Ein Unterricht in Verteidigung gegen die Dunklen Künste

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"Was wusste Professor Dumbledore zu diesem Zeitpunkt eigentlich genau?", wollte Susan wissen.
Megan zuckte die Schultern. "Das hätten wir, ehrlich gesagt, auch gerne gewusst."


Lord Slytherin betrachtete interessiert den Dekor, den Severus für seine Stunde in Verteidigung gegen die Dunklen Künste zusammengestellt hatte. Der Tränkemeister hatte die Einrichtung des Klassenraumes mit Bedacht gewählt. Die Vorhänge waren zugezogen und Kerzen beleuchteten das Innere des Raumes nur unzureichend. Dunkle Bilder hingen an den Wänden, auf denen sich Hexen und Zauberer in Schmerzen wanden. Jedes von ihnen war eine schonungslose Darstellung der berüchtigtsten Flüche und Kreaturen der magischen Welt.
„Äußerst akkurate Darstellungen, Professor", bemerkte Lord Slytherin in einem neutralen Ton.
„Niemand soll dem naiven Gedanken erliegen, hier ginge es um Spaß, oder schlimmer noch, um Heldentaten. Ich werde die Schüler zwingen, dieses Fach ernst zu nehmen."
„Das Interieur wird diesem Zweck gewiss dienlich sein", antwortete sein Gegenüber trocken. „Auch sehe ich in Ihrer Gestaltungsweise eine beiläufige Heranführung, nicht nur an die Verteidigung, sondern an die Dunkle Kunst selbst."
„Sehr richtig", bemerkte Severus mit einem zufriedenen Unterton. „Wenn Sie erlauben, werde ich nun die Schüler hineinführen."
Lord Slytherin neigte den Kopf. „Natürlich." Bildete er sich das nur ein, oder sah er Amüsement in den Augen des Schlangenlords? „Tun Sie einfach so, als wäre ich gar nicht hier."
Unsicher maß Severus sein Gegenüber mit Blicken. War das etwa das Aufblitzen von Humor gewesen? „Ich bin mir sicher, es wird mir und meinen Slytherin ein Leichtes sein, den Gründer unseres Hauses zu ignorieren", sagte der Tränkemeister langsam.
Lord Slytherin lächelte. „Es ist essentiell für das Wirken von Magie, all das auszublenden, was nicht von wesentlicher Bedeutung für den wirkenden Spruch ist, nicht wahr?
Severus konnte nicht anders: Seine Lippen zuckten. „Sie haben nicht gerade kleine Ansprüche an Ihr Haus, Lord Slytherin."
Der Angesprochene lachte leise. „Mein Haus neigt dazu, die Anforderungen zu erfüllen, die man an es stellt. Es hat seine Vorteile, nur ambitionierte Menschen zuzulassen." Mit einer fließenden Bewegung beschwor er einen thronartigen Stuhl herauf, der mit Schlangenornamenten geschmückt war. Severus beobachtete, wie der Gründer seines Hauses mit der Selbstverständlichkeit eines Herrschers darauf Platz nahm. Dann begegneten sich ihre Blicke und Lord Slytherin zog ironisch lächelnd eine Augenbraue hoch. „Es geht nichts über die richtige Selbstinszenierung, nicht wahr? Irgendetwas sagt mir, dass Sie diese Ansicht teilen, Professor."
Überrumpelt wandte sich Severus ab. Er war es gewohnt, mit dem Dunklen Lord umzugehen. Voldemort herrschte mit Furcht über seine Diener. Nie gab es auch nur den kleinsten Zweifel daran, wer der mächtigste unter ihnen war. Lord Slytherin ... ging mit ihm um, wie mit einem Gleichgesinnten. Und allein diese Tatsache brachte ihn aus dem Konzept.

Die Schüler betraten den Klassenraum nur zögernd. Severus beobachtete mit Genugtuung, wie ihre Augen ängstlich über ihn selbst, den in Zwielicht getauchten Klassenraum und die blutrünstigen Bilder zuckten. Dann bemerkten sie Lord Slytherin und nicht wenige blieben bleich und starr mitten im Klassenraum stehen. „Lassen Sie sich nicht stören", sagte der Gründer seines Hauses in einem beiläufigen Ton. „Ich bin nur zu Gast im Unterricht von Professor Snape." Diese Worte wirkten auf die Schüler alles andere als beruhigend. Selbst viele Slytherin schienen dem Schlangenlord nicht unmittelbar den Rücken zuwenden zu wollen. Und Severus war sich sicher, dass diese Tatsache den Gründer seines Hauses erneut belustigte. Mit einer vertraulichen Geste winkte Lord Slytherin seine Schlangen zu sich heran. „Seid unbesorgt", sagte er mit der Andeutung eines Lächelns. „Die Meinen haben nichts von mir zu befürchten."
Die Art der Betonung sorgte dafür, dass viele Gryffindor schaudernd den Kopf senkten. Severus schmunzelte innerlich.
"Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit bitte nach vorne richten würden?"

Er blieb seiner Überzeugung treu, Angst in den Schülern zu wecken und beschwor mit leisen, fast liebevoll geraunten Worten, die Gefahren der Dunklen Kunst herauf, wobei er immer wieder auf die Bilder verwies.
Schon bei ihrem Einritt in den Klassenraum waren die Schüler angespannt gewesen, nun aber wirkten sie beinah verstört. Weasley wirkte leicht grünlich im Gesicht, während er die Überreste eines Zauberers betrachtete, mit dem ein Inferi kurzen Prozess gemacht hatte. Snape fühlte, wie fast so etwas wie gute Laune in ihm aufkam. Dies waren die Momente, in denen es ihm beinah Freude bereitete, zu unterrichten.

Anschließend ließ Severus die Schüler wortlose Magie üben. Viele von ihnen versuchten zu schummeln. Dutzende von geflüsterten und gemurmelten Flüchen hallten durch den Klassenraum, gefolgt von ebenso leise gesprochenen Gegenflüchen. Severus schritt mit wehendem Umhang zwischen den Übenden umher, lobte die Slytherin und gab die Gryffindor der Lächerlichkeit preis. „Erbärmlich, Mr Weasley", kommentierte er an Ron gewannt, der sich so sehr auf seinen Spruch konzentrierte, dass sein Gesicht vor Anstrengung rot anlief. Dass es ihm nach zehn Minuten gelang, Dean Thomas mit einem Stupor zu belegen, war eine Meisterleistung, die Snape wohlweislich überging.
Als die Stunde endete, war es nur einer handvoll Schüler gelungen, ihren Spruch schweigend zu wirken.

Als der letzte Schüler den Raum verlassen hatte, erhob sich Lord Slytherin und schritt gelassen in Severus Richtung.
„Wie beurteilen Sie Ihre Beobachtungen, Sir?", fragte Snape steif.
„Ihre Lehrmethodik ist komplementär zu der Gestaltung der Räumlichkeiten. Es ist bemerkenswert, wie Sie jedes Detail Ihrer Intention unterwerfen, Angst zu erzeugen", sagte Slytherin beiläufig. Während er sprach, studierte er das Bildnis einer Hexe, die unter dem Cruciatus litt. Dann, ganz unvermutet, richtete sich der Blick der grünen Augen auf Severus Gesicht. „Ich frage mich nur ... warum ist es Ihnen so wichtig?"
Die Frage war mit Interesse und nicht mit Geringschätzung gestellt. Als Severus mit der Antwort zögerte, schenkte ihm der Schlangenlord ein amüsiertes Lächeln. „Sie werden mir doch jetzt nicht erzählen, dass Sie es genießen, kleinen Kindern Angst einzujagen?" Severus kämpfte darum, nicht zu offenbaren, wie sehr ihn die Worte seines Gegenübers aus dem Konzept brachten. Lord Slytherins Worten war anzumerken, wie abstrus, ja lächerlich, er diesen Gedanken fand. Der Gründer seines Hauses hielt es für absolut unwahrscheinlich, dass es Severus genießen könnte, genau das zu tun. Er hielt ihn für einen besseren Menschen als er war. Und Severus ertappte sich bei dem Wunsch, dem Bild zu entsprechen, das sich Lord Slytherin von ihm gemacht hatte.
Kindern Angst zu machen ... einmal ausgesprochen, klang das wirklich ziemlich erbärmlich, nicht wahr? Severus Gedanken rasten, während er nach einer Antwort suchte. „Ich bin niemand, der von Kindern gemocht wird. Ich neige einfach nicht dazu, die kleinen Dummköpfe zu verhätscheln. Wenn sie dabei Angst entwickeln, ist das nur ein nützlicher Nebeneffekt."
Slytherins Blick ruhte weiterhin auf ihm. „Wenn Sie wollten, könnten Sie sich auch den Respekt Ihrer Schülern verdienen. Aber Sie haben sich dagegen entschieden." Es war nichts als eine neutral getätigte Aussage. Kein Vorwurf lag darin. Dennoch fühlte Severus Wut in sich aufsteigen.
Entscheiden? Das hatte nichts mit einer Entscheidung zu tun. Severus war sein Lebtag ungerecht behandelt worden. So etwas wie Fairness gab es nicht, oder zumindest nicht für Menschen wie ihn. Warum sollte es irgendjemandem besser gehen, als es ihm ergangen war? „Das Leben ist nun mal nicht fair", sagte er. „Ich bereite sie nur darauf vor."
„Nein, das Leben ist nicht fair", stimmte ihm Lord Slytherin zu. „Aber Sie haben Einfluss darauf, wie das Leben in Ihrem Klassenzimmer aussieht. Alles, was dort geschieht, unterliegt Ihrer bewussten Entscheidung."
Severus schwieg. Er hatte den Worten des Gründers nichts entgegenzusetzen. Es stimmte, dass er als Doppelagent eine gewisse Erscheinung zu wahren hatte. Aber wie genau diese auszusehen hatte, bestimmte er selbst. „Sie werden mir doch jetzt nicht erzählen, dass Sie es genießen, kleinen Kindern Angst zu machen?" Der Satz machte ihm mehr zu schaffen, als er angenommen hatte. Lily hatte Fairness stets geschätzt. Stets hatte sie sich für andere eingesetzt ... auch für ihn. Geholfen hatte es ihr am Ende nicht. Aber dafür war niemand verantwortlich, als Severus selbst. Und trotz allem, hatte sie ihm verziehen. Nein, das Leben war nicht fair. Aber Lord Slytherin hatte recht: Manchmal oblagen Recht und Unrecht der eigenen Entscheidung.
In einem ernsten Ton, in dem ein Hauch von Anerkennung lag, fuhr der Gründer seines Hauses fort. „Darüber hinaus kann ich Ihr Befremden über das Unverständnis mancher Schüler vollkommen nachvollziehen. Unsereins neigt dazu, manche Dinge als gegeben zu betrachten. Aber bei weitem nicht jeder Magiebegabte reicht an unser Verständnis heran. Bedauerlicherweise ist die Begabung für Magie bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Und jene, die nicht mit einem intuitiven Gespür dafür geboren werden, mag es schwierig erscheinen, Ihren Anforderungen zu genügen." Er lächelte und nahm den Worten damit die Schärfe. „Ich bin mir sicher, dass jenen Individuen geholfen wäre, würden Sie ihnen erklären, wie genau wortlose Magie zu wirken ist."
Snape hob eine Augenbraue. „Es ist nur eine Frage von Konzentration, Visualisierung und Willenskraft. Ich weiß nicht, was daran so schwer sein soll."
„Sehen Sie?", sagte Lord Slytherin mit leisem Schmunzeln. „Genau das meine ich. Und allein für diesen Hinweis, könnte Ihnen so mancher Schüler dankbar sein. Wie ich bereits sagte: Unser Verständnis ist nun mal nicht vorauszusetzen."
Ein leichtes Lächeln kräuselte Snapes Lippen. „Ich verstehe, worauf Sie hinaus möchten, Sir."
„Natürlich tun Sie das", bemerkte Lord Slytherin beinah väterlich. „Ich danke Ihnen für diese erhellende Stunde, Professor Snape."
„Es war mir eine Ehre, Sir", sagte Snape und bemerkte zu seiner Überraschung, dass er es genau so meinte. Was war nur los mit ihm? Slytherins Ansichten waren schuld daran, dass er Lily einst ein Schlammblut genannt hatte. Und wenn der Gründer seines Hauses seine Drohungen war machte, würde er sich allzu bald dem Dunklen Lord anschließen. Damit stünden er und Severus sich im hereinbrechenden Krieg als Feinde gegenüber. Aber Severus kannte die Entrüstung der anderen Hauslehrer über seine Unterrichtsmethoden nur zu gut. Und nie hatte er Schwierigkeiten gehabt, diese mit schneidenden Bemerkungen zu erwidern. Aber Lord Slytherin war nicht entrüstet. Er war interessiert. Und Severus gefiel die Art, wie Lord Slytherin ihn in seine Erklärungen als Gleichgesinnten mit einbezog. Salazar Slytherin hatte ihm keine Moralpredigten gehalten. Er hatte ihm Denkanstöße gegeben. Und er musste zugeben, das ihm sowohl die Logik des Mannes, als auch dessen Humor zusagte. Logisch betrachtet wusste Severus, dass er die Anerkennung des Gründers seines Hauses nicht nötig hatte. Und doch sehnte sich ein Teil von ihm danach, sich den Respekt dieses berüchtigten Mannes zu verdienen.

Als Snape die nächste Klassen hereinholte und damit begann, sie in die Verteidigung gegen die Dunklen Künste einzuführen, versuchte er Lord Slytherins Rat zu beherzigen. Er trug den Schülern nicht länger auf, sich Dinge weitestgehend im Selbststudium anzueignen, sondern er versuchte, einige Worte über die Vorgehensweise einzuwerfen. Er bemerkte, dass es den Schülern tatsächlich half, schnellere und bessere Ergebnisse zu erzielen. Nicht zuletzt schonte er so auch seine eigenen Nerven. Als Lord Slytherin seinem Blick begegnete, nickte er ihm wohlwollend zu. Rasch wandte sich Snape ab. Er hatte sich die Anerkennung des Schlangenlords gewünscht. Das hieß jedoch nicht, dass er auch mit ihr umgehen konnte. Rasch okkludierte er seine Gedanken und widmete sich wieder dem Unterricht. Und als sich die Stunde ihrem Ende zuneigte, verspürte Severus zwar eine gewisse Erleichterung, aber das Bedürfnis, diesen unfähigen Haufen von Schülern in der Luft zu zerreißen, blieb aus. Lord Slytherin hatte recht: Er selbst bestimmte die Regeln in seinem Unterricht. Und es war an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

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