Eine unerhörte Vermutung

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Susan starrte Megan ungläubig an. „Granger, ernsthaft? Warum erfahre ich erst jetzt, dass du so eine Fantasie hast?
Megan lächelte geheimnisvoll. „Mit Fantasie hat das nichts zu tun ..."


„Du ... erinnerst dich?"
Hilflos blickte Hermine in ein hellgrünes Augenpaar, das sie in einer Mischung aus Freude und Furcht anblickte. Sie wusste nicht, was die Bilder bedeuteten, die sie gesehen hatte. Gerade war sie nur verwirrt und froh, von einem Freund gehalten zu werden.
Moody hatte sich mittlerweile von dem Feuerwerk erholt. Erneut zeigte sein Zauberstab auf Harry. „Tritt zur Seite, Mädchen", knurrte er.
Hermine war sich gerade nicht sicher, ob ihre Beine sie tragen würden. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie nicht von Harrys Seite weichen können. „Planänderung", raunte er in ihr Ohr.
Während ihr Freund sie in der einen Hand hielt, warf er mit der anderen seinen Zauberstab in Moodys Richtung.
Der alte Auror gab ein Grunzen von sich, während er Harrys Zauberstab diesmal deutlich tiefer in seine Tasche steckte.
Ron blickte verwirrt von einem zum anderen. „Du ... haust also nicht ab?", fragte er unbeholfen.
Harry lächelte ihm zu. „Wie es aussieht, bleibe ich euch noch eine Weile erhalten."
„Äh ... gut?"
„Also wirklich, Ron", sagte Hermine mit einem kleinen Lächeln. Endlich gelang es ihr, sich von Harry zu lösen. Sie bemerkte, dass sie Tränen in den Augen hatte und wischte sie hastig fort. Was war nur los mit ihr?
Harry blickte sie immer noch an, als wäre sie ein verlorener Schatz, den er gerade wiedergefunden hatte. Es war verwirrend so viel Freude, Hoffnung, aber auch Furcht darin zu erkennen, dass es ihr beinah den Atem verschlug. Vor allem nach der kontrollierten Mimik, die Harry bisher gezeigt hatte, ließ ihn dieser Gefühlsausbruch entsetzlich verletzlich wirken.
Moody verriegelte mit einer endgültigen Bewegung das Fenster und sprach eine ganze Reihe von Zaubern darüber. Dann setzte er sein Werk bei der Tür fort.
„Was machen Sie da?", fragte Ron beunruhigt.
„Wonach sieht es aus?", knurrte Moody.
„Sie können ihn hier doch nicht einfach einsperren!", rief Hermine entrüstet.
„Unsinn!", knurrte Moody. „Potter wäre gerade schon entkommen, wenn er es sich nicht anders überlegt hätte. Es wird keine zweite Gelegenheit für ihn geben."
Ron und Hermine tauschten einen hilflosen Blick.
„Es ist schon in Ordnung", sagte Harry. Erneut hatte seine Stimme einen neutralen, höflichen Ton angenommen. „Ich hatte mit nichts anderem gerechnet."
Moody beäugte ihn mit seinen beiden Augen. „Ich rate dir zu reden, Potter. Wir können dir nur helfen, wenn wir wissen, in welche Schwierigkeiten du geraten bist."
„Er hat seine Verwandten gerettet! Ich würde das nicht als Schwierigkeiten bezeichnen!", begehrte Hermine auf.
Ron nickte energisch. „Ich kenne Harry seit Ewigkeiten! Er ist niemand, der sich einfach so unterkriegen lässt. Auch nicht von Du-weißt schon-wem!"
„Raus!", knurrte Moody. „Es reicht mir mit euch!"
Ron und Hermine warfen Harry einen verzweifelten Blick zu.
Erneut war da dieses sanfte Lächeln auf seinem Gesicht. „Geht nur. Ich komme zurecht."
Moody zog sie zur Tür hinaus und verriegelte sie hinter sich. Und auch dann sprach er noch eine ganze Reihe von Zaubern auf das alte Holz.
Hermine sah ihm mit zusammengepressten Lippen dabei zu. „Ist das wirklich nötig?"
Moody blickte sie scharf an. „Granger. Weasley. Mir ist klar, dass er euer Freund ist. Aber hat Potter auf euch gerade einen normalen Eindruck gemacht?"
Hermine ballte die Fäuste. Nein, nichts was sie gesehen hatte, passte zu Harry. Aber sie vertraute ihm trotzdem. Was machte sie bloß so sicher?
Moody beugte sich zu ihr herab. „Was ist da drin gerade passiert, Granger?"
Hermine senkte den Blick. „Ich bin gestolpert!"
„Verkauf' mich nicht für blöd, ich habe schon hunderte von Todessern verhört, die bessere Lügner waren als du, Mädchen. Also nochmal: Was ist passiert?"
Hermine schwieg.
Moodys gesundes Auge zuckte zu Ron hinüber.
Der hob nur die Schultern.
„Schön", knurrte Moody. „Verschwindet auf eure Zimmer. Und versucht keine krummen Dinger. Glaubt mir, ich rieche so was."
„So wie Sie gewusst haben, dass Barty Croach Sie für ein Jahr in eine Kiste sperren würde?"
Hermine wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Sie wusste nur, dass sie Harry verteidigen musste.
Moodys Miene wurde kalt. „Verschwindet. Auf der Stelle."
„Komm, Hermine", sagte Ron und zog sie rasch am Arm mit sich.

Er schleifte sie die Treppe hinauf in sein Zimmer und schloss mit einem leisen Aufatmen die Tür hinter sich. Dann bugsierte er Hermine auf sein Bett und berührte vorsichtig ihren Arm. „Was war da los, Hermine?"
„Ich weiß es nicht", antwortete die Gryffindor ratlos und rollte sich zu einer Kugel zusammen.
Unbeholfen tätschelte Ron ihren Arm. „Ihr habt euch beide angesehen, wie Mom Bill angeguckt hat, als der nach Hause kam, nachdem er tagelang in einem ägyptischen Grab verschollen war und keiner wusste, ob er je wieder rauskommt."
Hermine schenkte ihm ein winziges Lächeln. „Ich wusste gar nicht, dass das passiert ist."
Ron zuckte mit den Schultern. „War am Anfang seiner Ausbildung. Hat zu lange auf die Hieroglyphen gestarrt."
Dann ließ er sich im Schneidersitz neben ihr auf das Bett fallen. „Was immer das mit Harry war, das war doch nicht normal, Hermine!"
Prüfend blickte sie an sich herab. Konnte es sein, dass Harry sie verzaubert hatte? Glaubte sie deshalb, ihn zu erkennen? Erneut dachte sie an das kurze Bild, das vor ihrem inneren Auge aufgetaucht war. „Mein Name ist Salazar Slytherin." Warum spürte sie weder Furcht noch Misstrauen bei diesem Bild? Warum hatte sie es überhaupt gesehen? Sie holte tief Luft. „Als ich Harry in die Augen geschaut habe, habe ich für einen Moment jemand anderes gesehen." Sie biss sich auf die Lippen. „Für einen Moment glaubte ich, auf einem Pferd zu sitzen. Und als ich mich umdrehte, saß hinter mir ... Salazar Slytherin."
Ron holte scharf Luft. „Moment! Slytherin?! Sprechen wir hier von der Oberschlange?"
„Ja", sagte Hermine zögernd. „Ich ... ich denke schon. Aber er war nicht wirklich böse ... denke ich. Zumindest nicht damals. Ich glaube, er hat Rowena Ravenclaw das Leben gerettet."
„Und das hast du gesehen?", fragte Ron langsam.
Hermine nickte zögernd. Sie spürte, wie sich ihre Wangen röteten. „Ich weiß wie komisch das klingt. Normalerweise ist es Harry der all die seltsamen Dinge sieht ... Und das ist noch nicht mal alles. Auch schon vorher kam mir Harry so ... vertraut vor. Ich weiß, er war anders als sonst, ganz anders, aber es machte mir nichts aus, weil ich ihn trotzdem kannte, verstehst du?"
„Ja ... nein ... keine Ahnung", sagte Ron hilflos.
„Ich kann es leider nicht besser erklären", sagte Hermine. „Vielleicht bin ich wirklich verzaubert und V-Voldemort will dass ich ihn mag. Vielleicht verzaubert er so seine Todesser."
„Möglich", sagte Ron und fuhr sich über das Gesicht. „Aber komisch ist es schon. Er müsste uns beide verzaubert haben. Und warum hat er es dann nicht auf Moody eingesetzt? Der wirkte zumindest ziemlich immun."
Hermine starrte ihn an. „Warte. Hast du gerade uns gesagt?"
Rons Ohren färbten sich rot. „Ich habe nichts gesehen. Aber das mit dem vertrauten Gefühl ... das hatte ich auch."
Hermines Verstand begann zu arbeiten. Sie erhob sich vom Bett, um davor auf und ab zu gehen. „Du hast recht! Warum sollte er uns verzaubern und nicht Moody? Das ergibt keinen Sinn! Nein, es muss etwas anderes sein!" Ihre Augen blitzen mit einer plötzlichen Idee auf und sie schwang zu Ron herum. „Ich habe ihn berührt!"
Ron nickte. „Äh, ja?"
Eine -Berührung verstärkt die Bindung zwischen Zauberer und zu verzauberndem Gegenstand. Deswegen sollten wir in Verwandlung und Zauberkunst am Anfang auch alles mit unserem Zauberstab berühren! Es geht leichter auf diese Weise! Und ich habe Harry berührt und dann diese Dinge gesehen! Das heißt, Harry weiß mehr darüber, als er uns sagen will."
„Oder als er Moody sagen will", sagte Ron säuerlich. „Vor dem würde ich auch nicht meine Geheimnisse auspacken."
„Ron", sagte Hermine eindringlich. „Wir müssen heute Nacht wieder zu ihm. Nur wir zwei."
„Klar", sagte Ron entschlossen. „Ich bin dabei!"
Aber als sie beide vorsichtig in den Flur von Harrys Zimmer lugten, lehnte Moody daneben an der Wand und sah nicht so aus, als wenn er vorhätte, seinen Posten in nächster Zeit aufzugeben.
„Sie bewachen ihn wie einen Verbrecher", flüsterte Hermine entrüstet.
„Das geht so was von gar nicht", pflichtete ihr Ron bei. „So kommen wir da nie rein."
Widerstrebend zogen sie sich auf sein Zimmer zurück. „Wir brauchen einen Plan."

XXX

Salazar lehnte sich währenddessen an die Wand in Freds und Georges Zimmer und versuchte seine hektische Atmung zu beruhigen. Hermine hatte sich erinnert. Es mochte nur für einen Moment gewesen sein, aber er hatte das Erkennen in ihren Augen gesehen. Er blickte hinab auf seine Hände. Er wusste, dass darauf einst, in einem früheren Leben, magische Runen tätowiert gewesen waren. Runen, die es ihnen ermöglicht hatten, ihre Magie zu vereinen und ihren Traum einer magischen Schule zu verwirklichen. War es diese magische Kraft, die hier am Werk war? Die Beschwörung Voldemorts hatte ihn in diese Welt zurückgerufen. Geschah, durch diese magische Verbindung, dasselbe gerade mit den anderen? Nur langsamer, weil sie selbst nicht unmittelbar von der Beschwörung betroffen gewesen waren? Er blickte hinaus in den verwilderten Garten der Weasleys, doch sein Blick verlor sich im Nichts. Hermine hatte sich erinnert, als sie die Stelle berührt hatte, an der einst die Runen seine Hand geziert hatten. War die Magie also immer noch am Werk? Nach all dieser Zeit? War es möglich, dass sie sie alle erneut zusammenführen würde?
Es war unmöglich, dass es werden würde wie zuvor. Zu viel war zwischen ihnen geschehen. Und doch ... wenn er die Möglichkeit hatte, würde er seine Freunde um Verzeihung bitten für das, was er getan hatte.
Hermine schien von all dem noch nichts zu wissen. In ihrer Stimme hatte Unglaube und Verwirrung gelegen, aber weder Hass noch Misstrauen hatte ihre Miene verunziert. Es schien, als hätte sie gerade erst begonnen, sich zu erinnern.
Er atmete tief durch, zwang eine aufgepeitschten Gedanken zur Ruhe. Er würde diese Fragen nicht beantworten könne, nicht jetzt und nicht hier. Er würde die Zeit seiner Gefangenschaft nutzen, um seine Erinnerungen endlich zu sortieren. Dann wäre er wieder in der Lage, sich in den Jungen zu verwandeln, den sie alle kannten. Er konnte vorgeben, sich nicht mehr an den Angriff auf den Ligusterweg zu erinnern. Natürlich würde es eine Weile brauchen, bis sie ihr Misstrauen ablegten. Aber am Ende taten sie das alle. Harry Potter ... ein neuer Name war doch ein guter Beginn für einen Neuanfang.
Mit einem konzentrierten Ausdruck schloss Salazar Slytherin die Augen.

XXX

Hätte man Draco Malfoy noch vor wenigen Wochen gesagt, er würde eines Tages den Geist von Godric Gryffindor in das Haus seiner Eltern schmuggeln, hätte er denjenigen ausgelacht und für wahnsinnig erklärt.
Und obwohl sich Draco dieser Tatsache vollkommen bewusst war, spähte er nun durch den elegant geschwungenen Zaun, der das Anwesen umsäumte, und versuchte zu ergründen, ob die Luft rein war.
Gryffindor, der neben ihm mit verschränkten Armen in der Luft schwebte, durchmaß das Haus mit prüfenden Blicken. "Er ist hier, nicht wahr?"
Draco musste nicht fragen, wen der Ritter meinte. "Woher weißt du das?"
Der Ritter kniff die Augen zusammen. "Die bösartige Aura seiner Magie ist überall spürbar."
Der Ritter war in der Lage, magische Auren wahrzunehmen? Das war schon einmal eine Sache, die Draco von ihm lernen wollte. "Der Dunkle Lord hat sich entschieden, uns eine Weile mit seiner Anwesenheit zu beehren."
Gryffindor warf ihm einen wissenden Blick zu. "Du meinst, er hat sich bei euch einquartiert?"
Draco biss sich auf die Lippe. "Nein, meine Familie ist stolz, dass er diesen Ort als Ausgangspunkt für seine Pläne gewählt hat." Die Antwort kam nur etwas zu spät. Gewiss würde das einem Trottel wie Gryffindor nicht auffallen, oder?
Durchdringende Augen lagen auf seinem Gesicht. "Du scheinst über Voldemorts Pläne nicht allzu glücklich zu sein."
Draco schnaubte, erwiderte jedoch nichts. Scheinbar doch nicht ganz auf den Kopf gefallen. Was für ein Jammer. Schnell versuchte er, seiner Stimme einen geschäftigen Unterton zu verleihen. "Das Haus ist voller Todesser. Kannst du dich irgendwie unsichtbar machen?"
Gryffindor lächelte. "Du bist der einzige, der mich sehen kann."
"Wunderbar", murmelte Draco und wusste selbst, ob er das ironisch meinte. Er holte tief Luft und versuchte den Weg so entlangzugehen, als hätte er keine Angst davor, eine Horde Todesser könnte ihm ansehen, dass er dabei war, einen Feind in das Anwesen zu leiten. Die Schönheit der Blumenpracht und die weißen Pfauen, die hindurch striffen hatten niemals künstlicher und unwirklicher gewirkt. Er gelangte zum Eingangsportal aus dunklem Holz, das sogleich von einem Hauself für ihn geöffnet wurde.
Das Innere war durch magisches Licht und elegante Kerzenhalter erleuchtet. Eine Gruppe Todesser hatte sich in einer Sitzgruppe versammelt und lachte lauthals über einen Scherz. Ein Teil von Draco hätte sich am liebsten hinter der nächsten Säule verschanzt. Aber es fehlte noch, dass er sich in seinem eigenen Haus versteckte. Stolz reckte er das Kinn vor und trat den Todessern entgegen. Schon wollte er mit einem Kopfnicken an ihnen vorbeigehen, als er eine kalte Hand auf seiner Schulter spürte.
"Hallo Draco, mein Baby." Er versuchte nicht zusammenzuzucken, als er sich zu Bellatrix Lestrange umdrehte. "Hallo, Tante Bella."
Der Geist Gryffindors schwebte gleich neben ihm. Aber tatsächlich schien ihn keiner der Todesser ihn wahrzunehmen.
Sie kniff ihm in die Wange. "Na, hast du dich amüsiert, mein Süßer? Du musst außer dir vor Freude sein, dass der Dunkle Lord dir noch eine Chance gewährt, wo dein Vater im Ministerium so schändlich versagt hat."
Draco hätte ihr am liebsten gesagt, dass auch sie im Ministerium gewesen war, dass sie genauso, wenn nicht mehr die Schuld an dem Ganzen trug, aber er schwieg und zwang sich zu einem Nicken. "Er ist so gnädig", murmelte Bellatrix, während sie begann, durch sein Haar zu streicheln. "Du hast die Ehre, seinen ärgsten Feind niederzustrecken, du, der du gerade erst das Geschenk des Dunklen Mals erhalten hast ... "
Auf ihren Lippen war ein Lächeln, das ihm nicht gefiel und die Todesser hinter ihr stießen sich lachend in die Seite.
Draco fühlte sich gedemütigt von Menschen, die seine Familie auf ihre Kosten beherbergte. Herabgesetzt von Gästen und er konnte nichts dagegen tun, ohne es noch schlimmer zu machen. Wann waren sie in ihrem eigenen Haus zu gefangen geworden? Und das allerschlimmste war, dass ihm Godric Gryffindor dabei zuschaute, wie er auf diese Weise gedemütigt wurde.
"Hör nicht auf sie", sagte Gryffindor. Seine Stimme war voll ruhiger Entschlossenheit. "Sie weiß nicht, wovon sie spricht.
Der Zusprach kam so unerwartet, dass Draco beinah einen Blick zur Seite geworfen hätte. Dennoch halfen ihm die Worte dabei, sich aufzurichten und seiner Tante ins Gesicht zu blicken. "Entschuldigst du mich, Bellatrix?", fragte er höflich. "Wie du gesagt hast, ist es eine Ehre und ich muss mich vorbereiten, damit ich ihn nicht enttäusche."
Bellatrix Lächeln vertiefte sich. "Tu das, Draco. Noch einmal wird er euch sicherlich nicht verzeihen. Ich an deiner Stelle würde gut auf meine nächsten Schritte acht geben."
"Ich habe nichts anderes vor", erwiderte er steif und setzte seinen Weg hocherhobenen Hauptes fort. Er schaute nicht zurück, auch nicht, als die anderen erneut zu lachen begannen.
Wie er sie hasste! So sehr, dass seine Kehle sich wund anfühlte, von all den Flüchen, die er zurückhalten musste.
Erst dann spürte er, dass Godrics Blick auf ihm lastete. Er wollte das Mitleid des Ritters nicht und wandte sich ab. So traf ihn die Bemerkung des Ritters erneut vollkommen unvorbereitet.
"Salazar wäre stolz auf dich."
Nun spähte Draco doch zu dem Geist an seiner Seite. Gryffindors Züge waren ruhig und gefasst. Nichts deutete darauf hin, dass er die Worte ironisch gemeint hatte.
"Habt ihr euch nicht zerstritten?", fragte Draco vorsichtig.
Ernst erwiderte der Ritter seinen Blick. "Das heißt nicht, dass ich die Zeit davor vergessen habe."
Hastig flüchtete sich Draco in sicheres Terrain "Als wenn du beurteilen könntest, wie Lord Slytherin über mich fühlt!", sagte er herablassend. „Du wärest niemals in der Lage, dich in einen Slytherin hineinzuversetzen!"
"Du würdest dich wundern", sagte Godric warm. "Wir haben Jahre Seite an Seite gelebt und gestritten. Wir teilten unsere Magie, um Hogwarts zu erschaffen. Und schon zuvor schlossen wir einen Waffenbund. Glaube mir, manchmal kannten wir einander besser als wir uns selbst."
Der Ausdruck in Gryffindors Blick ließ Draco schaudern. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, alles andere als einen heißspornigen Dummkopf vor sich zu haben. Und er hatte den Verdacht, dass Gryffindor nur zu gut verstand, was um ihn her geschah. Wer weiß? Vielleicht hatte er sich sogar absichtlich in diese Abhängigkeit von Draco begeben? Womöglich verfolgte er mit seinem Schwur ganz eigene Ziele? Aber nein, nun wurde er paranoid. Ob mit Slytherin befreundet, oder nicht. Er hatte es immer noch mit einem Gryffindor zu tun.
Gerade wollte er seinem gegenüber eine entsprechende Bemerkung entgegenschleudern, als die Anspannung auf die Züge des Herrn der Löwen zurückkehrte. Er nickte in Richtung des Korridors, der sich vor ihnen auftat. "Dort vorne ist jemand."
Draco hörte kaum seine eigenen Schritte. Zu sehr wurden sie gedämpft durch einen Teppich in tiefen Grün, der den blank polierten Boden bedeckte. Aber der Gründer Gryffindors sollte recht behalten.
Vor der Tür seines Zimmers fand er seine Mutter. Sie war blass, sodass der blutige Schnitt auf ihrer Wange umso mehr hervorstach.
"Mutter!", sagte Draco und überbrückte heilig den Abstand zwischen ihnen.
"Draco", entgegnete Narzissa und strich sich fahrig eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Ich wollte nach dir sehen."
"Mir geht es gut", versicherte er eilig und strich mit dem Finger über ihre Wange, ohne sie zu berühren. "Wer war das?"
Ihre Augen nahmen einen kalten Ausdruck an. "Fenrir Greyback. Es ist Tag und der Vollmond weit entfernt. Mir ... mir geht es gut."
"Ich hasse sie", flüsterte Draco. "Ich hasse sie alle."
Sie legte einen Finger auf die Lippen und blickte sich hastig um. "Nicht hier."
Draco spürte wie die sinnlose Wut erneut in ihm aufstieg. "Wir sind in unserem eigenen Haus. Ich ertrage es nicht, wie sie mit uns umgehen."
"Still, Draco", wiederholte Narzissa. "Du machst es nur noch schlimmer."
Draco biss die Zähne zusammen. "Er ist tot, wenn er dich erneut anfasst."
"Tu das nicht, Draco", beschwor ihn Narzissa eilig. "Halte dich von ihm fern." Sie warf ihm einen bedeutsamen Blick zu. "Du hast dringendere Aufgaben, auf die du dich konzentrieren musst." Er sah die Sorge und Verzweiflung in ihren Augen und schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund herunter. "Ich weiß", sagte er. "Ich schaffe das. Du wirst schon sehen, Mutter."
"Natürlich wirst du das", sagte Narzissa. Aber erneut betrog sie der Ausdruck in ihren Augen. Draco drängte sich an ihr vorbei und schloss die Tür hinter sich. Er wollte schreien und toben, wie er es als kleines Kind getan hatte. Doch er wusste, es würde nichts ändern. Alles was er damit bekommen würde, wäre Aufmerksamkeit, die er nicht wollte. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt.
Eine Welle der Erleichterung durchfuhr Draco, als er sein Zimmer hinter sich verriegelte. Sogleich errichtete er einige Anti-Abhörzauber und ließ sich dann mit einem Seufzer auf einem Stuhl gleiten.
"Dieser Dunkle Lord will also das Haus und das Vermögen deiner Familie erlangen?"
Draco warf Sir Gryffindor einen überraschten Blick zu. "Wie meinst du das?"
Ein harter Zug war um den Mund des Ritters erschienen. "Die Malfoys sind perfekte Verbündete. Eure Macht und euer Einfluss kommt Voldemort gewiss sehr gelegen. Das einzige, was noch besser ist, als einen starken Verbündeten zu haben, ist diese Macht selbst zu besitzen."
Draco starrte ihn an. "Fahr fort", flüsterte er. Seine Stimme klang rau.
Godric maß ihn mit Blicken. „Du bist der einzige Sohn deiner Eltern, nicht wahr?"
Draco nickte. Er hatte das ungute Gefühl, die Worte des Ritters nicht hören zu wollen.
„Und ich gehe recht in der Annahme, dass eure Macht und euer Reichtum den Ausmaßen dieses Anwesens entspricht?"
„Selbstverständlich", murmelte Draco mit einer Spur von dem alten Stolz in der Stimme.
Godric nickte, als hätte Draco seine Vermutung bestätigt. "Wenn du auf deiner Mission scheiterst, sind deine Eltern ihres einzigen Erben beraubt. Außerdem haben sie damit das Wohlwollen dieses Dunklen Lords verwirkt. Er wird sie töten. Aber nicht, bevor er euren Besitz zu dem seinen gemacht hat. Er kann aus dieser Situation nur als Gewinner hervorgehen. Entweder du besiegst Dumbledore tatsächlich, oder er erschleicht sich das Erbe deiner Familie." Ein hartes Lächeln ließ Godrics Gesichtszuge grimmig wirken. "Was ist denn auch ein Lord ohne Geld und Landsitz?"
Gryffindors Worte ergaben vollkommen Sinn. Wahrscheinlich hatte er es schon zuvor gewusst und es sich einfach nicht eingestehen wollen. Er war mit den Geschichten über Lord Voldemort aufgewachsen. Er hatte sich ausgemalt wie es wäre, die Muggel und Schlammblüter endlich in die Knie zu zwingen. Ein Leben lang hatte er gedacht, es würde edel und glorreich sein, dem Dunklen Lord zu diesen. Schon seit Vater hatte es getan, genau wie sein Großvater. Aber nun, wo es so weit war, konnte er nichts edles an Voldemort entdecken. Draco hatte sich vom Dunklen Lord betrogen gefühlt, seitdem sein Vater nach Askaban geschickt und er für dessen Scheitern Abbitte leisten musste. Aber erst durch Godrics Worte wurde ihm bewusst, wie weit dieser Betrug reichte. Etwas in ihm wurde kalt. Voldemort ging es nicht um seine Anhänger, sie waren ihm vollkommen gleichgültig. Genauso wenig wie die hehren Ziele, die sie sich gesetzt hatten. Er bereicherte einfach nur sich selbst.
Er spürte Tränen in seinen Augen und blinzelte sie hastig fort.
"Draco, sieh mich an." Gryffindor war vor seinem Stuhl auf die Knie gesunken und hatte Dracos Hände mit den seinen umfasst. "Wir finden einen Ausweg. Wir werden deine Familie retten, ohne dass du einen Mord begehen musst."
Draco fühlte sich bis in Mark durchschaut. Aus irgendeinem Grund hatte Gryffindors verstanden, was ihn bewegte, ohne dass er es jemals laut ausgesprochen hatte. Hätte er nur eine Spur von Überlegenheit oder Gehässigkeit in Gryffindors Miene erblickt, hätte er sofort alles abgestritten. Aber da war nichts, was darauf hindeute. Alles, was er in den Augen des Ritters sah, war ehrliche Anteilnahme. Er traute seiner Stimme nicht. "Wie ... wie willst du das anstellen?", brachte er schließlich hervor.
Ein entschlossener Ausdruck trat in Godrics Gesicht. "Wir werden Voldemort besiegen. Noch ehe deine Frist verstrichen ist."
"Das schafft niemand", erwiderte Draco. "Selbst der Tod hält ihn nicht auf."
Ein warmes Leuchten trat in Godrics Augen. "Ich denke, da ist er nicht länger der einzige."
Ungläubig blickte Draco den Ritter vor sich an und bemerkte die ruhige Entschlossenheit auf dessen Zügen. Draco hatte in Godric Gryffindor einen Heißsporn erwartet. Einen Menschen, den er ohne viel Federlesens übers Ohr hauen konnte. Was er stattdessen gefunden hatte, war ein Mensch, dessen Scharfsinn und Weitblick ihn tief beeindruckte und dessen Ausstrahlung und Freundlichkeit ihn berührte. "Weißt du", murmelte er. "Du bist ganz anders, als ich mir dich vorgestellt habe."
Die Lippen des Herrn der Löwen verzogen sich zu einem warmen Lächeln. "Das nehme ich einfach mal als Kompliment."
Draco lächelte zurück. Zum ersten mal seit Tagen spürte er wieder so etwas wie Hoffnung.

Harry Potter und die Legende der GründerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt