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(↱So stelle ich mir Elisabeth vor)
Elisabeth Karlsson:

"Aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns mal wiedersehen könnten...". Dieser Satz kam einfach aus meinem Mund, obwohl ich mich genauso gut einfach von Masha hätte verabschieden können. Ohne diese Aussage und vor allem ohne die Nähe, in der ich mich gerade zu ihr befand. Aber Masha lächelte mich an, während ich bemerkte, dass um uns herum die Straßenlaternen angingen, da es langsam dämmerte.
-"Okay...", kam einfach nur von meinem immer noch lächelnden Gegenüber. Masha sah mich durchdringend an, wodurch mir wieder ein wenig wärmer wurde, ich wieder die Röte in meine Wangen aufsteigen spürte. Es war doch viel zu offensichtlich, dachte ich beschämt. Viel zu offensichtlich, dass ich bei dieser ganzen Sache mit Masha und bei ihr generell mehr spürte, als bloß die 'übliche' Sympathie, die man freundlichen Menschen gegenüber hatte. Während meiner Gedankengänge fand mein Blick wieder zurück zu Masha, die mich immer noch anlächelte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sollte ich lachen, sollte ich komplett ernst bleiben, oder sollte ich einfach sprechen und irgendwas sagen, was Sinn ergeben könnte? In mir herrschte mehr oder weniger ein Chaos, wenn auch ein positives Chaos, denn auch wenn ich mehr oder weniger verwirrt war, war mir warm und vor allem dann, wenn ich in Mashas dunkle Augen sah, war mir warm. Und dann holte mich die Stimme meines Gegenübers zurück aus meinen Gedanken und brachte mich zurück in die Realität. "Wo wollen wir uns denn wiedersehen, Elisabeth?", sprach Masha die Frage aus, mit der ich gehadert hatte. Jedoch gab mir der Fakt, dass sie mich direkt mit meinem Namen ansprach wieder ein seltsames warmes Gefühl und plötzlich war die Überlegung, dass ich sie von irgendwoher kenne wieder präsent. Und damit meinte ich nicht die Begegnung im Park letzten Abend, sondern irgendwas anderes, was ich nicht definieren konnte. Ich tat diese Überlegung aber schnell damit ab, dass man sich in einer Stadt mit nicht einmal 100.000 Einwohnern öfter mal über den Weg lief. Vor allem, wenn man im selben Stadtviertel wohnte. Dass es sich so anfühlte, als wären sie und ich uns schonmal näher gewesen, als bei bloßen Begegnungen, bei denen man sich oft nicht einmal gegenseitig grüßte, ignorierte ich wirklich gekonnt. Schließlich wollte ich nicht mit unnötigen Gedanken belasten, hinter denen am Ende sowieso nichts mehr steckt. "Elisabeth?", riss Masha mich wieder aus meinen Gedanken. In ihrem Gesicht war neben ihrem warmen Lächeln auch eine ziemliche Besorgnis zu erkennen und nachdem ich kurz den Kopf geschüttelt und meine Gedanken sortiert hatte, antwortete ich ihr. "V-Vielleicht genau hier und dann... einfach morgen... oder übermorgen...", stammelte ich und versuchte, wenigstens irgendeine Form von Inhalt in meine Aussage zu legen. "Oder keine Ahnung... Ich kann dir auch meine Nummer geben und dann schreibst du mir einfach oder so...", ich merkte, dass ich es von Wort zu Wort irgendwie nur noch unangenehmer gestaltete und aus meinem Mund kein einziger gescheiter Satz mehr kommen wollte. Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis Masha einfach umdrehen und gehen würde, weil ihr das zu seltsam mit mir wurde. Und für einen kurzen Moment, in dem Masha mich verwirrt ansah, wirkte es für mich auch so, doch danach waren meine Sorgen direkt wieder unbegründet.
-"Okay... Sehr gerne...", kam von meinem Gegenüber und ich diktierte ihr meine Telefonnummer. Die Situation, die in dem Moment passierte, musste für alle Außenstehenden ziemlich seltsam wirken, aber ich war einfach nur mehr oder weniger froh darüber, dass Masha mich für mein unangenehmes Gestammel nicht direkt abgewiesen hatte. Nachdem sie die Nummer eingespeichert hatte, steckte sie ihr Handy zurück in ihre Jackentasche und sah mich an. Ich wusste nicht wirklich, was ich da eben getan hatte, aber das Wissen davon, dass etwas Tieferes hinter der Sache zwischen Masha und mir stand, war mir mehr als nur klar. Fast war es sogar schon so, dass ich ganz bewusst merkte, dass ich etwas für sie empfand. Genau konnte ich es definieren, aber ihr warmes, herzliches Lächeln und die Art, wie sie sich mir gegenüber verhielt, obwohl wir uns eigentlich kaum kannten, machten etwas mit mir. Ziemlich viel sogar. Dieses unaufhörliche Gefühl von Wärme, das Glühen auf meiner Haut, sobald sie mich berührte, die Gänsehaut auf meinem ganzen Körper und nicht zuletzt das heiße Gefühl, wenn mir peinlicherweise die Röte in meine Wangen schoss.
-"Übermorgen?", fragte sie mich und ich konnte nicht anders, als einfach nur zu lächeln und zu nicken. "Klar...", flüsterte ich einfach nur, bevor Masha und ich uns knapp voneinander verabschiedeten und ich trat meinen Nachhauseweg an. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und dachte nach, während ich einen Fuß vor den anderen setzte und die zweihundert Meter zu meiner kleinen Wohnung ging. Ich fragte mich so einige Fragen über diesen Tag und vor allem über Masha. Aber das Gefühl, welches am meisten vorherrschte, war meine Vorfreude auf übermorgen, Freitag, wo ich mich mit Masha treffen würde. Aber dass wir schon vorher noch Kontakt haben würden, da sie ja nun meine Nummer hatte, war schon so gut wie sicher. Und als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, konnte ich nicht anders, als einfach nur zu lächeln.
~
Am Freitagmorgen wachte ich ziemlich früh auf. Und das auch noch ziemlich schlagartig. Ich wusste nicht, ob und wenn ja, was ich geträumt hatte, aber die Bilder, die ich dazu in meinem Kopf hatte, waren nicht besonders schön. Aber es war beinahe jeden Morgen dasselbe. Es waren immer Bilder von dem Unfall, den ich mit meinen Eltern hatte, als ich neun Jahre alt war. Es waren Bilder von den Sekunden, bevor sich unser Auto überschlagen hatte, Bilder davon, wie ich mitten auf der Straße lag, mir alles wehtat und ich aufwachte. Aber mitten in den schrecklichen Bildern war da trotzdem auch die Person, die sich um mich gekümmert hat, als ich dort schwer verletzt auf der Straße lag. Ich wusste nie, wer dieser Mensch war. Ich wusste nicht einmal genau, ob es ein Mann oder eine Frau war, obwohl ich wegen der ruhigen Stimme und der Sanftheit der Person eher davon ausging, dass es eine Frau war. Wobei ich mich da auch irren konnte.
Den Freitagmorgen verbrachte ich größtenteils damit, dass ich in ein paar von den Büchern las, die ich mir am Mittwoch aus der Bibliothek mitgenommen hatte. Vor allem in dem Buch über den Kalten Krieg las ich ziemlich viel. Mein Slawistik Studium drehte sich vor allem um die historischen Aspekte, in welchen ich mich besonders auf die Geschichte der Neuzeit bezog. Aber auch die kulturellen Dinge interessierten mich, ebenso wie die Politik und die Sprachen. Wobei ich mich damit, mit Polnisch, Russisch, Tschechisch, Slowenisch und all den anderen Sprachen zu beschäftigen, nicht immer besonders leicht tat. Trotzdem saß ich von zehn bis dreizehn Uhr ununterbrochen mit dem Buch in der Hand auf meinem Bett, notierte mir nebenbei alle wichtigen Fakten in meinem Notizbuch. Erst am frühen Nachmittag, als ich Hunger bekam, sah ich das erste Mal seitdem ich aufgewacht war wieder auf mein Handy. Masha hatte mir geschrieben. Sofort wurde mir wärmer und ich spürte eine gewisse Nervosität und vor allem in meinem Oberkörper kribbelte es irgendwie. Dabei hatte ich eigentlich keinen Grund, bei einer bloßen Nachricht von ihr nervös zu werden. Ich öffnete den Chat, in dem wir seit Mittwochabend eher wenig geschrieben hatten.

»Hey«
»Wollen wir uns dann so um 16 Uhr treffen?«
-12:28 Uhr

Verdammt. Ich hatte in der Zeit, in der sie mir geschrieben hatte, vor meinem Buch gehangen und die interessanten Informationen aus diesem nur so in mich hineingefressen. Ich wollte ausnahmsweise nicht daran denken, was Masha nun meinen könnte, warum ich ihre Nachricht erst jetzt gelesen hatte, erst jetzt antwortete.

»Hey, ja klar... Einfach an der Bushaltestelle?«
-13:49 Uhr

Die ganze Zeit, nachdem ich diese Nachricht abgeschickt hatte, war ich mir ziemlich unsicher. Sollte ich noch irgendwas sagen? Oder sollte ich irgendein Emoji hinterherwerfen, damit die Konversation nicht so trocken und steif wirkte? Ich legte mein Handy beiseite und lehnte mich an die Bettkante meines großen weißen Holzbettes mit dem purpurroten Bettbezug. Ich seufzte und wusste nicht einmal, warum mir dieses Geräusch entfahren war. Die Zimmerdecke war schlicht, einfach weiß und mein Blick, der an dieser festhing, fokussierte sich auf nichts Wirkliches. Bis ich das Vibrieren meines Handys wahrnahm. Fast schlagartig schreckte ich hoch und nahm mein Handy, welches auf dem kleinen Nachttisch neben meinem Bett lag, in die Hand. Von meinem plötzlichen hochschrecken war mir ein wenig schwindelig, aber als ich den Inhalt der Benachrichtigung erkannte, war mir das auch ziemlich egal.

»Ja ;)«
-13:52 Uhr

Bestimmt eine Minute lang starrte ich lächelnd auf die Nachricht von Masha. Die Art, wie sie schrieb, war, obwohl es sich nur um ein bloßes "Ja" und einen nichts und gleichzeitig so vielsagenden Smiley handelte, irgendwie besonders. In einer positiven Art und Weise. Ich öffnete den Chat und überlegte, was genau ich antworten sollte. Sollte ich sagen, dass ich mich auf sie freute? Oder schrie das zu sehr nach Ich habe mich in dich verliebt? Sollte ich einfach nur "Okay" schreiben? Aber dann würde es doch sicherlich wirken, als hätte ich eigentlich gar kein Interesse an ihr. Schließlich kam ich auf meine Überlegungen von vorhin, denen mit den Emojis, um der Konversation mehr Leben zu geben zurück und schreib einfach nur:

»Okayyy 😊«
-13:53 Uhr

Direkt nach dem Abschicken der Nachricht sperrte ich mein Handy wieder und legte es unsanft auf den hölzernen Nachttisch neben meinem Bett. Die Nachricht an sich war in Ordnung. Aber war das Emoji zu seltsam? Was sagte die Art und Weise des geschriebenen aus? Was dachte Masha wohl, wenn sie die Nachricht zu lesen bekommen würde? Das alles ging durch meinen Kopf und ich konnte mich nur schlecht davon abbringen, alle negativen Szenarien und Situationen durchzugehen, die passieren könnten. Dabei wusste ich schon in dem Moment, in dem ich dort zu Hause auf meinem Bett saß, dass das Treffen ein positives Erlebnis werden würde. Denn ich hatte für mich festgestellt, dass ich mich dort nicht mit irgendwem traf; ganz im Gegenteil, ich traf mich mit einer Person, in die ich mich mehr als nur oberflächlich verguckt hatte. Eine Person, die mir bekannt vorkam und mich gleichzeitig an jemanden erinnerte, den ich nicht definieren konnte. Alles in einem war Masha einfach eine Person, auf die ich mich freute. Ich freute mich, sie jetzt schon, nach zwei Tagen wiedersehen zu können. Aber nervös war ich auch.

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