überzeugt ist, dass die Dinge damals genau so passiert sind."
Ron blickte sie mit geweiteten Augen an. „Meinst du, damals ist auch schon ein Gilderoy Lockhart herumgelaufen und hat die Erinnerungen von Menschen verändert?"
„Unsinn", sagte Hermine. „Ich sage nur, dass es ein Detail gibt, das wir nicht kennen."
Megan blickte von einem zum anderen. „Es gibt nur einen Weg, wie wir das herausfinden."
Hermine nickte entschlossen. „Richtig. Wir sollten nach ihm sehen."
Hilflos blickte Ron sie an. „Ich habe keine Ahnung, was ich ihm sagen soll ..."
Hermine lächelte zittrig. „Ich auch nicht, Ron. Aber wir müssen mit ihm reden. Ich ... ich könnte es nicht ertragen, nicht mehr mit ihm zu sprechen!"
Geschlossen erhoben sich die Drei und machten sich auf den Weg zu Harrys Zimmer. Dort angekommen, wechselten sie einen kurzen Blick, bevor Hermine vernehmlich klopfte.

Nichts geschah.

„Harry?", fragte Hermine.
„Vielleicht schläft er?", fragte Ron ratlos.
„Wenn er es getan hat, dann jetzt nicht mehr", murmelte Megan und öffnete kurzentschlossen die Tür.

Der Raum dahinter war leer. Das Bett wirkte unbenutzt. Harry war seit Stunden nicht hier gewesen.

„Das ist gar nicht gut", sagte Ron.
Hermine biss ich auf die Lippe. „Wo könnte er hingegangen sein?"
Ratlos hob Megan die Schultern.
„Sehen wir nach Sirius", sagte Hermine hastig. „Vielleicht ist er dort."

Aber auch Sirius war nicht in seinem Zimmer.

Als Hermine bemerkte, dass der Raum leer war, brach sie in Tränen aus. Ron hielt sie fest und versuchte, nicht in Panik auszubrechen.
Unruhig lief Megan durch das Zimmer. Sie war ungewöhnlich blass. Nur ihre Augen waren gerötet. „Was machen wir jetzt?"
Entschlossen wischte sich Hermine das Wasser aus den Augen. „Wir gehen sie suchen", sagte sie entschlossen. „Und wenn das nicht klappt ... dann versuchen wir, uns zu erinnern."

XXX

Die See um Askaban war unruhig. Die grauen Wogen hoben und senkten sich bedrohlich und hohe Wellen zerschellten gurgelnd an dem Gestein des kargen Eilands. Von fern rollte Donner heran und Blitzlichter zuckten über den dunklen Himmel. Die Dementoren waren so unruhig, wie das Meer, das sie umgab. Ihr rasselnder Atem ging schnell und ihre glitschigen, schleimartigen Hände zuckten unruhig über die Gitterstäbe der Gefangenen. Etwas nahte. Eine Präsenz, die sie gleichsam achteten und fürchteten, war zum ersten Mal seit vielen Jahren auf dem Weg hierher. Einige von ihnen hatten den Jungen getroffen. Sie hatten gewusst, dass er wieder auf dieser Erde wandelte. Aber ohne Erinnerung, ohne seine Magie, hatte er keine Macht über sie besessen. Und so hatten sie versucht, ihn zu brechen, seine Seele zu rauben, kaum dass sie ihn das erste Mal erblickt hatten. Sie hatten die dunklen Kräfte, die er ihnen einst geschenkt hatte, auf ihn konzentriert, hatten ihn leiden und seine schlimmsten Erlebnisse plastischer erleben lassen als jeden anderen. Aber es hatte nicht geholfen. Der Junge lebte. Und selbst damals hatte ihnen sein Patronus mehr geschadet als der jedes anderen.

Und nun war er zurück.

Sie spürten, wie seine Präsenz durch die Schutzschilde schlüpfte und erschauderten angesichts der Macht, die er nun wieder über sie besaß. Plötzlich stand er mitten unter ihnen, die Augen voller Wut und unerbittlich auf sie gerichtet. „Wenn Voldemort euch bittet, sich ihm anzuschließen, werdet ihr euch ihm verweigern. Ihr werdet hier bleiben und Askaban nicht verlassen. Und tut ihr es doch, so werde ich euch daran erinnern, dass man euch durchaus vernichten kann."
Die Dementoren dachten nicht daran, sich zu unterwerfen. Zu lange hatten sie sich auf dieses kleine Eiland beschränken, mit wenigen verurteilen Seelen begnügen müssen. Voldemort bot ihnen all das, was ihnen bisher verwehrt geblieben war. Er stellte ihnen frische Gefühle, frische Seelen in Aussicht und das einzige, was sie dafür tun mussten, war jene zu verschonen, die das Dunkle Mal trugen. Die Verlockung war zu groß, um ihrem einstigen Herrn zu gehorchen. Sie alle wandten ihre Aufmerksamkeit seinen Erinnerungen zu, versuchten alles, was nur den Hauch von Glück enthielt, aus ihm herauszusaugen und nichts als Leere und Wahnsinn zurückzulassen. Doch er hob einen Edelstein und sprach die Worte der Austreibung. Die, die ihm am nächsten standen, lösten sich auf in Wolken aus dunklem Rauch und die Macht seiner Worte drängte sie in den Stein in seiner Hand. So viele Jahre waren die Dementoren unverletzlich, unverwundbar gewesen. Die Möglichkeit ihrer Vernichtung ließ sie erschrecken und mit einem gepeinigten Zischen wichen sie zurück. „Ihr werdet Voldemort nicht folgen. Ihr werdet auf dieser Insel verweilen und ihr werdet niemanden schaden, ohne meinen ausdrücklichen Befehl."
Die Dementoren heulten auf, wollten sich gegen seinen Willen stemmen, doch wie schon einst, wusste er zu gut, was sie waren. Wenn sie in ihn blickten, versuchten, ihn auszusaugen, rutschten sie ab an Schilden, die sich einzig gegen sie richteten. Er war kleiner als sie, verschwand zwischen ihren hoch aufragenden Gestalten und doch wich er nicht zurück, als sie ihn umstellten. Als sie nicht auf seine Befehle reagierten, sprach er die Worte erneut und weitere von ihnen verschwanden im Inneren des Steins. „Gehorcht mir, oder ihr habt euer Leben verwirkt", sagte er und Unerbittlichkeit lag in seiner Stimme.
Die Dementoren, die nun noch übrig waren, neigten röchelnd das Haupt vor ihrem Herrn, der, in der Gestalt eines Jungen, zu ihnen zurückgekehrt war.

XXX

Ron lag in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Stundenlang hatten sie nach Harry und Sirius gesucht, doch schließlich hatten sie sich eingestehen müssen, dass ihre Bemühungen zwecklos waren. Was Sirius anging, war sich Ron gar nicht mal sicher, ob der überhaupt ein Ziel vor Augen gehabt hatte. Viel besser passte es zu Harrys Paten, einfach planlos in das Gewirr der Gassen zu stürmen und so lange zu rennen, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Und in seiner Hundegestalt konnte das sehr lange dauern. Und was Harry anging ... da war nicht nur Ron vollkommen ratlos. Harry, seinen Freund aus Hogwarts, hätte er in einem versteckten Winkel des Schlosses gesucht. Aber ein Harry, der sich an seine Vergangenheit als Gründer von Hogwarts erinnerte ... Harrys Selbstbeherrschung war seitdem deutlich besser geworden. Er neigte nicht länger dazu, auf einem Besen oder in einem stillen Winkel von Hogwarts zu sitzen, bis sich seine Gedanken klärten. Ron war sich fast sicher, dass Harry etwas tun würde, um sich von seinem Ärger abzulenken, oder gegen seine Sorgen vorzugehen. Aber was das sein sollte? Da war er komplett überfragt. Hermine und Megan hatten beschlossen, es wäre das beste, zu versuchen, sich zu erinnern. Er hatte keinen Zweifel daran, dass es mindestens einer der beiden Frauen gelingen würde. Selbst am Tag trat manchmal dieser abwesende Ausdruck in ihre Augen, von dem er mittlerweile wusste, dass er von fernen Erinnerungen stammte. Aber er? Er hatte sich noch nie an irgendetwas erinnert. Das einzige Mal, als er eine Vision aus der Vergangenheit gehabt hatte, hatte er Hermine an der Schulter berührt. Er hatte gesehen, was sie gesehen hatte. Es war keine eigenständige Vision, keine eigene Erinnerung gewesen. Unruhig drehte sich Ron unter seiner Decke. Er machte sich furchtbare Sorgen um Harry und Sirius. Und im Gegensatz zu den anderen hatte er nicht das Gefühl, dass er ihnen helfen konnte. Woran lag es, dass er sich nicht erinnerte? Er war doch Godric Gryffindor ... oder nicht? Nie hatte es einer der anderen laut ausgesprochen, aber immer hatte man auch ihn gemeint, wenn es darum ging, sich zu erinnern. Und es würde so gut passen ... nicht weil sich Ron so stark und mutig fühlte, sondern weil sie vier Jugendliche in diesem Haus waren, wovon die anderen Drei die Wiedergeburt von je einem der Gründer waren. Wenn er Gryffindor wäre ... sein Herz begann zu pochen und eine Seite an sich, die er nicht mochte, schob sich in den Vordergrund. Seine Brüder waren Klassenbeste, Schulsprecher, Vertrauensschüler und Quidditchspieler gewesen, aber keiner von ihnen war die Wiedergeburt von Godric Gryffindor. Endlich würde er einmal nicht in ihrem Schattens stehen, endlich konnte er etwas Besonderes sein, das keiner seiner Brüder vorbringen konnte ... Wenn es denn stimmte. Denn als Gründer von Gryffindor musste er sich doch an seine Vergangenheit erinnern? An irgendetwas? Er wollte den anderen helfen, er wollte für seine Freunde da sein. Aber irgendetwas sagte ihm, dass es auch in dieser Nacht für ihn keine Erinnerungen geben würde. Mit brennenden Augen starrte er in die Dunkelheit. Es dauerte lange, bis ihn der Schlaf einholte. Und als er endlich kam, war er zwar erneut voller dunkler Bilder, aber diese entstammten nicht der Vergangenheit, sondern einzig seinen unruhigen Gedanken.

XXX

Hermine zitterte im Schlaf. Wasser türmte sich wie im Sturm, aufgepeitscht von schwarzen Schwingen, die die Nacht durchpflügten. Flammen zuckten über den See von Hogwarts, tauchten alles in brennendes Licht und tiefe Schatten. Auf dem Ungetüm ritt eine menschenähnliche Gestalt. Aber nein ... das war nicht ganz richtig. Reiter und Drache waren auf unheimliche Weise miteinander verwachsen, verbunden durch ein wulstiges Geschwür aus Knochen und Adern. Dies war kein phantastisches Tierwesen, das von einer größeren Macht unter ihren Willen gezwungen worden war. Es war eine einzige, unheilig verwachsene Kreatur, die mit jedem Flügelschlag weiter auf Hogwarts zustrebte.
Auf den Schultern des humanoiden Körpers saßen drei Köpfe. Nur einer davon wirkte annähernd menschlich. Eine glänzende Krone saß auf den bleichen Haupt. Die anderen beiden Köpfe glichen dem eines Stiers und dem einer Gans. Und für einen Moment wandten sich alle Köpfe in ihre Richtung. Sechs Augenpaare beobachteten sie mit demselben, pupillenlosen Blick. Alle Köpfe wirkten wie tot und dennoch brannte ein Feuer in ihnen, das alle Leiden dieser Welt versprach.

Die Gründer hatten sich vor dem Schloss positioniert, Runen der Bannung und der Reinigung leuchteten golden und machtvoll zu ihren Füßen. Ein goldener Kokon aus Licht umgab sie und kämpfte unermüdlich gegen die herannahende Dunkelheit. Doch sie waren erschöpft. Das Monster näherte sich und ihre Magie floss unweigerlich in die Runen, die sie selbst, die Schüler und das Schloss vor dem übermächtigen Angriff schützten. Ein Diamant war in ihrer Mitte aufgestellt. Mit jeder Formel, die sie sprachen, mit jedem Gesang, den sie anstimmten, sogen sie mehr Dunkelheit von der Kreatur in das glänzende Gefängnis. Doch schon zogen sich erste Risse über die harte Oberfläche. Die Kreatur verlor an Kraft, verlor an Präsenz, doch sie war noch immer mächtig. Der Stein, den sie zum Gefängnis erkoren hatten, würde gegen diese Höllenmacht nicht ausreichen. Sie hatten es gewusst, bevor sie aufgebrochen waren, sich ihm entgegenzustellen. Sie hatten gehofft, ihren Schülern Zeit zur Flucht zu erkaufen. Und dennoch war die Erkenntnis bitter, die mit jedem Riss in der Oberfläche des Diamanten mehr zur Gewissheit wurde. Sie würden in dieser Nacht sterben. Getötet von Asmodai, einem König unter den Dämonen. Rowena blickte in die Augen ihrer Freunde, sah in ihnen dieselbe Erkenntnis, dieselbe Entschlossenheit, bis zum letzten Moment zu kämpfen. Die Runen zuckten, drohten immer wieder zu ersticken, wie ein Kerze, die im Wind erlosch. Was waren sie schon gegen eine solche Übermacht? Was konnten sie ausrichten gegen einen König der Hölle? Rowena spürte, wie ihre Kräfte versiegten, wie ihr Blick verschwamm und die Welt sich in Nebel auflöste. Nichts als Willenskraft hielt sie noch auf den Beinen. Bald, bald würde es vorbei sein, bald würden sie sich gänzlich geschlagen geben müssen. Dann wäre Hogwarts, ihr Traum, verloren. Und mit ihm jeder, der sich noch in dem Schloss befand. Ihre Beine zitterten, drohten nachzugeben, als sich Salazar aus ihrem Kreis löste. Rowena keuchte auf, als er sich von ihnen abwandte, als er mit einigen schnellen Schritten ihren Kreis durchbrach, um sich allein der Schwärze zu stellen. Salazars Magie beraubt, erloschen die letzten Runen mit einem Zischen und die goldene Kuppel, die ihre gemeinsame Magie gespeist hatte, brach in sich zusammen.
„Salazar", flüsterte Rowenas. Ihre Stimme klang rau vor Erschöpfung. Er warf ihr ein Lächeln zu. „Es wird alles gut."
Er trat vor, ein rauer Wind brachte sein Haar und seine grüne Robe zum wehen. Er streckte die Hände aus und sprach erneut jene Worte der Bannung. Doch er lenkte sie nicht länger in den Diamanten, der bereits bis zum Anschlag gefüllt war. Rowena keuchte auf, als sie begriff, was der Freund vorhatte. Sie taumelte auf ihn zu, wollte ihn zurückhalten, wollte ihn abhalten, doch sie war zu langsam. Die Schwärze um sie her bäumte sich auf und mit einem wütenden Heulen wurde der Dämon in den Körper ihres Freundes gerissen.

Einen Augenblick herrschte Stille. Salazar hatte ihnen den Rücken zugewannt. Seine ganze Haltung war angespannt. Allzu deutlich sah man ihm den Kampf an, der nun im Innern des Zauberers tobte. Ein gepeinigter Schrei entwich in die Nacht und hilflos ballte Rowena die Hände zu Fäusten. Godric rannte an die Seite des Freundes, schlang die Arme um dessen Schultern. „Du bist stärker, als er! Hörst du mich, Salazar!?"
„Als wenn irgendjemandem gegen deinen Dickkopf ankäme!", rief Helga verzweifelt.
„Salazar", flüsterte Rowena. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn er sich umdrehte und sie mit den Augen des Dämons anblicken würde. Er musste diesen Kampf gewinnen, konnte einfach nicht verlieren. Würde er unterliegen, würde ein Teil von ihnen mit Salazar sterben. Quälend langsam verschwand die dunkle Präsenz der beschworenen Bestie. Zögernd brach erstes Morgenlicht durch die düstere Wolkendecke. Salazar wandte mit sichtlicher Mühe den Kopf in ihre Richtung. Seine Augen waren nicht dämonisch. Sie waren hellgrün, voller Leben und Erleichterung. „Er wird Hogwarts nicht angreifen", flüsterte er. Dann brach er in Godrics Armen zusammen.

Die Bilder verschwammen vor ihren Augen und die Szenerie verschob sich.

Abrupt wurden die Flügel des Eingangsportals von Hogwarts aufgerissen. Mit wehender grüner Robe rauschte ein Mann in die Große Halle. Viele Jahre mussten seit dem letzten Traum vergangen sein, denn Salazar Slytherin hatte sich verändert. Es waren nicht so sehr die grauen Strähnen in seinem Haar oder die kleinen Falten um seine Augen, die die Veränderung herbeiführten, sondern die eisige Kälte, die in seinen Augen wohnte. Verwirrt und verängstigt blickten die versammelten Schüler und Lehrer von ihrer Mahlzeit auf. Dann begann der Zauberer zu sprechen und obwohl er die Stimme nicht erhob, trug sie seine Worte durch die gesamte Halle „Kein Wort mehr, Godric! Ich werde es nicht länger ertragen, Schlammblüter zu unterrichten!"
„Nenne sie nicht so!" Hinter dem ersten Zauberer war ein zweiter erschienen. Alles an ihm, von dem gestutzten Bart, bis zu dem blitzenden Kettenhemd und dem roten Umhang, erzeugten das Bild eines Ritters aus alter Zeit.
Langsam und drohend wandte sich der erste Zauberer zu dem zweiten um. „Entweder ihr nehmt sie von der Schule, oder ich werde sie einen nach dem anderen vom Antlitz dieser Welt tilgen!"
Beschützend trat Godric vor die erschreckten Schüler, zog langsam sein Schwert aus der Scheide. „Das wirst du nicht. Nicht, wenn ich es verhindern kann!"
Ein kaltes Lächeln zuckte über das Antlitz des grün gewandeten Zauberers. "Versuch es doch."
Mit einem Schrei zog der Ritter das Schwert aus der Scheide. Um die matt schimmernde Klinge begannen Flammen empor zu züngeln. Scheinbar unbeeindruckt verharrte sein Gegner an Ort und Stelle. Dort, wo der Zauberer stand, zogen sich glänzende Eiskristalle über das Gestein. Als der Ritter auf ihn zusprang, türmte sich ihm das Eis entgegen und bildete einen schützenden Wall aus beißender Kälte um den schwarzhaarigen Zauberer.
"Soweit ist es gekommen, Salazar?", fragte der Ritter. "Du zerstörst das Werk, das wir gemeinsam erschufen?"
"Zerstören?" Die Stimme seines Gegners hätte beiläufig geklungen, wenn nicht so viel Kälte darin gelegen hätte. "Das kann ich nicht mehr. Das habt ihr bereits ohne meine Hilfe vollbracht."
Ohne Vorwarnung holte der Ritter aus, und sein von Flammen umzüngeltes Schwert zischte, als es auf die Mauer aus Eis traf. 


Dann gellte ein Schrei durch die Bilder ihres Traumes und zerriss die Ereignisse, die sich vor ihren Augen abspielten, jäh in Fetzen. Abrupt schlug Hermine die Augen auf. Doch der Schrei hielt noch weiter an. Das Geräusch war so voller Panik, dass sie aus dem Bett taumelte, noch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie kannte die Stimme. „Megan", flüsterte sie erstickt. Dann rannte sie aus dem Zimmer.

Harry Potter und die Legende der GründerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt