Ein alter Name

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Enttäuscht blickte Hannah zu Boden. "Ich hatte mich so auf ihr Wiedersehen gefreut ..."
Seufzend schüttelte Megan den Kopf. "Manche Dinge sind nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Und Hass ist nichts, was man plötzlich abstellen kann."


Die Tür öffnete sich knarrend und sie standen in einem dunklen Flur, in dem es nach Staub und Mottenkugeln roch. Die vollgestopften Regale, die verblichenen Tapeten, all das strahlte eine Feindseligkeit aus, die unter die Haut kroch. Sirius tippte eine Stehlampe an, deren Ständer aus Knochen geschnitzt war und das bleiche Licht kroch den Flur entlang, um die leeren Augen von hölzernen Puppen und ausgestopften Tieren zu offenbaren. „Nur hereinspaziert", sagte Sirius mit falscher Munterkeit. Dann bekam seine Stimme einen bissigen Unterton. „Fühlt euch wie Zuhause." Wie auf Kommando öffneten sich die Gardinen vor einem Porträt und enthüllten eine alte Dame mit edlen Kleidern und hasserfüllten Blick. „Schändlicher Abschaum! Blutsverräter!", gellte es durch den Flur. „Gib endlich Ruhe, du alte Schachtel!", brüllte Sirius zurück.
Mit einem leisen Plopp, der durch das Gekeife von Walpurga Black, kaum zu vernehmen war, tauchte Kreacher im Raum auf. Seine blutunterlaufenen Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er Sirius unter den Neuankömmlingen entdeckte. Ein dürrer, zitternder Finger zeigte anklagend auf den Animagus. „Böser Herr Sirius ist tot! Böser Herr kann nicht hier sein! Kreacher gehört Bellatrix Lestrange!"
„Zu früh geträumt!", antwortete Sirius grimmig.
Der Elf warf sich wutentbrannt zu Boden! Kreacher will nicht! Will nicht! Will nicht!", heulte er auf. Seine Stimme mischte sich in das Kreischen des Porträts. „Niedere Kreaturen! Eure Anwesenheit befleckt diese ehrwürdige Haus!"
„Ruhe!" Harry hatte nicht laut gesprochen. Doch seine Stimme durchschnitt das geräuschvolle Zetern mit der Präzision eines Messers.
Langsam ließ er seinen Blick zwischen Walpurga Black und Kreacher umherwandern. „Werden so Gäste in diesem so genannten ehrwürdigen Haus begrüßt? Früher einmal hätte man sich für ein solches Auftreten geschämt."
„Ihr seid keine Gäste! Ihr seid nichts als Eindringlinge, die den ehrenvollen Namen meiner Familie besudeln!"
Harrys Augen blitzten gefährlich. „Noch ein Wort Walpurga Black und Sie haben die längste Zeit an dieser Wand gehangen."
„Das Bild ist festgehext!", rief Kreacher schadenfroh. „Niemand kann es abhängen."
Mit einem Schlenker seines Zauberstabes beschwor Harry einige Messer herauf. Die glänzenden Klingen richteten sich in Richtung des Gemäldes. „Ich habe auch nicht davon gesprochen, es abzuhängen", sagte er lächelnd. „Noch eine herabsetzende Bemerkung von Ihnen, Mrs Black und Ihr Porträt war die letzte Zeit eine Verschönerung für diese Wand. Meinen Sie, wir können uns unter diesen Umständen auf einen Waffenstillstand einigen?"
Die Augen des Porträts huschten zwischen den Klingen umher. „Ein Waffenstillstand klingt vernünftig", sagte sie schließlich säuerlich.
„Hervorragend", sagte Harry mit einem Lächeln, das keines war und ließ die Messer verschwinden. Seine Stimme war voll kalter Höflichkeit. „Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend, gnädige Frau."
Zitternd vor Zorn stand Kreacher neben dem Gemälde seiner Herrin. „Wie können Sie es wagen, der ehrenwerten Herrin zu drohen?"
Walpurga Black warf ihm einen raschen Blick zu. „Kreacher, sei höflich und tu, was Sie sagen."
Mit sichtlichem Widerwillen neigte der Hauself den Kopf. „Was kann Kreacher für Lord Black und seine Gäste tun?"
Ungläubig schüttelte Sirius den Kopf. „Das ich auf so etwas nicht früher gekommen bin ..." Dann wandte er sich dem Hauself zu. „Du kannst drei Gästezimmer fertig machen. Unser Besuch bleibt bis zum Ende der Ferien!"
Der alte Hauself verbeugte sich so tief, dass seine Ohren beinah den Boden berührten. „Natürlich. Kreacher wird gehen und die Zimmer richten." Dann verschwand er mit einem leisen Plopp aus ihrer Sicht.
„Das war klasse, Mann!", sagte Ron breit grinsend und legte einen Arm um Harrys Schulter. Hermine jedoch bemerkte den bitteren Zug um den Mund ihres dunkelhaarigen Freundes. „Harry?", fragte sie sanft.
Er lächelte ihr zu. „Es ist schon gut, Hermine."
Sie wusste, nichts war gut. Aus irgendeinem Grund hatte Harry in seinem früheren Leben furchtbare Dinge getan. Dinge, die er nur allzu gerne ungeschehen machen wollte. Und nun ging er bei jeder Gelegenheit die sich bot, unbarmherzig dagegen vor.
Sirius hatte die Arme verschränkt und blickte Harry mit einem kleinen Lächeln an. „Ein Problem weniger, um das ich mich kümmern muss", sagte er scheinbar unbekümmert. Aber sein suchender Blick lag weiterhin auf Harrys Augen. Hermine hielt den Atem an. Bisher hatte Sirius Harry mit allem, was er hatte, verteidigt. Würde er seine Meinung über sein Patenkind ändern, nun, nachdem er gesehen hatte, wie sehr Harry sich verändert hatte? Dann aber winkte er sie in die Küche und durchsuchte die Schränke nach etwas Essbarem. „Es gibt wohl nur Tee", murmelte er schließlich säuerlich und kramte einige Teebeutel hervor. „Es ist fast als ständen wir in der Küche eines Totgeglaubten."
„Schau besser ob deine Wertsachen noch da sind", sagte Harry. „Mundungus Flechter traue ich nicht über den Weg."
Sirius verzog das Gesicht. „Wenn was weg ist, ist das so schnell nicht mehr zu ändern." Dann erstarrte er. „Es gibt ein paar Bücher von denen ich wirklich hoffe, dass sie noch da sind." Hastig erhob er sich und eilte aus dem Raum.
„Er guckt nach Büchern?", fragte Ron verwirrt.
„Die Bibliothek der Familie Black ist sehr alt und wertvoll", erwiderte Hermine.
„Schon", meinte Ron gedehnt. „Aber es ist nicht so, als wenn ihn das vorher interessiert hätte, oder?"
Harry erhob sich ebenfalls. „Ich schaue mal nach ihm."
Schon bevor er die Bibliothek betrat, konnte er das hektische Rascheln von Papier hören. In sichtlicher Sorge ging Sirius die Regale entlang und inspizierte die verstaubten Buchrücken.
„Warum gibt es hier keine verdammte Ordnung mehr?", murrte er, während er ein weiteres Buch zuschlug und zurück in die Regale stopfte.
„Was suchst du?", fragte Harry und trat an seine Seite.
„Bücher über Geisterbeschwörung", antwortete Sirius abwesend, während seine Finger an den Buchrücken entlang streiften. „Schon seit dem Kindesalter beschwöre ich immer denselben Geist. Er nennt sich Grünauge. Er war es auch, der mich aus der Welt hinter dem Schleier zurück hierher führte. Doch kurz, bevor ich ihn verließ, wurde er von Du-weißt-schon-wer beschworen. Seitdem kann ich ihn nicht mehr rufen. Irgendetwas muss ihm zugestoßen sein." Er fuhr sich über die Augen, die verdächtig zu glänzen begonnen hatten. „Wenn ich ihn schon nicht mehr retten kann, dann will ich wenigstens wissen, was ihm zugestoßen ist." Entmutigt schritt der Animagus zu einem weiteren Regal. „Ich wünschte, ich hätte all das hier nicht so vernachlässigt."
„Du hast allen Grund dazu", sagte Harry. „Dies war immerhin das Zimmer, in das sie dich am liebsten einsperrten."
„Habe ich das erzählt?", fragte Sirius verwirrt.
Harry nickte. „Bei unserem ersten Treffen."
Sirius blieb stehen. „Ich glaube kaum. Da waren wir, soweit ich weiß, ziemlich beschäftigt, eine Ratte zu fangen, Snape auszuschalten und einem Werwolf zu entkommen."
Harry trat in die Mitte des Raumes. „Ich glaube, etwa an dieser Stelle hast du deine Ausrede eines Bannkreises auf den Boden gekritzelt. Ich habe mich beeilt, der erste zu sein, der deinem Ruf folgte." Lächelnd blickte er zu Sirius empor. „Ich bin froh, dass du seitdem einige Fortschritte gemacht hast und ich nicht länger bei jeder Beschwörung um dein Leben fürchten muss."
Sirius erstarrte. Langsam glitt sein Blick zu Harry hinüber. Grüne Augen blickte ihn an und hielten seinen Blick fest. „Grünauge?", fragte er langsam.
„Ich grüße dich, Tatze", sagte Harry warm.
Sirius kämpfte um Worte. „Wie?! Ich meine ... du bist Harry! Und er ist ..."
„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich wiedergeboren wurde?", fragte Harry lächelnd.
Hilflos warf Sirius die Arme in die Luft. „Du meintest, dass du dich nicht erinnern würdest, wenn ich dich finde!"
„Und das wäre auch bisher der Fall gewesen. Doch das war es, was die Beschwörung bewirkte. Es ging Voldemort nicht darum, einen Geist zu beschwören. Hätte er das versucht, wäre er gescheitert. Was Voldemort beschwor, war meine Essenz, meine Erinnerung. Genau das, was noch in der Anderswelt von mir geblieben war. Und er benutzte meinen wahren Namen um mich in diese Welt zu zwingen."
Sirius konnte nicht anders, als sich bei diesen Worten gekränkt zu fühlen. „Moment! Du-weißt-schon-wer kennt deinen wahren Namen und mir hast du ihn nie verraten?!"
„Von mir hat er ihn ganz bestimmt nicht, wenn es da ist was du meinst", sagte Harry abfällig. „Und ich hatte gewiss nicht die zweifelhafte Ehre einer persönlichen Bekanntschaft. Voldemort kannte meinen Namen aus den Geschichtsbüchern. Und das Wissen darin verleitete ihn zu dem Trugschluss, ich wäre ein ausgezeichneter Verbündeter."
„Ein Verbündeter? Du?", fragte Sirius ungläubig.
Harry lächelte. „Eine fälschliche Annahme, die er bald bitter bereuen wird. Durch seine Beschwörung fand das Wissen aus meinem früheren Leben in meinem wiedergeborenen Körper. Nun bin ich gleichermaßen Harry Potter und Grünauge"
Sirius ließ sich schwer in einen Sessel fallen. Dann brach er in hysterisches Lachen aus.
„Sirius?", fragte Harry besorgt.
Sich noch immer die Seite haltend, kämpfte Sirius unter Tränen um eine Antwort. „Schon gut, es ist gar nichts. Mein Patenkind ist gleichzeitig der Mann, in dem ich so etwas wie einen Vater sehe. Aber sonst geht's mir gut, wirklich."
Harry trat an Sirius Seite und griff nach seiner Hand. Eine Weile verharrten sie so, bis Sirius Kichern langsam erstarb. Dann betrachtete der Rumtreiber ihre verschränkten Hände. „Du weißt nicht, wie oft ich mir das früher gewünscht habe", murmelte er und legte seine zweite Hand über Harrys. Der Mann in der Gestalt eines Jungen lächelte. „Harry Potter wünschte sich ein Leben lang eine Familie bis er sie in dir gefunden hat. Der Geist Grünauge schloss einen kleinen Jungen in sein Herz und hätte alles gegeben um für ihn auf die Weise da zu sein wie er es verdient hätte."
Sirius fuhr sich über die Augen. „Unser Leben ist schon ziemlich verrückt, was?" Dann drückte er Harry an sich.
„Das ist es", erwiderte Harry und erwiderte die innige Umarmung des Mannes, der gleichzeitig sein Pate und so etwas wie ein Sohn für ihn war. „Aber ich bin froh, dass die Dinge so gekommen sind."
Sirius schob ihn ein Stück zurück und Harry sah die Hoffnung in den Augen des anderen Mannes. „Verrätst du mir jetzt deinen Namen?"
Harry spürte, wie sich seine Schultern anspannten. Aber es half nichts. Hermine begann sich zu erinnern und er wollte Sirius nicht aus dem ausschließen, was noch vor ihnen lag. Er zwang sich, Sirius in die Augen zu sehen. „Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass es einen wahren Namen braucht, um einen Geist zu rufen. Aber es war auch nicht die ganze Wahrheit. Ich wollte dir meinen Namen nicht verraten, weil ich mich sorgte, er würde einen Keil zwischen uns treiben. Glaube mir, Sirius, dieser Name steht für vieles, für das ich mich schäme."
Sirius lächelte. „Ich verspreche dir, dass sich nichts ändern wird. Ich weiß auch so wer du bist. Ich muss deinen Namen nicht kennen, um darüber Gewissheit zu haben, welche Art von Mensch vor mir steht. Aber all die Zeit hast du mir geholfen, ohne auch nur irgendetwas von dir preis zu geben. Ich möchte einfach nur mehr über dich erfahren. "
Sirius Worte berührten ihn. Zu gerne hätte er ihm geglaubt. Aber er wusste, wie groß der Hass dieses Mannes auf sein Haus war. Dennoch war es besser, dass sein Schützling es von ihm erfuhr, als dass er durch Zufall in ein Gespräch stolperte, für das er noch nicht bereit war.
Er holte tief Luft. „In meinem früheren Leben ... war mein Name Salazar Slytherin."
Sirius wirkte, als hätte man ihn mit einem Eimer Wasser übergossen. Ruckartig zog er seine Hand zurück.
„Slytherin? Der Gründer von Hogwarts?", fragte er rau.
Harry kämpfte darum, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. „Genau der."
Fahrig schoss Sirius von seinem Stuhl in die Höhe. „Ich ... ich muss darüber nachdenken."
Harry zwang sich zu einem Lächeln. „Nimm dir alle Zeit, die du brauchst."
Er sah seinem Paten zu, wie er aus dem Raum taumelte. Dann ließ er sich schwer auf den Stuhl fallen, den Sirius gerade verlassen hatte und massierte sich die Schläfen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ihn Ron und Hermine in exakt derselben Haltung fanden.
„Harry?", fragte die braunhaarige Jugendliche. „Wir sind Sirius im Treppenhaus begegnet. Er stand ziemlich neben sich."
„Kein Wunder", murmelte Harry und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. „Ich habe ihm soeben meinen zweiten Namen gesagt."
„Oh, Harry", sagte Hermine und zog ihn in eine Umarmung
„Der kriegt sich schon wieder ein", sagte Ron überzeugt. „Er hat dich echt gern."
„Und gerade habe ich mich als jemand entpuppt, den er sein Leben lang gehasst hat."
„Gehasst?", fragte Hermine alarmiert. „Harry, er hat dich in deinem früheren Leben nie kennen gelernt. „Aber in diesem hatte er die Gelegenheit dazu." Hilfesuchend blickte sie zu Ron, der zustimmend nickte. „Genau wie wir, Mann. Ich hab's dir schon mal gesagt und ich sag's dir von mir aus so oft, bis es dir zu den Ohren rauskommt. Wir halten zu dir. Und mir ist egal was früher mal war. Jetzt bist du Harry. Unser Freund. Niemand kann das ändern. Und auch Sirius wird das begreifen."
Harry konnte nicht anders als zu lächeln. „Ich danke euch beiden."
Er erhob sich von dem Stuhl und machte einige entschlossene Schritte in Richtung Tür.
„Wohin gehst du?", fragte Hermine überrascht.
„Ins Ministerium. Es wird höchste Zeit, das jemand für Sirius einen Freispruch erkämpft."
„Cool!", sagte Ron augenblicklich. „Aber wie willst du das machen? Diese Ratte ist immerhin noch auf freien Fuß."
Harry lächelte. „Wenn mich nicht alles täuscht, hat der neue Minister einen Wunsch, den nur ich ihm erfüllen kann. Er wird es auf einen Tauschhandel ankommen lassen."
Hermine lächelte zögerlich. „Möchtest du, bevor du gehst, nicht noch einmal nach Sirius sehen?"
Ein Schatten legte sich über Harrys Züge. „Das einzige, was ich ihm gerade geben kann, ist Zeit. Dann sehen wir weiter."
Sie nickte unentschlossen. „Ich weiß, du bist gut in so etwas, aber pass auf dich auf."
Ron warf ihr einen Blick zu. „Hermine, ich will ja nicht pessimistisch sein, aber Harry macht das gerade zum ersten Mal."
Harry warf erst seinem rothaarigen Freund, dann Hermine einen langen Blick zu. „Zum ersten Mal in diesem Leben, Ron. Du ... erinnerst dich, Hermine?"
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Nein. Das war nur ein spontaner Gedanke."
Etwas in Harry schien sich zu entspannen. Dann entschwand er lautlos aus der Tür.
Ratlos blickte Ron zu Hermine. „Und was machen wir jetzt?"
Frustriert schob sich die junge Frau ihre braunen Locken über die Schultern. „Ich denke, wir kümmern uns um etwas Essbares, das nicht vergiftet ist."
Ron strahlte sie an. „Hermine, das ist die beste Idee des Tages."
Die Gryffindor rollte mit den Augen. Aber ihr Lächeln konnte sie dabei nicht ganz verbergen. „Dann stellen wir doch mal sicher, dass zumindest einer in diesem Haus glücklich ist."

Währenddessen ging Sirius Black in seinem Zimmer auf und ab wie das gefangene Tier, als das er sich fühlte. Die Dunkelheit von Grimmauldplatz Nr. 12 schien ihn zu erdrücken und noch nie hatte sich der Raum zwischen den Wänden so klein angefühlt, wie in diesem Moment. Salazar Slytherin ... von allen Namen, die Harry, die ihm Grünauge, hätte nennen können, war dies der schlimmste. Was sollte er jetzt tun? Wie sollte er mit Harry umgehen?
Er konnte doch nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen!
Salazar Slytherin verkörperte all das, was er hasste und verabscheute. Seine Mutter und sein Vater, Menschen wie Snape, Lucius Malfoy und Voldemort hatten ihn mitsamt seiner verqueren Ansichten zu einer Leitfigur erhoben. Dieser Mann stand dafür, Menschen aufgrund ihres Blutes als weniger wert zu betrachten, mehr noch, dieser Mann hatte über Menschen dieses Blutes herrschen, sie versklaven und ausrotten wollen, wo es ihm nur möglich war.
Nur dass das nicht stimmte.

Harry war mit Hermine Granger, einer Muggelgeborenen befreundet.

Grünauge hatte ihn stets ermutigt, die Ideologie seiner Familie hinter sich zu lassen und neue Wege zu gehen.

Grünauge hatte seine Familie nie im Schutz genommen.

Er hatte Sirius seinen Namen nicht genannt, weil er sich für seine Vergangenheit schämte.
Und Sirius hatte diesem Mann versprochen, dass es nichts ändern würde, gleich, welcher Name über seine Lippen kam.
Dann hatte Grünauge, hatte Harry seinen Namen genannt und Sirius war aus dem Zimmer geflohen.
Und auch jetzt, wo die Schuld seine Schultern niederdrückte und seine Augen tränen ließ, konnte er nicht zurückkehren.

Er zuckte zusammen, als die Tür abrupt aufgerissen wurde und Hermine Granger den Raum betrat. Etwas härter, als es notwendig gewesen wäre, stellte sie eine Alu-Verpackung auf seinem Schreibtisch ab. Sirius blinzelte. „Was ist das?"
„Chinesisch", antwortete Hermine spitz. „Aus einem Restaurant um die Ecke. Ron und ich haben schon gegessen also tu dir keinen Zwang an."
„Und Harry?", fragte Sirius vorsichtig.
„Der ist im Ministerium um einen Freispruch für dich zu erkämpfen."
„Was!?"
Hermine warf ihm einen bösen Blick zu. „Du hast schon richtig gehört. Die Stäbchen sind in der Verpackung daneben." Hermine wollte sich umdrehen, um den Raum genau so wütend zu verlassen, wie sie ihn betreten hatte, aber Sirius Hand schnellte vor und packte ihr Handgelenk.
„Nein, warte!"
Vielsagend starrte Hermine Sirius Hand an, die sich um ihr Gelenk krampfte und er ließ hastig los.
„Darf ich dich was fragen?", versuchte er es erneut, diesmal deutlich höflicher.
Sie nickte mit zusammengepressten Lippen und ähnelte für einen unheimlichen Moment Professor McGonagall. „Ich höre."
„Hat Harry je etwas gegen Muggelgeborene gesagt? Oder dich schlecht behandelt?"
Hermine starrte ihn an, als hätte er etwas selten Dämliches gesagt. Nun, vermutlich hatte er das auch. „Harry und Ron sind die besten Freunde, die ich je hatte. Und er ist der einzige, der sich nie über mich lustig gemacht hat! Ich kann nicht glauben, dass du mich das fragst! Du kennst Harry! Er meinte, du kennst ihn sogar länger als Ron und ich am Leben sind! Wie kannst du mir dann so eine Frage stellen?"
Sirius schwieg. Wie sollte er erklären, dass dieser Name, diese Enthüllung seine Welt auf den Kopf gestellt hatte? Er hatte alles was mit Slytherin zu tun hatte, aus tiefstem Herzen gehasst. Und nun sollte ausgerechnet der Mann, der für ihn wie ein Vater war, dieses Haus gegründet haben? Gewiss, es wäre eine Erklärung, wenn die Geschichtsschreibung verfälscht worden wäre, wenn Slytherin nicht so verblendet gewesen wäre, wie alle behaupteten. Aber wenn dem so war, warum schämte sich Harry dann so offensichtlich für seine Vergangenheit?
Sirius verstand die Welt nicht mehr.
Als Hermine sich an der Tür nochmal zu ihm umwandte, war ihre Stimme deutlich sanfter. „Findest du nicht, dass jeder eine zweite Chance verdient hat? Erst recht wenn dieser jemand bereits lange bewiesen hat, dass er sich geändert hat?"
Dann ließ sie ihn allein und die Stille seines Zimmers drückte auf seinen Ohren.
Sie hatte recht. Natürlich hatte sie das. Alles was Harry oder Grünauge getan hatten, stand in starkem Kontrast zu dem, was man sich über Salazar Slytherin erzählte. Aber änderte das etwas?
Fluchend sprang Sirius auf und warf seinen Stuhl gegen die nächste Wand. Der Mann, in dem er sich stets ein Vorbild genommen hatte, war einmal der schlimmste von allen gewesen! Auch wenn er sich geändert hatte, einen Menschen, der solche Dinge getan hatte, konnte Sirius nicht länger bewundern. Selbst dann nicht, wenn er gerade im Ministerium für seine Freiheit kämpfte.
Dumpf ließ er sich in sein Bett fallen und starrte an die Wand.

Harry Potter und die Legende der GründerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt