Eine Reihe von Geistern

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Alle Blicke hatten sich auf den Geist von Hufflepuff gerichtet. „Ist es wirklich in Ordnung, wenn sie das erzählt?", fragte Hannah mitfühlend.
Der Geist lächelte sanft. „Natürlich. Ich halte es sogar für sehr wichtig, dass ihr davon erfahrt."


Godric musste nicht lange suchen, um die Schuldigen zu finden. Auf der Stirn der Carrow-Zwillinge stand in roten Lettern das Wort „Hohlkopf". Der wiedergeborene Zauberer fand sie dabei, wie sie vergeblich versuchten, die Worte zum Verschwinden zu bringen. Der Gründer Gryffindors grinste innerlich. Wie es schien, hatte sich Helga der Sache bereits angenommen. „So einfach geht das nicht weg", stellte er fest.
Sofort lagen die Augen der Zwillinge auf ihm. Flora Carrow versuchte es mit einem Augenaufschlag. „Bitte, Sir Gryffindor, Sie müssen uns helfen! Wir wurden auf fürchterliche Weise verflucht!"
Hestia Carrow nickte bestätigend und schaute ihn flehentlich an. „Bitte, Sir! Alle unsere Zauber helfen nicht!"
Godric blickte von einem Zwilling zum anderen. „Was habt ihr getan, um Helgas Zorn auf euch zu ziehen?"
Hestia setzte ein Lächeln auf. „Es war nur ein Missverständnis! Es war ein Spiel! Und Lady Hufflepuff kam in einem sehr ungünstigen Moment."
Godric blickte mitleidlos von einem Mädchen zum anderen. „Helgas Bestrafungen funktionieren auf eine simple Art und Weise: Die Worte verschwinden, sobald ihr bereut, was ihr getan habt. Und Selbstmitleid zählt nicht."
Flora starrte ihn entgeistert an. „Wir haben doch gesagt, dass es ein Missverständnis war! Wir können nicht bereuen, was wir nicht getan haben!"
Godrics Stimme wurde schneidend. Er kannte die Carrow-Zwillinge und die Art, wie sie sich die Zeit vertrieben. „Irgendetwas sagt mir, dass ihr diese Worte sehr lange auf eurer Stirn tragen werdet."
Ohne sich noch einmal umzudrehen, schritt er an den wütenden Mädchen vorbei. Helga hatte stets eine sehr effiziente Art besessen, sich um Probleme zu kümmern. Es war schön zu wissen, dass sich daran in diesem Leben nichts geändert hatte. Wie es schien, war sein Eingreifen nicht länger nötig.

Um ihn her erschienen nun immer mehr Slytherin, die in kleinen und großen Gruppen auf die Große Halle zustrebten. Offenbar war der Unterricht vorbei. Es hatte also keinen Sinn, zu Professor McGonagall und ihrer Klasse zurückzukehren. Aber wo er gerade einmal in den Kerkern war ... es war lange her, dass er Salazars Räumlichkeiten aufgesucht hatte. Mit etwas Glück war der Freund bereits vor Ort. Er desillusionierte sich und schritt leise an den Gruppen von Slytherin vorbei. Kurz beäugte der den Türknauf misstrauisch, dann klopfte er und trat ein.

„Ich habe Sie nicht hereingebeten", schnitt Salazars Stimme gebieterisch durch den Raum.
Als er jedoch sah, wer im Türrahmen stand, glitt er unzeremoniell zurück in seinen Stuhl. „Du bist es nur."
Unvermittelt tauchte Rowenas Gestalt aus dem Nichts auf. Offenbar hatte sich die Freundin aus Angst vor einer Entdeckung desillusioniert. „Jage mir doch nicht einen solchen Schrecken ein."
„Entschuldige", sagte Godric versöhnlich. „Ich wusste nicht, dass du hier bist."
In Salazars Richtung zog er belustigt eine Augenbraue hoch. „Du bist es nur. Was für eine Begrüßung."
„Erwarte keine Freudensprünge von ihm", sagte Rowena beinahe liebevoll. „Er hat mit Antioch gesprochen. Und jetzt hat er miserable Laune."
Godric blickte den Freund forschend an. „Er glaubt dir nicht, dass du schauspielerst?"
Salazar seufzte. „Wie sollte er?"
Erneut öffnete sich die Tür, diesmal ohne dass jemand geklopft hätte. Hastig legten Rowena und Godric Desillusionszauber über sich. Diesmal war es Helga, die herein rauschte und mit wütend blitzenden Augen einen Platz für sich beanspruchte. „Ich kann es nicht fassen! Niemand hat mehr Respekt vor Hufflepuff! Denen werde ich es zeigen!"
„Ich finde auch", bemerkte Salazar trocken. „Wenn schon schlechte Dinge über Hufflepuff durch die Zeit erhalten bleiben, warum dann nicht wenigstens die Wahrheit? Wie zum Beispiel, dass Hufflepuffs nie an Türen klopfen?"
Helga streckte ihm die Zunge heraus. Als Godric und Rowena ihre Zauber lösten, hellte sich ihre Miene jedoch auf. „Ach, ihr seid auch hier! Wie schön! Dann können wir ja zusammen zu Mittag essen. Außerdem würde ich gerade einen Mord für eine heiße Schokolade begehen."
Salazar warf ihr einen gespielt bösen Blick zu. „Ach, nachdem ihr euch alle selbst eingeladen habt, soll ich mich nun um das Essen kümmern?"
Godric nickte grinsend. „Genau."
„Wenn du so lieb wärest?", fügte Rowena mit einem Lächeln hinzu.
Ein lächeln unterdrückend, nutzte Salazar den Kamin, um die Hauselfen um das Gewünschte zu bitten.
Zufrieden lehnte sich Helga in ihrem Stuhl zurück. „Das heute beim Frühstück war eine Kampfansage. Es sollte nicht lange dauern, bis Voldemort darauf regiert."
„Das ist es, worauf ich setze", seufzte Salazar und setze sich zurück zu den anderen. „Es bereitet mir keine Freude, solche Spannungen in Hogwarts zu erzeugen."
„Das ist für uns alle nicht einfach", stimmte Helga zu. Dann schlich sich ein Lächeln über ihre Lippen. „Aber es ist wie immer wundervoll, dir bei der Arbeit zuzusehen."
Salazar deutete eine ironische Verbeugung an. „Wie schön, dass ich zumindest deiner Unterhaltung diene."
„Nicht wahr?", sagte Helga grinsend.
„Wir müssen etwas wegen Dumbledore unternehmen", sagte Godric und ob dem Ernst in seiner Stimme wandten sich alle Blicke in seine Richtung. „Ich hatte nächste Gelegenheit, seine Hand zu untersuchen. Der Fluch ist eindeutig noch aktiv. Ein komplexes Muster an Gegenzaubern hindert ihn vorläufig daran, sich weiter auszubreiten. Aber der Fluch ist stark. So wie die Dinge liegen, wird ihm nicht mehr viel Zeit bleiben."
„Das können wir nicht zulassen", sagte Helga entschlossen.
Rowena nickte bestätigend. „Meinst du, dieser Fluch ist etwas, dem du mit deinen Fähigkeiten beikommen kannst?" Fragend war der Blick der Gründerin auf die Freundin gerichtet.
Helga zuckte die Schultern und blickte Godric an. Der schüttelte bedauernd den Kopf. „Du bist die fähigste Heilerin, die ich kenne, Helga, aber hier haben wir es mit einem wirklich bösartigem Fluch zu tun. So etwas ist mir noch nie auf dem Schlachtfeld begegnet." Er warf Salazar einen Blick zu. „Du bist unser Spezialist für solcherlei dunkle Spielarten der Magie."
Salazar lächelte säuerlich. „Wo ich ihn am Morgen so kaltherzig abgewiesen habe, wird der Schulleiter mir kaum glauben schenken, wenn ich ihm nun zu helfen beabsichtigte."
„Der Schulleiter neigt dazu, zu überraschen", sagte Godric ruhig. „Zudem würde jeder von uns ohne Zögern für dich bürgen, sollten wir uns entschließen, ihn einzuweihen."
„Ich weiß, Godric", sagte Salazar, die Stimme warm vor Wertschätzung für den Freund. „Doch welche Versicherung könnten wir ihm wirklich bieten? Wäre ich an Dumbledores Stelle, würde es mir nicht reichen, um mein Misstrauen zu beruhigen."
„Dein Misstrauen ist eigentlich nie zu beruhigen", sagte Helga und knuffte ihn spielerisch in die Seite.
"Womöglich", räumte Salazar lächelnd ein. "Und dann ist da noch das Problem einer möglichen Entdeckung. Sollte irgendjemand herausfinden, dass ich Dumbledores Hand geheilt habe, oder auch nur ein Verdacht in dieser Richtung bestehen, ist unser Plan zum Scheitern verurteilt."
Rowena nickte nachdenklich. "Ich verstehe deine Bedenken. Voldemort hat diesen Fluch erschaffen. Ihm ist bewusst, dass es einen Kenner der Dunklen Kunst braucht, um ihn zu entfernen. Selbst wenn wir vorsichtig sind und nicht gesehen werden, würde eine plötzliche Heilung den Verdacht automatisch auf dich lenken."
Sinnend blickte Salazar in die Flammen des Kamins. „Ich denke mir etwas aus."

Ihr Gespräch erstarb, als Dobby mit einem viel zu großen Tablett erschien und es wankend vor ihnen auf den Tisch stellte. „Vielen Dank, Dobby", sagte Salazar ehrlich. „Aber ... wie sollen wir das alles essen?"
Der Hauself blickte ihn mit leuchtenden Augen an. „Dobby tut alles, um Harry Potter Sir zu unterstützen! Harry Potter Sir hat eine schwierige Aufgabe und muss viel essen", fügte er mit einem gewichtigen Nicken hinzu. „Genau wie Miss Jones und Miss Granger!" Dann verschwand er mit einem leisen Plopp, ohne Godric eines Blickes zu würdigen.
Godric schaute dem Hauself nach. Auch hier gab es einige Dinge, die er gutzumachen hatte.

Erneut öffnete sich die Tür. Diesmal geschah es jedoch langsam und zögernd. Sofort desillusionierten sich drei der vier Gründer. Herein trat auf den ersten Blick ... niemand. Dann flimmerte die Luft und einen Moment später wurde Rons schlaksige Gestalt sichtbar. Unwohl knetete er Harrys Tarnumhang zwischen den Fingern und sah keinem von ihnen in die Augen. „Hey Leute", murmelte er.
Salazar und Rowena tauschten einen schnellen Blick. Im nächsten Moment hatte Rowena Ron in eine Umarmung gezogen. „Oh, Ron, schön, dass du da bist. Es ist so viel passiert. Wie ist die Lage unter den Schülern?"
Ron blickte sie aus geweiteten Augen an. Eine feine Röte hatte sich, von seinen Ohren ausgehend, über sein Gesicht gezogen.
Godric grinste. „Du bist rot."
„Noch mehr als sonst", fügte Salazar spielerisch hinzu.
„Bin ich nicht!", bluffte Ron zurück.
Salazar beschwor einen weiteren Stuhl und klopfte neben sich. „Ich fürchte, du musst uns helfen. Dobby hat uns mit Essen beworfen."
Die Anspannung, die in Rons Schultern gelegen hatte, löste sich langsam. „Klar. Kein Problem." Zögernd griff er nach einer Hähnchenkeule.„Ihr seid das einzige Gesprächsthema an allen Tischen", antwortete er auf Rowenas Frage. „Niemand fragt sich, ob ihr echt seid. Alle reden nur davon, ob ihr ihre Erwartungen erfüllt ... und ..." Sein Gesicht verdunkelte sich noch weiter.
„Ja?", hakte Helga neugierig nach.
„Und dass ihr gut ausseht", brachte Ron den Satz zu ende.
„Oh, wie wunderbar", murmelte Salazar. „Ich wollte schon immer von meinen Klassenkameraden angehimmelt werden."
Helga grinste schelmisch. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Das war schon immer so."
Er warf ihr einen gespielt leidenden Blick zu. „Vorher war ich der Held der magischen Welt. Jetzt bin ich ein unheimlicher Schwarzmagier."
Sie zuckte mit den Schultern. „Anderer Charme, gleicher Effekt."
„Deine Probleme möchte ich haben", murmelte Ron. Doch er sagte es mit einem halben Grinsen.
„Nichts da!", sagte Rowena entschieden. „Du bist vergeben!"
Ron starrte sie an. Es schien eine Weile zu brauchen, bis er verstand, was sie da gesagt hatte. „Bin ich das?", fragte er andachtsvoll.
Rowenas Wangen hatten sich gerötet, doch sie nickte so entschieden, dass ihre Locken wippten. „Allerdings."
Salazar lächelte in sich hinein. „Und Ron ist da nicht der einzige."
Godric warf dem Freund einen verständnislosen Blick zu. „Ich hasse es, wenn du so schaust und ich noch nicht weiß, was los ist", sagte er unheilschwanger.
„Wirklich nicht?", fragte Helga mit einem breiten Grinsen. „Dabei hast du doch so reizend mit ihr geflirtet. Du hast ihr sogar den Stuhl zurechtgerückt."
Godric war ehrlich überrascht. „Ihr sprecht von Professor McGonagall?"
Rowena warf ihm einen Blick zu. „Ehrlich, Godric. Hast du nicht bemerkt, wie sie dich ansieht?"
Godric hob die Schultern. „Als könnte Sie mich nicht leiden? Das ist der einzige Grund, warum ich meinen Charme habe spielen lassen," Als er die Blicke seiner drei Freunde auf sich spürte, hob er rasch die Hände. „Macht mir keine Angst. Sie ist meine Verwandlungslehrerin! Gerade verbringe ich jede einzelne ihrer Stunden mit ihr!"
Rowena warf ihm einen durchdringenden Blick zu. „So schlecht finde ich den Gedanken nicht. Du und Salazar ... mit euren zurückgekehrten Erinnerungen werdet ihr Schwierigkeiten haben, ein Mädchen in eurem Alter zu finden."
Godric blickte sie entgeistert an. „Sie ist meine Lehrerin. Sie könnte meine Großmutter sein!"
„Körperlich ist das richtig", räumte Rowena ein. „Aber geistig bist du sogar noch älter als sie, wenn man dein zweites Leben dazu addiert. Außerdem ist sie mutig, klug und sehr gerecht."
Salazar lächelte unschuldig. „Ich finde, ihr seid ein schönes Paar."
Godric sandte einen Kitzelfluch in seine Richtung. Salazar duckte sich gerade rechtzeitig und erwiderte das Gefecht mit einem Zwing-Tanzfluch, der harmlos an Godrics Schild zerschellte.
„Jungs!", rief Helga. „Keine Duelle am Essenstisch! Raus mit euch, wenn ihr euch prügeln wollt!"
„Zu schade, dass das nicht geht", sagte Salazar mit einem bedauerndem Lächeln. „Ich denke, ein Duell zwischen Godric und mir bedarf der richtigen Inszenierung. Wir sollten dieses Potenzial nicht einfach verschleudern."
Godric hob lächelnd eine Augenbraue. „Du willst dich nur drücken."
„Aus welchem Grund sollte ich?", fragte Salazar belustigt. „In diesem Leben habe ich ein paar mehr praktische Erfahrungen gesammelt als du."
Godric erwiderte das Grinsen seines Freundes. „Und ich wurde zum Ausgleich seit frühester Kindheit in dunkler Magie unterrichtet."
Als Godric Rons Blick bemerkte, legte er dem Jungen einen Arm um die Schulter. „Keine Sorge. Wir teilen ihn unter uns. Das haben wir schon einmal ganz gut hinbekommen." Er zwinkerte ihm zu. „Wären die Umstände anders, würde ich dich zu dem Duell einladen. Salazar kann etwas Unterstützung sicherlich gebrauchen."
Das brachte Ron zum Grinsen.
„Auf welcher Seite stehst du eigentlich, Ron?", fragte Salazar in gespieltem Entsetzen.
Rowena seufzte theatralisch. „Manche Dinge ändern sich nie."

XXX

Als Helga ihre Räumlichkeiten betrat, prasselte bereits ein Feuer im Kamin und Kerzen sandten ihr heimeliges Licht entlang der Bilder und Wandteppiche. In einem Schaukelstuhl, nahe der knisternden Flammen, saß eine perlweiße Gestalt. Helgas Augen glitten über die vertrauten Umrisse des Mannes, der ihr mehr als jeder andere wie ein Sohn war. „Honorius", flüsterte sie.
Der Geist erhob sich, auf den Zügen lag das altvertraute sanfte Lächeln. „Helga."
Sie breitete die Arme aus und er schwebte auf sie zu. Ungeachtet des Gefühls von Eiswasser, das sie bei seiner Berührung verspürte, schloss sie ihn, so gut es ging, in die Arme.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich dich wieder sehe", sagte er andachtsvoll.
„Oder ich dich", sagte sie und blinzelte Tränen aus den Augen. „Was machst du hier? Wenn jemand an ein Leben nach dem Tod glaubt, dann bist das du." In einer allumfassenden Geste deutete sie in seine Richtung „Warum hast du dich hierfür entschieden?"
Das Lächeln wich nicht von seinen Lippen. „Für mich wäre gesorgt, Helga. Aber was ist mit all den Seelen, die sich für eine Existenz zwischen Leben und Tod entschieden haben? Wer gibt auf sie acht?" Er senkte den Blick. „Ich möchte nicht überheblich klingen. Das, was ich leisten kann, ist nicht sehr viel. Aber ich versuche da zu sein, wenn sie mich brauchen."
Helga lächelte. „Oh, Honorius."
Schon immer war er so gewesen. Auf ihren frühen Reisen mit Rowena hatte sie ihn auf der Straße gefunden. Ein kleiner, magerer Junge, den seine Eltern davongejagt hatten, weil er über die Gabe der Magie verfügte. Sie hatte ihn aufgezogen wie den Sohn, den sie nie hatte. Und Honorius hatte seit dem ersten Moment an versucht, seine Dankbarkeit dafür auszudrücken. Sie wusste nicht, wie oft sie mit Blumen oder Tee geweckt worden war, oder wie oft der Junge freiwillig ihre Pferde gefüttert oder gestriegelt hatte. Der Junge besaß ein Herz aus Gold. Als er in späteren Jahren von einer Religion gehört hatte, die sich ganz der Botschaft der Liebe widmete, war er Feuer und Flamme gewesen. Noch deutlich hatte sie seine Worte von damals im Ohr. „Das ist unsere Chance, Helga. In ihren Geboten steht, das man seinen Nächsten lieben soll, wie sich selbst. Wenn wir das umsetzen, dann wäre das das Ende aller Kriege."
Leider hatte Honorius nicht recht behalten sollen. Denn auch, wenn die Priester der Christen Liebe predigten, so schützte das die Religion nicht davor, im Kleinen wie im Großen missbraucht zu werden.
„Was ist passiert?", fragte Helga. „Warum bist du ...?" Es gelang ihr nicht, den Satz zu Ende zu führen, aber Honorius verstand sie auch so. „Wie ich gestorben bin?" , fragte er sanft. Für einen Moment wurden seine Züge von Trauer überschattet. „Mein Kloster kämpfte gegen die Pocken, die sich unter den Menschen ausbreiteten." Er hob die Schultern. „Ich war der einzige von ihnen, der wirklich helfen konnte."
„Du hast die Kranken mit Magie geheilt?"
Er nickte. „Mit Magie und mit den Fähigkeiten, die ich von dir erlernte. Es half so gut, dass man mich bezichtigte, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Man verbrannte mich auf dem Scheiterhaufen."
„Und das hast du zugelassen?", fragte Helga hitzig. „Du kennst den Zauber! Jede Hexe und jeder Zauberer wusste damals, wie man sich davor schützen konnte, dass das Feuer einen verbrennt!"
„Es waren gute Menschen, Helga", sagte Honorius leise. „Fehlgeleitet, ja, aber dennoch gute Menschen. Es wäre zu einem Kampf gekommen, wenn ich mich gewehrt hätte. Ich wollte niemanden verletzen." Er lächelte leicht. „Es war besser so."
„Du unverbesserlicher Gutmensch", flüsterte Helga und zog ihn noch einmal in ihre Arme.
„Was ist mit dir?", fragte Honorius, nachdem er sich sacht von ihr gelöst hatte. „Wie kommt es, dass ihr zurück seid?"
Helga lächelte grimmig. „Salazar wurde von Voldemort beschworen. Und da wir durch die Magie von Hogwarts verbunden sind, begann der Rest von uns, sich zu erinnern."
„Lord Slytherin arbeitet bereits mit Du-weißt-schon-wem zusammen?", fragte Honorius erschreckt.
„Aber nein", lächelnd schüttelte Helga den Kopf. „Ich würde eher sagen, Voldemort hat ein gewaltiges Problem."
Verwirrt blickte Honorius sie an. „Ich verstehe nicht."
Verspielt legte Helga einen Finger an die Lippen. „Höre nicht auf das, was in der Öffentlichkeit zwischen uns passiert. Wir sind eine Einheit. Und sobald Voldemort Salazar vertraut, locken wir ihn in die Anderswelt, so dass seine Horkruxe nicht mehr wirken. Und dann kann er sich auf etwas gefasst machen."
Nachdenklich legte der Mönch den Kopf schief. „Schon als ich ging, um mich den Benediktinern anzuschließen, wurden die Risse zwischen euch mit jedem Tag größer. Was ist passiert?"
Helga lächelte warm. „Es war alles ein großes Missverständnis. Salazar stand nie gegen uns. Und gemeinsam werden wir die magische Welt erneut umkrempeln."
Der Geist von Hufflepuff lächelte. „Daran habe ich keinen Zweifel."
„Honorius", sagte Helga. Prüfend lagen ihre Augen auf dem Gesicht ihres Sohnes. „Du hast mir nicht die ganze Wahrheit gesagt, oder? Warum bist du noch in der Welt der Lebenden?"
Er schüttelte den Kopf. „Es ist kein Abend für so ein trauriges Thema, Helga."
Bestimmt blickte sie ihn an. „Jeder Abend ist der richtige Abend, um mit mir zu reden. Erst recht, wenn ich sehe, dass du etwas auf dem Herzen hast."
Er lächelte warm. „Ich habe dich vermisst. Aber es würde dich nur aufregen und nichts ändern."
Langsam wurde ihr Blick bohrend. „Honorius", sagte sie und betonte dabei jede Silbe.
Der Mönch seufzte. „Was, wenn ich das ewige Leben wirklich nicht verdiene? Was, wenn ich wirklich befleckt bin?"
Helga blickte ihn verständnislos an. „Durch Magie?"
Der Mönch nickte vorsichtig.
„Findest du, dass ich dadurch befleckt bin, dass ich als Hexe geboren wurde? Oder jeder andere Schüler, oder Lehrer dieser Schule?"
Der Mönche senkte den Blick. „Meine Eltern verstießen mich aufgrund der Magie in mir und meine Brüder im Kloster ließen mich verbrennen. Was, wenn sie nicht doch irgendwie recht haben?"
Erschüttert blickte Helga ihren Schützling an. „Findest du Künstler unheimlich, Honorius?"
Der Mönch blinzelte. „Wie bitte?"
„Ein perfekt gemaltes Gemälde, oder die Skulpturen der alten Griechen, solche Dinge können einen doch in Staunen und Unverständnis versetzen, oder nicht? Einfach, weil man einfach nicht verstehen kann, wie ein Mensch so etwas hinbekommen kann. „Was ist mit den Feuerspuckern, den Schlangenmenschen und Artisten, die Dinge vollbringen, die wir uns kaum vorstellen können?"
Der Mönch lächelte traurig. „Auch diese Menschen galten allzu oft, als mit dem Teufel im Bunde."
„Aber sie waren es nicht?"
„Nein, natürlich nicht. Nur, weil wir etwas nicht begreifen, heißt das nicht, das finstere Mächte dafür verantwortlich sein müssen."
„Da hast du es", sagte Helga sanft. „Sie haben nicht verstanden, was du warst. Und das hat ihnen Angst gemacht. Glaube nie, dass du weniger wert bist als alle anderen, Honorius. Und glaube nicht, dass du das Gute, was dir widerfährt, nicht verdienst. Wenn jemand etwas wie Glück verdient hat, dann bist das du. Und wenn dein Gott sich nur irgendwie an seine eigene Botschaft von Liebe hält, dann sieht er das auch so."
Die Augen des Mönchs glänzten feucht. „Ich bin so froh, dass du wieder da bist."
„Glaube mir, das bin ich auch", sagte Helga grimmig.

XXX

„Los, Ron, komm schon!"
Ron war einer entschlossenen Hermine schon oft durch die Gänge von Hogwarts gefolgt. Dass sie nun edle Samtgewänder trug und deutlich älter wirkte als er, machte es allerdings um einiges verrückter.
„Willst du mir nicht verraten, wohin wir gehen?"
„In den Turm von Ravenclaw", antwortete Rowena entschlossen. „Wenn sie nicht zu uns kommt, dann kommen wir zu ihr."
Ron stutzte. „Von wem sprichst du?"
„Von Helena", erwiderte Rowena mit grimmiger Entschlossenheit. „Unserer Tochter."
Schlitternd kam Ron zum Stehen. „Tochter?", fragte er ein wenig zu hoch.
Rowena blickte sich über die Schulter nach ihm um. Als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, wurde ihre Mine weich. „Entschuldigung. Das wusstest du nicht, nicht wahr?"
Ron schüttelte den Kopf. Er brauchte eine Weile, bis er wieder soweit denken konnte, dass ihm ein sinnvoller Satz über die Lippen kam. „Wir ... hatten Kinder?"
Langsam kam Rowena zu ihm zurück und überbrückte so den Abstand zwischen ihnen. Ihre Augen glänzten feucht. „Wir hatten einen wunderbaren Sohn und eine traumhafte Tochter. Hector und Helena."
Er hatte Kinder? Und auch noch zwei davon? Ron versuchte, bei dieser Ansage nicht panisch zu werden. „Und ... warum ist Helena im Turm von Ravenclaw?"
Rowena biss sich auf die Lippe. „Weil sie der Geist von Ravenclaw ist."
Nun fühlte sich Ron auf ganz andere Weise erschüttert. „Sie ist ein Geist? Warum?"
Rowena schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht." Stolz streckte sie die Schultern durch. „Aber ich habe vor, es herauszufinden."
Wie betäubt folgte Ron ihr die vielen Stufen zum Turm von Ravenclaw hinauf. Er hatte Kinder gehabt. Und eins davon war ein Geist geworden. Er wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Entsetzen, Kummer und Unverständnis kämpften um die Vorherrschaft.
Im Turm von Ravenclaw stießen sie auf eine schlanke, geisterweiße Silhouette, die sich bei ihrem Anblick rasch entfernte. „Helena!", rief Rowena. „Warte!"
Der Geist gab ein Schluchzen von sich und schwebte noch schneller durch den Gang. „Helena!", rief Rowena verzweifelt.
Ron sah die Tränen in den Augen seiner Tochter und seiner Frau und war selbst der Verzweiflung nahe. „Helena! Ich habe keine Ahnung von irgendwas, aber bitte lass mich dich zumindest kennenlernen!"
Zögernd kam der Geist zum Stehen. Helena wandte sich um und Ron sah eine junge Frau, die Hermines Locken und seine große, schlackige Gestalt in sich vereinte. Glücklicherweise sah es bei ihr deutlich besser aus, als bei ihm. Außerdem hatte sie Hermines Nase. Ob ihr Haar einmal rot gewesen war? Unmöglich, das jetzt noch zu sagen. Aber schon so war die Ähnlichkeit schockierend. Merlin! Er hatte eine Tochter, die älter war, als er selbst. Er hatte das Bedürfnis, panisch im Kreis zu rennen. Vielleicht hätte er das auch getan, wenn nicht noch immer Tränen in den Augen dieser Tochter geschimmert hätten.
„Hör bitte auf zu weinen", sagte er stattdessen. „Wir kriegen das schon wieder hin." Er wusste zwar nicht, worum es hier ging, aber mit einem Mal war er entschlossen, es mit jedem Problem dieser Welt aufzunehmen, solange die beiden nur endlich ihre Tränen trockneten.
„Kannst du dich überhaupt erinnern, Vater?", fragte Helena leise.
Vater. Dieses eine Wort klang so unendlich seltsam,. „Nein", sagte Ron. „Aber ich habe keine Ahnung, was das damit zu tun hat."
Der Hauch eines Lächelns schlich über ihre Mundwinkel. Dann blickte sie Rowena zum ersten Mal an. „Du musst mich hassen", sagte sie unumwunden.
Wortlos schüttelte Rowena den Kopf. „Helena ... nein ... natürlich nicht."
Erneut füllten sich die Augen des Geistes mit Tränen. „Ich habe dein Diadem gestohlen. Und ich habe mich geweigert, zu deinem Sterbebett zurückzukehren."
Rowenas Hände zitterten „Helena. Ich weiß, ich wollte dich nicht gehen lassen. Ich hatte gehofft, dass du in Hogwarts bleiben und unterrichten würdest. Und mehr noch, da draußen war Krieg. Ich wollte dich nicht verlieren, wie ich Hector und Roderick bereits verloren hatte."
„Stattdessen hast du mich eingesperrt", flüsterte Helena.
Sie hatten also ihren Sohn im Krieg verloren. Und er selbst war offenbar auch darin gestorben. Ron schlang die Arme um sich. Je mehr er von dem Leben der Gründer hörte, desto dankbarer war er, sich nicht zu erinnern.
„Ich wollte dich nicht einsperren", sagte Rowena. „Wenn ich gewusst hätte, wie sehr es dich nach Freiheit verlangte ..."
„Nein, das hast du nicht gewusst", sagte Helena bitter. „Dafür hättest du mir zuhören müssen."
„Du warst das Letzte was ich hatte", flüsterte Rowena.
„Und du hast mich gehütet wie einen Schatz, den man poliert und auf den man Acht gibt, dem man aber weder eigene Gedanken, noch Gefühle zugesteht."
„Es tut mir leid", flüsterte Rowena.
„Mir auch", flüsterte Helena. „Ich weiß ... all das entschuldigt nicht meine eigenen Taten. Ich bin nicht besser. Vielleicht hätte ich mehr mit dir reden sollen ... wenn ich nicht einfach davongelaufen wäre ... vielleicht wärest du dann nicht ..."
Schweigend standen die beiden Frauen voreinander. Entschlossen sah Ron von einer zur anderen. „Wisst ihr, was Mum in so einer Situation immer macht? Sie holt warme Decken raus. Und dann gibt es Kekse. Wisst ihr was? Genau das machen wir jetzt auch!"
Er zog Rowena hinter sich her und machte Anstalten, auch an Helenas Arm zu ziehen. Das war zwar schwierig, weil sie nun mal ein Geist war, aber glücklicherweise schwebte seine Tochter auch so bereitwillig hinter ihm her. Ron lief schnurstracks zum Raum der Wünsche und rief auf dem Weg laut nach einem Hauselfen. Als Dobby mit einem Plopp erschien, orderte er Kakao und Kekse und bugsierte beide Frauen in einen Sessel am Kaminfeuer.
Helena lächelte überfordert. „Ich kann weder essen, noch trinken, Vater."
„Von solchen Kleinigkeiten lassen wir uns nicht aufhalten", sagte Ron entschlossen. Und es war tatsächlich so, dass die heißen Getränke, die ein geflissentlicher Dobby rasch herbeischaffte, zusammen mit den Keksen und dem Knacken des Kamins eine tröstliche Atmosphäre erweckten.
„So", sagte Ron. „Und jetzt möchte ich die ganze Geschichte hören. Und zwar von euch beiden."

Im Laufe dieser langen Nacht erfuhr er von Kriegswirren, die nach dem Tod Godrics und Salazars nicht besser geworden waren. Im Gegenteil, Hogwarts war geschwächt gewesen und Feinde wie Neider hatten die Situation für sich nutzen wollen. Er selbst war mit Hector zusammen ausgezogen, Hogwarts zu verteidigen, während Helga und Rowena die Schutzzauber des Schlosses perfektionieren. Als die Muggelabwehrzauber endlich standen und kein Muggel das Schloss, ohne ihren ausdrücklichen Wunsch, weder sehen, noch betreten konnte, war die Gefahr endlich gebannt gewesen. Doch in dieser letzten Schlacht, hatten sowohl er, als auch Hector ihr Leben gelassen. Rowena hatte ihr letztes Kind gehütet wie ihren Augapfel und genau das war der freiheitsliebenden Helena nicht gut bekommen. Sie war davongelaufen und hatte das Diadem ihrer Mutter mit sich genommen. Rowena wiederum, ohnehin durch eine Krankheit geschwächt, war durch den Verlust ihrer Tochter an gebrochenem Herzen gestorben. Aber auch Helena hatte kein Glück gefunden. Antioch, den man nun den blutigen Baron nannte, war ausgezogen, sie nach Hogwarts und zu ihrer sterbenden Mutter zurückzubringen. Als sie sich jedoch geweigert hatte, entbrannte ein Streit zwischen ihnen, bei dem Helena durch einen ungeschickt gesetzten Fluch gestorben war. Antioch, konfrontiert mit seiner Tat, richtete sich selbst. Und da sich beide für ihre Taten nicht verzeihen konnten, waren sie als Geister nach Hogwarts zurückgekehrt, um den Rest ihrer Existenz damit zu verbringen, jungen Generationen an Hexen und Zauberern zu helfen. Für Ron war es furchtbar und aufwühlend von all den Qualen der vergangen Zeit zu hören. Je mehr die beiden sprachen, desto größer wurde die Beklemmung in seiner Brust, bis er es kaum noch aushalten konnte. Aber er spürte doch, dass es den beiden Frauen gut tat, sich das Erlebte endlich einmal von der Seele zu sprechen. Als die Worte schließlich zum Erliegen kamen, war dadurch längst nicht alles gut. Aber Ron spürte doch, wie sich die Risse zwischen den beiden Frauen langsam und vorsichtig zu schließen begannen. Als der Morgen graute, waren keine Wunden geheilt worden. Aber vielleicht hatten sie wieder damit begonnen, eine Familie zu sein.

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