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Masha Karminsky:

Ich fühlte mich die ganze Zeit über schuldig, weil ich mich sofort von Elisabeth distanziert habe, als sie ihren Kopf an mich gelehnt hat und ich feststellen musste, dass ihre Nähe vollkommen ausreicht, um das Tempo meines Herzschlags zu verdoppeln. Trotzdem bemerkte ich Elisabeths leicht verwirrten und verlorenen Blick durch den Spiegel in meine Richtung, weswegen ich mich ganz vorsichtig wieder auf sie zubewegte, dabei versuchte, meinen Körper unter Kontrolle zu halten.
"Deine Haare sind wirklich weich wie Seide", sagte ich nachdenklich, musste dabei lächeln und betrachtete dann wieder Elisabeth und mich nun mit etwas Abstand zueinander im Spiegelbild. "Meistens haben sie Kletten und wehen mir ständig ins Gesicht", erklärte Elisabeth genervt und mit einem wirklich angestrengten Unterton. Dabei gab es an ihrem gesamten Körper wirklich nichts Schlechtes, nichts Negatives. Sie war so unfassbar wunderschön - innerlich und äußerlich. Ich musste lächeln, obwohl ich es eigentlich schade fand, dass sie mein Kompliment direkt wieder abwertete. Dabei musste sie das doch gar nicht. Sie sah so schön aus und sollte dies auch wissen, schließlich war mir selbst nur allzu gut bekannt, dass es nicht guttat, sich selbst ständig herunterzumachen. Und ich wollte nicht, dass sie eines Tages daran zerbricht, wie es fast bei mir geschehen war.
"Rede dich und dein Aussehen nicht schlecht, Elisabeth... Das tut auf Dauer nicht gut", meinte ich deswegen leise und traute mich dann doch wieder, mich ihr zu nähern. Ganz leicht berührte ihr Rücken meinen Oberkörper wie vorhin schon und ohne es wirklich kontrollieren zu können, legte ich meine Hände auf ihre Schultern, mit meinem Daumen strich ich sanft über diese. Ich merkte, wie sie sich unter meinen Berührungen deutlich entspannte und auch ich ein bisschen ruhiger wurde - das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch, mein wild klopfendes Herz und der allgemeine zittrige Zustand blieben trotzdem noch ein wenig. Vor allem dann, wenn ich in den Spiegel sah und sich Elisabeths und mein Blick trafen. Ja, ich war mir mittlerweile sicher, dass ich mich in sie verliebt hatte. Trotzdem hatte ich vergessen, wie sich dieses interessante Gefühl anfühlte. Die Wärme, die die einfache Präsenz von Elisabeth auslöste, war wunderschön, ebenso wie das Gefühl dessen, ihr tief in die Augen zu sehen oder sie wie nun vorsichtig zu berühren. Andererseits war da dieses Zittern, welches mich an Schwindelanfälle erinnerte und mein Herz, welches sich seit der Nacht kaum beruhigt hat. Aber wahrscheinlich gehörten diese Dinge dazu, wenn man verliebt war. Eigentlich war es schlimm, dass ich das gar nicht wusste - ich war eine 36-jährige Frau, die nicht wusste, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein.
Dann riss uns ein anstrengendes Geräusch aus unserer Starre. Und als wir beide bemerkten, dass es sich bei diesem Geräusch um das Klingeln von Elisabeths Handy handelte, ging ich etwas auf Abstand und falls sie telefonieren wollte, hätte ich auch den Raum verlassen.
-"Sorry, ich sollte mein Handy wirklich mal leise stellen...", sagte sie nervös. Ich entfernte mich bis an die andere Wand des Badezimmers von Elisabeth und musste lächeln. Es war doch alles in Ordnung. Kurz sah sie auf das Display und lies zögerlich ihren Finger über diesem schweben. Dann legte sie ihr Handy wieder zur Seite, sah mich entschuldigend an und richtete ihren Blick dann ein wenig beschämt auf den Boden. Ich lächelte und meinte sofort: "Ist doch nicht schlimm". Etwa eine Sekunde später hob sie wieder ihren Kopf und sah mich an. Ihr Gesichtsausdruck entspannte sich sofort ein wenig und ich sah, wie ihre blauen Augen glitzerten. Sie war eine so wunderschöne junge Frau und sie brauchte sich für solche kleinen Vorfälle keinesfalls bei mir zu entschuldigen.
Mehrere Sekunden lang sahen wir uns einfach in die Augen und ich bemerkte nicht nur, wie meine Wangen langsam vom Lächeln wehtaten, sondern auch, wie sich in Elisabeths hellem Gesicht ebenfalls ein leichtes, unfassbar niedliches Lächeln auftat. Innerlich spielte bei mir alles verrückt - nur durch diese einzige kleine Tatsache, dass sie, diese wunderschöne Frau, mich anlächelte. Es war doch unglaublich.
-"Masha... Ich... Ich muss nachher noch lernen... Für die Klausur nach den Semesterferien... Wir fangen dann ein neues Thema an, mit einer neuen Professorin und die will ich nicht enttäuschen, weißt du?", stotterte Elisabeth und ich bemerkte, dass es ihr eindeutig unangenehm war, zu sagen, dass sie gleich gehen würde. Dachte sie, dass es bei mir so ankommen würde, als hätte es ihr bei mir nicht gefallen? Vermutlich war das so und ich war mir nicht sicher, ob ich das unwahrscheinlich süß finden oder es mir Sorgen bereiten sollte.
-"Ist Okay... Ich habe auch noch ein paar Sachen zu tun... Ich bringe dich auch gerne nach Hause...", erklärte ich, musste mich aber für den letzten Satz innerlich schlagen. Wie wollte ich sie bitte nach Hause bringen? Würden wir zu Fuß gehen, hätten wir zwar noch Zeit, um zu reden, aber es wäre auch ein wenig Verschwendung der Zeit, die wir beide für unsere Aufgaben aufbringen mussten. Mit dem Bus zu fahren wäre unnötige, doppelte CO₂-Belastung und mit dem Auto, bei welchem sich dasselbe Problem wie beim Bus gestalten würde, fuhr ich schon seit Jahren nicht mehr. Ich wollte nicht darüber nachdenken, warum. Es war einfach so. Aber Elisabeth sagte, es sei in Ordnung und ich müsse sie nicht nach Hause bringen. Trotzdem blieb ein leicht schlechtes Gewissen.

Ein paar Minuten später standen wir beide auf dem Flur. Elisabeth zog gerade ihre Jacke und ihre Schuhe an und ich beobachtete sie dabei. Schließlich nahm sie ihre Tasche mit den Büchern und sah mich an - vorsichtig strich sie sich ein paar ihrer braunen Haarsträhnen, aus denen das Blond langsam hinauswuchs, aus dem Gesicht. Schüchtern lächelte sie und sah mich an. In meinem Brustkorb erhitzte sich bei dem bloßen Anblick der jungen Frau etwas. Es war ein schönes Gefühl.
-"Ähm... Ich wollte mich bedanken... Dass ich hier schlafen durfte und so...", stotterte sie und bekam es dabei nicht ganz auf die Reihe, mich anzuschauen. Ich musste lächeln.
"Kein Problem", meinte ich und näherte mich ihr ein paar Zentimeter.
-"Ich... Ach egal, das wäre überflüssig". Elisabeth sah bewusst zur Seite, legte nervös ihre rechte Hand auf ihre linke Schulter. Ich sah sie weiterhin an und legte meinen Kopf schief. Wieder kam ein Lächeln in mein Gesicht.
"Nein... Wenn du es ansprichst und dabei so nervös bist, dann ist es nicht überflüssig", sagte ich leise. Elisabeth sah mich an, ihre Augen glitzerten. Sie kam mir ein wenig näher, sodass uns nur noch etwa ein halber Meter trennte.
-"Darf ich dich umarmen?", fragte sie mit leiser, hoher Stimme und sah mich durchdringend an. Gleichzeitig sah ich, wie die Farbe ihrer Wangen immer mehr von einem blassen Rosa zu einem niedlichen Rot wurde. Ich nickte und meinte: "Ja, klar...", musste dabei innerlich wie äußerlich ein wenig lächeln. Sie war so unfassbar süß.
Langsam näherten wir uns einander und dann, wie in Zeitlupe, legten sich ihre Arme um meinen unteren Oberkörper, ihr Körper drückte sich ein wenig gegen meinen. Ich umschloss ihre Schultern mit meinen Armen und als hätten wir beide nur auf diesen Moment gewartet, legte Elisabeth ihren Kopf vorsichtig an meinem Schlüsselbein ab und ich legte eine meiner Hände schützend auf ihren Kopf. Es war viel zu viel Nähe und die Umarmung dauerte schon viel zu lange an, um sie als einen normalen Abschied zwischen zwei Personen, die einander sympathisch waren zu erklären. Aber ich liebte Elisabeths Nähe und irgendwie erzählte mir mein Herz schon in diesem Moment, dass es diese Nähe so bald wie möglich wiederhaben will.
Nach ein paar Sekunden, einer gefühlten Ewigkeit, lösten wir uns voneinander. Wir sahen einander tief in die Augen und lächelten uns an.
-"Auf Wiedersehen...", meinte Elisabeth leise und öffnete die Tür.
"Auf Wiedersehen... Du kannst mir schreiben, wenn du zu Hause angekommen bist", erklärte ich. Elisabeth nickte, dann verschwand sie nach draußen und ich schloss die Tür nach einigen Sekunden hinter meinem Rücken. Ich musste tief durchatmen, aber mein gesamter Körper beruhigte sich immer noch nicht.

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