#𝟘𝟚

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(↱ Der Song, den sie im Park hört)

Elisabeth Karlsson:

Der Tag war anstrengend gewesen, auch wenn das Kaffee trinken mit Jonathan und seiner Schwester eine gute Abwechslung gewesen war. Ich war ziemlich froh darüber, dass ich mich mit Freunden über alles Mögliche unterhalten konnte und nebenbei bittersüßen Kaffee und warmen, feinen Tee trank. Aber ich war froh um die Gespräche mit Jonathan und Anna. Immerhin hatte ich mir auch mal etwas anderes anhören können, als die Sachen, für die ich in letzter Zeit lernte. Und ich hatte etwas anderes zu Gesicht bekommen, als meine kleine Wohnung und die vielen Bücher und Paper über die slawische Kultur. Und nach einer weiteren Stunde des Lernens für die Klausur, merkte ich, dass es eine gute Idee war, in dem kleinen Park spazieren zu gehen, der sich fast neben meiner Wohnung befand, nur etwa zwei Straßen von dieser entfernt lag.
Im Dunkeln ging ich die kleinen Wege des Stadtparks entlang und sah, wie zwischen den dünnen Stämmen der Bäume die winterliche Sonne unterging. Ich brauchte diesen Spaziergang einfach, als Ablenkung und als Abwechslung von meinen Lerneinheiten tagsüber. Die letzten zwei Wochen über hatte ich mir das Wissen über jeden einzelnen Bestandteil und alle Besonderheiten der slawischen Kultur angeeignet. Spannend war das schon. Das Slawistik Studium im Allgemeinen war spannend, aber ich hatte in den letzten drei Tagen kaum etwas anderes gesehen, als die vier Wände meiner Wohnung, meinen Schreibtisch und meine vielen Bücher und Paper zu den Themen für die Klausur.
Der einsame und höchstens zwei Meter breite Weg zwischen den vielen Bäumen und dem hohen Gebüsch, den ich entlangging, war fast nicht einsehbar und es wurde allmählich sehr dunkel. Für meinen Geschmack schon fast etwas zu dunkel. Aber der Sonnenuntergang gab noch ein wenig gedimmtes Licht an meine Umwelt ab und ich ging einen Schritt schneller, um nicht in völliger Dunkelheit nach Hause gehen zu müssen.
Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren, ging auf meine Playlist und begann dann, mir mit fast voller Lautstärke eines der vielen alten Lieder anzuhören, die ich in meiner Playlist gespeichert hatte. Jetzt gerade war es Enola Gay von OMD;.
Wenigstens die nostalgische, ästhetische Melodie und der so vielschichtig interpretierbare Text gaben mir das Gefühl davon, nicht komplett einsam und alleine in dem Waldstück des Parks zu sein. Denn um diese Uhrzeit war man normalerweise alleine. Immer, wenn ich im Winter nach 18 Uhr durch den Park ging, traf ich mit viel Glück mal einen Fahrradfahrer an, oder einen Jogger. Sonst war kaum einer auf den kleinen, schmalen Kieswegen unterwegs. Deswegen machte ich mir auch keine Gedanken darüber, wenn ich die Musik, die ich mir in einer viel zu lauten Lautstärke zu Gemüte führte, etwas zu sehr fühlte. Denn dann war ich nicht nur weit weg von dem Ort, an dem ich mich befand, sondern dachte nicht mehr an die Probleme und weniger schönen Dinge in meinem Leben. Und da gab es so einige, auch, wenn man das von außen kein bisschen einsehen konnte. Aber vielleicht war das auch besser so.
Ich ging den Weg entlang, alle paar Sekunden, immer wieder mit geschlossenen Augen. Ich wollte mir um nichts mehr Gedanken machen, sondern einfach nur existieren, Musik hören und dabei die winterliche Kälte und den Anblick des Sonnenuntergangs genießen. Mehr wollte ich nicht. Ich merkte erst ziemlich spät, dass ich auf dem einsamen, schmalen Weg nicht alleine war. Nach einigen Sekunden des in mir selbst versunkenen Gehens mit halb geschlossenen Augen merkte ich, dass etwa zehn Meter von mir entfernt eine zweite Person ging. Mit müden, zusammengekniffenen Augen versuchte ich auszumachen, ob die Person auf mich zuging, oder in dieselbe Richtung ging, wie ich. Eigentlich war ich nämlich nicht darauf aus, jemandem zu begegnen. Das einzige, was ich wollte, war, über nichts nachzudenken und möglichst schnell nach Hause zu kommen, denn es wurde ziemlich dunkel und sogar für mich viel zu kalt.
Ich konnte erkennen, dass die Person auf mich zukam. Zwar nicht auf mich direkt, aber sie ging meinen Weg entlang. Und wie ich erkannte, trug sie einen langen Mantel und hatte ihre Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden, weswegen ich davon ausging, dass es sich um eine weibliche Person handeln musste. Aber eigentlich war mir das auch egal, schließlich war ich nicht auf Begegnungen mit anderen Menschen aus und da war es mir auch egal, ob es ein Jogger war, oder eine Rentnerin, die mit ihrem Hund spazieren ging. Oder, ob es eine Frau in einem langen Mantel, mit unordentlich hochgebunden Haaren war. Diese kam mir immer näher, während ich aus einem Reflex heraus die Lautstärke meiner Musik leiser stellte.

Am Ende des kleinen Parks war die einzige Laterne weit und breit. Die einzige Lichtquelle.
Die Person kam auf mich zu, während ich ebenfalls weiterging, mich aber irgendwas an der großen Gestalt fesselte, weswegen ich nicht aufhören konnte, zu ihr zu sehen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass ich sie schon vorher einmal gesehen hatte, zumindest kamen mir ihr Gesicht und ihre auffälligen rotbraunen Haare bekannt vor. Aber daran, dass ich ihr schonmal begegnet war, geschweige denn ihren Namen kannte, konnte ich mich nicht erinnern.
Unter dem gelben Licht einer Laterne passierten wir dann den Weg von der jeweils anderen und ich hatte die Chance, die Person genauer anzusehen. Eigentlich war es mir relativ egal, aber ich sah zu der großen Gestalt mit dem unordentlichen Dutt auf dem Kopf.
Das warme Licht der Laterne warf Licht auf die lieblos hochgebundenen rotbraunen Haare der Person und ihr Gesicht, ihre dunklen Augen. Auch wenn der Anblick ihrer Gestalt mich vorhin so sehr fasziniert hatte, als sie unter dem Licht der Laterne stand, wusste ich nicht genau, warum ich die junge Frau so genau ansah. Schließlich musste das komisch aussehen, wenn einen so eine Neunzehnjährige mit langen, wilden Haaren und Kopfhörern in den Ohren anglotzte. Ich an ihrer Stelle wäre ich mindestens verwirrt, würde mich fragen, ob ich komisch aussah. Aber ein Gedanke, und zwar der, dass sie mir irgendwie bekannt vorkam, bestimmte dennoch mein Gehirn und hinderte mich daran, von der Frau wegzusehen, zumal es nicht gerade unästhetisch aussah, wie das gelbliche Licht der Laterne auf sie herab schien.
"Hallo...", grüßte sie mich, während ich sie weiterhin ansah, ihre Gestalt langsam aus dem Licht der Laterne verschwand, ihre rotbraunen Haare nicht mehr in dem gelben Licht leuchteten.
"Hallo", warf ich schnell hinterher, als sie schon fast an mir vorbeigegangen war und ich wusste nicht, ob die Art, wie ich die Frau gegrüßt hatte, möglicherweise ein wenig seltsam war. Ich dachte, dass das Anstarren und mein Gruß vorhin komisch waren. Ich sah nach hinten und stellte fest, dass mir die Gestalt hinterher sah, aber nur kurz, bevor sie weiterging und als eine große Gestalt mit unordentlichen rotbraunen Haaren und in einem langen olivfarbenen Mantel im Dunkeln des Parks verschwand. Dann sah ich wieder nach vorne, in die Richtung der größeren Straße, an der der Weg, wie alle anderen Wege des Parks mündete.
Hinter dem halbdunklen Park mit den gelben Laternenlichtern folgten wieder breitere Straßen mit vielen Autos und Häusern.
Ich machte meine Musik wieder lauter, während das nächste Lied anklang und verließ den Park. Ich ging die kleinen Straßen mit den ganzen kleinen, gemütlichen Häusern entlang in die Richtung der Innenstadt, wo ich in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock wohnte. Und auf dem von grellen Autoscheinwerfern und kühlen Straßenlaternen erleuchteten Weg zu meiner Wohnung, dachte ich wieder an sie, die Frau aus dem Park. Irgendwie kam sie mir auch bekannt vor, so, als hätte ich sie schon vorher irgendwann mal gesehen, in der Uni vielleicht, dachte ich sofort. Denn auch, wenn sie gute zehn Jahre älter, als ich gewesen sein musste, war es nicht ausgeschlossen, dass sie studierte. Aber woher sie mir bekannt vorkam, wusste ich trotzdem nicht, konnte es mir auch nicht erklären, schließlich lief ich, wie die meisten anderen Menschen auch, mindestens fünf jungen Frauen mit rotbraunen Haaren über den Weg. Nichts Besonderes.
Die fünf Minuten über, in denen ich an der lauten, stark befahrenen Straße entlangging, hörte ich eher lautere Musik mit vielen rockigen Klängen.
Schließlich stand ich vor der Tür meiner Wohnung und kramte meinen Schlüssel aus der großen Tasche meiner Jacke, während ich mein Handy in meine Hosentasche sinken ließ.
In meiner Wohnung angekommen, legte ich meinen Haustürschlüssel achtlos auf das Regal im Flur und ging in die Küche. Ich hatte an dem Tag kaum etwas gegessen, die Tage davor, an denen ich so viel gelernt hatte auch nicht. Obwohl ich wusste, dass das nicht gerade gesund war. Aber ausnahmsweise hatte ich auch Hunger und nicht nur den Gedanken im Kopf, ich müsse etwas essen. Ich sah in den beinahe leeren Kühlschrank, fand dann aber doch etwas Essbares.
Schon kurz vor 23 Uhr war es, als ich an meinem Schreibtisch beinahe eingeschlafen war, während ich in einem Buch las und mir die wichtigsten Fakten rausschrieb. Es ging um die slawische Kulturepoche um 3500 nach Christus. Das interessanteste Thema des Slawistik Studiums war das nun nicht, aber es gehörte mit dazu. Da die Musik in meinen Kopfhörern, die ich mir vor über einer Stunde angemacht hatte, schon seit Minuten nicht mehr spielte, fiel es mir noch schwerer, überhaupt wach zu bleiben. Deswegen entschloss ich mich schließlich dazu, meine Bücher zur Seite zu legen und mich fertig fürs Bett zu machen.

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